Bahnhofskiosk

Einmal ein so unaufregendes Leben führen wie ein Playboy!

Die Frage, die jeder von uns jeden Tag zu beantworten hat, ist: Wer will ich sein? Ich weiß, wir finden alle tausend Gründe, warum wir sind, wie wir sind, von unseren Eltern über Sternzeichen bis zu mehr oder weniger subjektiven „Sachzwängen“, aber gleichzeitig bewundern und lieben wir nichts mehr als Menschen, die ihr Sein ausleben und sind, was sie sind. Ich persönlich halte den weiter grassierenden Tattoo-Trend für das tiefe Bedürfnis danach, irreversible Entscheidungen zu treffen. Wir wären uns eben alle gerne klarer und sicherer darüber, wer und wie wir sind.

Die korrespondierende Mediengattung zum Thema „Entscheidungen darüber, wie ich mein Leben leben möchte“ heißt „Lifestyle“, und sie ist einerseits die oberflächlichste, die es gibt – und andererseits auf ihrer Metaebene die mit den entscheidendsten Fragen. In der Subkategorie „Was für ein Mann möchte ich sein“ gibt es die schöne Besonderheit, dass sich für einen bestimmten Typ Mann niemals etwas ändert: Ein Playboy, wie ihn die Zeitschrift „Playboy – Alles, was Männer lieben“ definiert, ist in Deutschland seit nunmehr 45 Jahren ziemlich genau das Gleiche.

Die Themen des aktuellen „Playboy“ sind Frauen in Kombination mit Sex, Alkohol, schnelle Autos, Boxen, Rauferei*, populäre Kultur**, Essen*** und Mode samt verwandter Konsumkategorien. Die Beständigkeit hat dazu geführt, dass dieser bei seiner Erfindung zumindest teilweise ganz moderne, progressive Mann heute wie eine Säule eher biederer konservativer Unterhaltung wirkt. Es war einmal aufregend und provozierend, die nackten Frauen im „Playboy“ anzusehen. Heute sind die Frauen zwar zeitgemäß tätowiert und rasiert, ansonsten aber unverändert. Wer in Zeiten ständig verfügbarer Internetpornografie den „Playboy“ als erotische Stimulation kauft, ist geradezu bezaubernd sanft in seinen Vorlieben. Oder, anders gesagt: Wer den „Playboy“ nicht wegen seiner Geschichten kauft hat offensichtlich kein Internet.

Die gerade noch aktuelle Ausgabe erzählt wahrscheinlich mehr über Deutschland und seine Männer, als es jedes andere Artefakt täte, wenn ein Archäologe der Zukunft es fände. Es ist die Schauspielerin einer Fernsehserie auf dem Titel, die sechs Jahre vorher offenbar schon einmal auf dem Titel war, was den größten Teil des ihre Fotos flankierenden Interviews lang besprochen wird. Außerdem die Frage, ob sie gut im Bett ist. Ihr Mann sagt ja.

Es gibt neben den insgesamt drei nackten Frauen und drei vorgestellten Autos im Heft Interviews mit drei Hollywood-Schauspielern und ein „Pro & Contra“-Format zum Thema Vollbart, ein „Special“ zum Thema Fahrräder mit einem „Pro & Contra“-Format zu elektrischen Zusatzantrieben und eine Kolumne darüber, wie Männer Frauen Komplimente machen sollen. Es ist zum Beispiel schlecht, einer Frau zu sagen, sie blase wie ein Profi, stattdessen soll er lieber Ich-Botschaften senden wie „Ich liebe es, wenn du beim Blasen ganz vorsichtig deine Zähne mit dazunimmst“****. Vielleicht kann man den Inhalt der Geschichten am einfachsten so zusammenfassen: Es gibt Weisheit im „Playboy“. Also, das Wort „Weisheit“ kommt tatsächlich vor. Aber es ist falsch geschrieben – da steht „Weißheit“*****.

Das klingt jetzt alles horrend negativ, aber auf interessante Weise ist es das gar nicht. Der „Playboy“ ist ein Heft ist ein Heft ist ein Heft, und auf eine charmant ausgeruhte Weise nimmt er sich dabei einfach ernst und macht, was der „Playboy“ eben macht. Es steht auf jeder Seite etwas drauf, und manches ist lustig, die Frauen sind sexy, die Witze gut, die Autos schnell und die Martinis alles von „dry“ bis „dirty“.

Vielleicht ist es ein Zufall, dass ausgerechnet diese Ausgabe so völlig ohne Höhepunkte auskommt, aber es verstärkt nur das Gefühl, dass man hier einigermaßen ungestört vom ständigen Wechsel der Zeit verschont bleibt. Vielleicht muss man es sich auch nicht schwerer machen als nötig.

Selbst das Layout des heutigen „Playboy“ ließe sich nicht so einfach in einem bestimmten Jahrzehnt verordnen. Es ist schlicht und ohne Spielerei, und auch auf eigene Modefotografie verzichtet man, in irgendeiner Weise aufregend ist tatsächlich gar nichts in diesem Heft, aber es macht mir ein kleines bisschen Freude, dass ein Heft, das aus und für die Aufregung geboren wurde, heute so sanft entspannt einfach vor sich hinlebt. Es ist ja ein schönes Leben, dass des Playboys, und auch wenn ich mich nicht ganz verstanden und unterkomplex wahrgenommen fühle als Mann, wenn das hier tatsächlich alles sein soll, was ich liebe, habe ich nichts gegen nackte Frauen, schnelle Autos und Alkohol, im Gegenteil, und Boxen liebe ich tatsächlich.

Auf der Metaebene, bei der Frage also, was für ein Mann ich sein will, macht der „Playboy“ dann allerdings schon wieder ein bisschen nachdenklich. Es kommt in jener Forum-Rubrik, in der Männer ihre Dr.-Sommer-Sozialisierung weiterleben und um Lebenshilfe bitten können, die Frage auf, was ein Mann machen soll, dessen Freundin sich einen „Alphasoftie“ wünscht, und die Antwort lautet zusammengefasst, er soll das einfach vergessen und sich entspannen.

Es gab mal eine Zeit, da hat der „Playboy“ – vor allem das amerikanische Mutterblatt – sich mit wilden, spannenden, kontroversen Interviews und Geschichten tatsächlich einmal der großen Fragen des Lebens angenommen. Heute bietet er eine Auszeit davon. Aber eine nette.

In eigener Sache: Ich werde wegen eines Herzensprojekts ein paar Wochen mit dieser Kolumne pausieren. Falls sie mich dann noch wollen, komme ich aber danach gern wieder zurück.

Playboy
Playboy Deutschland Publishing
6,50 Euro

Offenlegung: Ich habe während der vergangenen 20 Jahre immer wieder für den „Playboy“ geschrieben.

*) bei einem georgischen Oster-Ritual

**) in einem ironischen Twist ist eins der Themen die Musik der Doors, was bedeutet, es ist tatsächlich und wörtlich Musik, die der Playboy schon vor 45 Jahren gehört hat

***) Hot-Dogs!

****) Ich kann nicht genug betonen, dass diese Aussage nicht von mir ist.

*****) To be fair: In dem Text geht es um Vollbärte, und der Satz geht so „[…] ein Tipp an alle, denen das Alter bereits Weißheit ins Gesicht zaubert […]: lieber in Würde ergrauen […].“ Es ergibt für mich auch bei fünfmaligen Lesen keinen echten Sinn, aber es kann als Wortspiel mit dem ergrauenden (=weiß werdenden) Bart gemeint sein. Wenn dem so ist, bin ich nur zu doof, es zu verstehen.

13 Kommentare

  1. Ich mag diese Kolumne* und ich rechne fest damit, dass Sie wiederkommen**!

    *) sehr sogar
    **) Sonst kündige ich mein Abo.

  2. Ehrlich gesagt, macht diese Besprechung richtig Lust auf auf den Playboy. Außer, dass es keine Mode gibt. Wo die Dame des Hauses immerhin ihre Brigitte hat, klafft eine enorme Lücke. Ich habe keine Lust, mir von der GQ regelmäßig erklären zu lassen, wie ich innerhalb weniger Wochen zum Sixpack komme. Wenn das klappen würde, hätte ich ja auch nach zwei, drei Ausgaben keinen Grund mehr, das Heft zu kaufen. Aber der Playboy ist der Playboy ist ein Schmuddelheft, so habe ich es gelernt. Vielleicht ist es Zeit für eine andere richtig schön „langweilige“ Publikation für Männer.

  3. Ich habe gerade eben ein Abo abgeschlossen – und zwar fast ausschließlich wegen dieser Kolumne. Und was muss ich lesen: Pantelouris pausiert?! Bitte unbedingt wiederkommen, verehrter Wortkünstler!

  4. Stehe grad vor dem Presseshop im Bahnhof, halte die Luft an und stampfe immer so mit dem Fuß auf, während ich gleichzeitig Olivenöl unklarer Provenienz in mich reinlaufen lasse.

    Aus purer Verzweiflung.

  5. „Ich werde wegen eines Herzensprojekts ein paar Wochen mit dieser Kolumne pausieren. Falls sie mich dann noch wollen, komme ich aber danach gern wieder zurück.“

    Menno. Das hat man uns mit Peter Breuer auch versprochen und dann blieb er einfach (fast dauerhaft) weg.

  6. Ich denke ich spreche im Namen der Übonnenten*: wir wollen.

    *) die zumindest in Einzelfällen eigentlich viel lieber Übonauten hießen

  7. Mein erstes Abo ! Herr Pantelouris ohne Ihre Kolumne will ich auch kein Abo * schmoll und nochmalschmoll und überhaupt !
    Trotzdem viel Erfolg beim Projekt.

  8. ..der Satz mit der Weißheit bedeutet: „Leute, wenn euer Bart grau wird: bloß nicht färben, sieht Scheiße aus. Lass ihn grau werden, das kommt an.“

  9. Ach wenn’s doch nur der Bart wäre. Aber das ist ein anderes Thema.
    Ansonsten: Beste Blattkritik wo gibt! Wie eigentlich immer.

  10. Also ich finde, sich gerade den Playboy als Season Finale vorzunehmen, passt irgendwie.

    Und Fußnote vier****, äh, ja, „so much this!“, wie man heute zu sagen pflegt.

  11. Bitte kommen Sie ganz schnell zurück! Diese Kolumne ist auch für mich ein Hauptgrund für das Abo.
    Zunächst aber viel Erfolg bei Ihrem Herzensprojekt!

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