Wieso vertrauen Journalisten manchen Quellen mehr als anderen?
Eigentlich sollten Journalisten Informationen nur veröffentlichen, wenn sie von mindestens zwei Quellen bestätigt sind. In der Praxis sieht das oft anders aus: Aussagen von Polizei oder Behörden werden häufig ungeprüft übernommen. Warum gelten solche Stellen als „privilegierte Quellen“ – und wann wird das zum Problem? Fragen an Markus Reuter von netzpolitik.org.
Die Polizei gilt als „privilegierte Quelle“. Foto: IMAGO / mix1
Ob Polizeimitteilung, Zitat der Staatsanwaltschaft oder dpa-Meldung – viele journalistische Texte stützen sich auf sogenannte privilegierte Quellen. Doch wie neutral und verlässlich sind diese wirklich? Und gehen Journalistinnen und Journalisten zu unkritisch mit ihnen um? Markus Reuter, Redakteur bei netzpolitik.org, hält blindes Vertrauen in solche Quellen für gefährlich – besonders, wenn es um die Polizei geht. Im Interview erklärt er, warum das Zwei-Quellen-Prinzip oft nicht gilt, welche Folgen das hat und was ist, wenn es keine zweite Quelle gibt.
Der Gesprächspartner
Foto: Darja Preuss
Markus Reuter ist Redakteur bei netzpolitik.org und schreibt unter anderem über Desinformation, Polizei und Grund- und Bürgerrechte. Für eine Recherchereihe zur Polizei auf Twitter erhielt er 2018 den Preis des Bayerischen Journalistenverbandes.
Herr Reuter, es gibt Quellen, denen Journalisten besonderes vertrauen. Was sind das für Quellen?
Das sind sogenannte privilegierte Quellen, bei denen Journalisten annehmen, dass sie Dinge sehr sachlich, wahrheitsgemäß und objektiv darstellen. Das sind Behörden wie Staatsanwaltschaften, die Polizei oder Ministerien, aber auch Nachrichtenagenturen wie die dpa.
Inwiefern arbeiten Journalisten mit privilegierten Quellen anders als mit „normalen“ Quellen?
Journalisten nehmen an, dass sie die Auskünfte von privilegierten Quellen nicht so gut überprüfen müssen wie sonst. Statt zwei Quellen reicht plötzlich eine. Polizeimeldungen werden zum Beispiel einfach übernommen, ohne dass eigene Recherchen angestellt werden. Das ist der schlechtmöglichste Umgang mit so einer Quelle.
Warum lässt man das Zwei-Quellen-Prinzip gerade bei staatlichen Behörden außer Acht, die man doch eigentlich besonders kritisch betrachten sollte?
Es hat in Deutschland Tradition, dass die Polizei als unfehlbar gilt. Sie wird oft so wahrgenommen, dass sie schon recht haben wird – nicht nur im Journalismus, auch in den Gerichten, wo Polizisten als Zeugen oft mehr geglaubt wird.
Sie sehen vor allem den Umgang mit der Polizei sehr kritisch, mit anderen Behörden eher weniger. Warum?
Im Unterschied zu einer Umweltbehörde oder der Bundesnetzagentur ist die Polizei ein aktiver Player. Polizisten sind die einzigen, die Gewalt ausüben dürfen – und deshalb muss man sie besonders hinterfragen. Die Polizei ist keine unbeteiligte Behörde, die nur zuschaut, sondern selbst Akteur. Auf Demonstrationen, zum Beispiel, ist es die Polizei, die Leute einschränkt oder festnimmt. Wenn sie danach darüber informiert, hat sie nicht nur beobachtet, sondern zum Teil selbst entschieden, was passiert.
Medien übernehmen gerne, was die Polizei auf X oder in Pressemitteilungen schreibt. Es gibt diese Geschichte vom „Türknauf des Todes“: In Berlin wurde ein besetztes Haus geräumt und die Polizei twitterte, dass „Lebensgefahr“ für die Kollegen bestanden hätte, weil der Türknauf des Hauses von den Hausbesetzern unter Strom gesetzt worden sei. Das wurde medial sofort verbreitet, bis sich später herausstellte: Der Türknauf stand nie unter Strom. Oder bei einem Klimaprotest in Hamburg hieß es von der Polizei, dass sie von Demonstranten mit Reizgas angegriffen worden seien. Später kam heraus: Es waren wohl eigentlich die Beamten, die das Reizgas so gegen den Wind gesprüht hatten, dass sie es selbst ins Gesicht bekommen haben. Mit solchen Falschmeldungen kreiert die Polizei ein Ungleichgewicht. Die Korrekturen dringen nicht mehr zu allen durch, die Meinung ist geformt: Die bösen Hausbesetzer, die den Türknauf unter Strom setzen, die bösen Demonstranten, die Beamte mit Reizgas angreifen.
Ist das tatsächlich eine aktive Beeinflussung der öffentlichen Wahrnehmung? Oder könnten das nicht auch einfach „nur“ Fehler sein?
Ich kann mir schon vorstellen, dass es bei solchen großen Ereignissen die Idee gibt, die öffentliche Meinung aktiv zu formen. Ich kann das nicht nachweisen, aber das ist auf jeden Fall das, was passiert – ob beabsichtigt oder nicht. Anfang des Jahres hat die Berliner Polizei bei einer Demonstration gegen AfD und CDU den Protestbus der Künstlergruppe vom „Zentrum für politische Schönheit“ beschlagnahmt und hat auf ihrem X-Account ein Foto davon gepostet. Das Foto war allerdings bearbeitet, was die Polizei nicht angab: Der Schriftzug „Adenauer SRP+“, (SRP steht für „Sozialistische Reichspartei“, die erste Partei, die in Deutschland verboten wurde) wurde im Nachhinein vom Bus weg retuschiert.
Als Grund nannte die Polizei ihr Neutralitätsgebot, laut dem sie keine politischen Aussagen oder Firmennamen verbreiten dürfen.
Das ist auch richtig. Beim Abschleppwagen, der auch auf dem Bild zu sehen war, wurde der Firmenname allerdings nicht unkenntlich gemacht. Und sie hätten den Schriftzug auch einfach verpixeln oder einen schwarzen Balken darüberlegen können. Dann hätte man sofort gesehen, dass hier etwas unkenntlich gemacht wurde. Stattdessen wurde das fein säuberlich in Photoshop mit Blau überzeichnet. Dabei ist doch ganz klar: Eine Behörde darf keine Bilder manipulieren. „Tagesspiegel“ und „t-online“ haben das Foto dann einfach übernommen.
Im Lokaljournalismus ist es üblich, dass Polizeimeldungen direkt übernommen oder nur leicht umformuliert werden. Sollte man selbst jede kleine Unfallmeldung der Polizei hinterfragen?
Ich finde schon. Natürlich gibt es Abstufungen: Beim Verkehrsunfall auf der B198 muss ich nicht so aufpassen wie bei einer politischen Demonstration oder wenn die Polizei bei einer Festnahme jemanden erschossen hat und als aktiver Player dabei war. Aber auch bei Unfallmeldungen kommt es zum Beispiel vor, dass sie eher autofreundlich formuliert sind. Ich persönlich glaube nicht, dass es so etwas wie Objektivität gibt und deswegen würde ich Informationen generell immer infrage stellen – egal, von wem sie kommen.
Aber gibt es überhaupt immer eine zweite Quelle? Wenn ich wissen will, wie viele Leute in Chemnitz geheiratet haben, weiß das ja nur das Standesamt vor Ort.
Da muss man dann auf die Statistik vertrauen, ja. Aber vor allem sollte man im Text auch klar machen, dass das die einzige Quelle ist. Man sollte die Quelle immer danach bewerten, welches Eigeninteresse sie bei einem Thema hat – bei einer solchen Anfrage hätte das Standesamt eher weniger Interesse etwas zu fälschen, würde ich sagen.
Bei den meisten Demonstrationen geben Medien mittlerweile die Zahl, wie viele Demonstranten vor Ort waren, sowohl von der Polizei als auch vom Veranstalter an.
Das finde ich eine gute Entwicklung. Am besten wäre es eigentlich, drei Zahlen zu haben: Die Veranstalter schätzen meist großzügig, die Polizei eher konservativ – dazu wäre eine journalistische Schätzung auch noch wünschenswert. Dann kann ich als Leser die Zahlen am besten einordnen.
Auch innerhalb des Journalismus gibt es privilegierte Quellen: Wenn bei der dpa ein Fehler passiert, ist der im schlimmsten Fall in jeder Sendung und in jeder Zeitung. Warum geht man dieses Risiko ein?
Es hat sich etabliert, dass Journalisten anderen Journalisten vertrauen und stellenweise das übernehmen, was andere Redaktionen recherchiert haben. Das Gleiche passiert bei den Nachrichtenagenturen auch. Dazu kommt der rein wirtschaftliche Grund: Redaktionen können selten alles abdecken und bedienen sich deshalb bei Nachrichtenagenturen. Das führt dazu, dass nicht nur Fehler übernommen werden, sondern auch eine politische Färbung und Einordnung. Die dpa steht ja auch nicht auf dieser Mittellinie der Neutralität, die es sowieso nicht gibt.
Nachrichtenagenturen arbeiten immerhin nach journalistischen Prinzipien. Kann man die in einen Topf mit Behörden werfen?
Nein, ich würde sie deswegen nicht in einen Topf werfen. Auch Behörden haben sich an Fakten zu halten und so sorgfältig wie möglich das darzustellen, was ist. Aber es ist immer ein Problem nur einer Quelle zu vertrauen, denn auch die seriösesten Nachrichtenagenturen und Journalisten machen Fehler.
Sie halten also von allen privilegierten Quellen relativ wenig.
Wir sollten das Konzept der privilegierten Quellen abschaffen. Natürlich können wir Quellen mehr und weniger vertrauen. Je nachdem, wie brisant das Thema und wie involviert der Player selbst ist, kann man Abstufungen machen. Aber diese Idee, dass man von bestimmten Quellen Informationen ungeprüft übernehmen kann, halte ich für falsch. Auch eine kleine Baubehörde hat ihre eigenen Interessen.
Die Autorin
Johanna Bernklau studiert Journalismus in Leipzig und war Autorin für die Medienkolumne „Das Altpapier“ beim MDR. In den Journalismus hat sie durch ein Volontariat bei der „Passauer Neuen Presse“ gefunden. 2022 und 2023 war sie Mitglied in der Jury des Grimme Online Awards. Für Übermedien betreut sie die Serie „Wieso ist das so?“. Wenn Sie ein Thema haben, dem wir nachgehen sollten, dann schreiben Sie Johanna Bernklau eine Mail.
5 Kommentare
Dass die Umweltbehörde kein „aktiver Player“ sein soll, tut der Umweltbehörde bestimmt auch weh, aber ansonsten ein sehr lehrreiches Interview!
Liebe Frau Bernklau, nur am Rande, nicht wirklich wichtig: In einer Frage schreiben Sie: „Wenn bei der dpa ein Fehler passiert, ist der im schlimmsten Fall in jeder Sendung und in jeder Zeitung.“ Das ist inhaltlich natürlich völlig richtig. Als Beispiel verlinken Sie aber auf diese Übermedien-Geschichte, die nach meinem Verständnis gar keinen dpa-Fehler thematisiert: https://uebermedien.de/96201/hoergeraete-studie-laesst-aufhorchen-dass-sie-falsch-ist-leider-nicht/
Lieber Herr Homburger, Sie haben recht. Da ist mir bei der Produktion des Textes ein Fehler unterlaufen. Tut mir leid. Habe den Link entfernt.
Die „privilegierte Quelle“ Polizei weist eine mehr oder weniger kalkulierte Unschärfe auf, die den Umgang mit ihr – oder mit ihr assoziierten Kanälen – zusätzlich fragwürdig erscheinen lässt.
Was genau sind eigentlich „Aussagen von Polizei (oder Behörden)“?
Ist damit das gemeint, was ein Polizeisprecher auf einer Pressekonferenz sagt? Oder zählt auch das Interview mit einem Funktionär einer Polizeigewerkschaft dazu? Gilt nur das, was schriftlich auf offiziellem Briefpapier veröffentlicht wird – oder auch Beiträge in den sozialen Medien?
Das staatliche Gewaltmonopol, das der Polizei übertragen wurde, bringt mit sich, dass von ihr zu Recht erwartet werden kann, nicht zur Partei zu werden. Wenn diese Erwartung bereits bei offiziellen Erklärungen nicht vollständig erfüllt wird, ist sie in sozialen Netzwerken und erst recht bei öffentlichen Äußerungen von Gewerkschaftsvertretern völlig hinfällig.
Erstaunlich finde ich immer wieder, wie unkritisch viele Redaktionen Fahndungsaufrufe der Polizei übernehmen. Eigentlich sind Öffentlichkeitsfahndungen nach unbekannten Tatverdächtigen nur bei einer „Straftat von erheblicher Bedeutung“ und unter strenger Abwägung der Verhältnismäßigkeit erlaubt. Trotzdem veröffentlichen manche Polizeidienststellen und Staatsanwaltschaften Fotos von Überwachungskameras auch bei eher geringfügigen Delikten wie Laden- oder Taschendiebstahl, Rezeptfälschung, Tanken ohne Bezahlen oder Diebstahl von Autonummernschildern. Meist veröffentlichen die Medien die Fahndungsfotos, ohne sich zu fragen, ob dies wirklich angemessen ist, zumal wegen der oft unscharfen Bilder die Gefahr besteht, dass Unschuldige mit den echten Tatverdächtigen verwechselt werden. Nähere Informationen hier: https://mmm.verdi.de/aktuelle-meldungen/fahndungsfotos-widerrechtlich-im-einsatz-101851/
und hier: https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/oeffentlichkeitsfahndungen-verhaeltnismaessigkeit-reformbedarf
Dass die Umweltbehörde kein „aktiver Player“ sein soll, tut der Umweltbehörde bestimmt auch weh, aber ansonsten ein sehr lehrreiches Interview!
Liebe Frau Bernklau, nur am Rande, nicht wirklich wichtig: In einer Frage schreiben Sie: „Wenn bei der dpa ein Fehler passiert, ist der im schlimmsten Fall in jeder Sendung und in jeder Zeitung.“ Das ist inhaltlich natürlich völlig richtig. Als Beispiel verlinken Sie aber auf diese Übermedien-Geschichte, die nach meinem Verständnis gar keinen dpa-Fehler thematisiert: https://uebermedien.de/96201/hoergeraete-studie-laesst-aufhorchen-dass-sie-falsch-ist-leider-nicht/
Lieber Herr Homburger, Sie haben recht. Da ist mir bei der Produktion des Textes ein Fehler unterlaufen. Tut mir leid. Habe den Link entfernt.
Die „privilegierte Quelle“ Polizei weist eine mehr oder weniger kalkulierte Unschärfe auf, die den Umgang mit ihr – oder mit ihr assoziierten Kanälen – zusätzlich fragwürdig erscheinen lässt.
Was genau sind eigentlich „Aussagen von Polizei (oder Behörden)“?
Ist damit das gemeint, was ein Polizeisprecher auf einer Pressekonferenz sagt? Oder zählt auch das Interview mit einem Funktionär einer Polizeigewerkschaft dazu? Gilt nur das, was schriftlich auf offiziellem Briefpapier veröffentlicht wird – oder auch Beiträge in den sozialen Medien?
Das staatliche Gewaltmonopol, das der Polizei übertragen wurde, bringt mit sich, dass von ihr zu Recht erwartet werden kann, nicht zur Partei zu werden. Wenn diese Erwartung bereits bei offiziellen Erklärungen nicht vollständig erfüllt wird, ist sie in sozialen Netzwerken und erst recht bei öffentlichen Äußerungen von Gewerkschaftsvertretern völlig hinfällig.
Erstaunlich finde ich immer wieder, wie unkritisch viele Redaktionen Fahndungsaufrufe der Polizei übernehmen. Eigentlich sind Öffentlichkeitsfahndungen nach unbekannten Tatverdächtigen nur bei einer „Straftat von erheblicher Bedeutung“ und unter strenger Abwägung der Verhältnismäßigkeit erlaubt. Trotzdem veröffentlichen manche Polizeidienststellen und Staatsanwaltschaften Fotos von Überwachungskameras auch bei eher geringfügigen Delikten wie Laden- oder Taschendiebstahl, Rezeptfälschung, Tanken ohne Bezahlen oder Diebstahl von Autonummernschildern. Meist veröffentlichen die Medien die Fahndungsfotos, ohne sich zu fragen, ob dies wirklich angemessen ist, zumal wegen der oft unscharfen Bilder die Gefahr besteht, dass Unschuldige mit den echten Tatverdächtigen verwechselt werden. Nähere Informationen hier:
https://mmm.verdi.de/aktuelle-meldungen/fahndungsfotos-widerrechtlich-im-einsatz-101851/
und hier:
https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/oeffentlichkeitsfahndungen-verhaeltnismaessigkeit-reformbedarf