Bahnhofskiosk

Schweinejournalismus

Verlage haben ein wunderbares Geschäftsmodell: Sie brauchen keine teuren Maschinen, Druckereien stehen unter einem so bestialischen Druck, ihre Anlagen auszulasten, dass ihre Vertriebsleute heute schon dankbar sind, wenn man höflich zu ihnen ist, während man sie ans Existenzminimum herunterhandelt, und die Bereitschaft zur Selbstausbeutung unter Schreibern wirkt, als hätten wir alle das Grundgesetz falsch verstanden: „Jeder hat Pflicht, sich schriftlich zu äußern.“

Dementsprechend ist die Magazinvielfalt in einem gut sortierten Kiosk in Deutschland immer noch so rührend groß, dass man leise „yay, Dekadenz“ murmelt, während man sich zwischen vier verschiedenen Magazinen über Militärgeschichte zu entscheiden versucht, die wahrscheinlich alle schlecht verbrämte Kriegsverherrlichung sind. Ich hätte mich wegen des Namens für „Clausewitz“ entschieden, aber dann fiel mein Blick auf „Sauen – Das Magazin für den Schwarzwildjäger“ direkt daneben, und wie bei wahrscheinlich jedem Menschen meiner Generation setzt dann diese Denkmechanik ein und man fragt sich: „Was würde Obelix tun?“ Der Rest ist nicht Militärgeschichte.

Es gibt also ein Magazin für die Wildschweinjagd, ein halbjährlich erscheinendes Tochterblatt des Magazins „Jäger“, und es wirkt auf den ersten Blick überragend zweideutig, einerseits relativ edel ausgestattet und hochwertig, dabei aber außen so bizarr schlecht betextet wie sonst nur Lieferwagen von Schlachtereien mit Partyservice. „Mondsauen“ ist die Titelzeile, überschrieben mit „Die Rückkehr der Eichelfresser“, was schon nach Splatter-Porno klingt, und nach der Lektüre des Heftes glaube ich, das ist Absicht.

In den drei kleineren Themen darunter finden sich zwei unterschiedliche Bezüge für das Wort „wir“, nämlich einmal „Mythos Schweinesonne – Wir lüften ihr Geheimnis“, also „wir“ im Sinne von „die Redaktion“, und weiter rechts „Mond-Entfernungen – So verschätzen wir uns“, mit „wir“ im Sinne von „wir Jäger“. Dazwischen schreibt der Titeltexter „Mast Haves“ mit A. Doch. Und nein, das kann man so nicht schreiben, und es ist auch kein schlechtes Wortspiel mit Schweinemast oder so gemeint, und die Headline für die Geschichte innen wiederholt den Fehler, auch das ist also Absicht. Oder Unvermögen.

Der Chefredakteur erfindet in seinem Editorial noch das Wort „Novationen“, als er Innovationen meint (wobei ich mich aus dem Jura-Studium dunkel an eine Novation erinnere, die aber so etwas ist wie eine Umschuldung, bei der ein neuer Vertrag einen alten ersetzt. Oder so ähnlich. Jedenfalls kann man Novation auf keinen Fall synonym mit Innovation verwenden, im Duden finde ich es gar nicht).

Das wäre alles egal, wenn ich nicht glauben würde, dass hier mit Codes hantiert wird, wenn auch vielleicht nicht bewusst. „Wir sollten keinen Vernichtungsfeldzug gegen die Sauen führen, aber gleichzeitig scharf eingreifen, um das Vordringen der russischen Schweinepest einzudämmen“, schreibt Chefredakteur Lucas von Bothmer im Editorial, und bei mir triggert all das merkwürdige Assoziationen. Das phonetische Eindeutschen der Schreibweise von „Must Haves“, „Vernichtungsfeldzüge“, die besserwisserisch wirkende Veränderung von Innovation (ich stelle mir vor, wie Herr von Bothmer sich sagt: „Nova heißt ja schon neu!“) – es kann das Migrantenkind in mir sein, das bei „Jäger“ ohnehin schon Dinge assoziiert wie „Loden“ und „Stammtisch“ und „Waidmanns Heil“, und ich reagiere da offensichtlich hypersensibel, aber es wirkt auf mich irrwitzig gestrig, vormodern und unangenehm spießig.

All das wird nicht besser, wenn man in den „Höhö“-Bereich des Heftes vordringt. Die Saujagd-Fotostory, mit der das Heft beginnt (doch!) ist betitelt mit „Versaute Träume“ (im Inhaltsverzeichnis beginnt jede Geschichte mit dem Wort Sau – „Sauimpressionen“, „Sausonne“, „Sauwetter“, „Sauglück“, „Saubüchsen“, „Saukram“, Saumädel“ und so weiter), und diese Art Wortspiel zieht sich durch das ganze Heft. Es hat etwas männerbündisches, obwohl Frauen vorkommen, wenn auch eher selten. Die Themenauswahl bewegt sich im Nützlichen, von Produkttests über die richtige Jagd mit Hunden bis zu der Schwierigkeit, Entfernungen in der Dämmerung richtig einzuschätzen (das sind die „Mond-Entfernungen“ vom Titel). Es gibt Bauanleitungen für einen Hochsitz und einen improvisierten Spanferkelgrill, eine Reisegeschichte über die Wildschweinjagd in Australien und das auf dem Titel angekündigte Lüften des „Geheimnisses“, warum der Mond nicht in jedem Jahr gleich hell ist. (Er unterliegt Zyklen, weil die Erde nicht immer gleich zu ihm steht. Das „Geheimnis“ ist Astronomie.)

Und dann kommt Lisa Jänicke.

Es gibt eine Doppelseite, für die können offenbar Leserinnen Bilder und einen Text einschicken und sich den Lesern von „Sauen“ vorstellen. Auf den Bildern sieht man die „Forstwirtschaftsstudentin im fünften Semester“ in figurbetonter Jagdbekleidung (minus Jacke, im Tanktop) ein Gewehr durch den Wald tragen. Sie schreibt dazu Sätze wie: „Das Schwarzwild fasziniert mich in höchstem Maße“, und: „Ich habe viele jagdliche Freunde“. Die Headline lautet „Eine Perle aus der Uckermark“ und die Rubrik heißt, natürlich – ich mag es echt kaum sagen –, wahnsinnig ironisch: „Versaute Mädels“. Ich wäre jetzt sehr gerne bewusstlos.

Es gibt einen merkwürdigen Widerspruch zwischen dem einerseits sehr heutigen, mainstream-modernen Layout von „Sauen“* und dem Inhalt, aus dem an manchen Stellen schwielige Vorkriegsmännlichkeit durchschimmert. Lisa, die 20-jährige Perle aus der Uckermark, laut Bildunterschrift „blond und borstenfixiert“ – mir ist es unangenehm, dass ich das „Höhöhö“-Lachen von Typen vor meinem inneren Ohr höre, die sowas lustig finden.

Was mir den Gedanken an die Jagd da noch rettet, ist nur die Vorstellung, dass man auf Hochsitzen wahrscheinlich die Fresse halten muss, um die Tiere nicht zu verjagen.

Sauen
Jahr Top Special Verlag
8,90 Euro

*) Ich wäre locker ohne Fußnote ausgekommen diese Woche, aber ich will niemanden enttäuschen, deshalb hier: Die Grafik von „Sauen“ ist outgesourced.

8 Kommentare

  1. „Mondsauen“ ist die Titelzeile, überschrieben mit „Die Rückkehr der Eichelfresser“, was schon nach Splatter-Porno klingt, und nach der Lektüre des Heftes glaube ich, das ist Absicht.“

    Ich bin in diesen Satz verliebt. Ich werde ihn in mein Portemonaie tun, damit ihn jeder sehen kann, wenn ich irgendwo bezahle.

  2. @bertsen:

    Geht mir genauso. Zum Niederknien. Dieses Magazin wirft (verborgene Sprach-)Perlen vor die Säue.

    Ebenso entzückend finde ich aber auch:
    „„Wir sollten keinen Vernichtungsfeldzug gegen die Sauen führen, aber gleichzeitig scharf eingreifen, um das Vordringen der russischen Schweinepest einzudämmen“

    Da will ich lieber nicht als russisches Schwein wiedergeboren werden.
    Die eigenen Pointen versauen sie sich jedenfalls nicht, in der Sauen-Redaktion.

  3. Als jemand, der als Kind die „Fischwaid“, später den „Blinker“ und nun “ Fisch und Fang“ hielt bzw.hält und prinzipiell auch gegen die Jagd nix hat…. bin ich doch etwas entsetzt.

    Aber nun ja. Das Blatt hat sein Existenzrecht völlig hinreichend nachgewiesen, wenn es den Guten Griechen zu derartiger Hochform auflaufen lässt.

    Wenn ich gegen Ende des Monats vor der nahen Grundschule stehe, um dort während der Pause Süßigkeiten und Zigaretten an 8jährige zu verkaufen, um die Kosten für das Abo aufzubringen, lassen mich Artikel wie dieser etwas besser mit meinem schlechten Gewissen umgehen.

    Danke.

  4. @oblomow
    Neben Süßigkeiten und Zigaretten, vergessen Sie bitte den Jägermeister nicht. Ein Mast Have für Schulanfänger

    BTT.
    Herr Pantelouris,
    gibt es im Heft eigentlich gar nichts zu Jagdwaffen (z.B. Hinterlader oder Vorderschaftrepetierer für Schrotmunition)? Das hätte ich nun zur Abrundung dieses vorsintflutlichen, übertriebenen Männergehabens erwartet…

    Das allgemeine Entsetzen teile ich.

  5. Mein Favorit ist ja
    „„Was würde Obelix tun?“ Der Rest ist nicht Militärgeschichte.“
    Aber jedenfalls vielen Dank. Ich bin mal wieder begeistert.

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