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Sehr viel über sehr wenig

Interesse ist eine gute Sache. Wer Interesse hat, kümmert sich. Und wenn sich jemand nicht kümmert, ist das ein ziemlich guter Hinweis, dass jemand kein Interesse hat. Eine simple Regel, die Millionen von Herzschmerz-Befallene zu verdrängen suchen, indem sie weite Wege durch tiefe Gläser gehen.

Der Zeitschriftenmarkt teilt sich in General-Interest- und Special-Interest-Titel – bei Zeitschriftenkäufern wächst hingegen die Gruppe der No-Interest-Leser, die sich an unsichtbaren Regalen außerhalb der Verkaufsstellen am besten bedient fühlen. Ein General-Interest-Titel ist zum Beispiel der „Stern“, der jedes Jahr über sehr, sehr viele Dinge gezwungenermaßen relativ wenig schreibt. Ein Musterbeispiel für einen Special-Interest-Titel möchte ich diese Woche besprechen: Das „iPhone Magazin – Alles rund um iPhone, iPad und Apple Watch“ schreibt sehr, sehr viel über sehr wenig.

iPhone Magazin

Wer kein iPhone hat, für den ist es vollkommen uninteressant. Und für die meisten, die ein iPhone haben, auch, denn immerhin ist das eins der Geräte, deren Macher ganz stolz darauf sind, Technik so zu vereinfachen, dass man sie ohne Bedienungsanleitung ausliefern kann und die Kunden sie nicht nach zwanzig Minuten mit dem Hammer in den Prä-Werkszustand versetzen, also in Einzelteile.

Und dann soll es Menschen geben, die quasi blind alles kaufen, was Apple so herausbringt, und begeistert jeden Trick lernen, den Apple zur Bereicherung ihres Lebens in die Geräte programmiert hat. Wahrscheinlich sollen genau die das Magazin kaufen. Ich weiß nicht genau, ob ich zu dieser Gruppe gehöre, weil Siri sagt, sie verstehe die Frage nicht. Aber es könnte sein.

Das vier Mal im Jahr erscheinende Magazin ist tatsächlich genau so, wie es draufsteht: Es ist voller Tipps und Tricks für die Nutzung der Geräte, Empfehlungen für Apps und jedes erdenkliche Zubehör. Das wird automatisch ein bisschen hektisch, weil die wenigsten Themen so komplex sind, dass sie viel Text bräuchten. Selbst die zusammengefassten Themen wie die Vorstellung der neuen iPhone-Generation oder des neue Betriebssystems iOS 10 werden sinnvollerweise in kleine Einheiten verpackt („Kamera“, „Display“ und so weiter, beziehungsweise Neuerungen einzelner Apps), so dass praktisch das gesamte Heft aus kleinen Informationshäppchen besteht.

iPhone Magazin

Auch die Vorstellungen des Hardware-Zubehörs, von Kopfhörern über Hüllen bis zu 360-Grad-Kameras, sind dankenswert knapp gehalten, was allerdings bei mir das Gefühl auslöst, es handle sich um ausgedrucktes Internet – mit dem Nachteil, dass ausführlichere Infos zu, sagen wir, einem Kopfhörer nicht nur einen Klick entfernt sind.

Andere Inhalte hat das Magazin praktisch nicht, nur auf der letzten Seite den Kommentar eines als Zauberer vorgestellten dicken jungen Mannes mit Gehstock und Sonnenbrille zur Abschaffung des Kopfhörer-Klinkensteckers am neuen iPhone – er meint, wir sollen drüber wegkommen.

Kleine Häppchen zu Hard- und Software-Themen – meine erste Frage ist, ob es überhaupt denkbar ist, damit ein Heft zu machen, das nicht in Fremdschäm-Größenordungen gegen die digitalen Medien abstinkt. Und dann hat das „iPhone Magazin“ mir mehrere Tage Lebenszeit geschenkt.

Ich habe seit einem iOS-Update vor ein paar Jahren ein Problem – na ja, „Problem“ ist ein großes Wort, es ist etwas, das mich nervt: Ich weiß nicht mehr genau, bis wann, aber ich meine, bis zu dem psychedelischen Jony-Ive-OS-Update (war das iOS 7?) konnte man im mobilen Safari mit einem Trick alle offenen Browserfenster auf einmal schließen. Seitdem nicht mehr.

Ich habe gegoogelt und gegoogelt, aber es ging einfach nicht. Tatsächlich nicht. Die Funktion war abgeschafft. Man musste mehrere iOS-Inkarnationen lang jedes Tab einzeln durch Wischen schließen, und ich gehe mit Tabs um wie Angelina Jolie mit Kindern: Ich weiß nicht, wo sie herkommen, aber es sind viele, viele, und sie werden wie automatisch mehr. Und dann sind plötzlich unzählige Fenster offen und ich finde nix mehr.

Dann wische ich sie wütend alle zu, gefühlte Minuten lang, und im Laufe eines Jahres kommen da wahrscheinlich Stunden zusammen, und wenn wir 2016 wider Erwarten überleben, wären noch viele Stunden zusammen gekommen – aber Apple hat die „Alle Tabs schließen“-Funktion wieder eingeführt! In iOS 10! Allerdings so gut versteckt, dass ich nie zufällig drauf gekommen wäre, und ich hätte nach so vielen an die Nerverei gewöhnten Jahren auch nicht mehr aktiv danach gesucht. Ich habe es nur entdeckt, weil es im „iPhone Magazin“ steht* – und das führt mich zu der Frage, ob es doch etwas auf sich hat mit der Behauptung, Zeitungen und Zeitschriften wären eben auch deshalb so toll, weil man in ihnen Dinge findet, die man nicht sucht.

iPhone Magazin

Ich halte das eigentlich für ein Null-Argument. Zwischen Online und Papier gibt es sowieso keinen Unterschied, finde ich, aber es wird – wenn ich das richtig sehe – auch vor allem gebraucht, um den Vorteil von redaktionell betreuten Angeboten gegenüber solchen zu betonen, in denen irgendeine Filterblase, technisch oder sozial, dafür sorgt, dass ich nur Dinge sehe, die mich schon interessieren.

Bitte bleiben Sie einen Augenblick bei mir, auch wenn der Gedanke jetzt nur haarscharf an dem entlang schabt, worüber wir hier reden: Wofür interessieren sich eigentlich Leser a.k.a. Menschen? Die Antwort ist auf einer Ebene überragend einfach: Menschen interessieren sich für sich selbst. Punkt. Und das ist, auch wenn es möglicherweise in der ersten Sekunde brutal klingt: völlig okay so.

Ich habe gerade warme, flauschige Gefühle für ein Magazin, das für den größten Teil der Bevölkerung völlig wertlos ist, einfach weil es ein Problem für mich gelöst hat, das ich schon als chronisch empfunden habe.** Das Magazin ist nicht hübsch oder schlau und nicht toll geschrieben. Außerdem enthält es eine unfassbar bizarre Stelle, in der zur Illustration des Themas „Tastentricks – Die Komforttastatur nutzen“ eine E-Mail abgebildet ist. Der Text lautet:

„Hallo Nils,
mir gefällt das Wäschemodell nicht so sonderlich, ich denke die junge Frau ist in Wirklichkeit schon viel älter. Wir sollten die Fotos genauer analysieren lassen und dann unser Urteil fällen.“

Ich meine, wer kommt, wenn er sich symbolisch einen E-Mail-Text ausdenken soll, um Tastenkombinationen zu erklären, auf sowas? Das ist auf so viele Arten unangenehm, dass ich gar nicht weiß, wo ich anfangen soll – allerdings genau weiß, dass ich es nicht will.***

iPhone Magazin

Möglicherweise ist es nicht die schönste Aufgabe im Journalismus, so etwas wie eine flockige Bedienungsanleitung für ein Smartphone zu schreiben. Und dann nutzt man als Redakteur jede Freiheit, die man so hat? So wie man einen Zauberer mit Gehstock als Kolumnisten sucht? Oder sich auf ihn einigt, weil drei Chinesen mit einem Kontrabass zwar noch lustiger gewesen wären, aber sich beim Schreiben immer streiten? Ich weiß es nicht. Und es ist egal, ich kann jetzt alle Safari-Tabs auf einmal schließen!

Aber kommen wir zu dem zweitwichtigsten Thema nach mir zurück, den Lesern a.k.a. Menschen: Ich glaube, es steckt eine ganz große Frage in dem, worüber ich die ganze Zeit rede, und ich habe höchstens winzige Antworten darauf. Die Zahl der Magazinleser nimmt ab, gleichzeitig wächst das schwer zu greifende Unbehagen vieler mit „den Medien“, eine Entwicklung, die, zumindest emotional, parallel passiert mit ähnlichen Gefühlen gegenüber „der Politik“.

Ich persönlich halte beide Entwicklungen für eng verwandt und verwoben, und sie haben beide eine ähnliche Ursache: Das Gefühl, Politik und Medien interessierten sich in Wahrheit nicht für die Menschen, nicht für mich. Und egal ob General- oder Special-Interest, das ist das Interesse von Lesern. Ich kann das ein Stück weit verstehen. Ich würde deshalb gerne einen kleinen persönlichen Test machen und wäre froh über jedes Feedback, gerne natürlich hier in den Kommentaren.

Ich habe oben in der Beschreibung dessen, was das „iPhone Magazin“ nicht ist, in einem absichtlich sogar leicht hakeligen Satz einfließen lassen, es sei nicht schlau. Und das ist erkennbar doppelt falsch. Es beißt sich erstens damit, wie sehr ich sie für die Lösung meines „Problems“ feiere, und gleichzeitig ist es eine so hemmungslos überhebliche Haltung, dass sich jeder begeisterte Leser des „iPhone Magazins“ von mir völlig zu recht abgekanzelt fühlen muss.

Testfrage: Ist es jemandem beim Lesen aufgefallen? Oder ist diese Art von Arroganz schon so normal, dass man gar nicht mehr stolpert?

Ich glaube nämlich eigentlich nicht, dass dieses skandierte „Lügenpresse“ ein inhaltlich gemeinter Vorwurf ist (der natürlich auch nicht haltbar wäre), sondern die Slogan gewordene Enttäuschung darüber, nicht ernst genommen zu werden, seine Interessen nicht gewürdigt zu sehen. Ich formuliere es nochmal so, dass ich es selbst auch verstehe: In einer Welt voller Android-Magazine würden Siri und ich vielleicht auch „Lügenpresse“ schreien.

iPhone Magazin
CMT Verlags GmbH
7,90 Euro

*Lange auf das Kästchensymbol rechts unten in der Safari-Leiste tippen, mit dem man sonst das Menü aufruft, in dem man neue Fenster öffnet.

**Magazinredakteure der Welt! Findet einen einfachen Weg, wie ich automatisch bei jedem Mietwagen weiß, auf welcher Seite der verdammte Tankeinfüllstutzen ist – und ich abonniere euch auf Lebenszeit!

***Zu wem geht man eigentlich, wenn man ein Foto daraufhin analysieren lassen will, wie alt die abgebildete Person ist? Ich frage für Kai Diekmann wegen Vicky Leandros.

18 Kommentare

  1. Ich dachte, das Tankproblem sei gelöst dank kleinem Pfeil an der Tankanzeige. Der sollte in die Richtung zeigen, in der sich der Einfüllstutzen befindet.
    Also bitte keine Autozeitschrift abonnieren. :-)

  2. Ich glaube Ihnen, Herr Pantelouris, würde man diese Überheblichkeit/Arroganz bei einer Magazin-Rezension sogar noch verzeihen, weil sie einfach süffisant geschrieben ist und Sie das Standing dafür haben (vielleicht ist das genau das Erschreckende an Autorität?).

    ** In neueren Autos zeigt Ihnen ein kleiner Pfeil an der Tankanzeige, auf welcher Seite sich die Öffnung befindet. Abonnieren Sie mich jetzt auf Lebenszeit?

  3. ** Leider nicht in eigentlich jedem Auto, nur in manchen. Ich bin Carsharing-Nutzer, ich kenne das Problem.

  4. @4
    Korrigiere: in den meisten, gerade bei Carsharing Anbieter wie Car2Go oder Drive Now (der 1er ist eine Ausnahme, weil älter und weil BMW eh doof ist)

    Keine Ursache.

  5. **Ist nicht auch (egal ob Pfeil oder nicht) die Tankanzeige immer auf der Seite des Armaturenbretts angebracht, auf der sich auch der Tankeinfüllstutzen befindet?!

  6. @6 bei mir (BJ 91) ist die Tankanzeige rechts, der Einfüllstutzen aber links. Wenn, dann wurde das erst später genormt.

  7. Das mit der Tanköffnung ist doch auch so ein Test, oder? Exakt das hätte mich auch veranlasst, einen Kommentar zu schreiben, wenn es nicht schon so viele Vorredner dargestellt hätten … :-)

    Um die erste Testfrage zu beantworten: Ist mir nicht sonderlich aufgefallen, weil ich MP ebenfalls jede Autorität zuschreibe, zwischen „dumm“ und „nicht-dumm“ in meinem – darf ich sagen: unseren? – Sinn zu unterscheiden. UND weil die Zuschreibung „dumm“ nicht auf einen bestimmten Autor bezogen wurde, also nicht unmittelbar personenbezogen erfolgte.

  8. Mir ist das nicht aufgefallen und ich musste die erwähnte Textstelle lange suchen, weil ich sie a) ganz am Anfang vermutete, b) das Wort „nicht“ wirklich sehr häufig vorkommt und ich c) die entsprechende Stelle tatsächlich geskippt hatte, ohne, dass mir das zum Zeitpunkt des Suchens bewusst gewesen ist.

    Jetzt habe ich in wenigen Minuten etwas über meine Lesegewohnheiten und Tankdeckel gelernt.

  9. Wenn Sie jetzt nicht spätestens bei * beschrieben hätten, wie man all die vermaledeiten Tabs auf einmal schliessen kann, hätte ich Ihnen böse Zeilen geschrieben und evtl sogar das Magazin gekauft.
    LOL, nein doch nicht. Das gibt’s hier im Dorf nämlich gar nicht…
    Aber danke für den Tip.
    P.S. Wie haben Sie denn die Tab weggewischt ? Ich habe erst gestern wieder in alle Richtungen gewischt aber alle Tabs und Seiten sind mit Gummibandeffekt wieder zurückgerutscht….bin aber auch ein iNoob

  10. Fasziniernd.

    Tankstutzen und Gummibänder.

    Ich leider Protestant (Android, Windows)
    Das heißt ich darf einfach alles mögliche tun und reinstecken (erst neulich, ja, ich bekenne, eine SD Karte. Von vorn. In den LAPTOP!)

    (es GIBT natürlich die Gewissenfrage. Und Absolution geht dann nicht mehr.
    Aber ich mehr so der Reinstecker)
    Aber das nur nebenbei.)

    Ich finde, die sehr interessante Frage, wenn ich sie recht verstanden habe, ich kann völlig falsch liegen, blabla :
    Ist das warme Gefühl der Lösung von klitzekleinen Dingen, das uns erfreut, auch wenn wir vielleicht dick sind…

    Steht das irgendwie in Zusammenhang mit Abonnentenrückgang und (!) Politikverdrossenheit, weil weder Medien noch Politik jenes warme Gefühl nicht oder nur unzureichend herzustellen in der Lage sind?

    Is das die Frage, jenseits von Tankstutzen?

    Ich finde, das kam hier zu kurz, bisher.

  11. Und als jemand der „Fisch und Fang“ liest, die alten Ausgaben provozierend im Klo auslegt und jemanden kennt der ein unaussprechlich schräges Magazin für Fahrräder abonniert hat, welches er provozierend im Klo auslegt…..

    Also ich lese mich da regelmäßig fest.

    Und wenn der mal wieder mit seinen, ich neige fast dazu sie Mitverschwörer zu nennen, nach Mallorca fliegt, mit den Rennrädern im Flightcase…
    Also ich versteh ihn dann besser.

  12. ..ein Magazin muss nicht hübsch oder schlau sein und kann trotzdem ohne Widerspruch als ästhetisch und unterhaltsam bezeichnet werden ;)

    Negative Bezeichnungen in Ihren Texten nehme ich immer zuerst hin, weil erfashrungsgemäß erläutert wird, wie Sie zu dieser Einschätzung kamen.
    Erst danach stimme ich zu oder eben nicht.

  13. Ich habe es nicht als Widerspruch empfunden.

    1. Weil „schlau“ für mich nichts mit der Beschreibung von technischen Vorgängen oder einer Tipps- und Tricks-Sektion zu tun hat. Das Abtippen einer Bedienungsanleitung ist nicht schlau.
    Im Zusammenhang mit einem Magazin hätte ich bei Schläue eher an einen schlauen Aufbau gedacht, schlaue Texte, schlaue Kommentare, Bildunterschriften, etwas überraschendes, andersartiges.
    2. Magazine oder Teile davon, die Sie für schlecht halten, werden von Ihnen in einer Tour arrogant-charmant abgekanzelt.
    Insofern haben Sie meine Erwartungen voll bedient und das geliefert, was ich mir von Ihnen wünsche.

    Der Test hat sowieso einen doppelten Boden, oder? Ihnen sind die Dinge, die ich beschrieben habe, bewusst und Sie wollten beweisen, wie manipulierbar Leser sind. In diesem Fall von Ihrem Test und seiner tendenziösen Aufgabenstellung, die die Lösung scheinbar vorgibt.

    Oder? Hui, mein Aluhut wird schon ganz warm.

  14. Etwas finden was man nicht gesucht hat – jetzt weiß ich, warum ich diese verdammten Zeitschriften kaufe.

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