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Die Ostsee unter den Magazinen

Die Hausfarbe des Magazins „Segeln – Leidenschaft Fahrtensegeln“ ist Rot. Sie kann nur Rot sein, wenn man darüber nachdenkt, weil in einem Magazin, das allein in Namen und Claim zweimal das Wort Segeln trägt, eben kaum ein Bild vorkommt, das nicht vor allem weiß und blau ist.

Der Art Director von „Segeln“ muss sich nach jedem roten Klecks in seinem Heft sehnen, so wie sich leidenschaftliche Fahrtensegler danach sehnen, nur noch Blau und Weiß zu sehen, weil sie auf See sind. Eins der größten Bilder im Inhaltsverzeichnis auf den Seiten vier und fünf ist dann auch eins von einer roten Schwedenhütte. Man spürt die Erleichterung.

"Segeln" Ausgabe 06/2016

„Segeln“ ist nicht allein mit dieser Herausforderung. Golfmagazine zum Beispiel bestehen zu gefühlt 99 Prozent aus Rasen, Himmel und dem Sand der Bunker; eine Tatsache, die sicher nicht unwesentlich zu den manchmal fragwürdigen modischen Statements der Spieler beiträgt – was mich wiederum zu einer Geschichte in der aktuellen Ausgabe von „Segeln“ bringt, in der es um die Kombination von Golfen und Segeln geht, und die den komischsten Einstieg hat, den ich in diesem Jahr gelesen habe. Ich muss das aus dem Weg haben, bevor ich über etwas anderes reden kann.

Also: „Was haben Golfen und Segeln gemeinsam“, beginnt sie, „auf den ersten Blick nicht viel, möchte man meinen.“ Dann kommen ein paar Sätze dazu, was sie alles nicht gemeinsam haben, oder vielleicht doch, oder doch nicht, jedenfalls schließt der Einstieg mit der Feststellung: „Letztlich geht es aber weniger um den Grad an Gemeinsamkeiten, sondern vielmehr darum, dass sich Golfen und Segeln keineswegs ausschließen.“

Ach so?

Das muss eine neue rhetorische Figur sein, zu fragen: Sag mal, was haben X und Y gemeinsam – und dann auf jede Antwort zu erwidern: Aber darum geht es doch gar nicht, es geht darum, dass X das Y nicht ausschließt.

Aber darum geht es ja jetzt gar nicht.

Es geht nicht einmal darum, dass Segel- und Golfmagazine eine begrenzte Farbpalette haben, denn praktisch jedes Magazin hat Probleme damit, dass Realität nunmal so aussieht, wie sie aussieht, selbst bei Topmodels. Die Leser von „Segeln – Leidenschaft Fahrtensegeln“ finden aller Wahrscheinlichkeit nach keine Farben schöner als Blau und Weiß, im Gegenteil, sie können bestimmt gar nicht genug davon kriegen. Und nur um die geht es ja.

Und diese Leser sind – wenn man so etwas von einem Heft ableiten kann – ungeheuer handfest. Nichts, aber auch wirklich nichts in der aktuellen Ausgabe von „Segeln“ ist jenseitiger Traumstoff, es ist im Gegenteil geradezu grandios unspektakulär und auf Augenhöhe mit dem, was ich mir unter einem ganz normalen Segler vorstelle.

Die Titelgeschichte ist ein 28-Seiten-Special über die Ostsee, also die Reihenhaussiedlung unter den Meeren, die vorgestellten Boote sind alles andere als pompös, und als ganz persönliches Highlight habe ich eine Seite verschlungen, in der sich ein Autor völlig unaufgeregt und sachkundig Punkt für Punkt mit der Kritik eines Lesers an einer Geschichte über Funkgeräte beschäftigt und, das verursacht fast schon freudige Schauder, dem Leser dabei sogar in Details Recht gibt.

Ansonsten ist kein Alltagsproblem zu menschlich, um von der Redaktion aufgegriffen zu werden: Wie sehe ich die EM-Spiele an Bord? Wie behandle ich meinen 16-Jährigen am unpeinlichsten, wenn er seine Freundin mit an Bord bringt? Mein Lieblingstipp ist der, wie man für seine lieber in der Gruppe segelnden Kinder in fremden Gewässern einen „Jugendkutter“ findet. Zitat: „Googeln hilft …“

"Segeln" Ausgabe 06/2016

Das ist alles nicht aufregend, zugegeben, und „Segeln“ ist keine Perle des literarischen Journalismus, sondern meist eher auf dem Niveau eines praktischen Reiseführers geschrieben, der in der Segelei „Revierführer“ heißt. Das Interview mit der (vor einigen Jahren verstorbenen) Segellegende Rollo Gebhard wird mit so viel Ehrfurcht anmoderiert, dass es rührt, vor allem weil Gebhard selbst ein komplett unsentimental veranlagter und dafür brachial offener Gesprächspartner war. Rührend ist das Scheitern der Redaktion, einem verehrten Vorbild ein Denkmal zu bauen, während der einfach menschlicher daherkommt als es in Interviews eigentlich möglich ist.

"Segeln" Ausgabe 06/2016

Interessanterweise ist das genau das Gegenteil dessen, was „Segeln“ sonst ausmacht: Bei aller spürbaren Liebe zum Segeln baut das Heft dieser Passion eben kein Denkmal, es überhöht nichts, weder literarisch noch fotografisch, sondern bildet seine Freuden und Herausforderungen ab. Für Nichtsegler, denen das Für und Wider in Bezug auf Segelhandschuhe und die Vorzüge einzelner Modelle egal sind, wird das zu unspektakulär sein. Es ist die Ostsee unter den Magazinen. Für Segler allerdings ist das ein geiles Revier.

„Segeln – Leidenschaft Fahrtensegeln“
Jahr Top Special Verlag
monatlich
4,90 Euro

Ein Kommentar

  1. Man hat direkt Lust, das zu kaufen und zu lesen, was für einen ein sehr ungewohntes Gefühl ist.
    Aber über die Reihenhaussiedlung unter den Meeren reden wir noch mal. Wenn ich mir überlegt habe, unter welchem Vorzeichen meinerseits.

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