Die Kolumne
Michalis Pantelouris ist Journalist und hat an vielen Magazin-Erfindungen und -Relaunches mitgewirkt. Er geht für uns jede Woche zum Bahnhofskiosk, um Zeitschriften zu entdecken.
Es gibt nichts egaleres als die Namen von Zeitschriften. Menschen gewöhnen sich an alles, und in dem Moment, in dem eine Marke eingeführt ist, heißt sie eben, wie sie heißt. Je weniger es bedeutet, umso besser ist das manchmal.
Ich sage nur: „Stern“*.
Männerhefte können unverständliche Kürzel als Titel haben wie „GQ“ oder „FHM“, mindestens zwei wirklich schöne Magazine in Deutschland sind ganz einfach nach ihrer Adresse benannt**. Kurz: alles total egal. Aber, Achtung, jetzt kommt ein Lieblingswort von mir: Nichtsdestotrotz gibt es, so weit ich das sehe, nur ein Magazin, auf dem das genaue Gegenteil von dem steht, was drin ist – das Sportmagazin „No Sports“.
Es ist ein schönes, dickes Heft aus dem Haus „11 Freunde“, man könnte sagen, es ist „11 Freunde“ für alle anderen Sportarten außer Fußball, und wenn ich sage: „man könnte sagen“, bin ich mir sehr sicher, genau das sagt man dort selbst über das Heft. „11 Freunde“ ist, falls das jemand nicht weiß, ein wunder-, wunderschönes Heft über Fußball und die ihn umgebende Kultur. Es ist der Hipster unter den Zeitschriften, nämlich wahnsinnig cool und dabei – und jetzt komme ich endlich mal zum Punkt, also zu einem Punkt – ironisch. Was schon wieder ironisch ist, weil man in jeder Journalistenausbildung lernt, dass Ironie nicht „funktioniert“. Aber, doch, tut sie hier, wenn auch vielleicht nur als Ausnahme, die die Regel bestätigt.
Und so muss es passiert sein, dass eine Redaktion, die daran gewöhnt ist, mit Ironie durchzukommen, auf die Idee kam, auf ein Sportmagazin ein Churchill-Zitat zu schreiben und die letzten beiden Worte als Logo zu benutzen, denn ganz steht da „First of all, NO SPORTS“. Für jeden verständlich ist das nicht.
Michalis Pantelouris ist Journalist und hat an vielen Magazin-Erfindungen und -Relaunches mitgewirkt. Er geht für uns jede Woche zum Bahnhofskiosk, um Zeitschriften zu entdecken.
Die Ironie setzt sich im Heft fort, meistens im Ton, aber auch in Gimmicks wie einer sinnlosen Tortengrafik, über der „Sinnlose Grafik“ steht. Ich mag ja solchen Quatsch, und ich glaube, es schafft eine sehr starke Leser-Blatt-Bindung, wenn man das Gefühl bekommt, man wäre ungefähr der einzige, der so einen Witz versteht. Kaum etwas verbindet mehr, als miteinander zu lachen, und hier kommt dazu, dass man ja auch noch den gleichen Referenz-Rahmen haben muss, um den Witz zu verstehen.
„No Sports“ ist ein Magazin, dass sich über Magazine lustig machen kann, und dabei ist es auch noch ein sehr schönes Magazin. Ehrlich gesagt, ist es für den Zweck dieser Kolumne viel zu gut gemacht, ich finde nur sehr wenig zu meckern, so wenig, dass es sich nicht lohnt. Ich lass das mal.
Stattdessen schwärme ich kurz: Eine Geschichte über den Handball in der Provinz, die mich daran erinnert hat, dass ich die Namen von Städten wie Lemgo und Gummersbach nur deswegen kenne, weil dort Handball gespielt wird***. Eine Geschichte über den ersten deutschen Volleyballer in der iranischen Liga. Über einen deutschen Football-Profi, dem in der NFL die Knie kaputtgegangen sind. Und allein vier lange Interviews, wunderschöne Fotostrecken und Perlen wie die Geschichte des besten Snooker-Profis, der nie Weltmeister wurde, und deshalb einfach immer weiterspielen muss.
Das ist alles toll. Sage ich unironisch. So müssen Magazine sein, finde ich.
Dabei ist „No Sports“ nicht „11 Freunde“. Das ist jetzt Kritik auf allerhöchstem Niveau, und ich bitte, das sehr sanft aufzunehmen, weil es wirklich ein wunderbares Heft ist, aber jetzt kommt ein Aber. ABER in „11 Freunde“ merkt man in jedem verdammten Komma, dass da Fußball-Irre am Werk sind, die alles über das Fan-Sein wissen, weil sie es selbst erleben und durchleiden. Das kann man so nicht gleichzeitig sein für Volleyball, Fechten, Boxen, die Formel 1 und Bobfahren.
Es gibt einen wunderbaren Satz in einer Geschichte über den Motorrad-Verrückten Kamikaze-Gustl Reiner, der als Privatfahrer in jedem Rennen nah am Tod war und sich durch Stürze insgesamt 90 Knochen brach: „Wenn andere abbremsten, umhüllte ihn der Temporausch wie ein warmer Mantel und gab ihm das Gefühl von Geborgenheit.“
Ich glaube, das ist ein Gefühl, das jeder kennt: Dass es Momente gibt, in denen man am richtigen Ort ist und exakt das tut, was man tun muss. Sport ist die großartigste Metapher auf das Leben, die wir haben, und dieser Satz in dieser Geschichte hat mich berührt, weil er mir so einen Moment gegeben hat. Ich habe den völlig verhaltensgestörten Kamikaze-Gustl plötzlich verstanden, und damit auch ein bisschen mich selbst. Diese Momente gibt es in „No Sports“ – aber in „11 Freunde“ zumindest für Fußballfans noch viel öfter.
Ich würde mir ganz doll wünschen, dass diese Redaktion mal ein Heft über Sex macht, das „Fuck“ heißt. Das könnten die. Und ich bin ein Fan.
Die beiden nach der Adresse benannten Magazine, die mir einfallen, sind natürlich „Brand eins“ und „Hohe Luft“. Aber Namen sind total egal.
No Sports
11 Freunde-Verlag
6,80 Euro
* Natürlich gilt das woanders genauso. Die wertvollste Firma der Welt heißt Apple.
** Erraten welche? Ich überlege noch, ob ich das nicht als Rätsel stehen lasse.
*** Meine kompletten Kenntnisse deutscher Städte stammen, wenn ich es mir genau überlege, in dieser Reihenfolge aus der Fußball-Bundesliga, der Handball-Bundesliga und dem Verkehrsfunk. Und dann gibt es noch Großburgwedel, Tauberbischofsheim und Bergisch-Gladbach.
**Das Rätsel wäre schwerer, würde die Auflösung nicht im letzten Absatz stehen.
***Und Schifferstadt! Schifferstadt gibt es auch noch. Und Ströbeck, aber das kennt keiner.
Und Tauberbischofsheim kennst du vom Olympischen Fechten.
Korrekt! Und die beiden anderen?
Das Haus, für das Christian Wulff den ominösen Kredit von 5000.000 Euro bekommen hat, steht in Großburgwedel. Für Bergisch Gladbach (ohne Bindestrich) gibt es zu viele Möglichkeiten, z.b. wurde Reckolympiasieger Fabian Hambüchen dort geboren.
In die Reihe der Nicht-Fußball-Handball-sportbekannten Orte gehört für mich auch Garmisch-Partenkirchen, Leimen und Kerpen (wenn das als Sport angesehen wird). Schon merkwürdig, warum sowas hängen bleibt …
Castrop-Rauxel weil es sich so doof anhört. Und Porta Westfalica weil es an ein Möbelhaus erinnert.
Zur Kolumne: ich lese zwar gerne Kritiken, weil diese schön vermittelt werden. Aber es macht ja auch ein gute-Laune-Gefühl, wenn mal was (fast) ausschließlich positives geschrieben wird. Danke hierfür.
Oh, es gibt schon einen Julian. Sorry ^^. Und das Sexheft würde ich auch kaufen.
Es ist zwar eher egal, aber es scheint als würde das Zitat Churchill nur fälschlicherweise zugeschrieben:
https://winstonchurchill.hillsdale.edu/german-misquotes/
https://de.wikiquote.org/wiki/Winston_Churchill#F.C3.A4lschlich_zugeschrieben
Und irgendwie kommt mir vor, während die Kolumne hier teils sogar mit dem Vorhaben startet, einen Verriss zu schreiben, kommt im Endeffekt doch sehr oft eine ziemliche Lobeshymne heraus. Was natürlich nichts Schlechtes ist – wenn es die Magazine verdienen, muss man das ja auch sagen.
Lieber Michalis, bitte mal Magazin „Die Dame“ besprechen. Neu von Springer. Haste wahrscheinlich eh auf deiner Liste. Trotzdem danke!
Hohe Luft hab ich ja mal rezensiert. War ungefähr sie, wie ich erwartet hatte. Aber darum geht’s ja auch gar nicht, sondern darum:
“Sport ist die großartigste Metapher auf das Leben, die wir haben“
Das ist der falscheste Satz, den je jemand im Internet veröffentlicht hat.
Der falscheste Satz bisher. Ich lege noch einen drauf:
„Ich habe nichts gegen Ausländer, aber Sport ist die großartigste Metapher auf das Leben, die wir haben“
Ernsthaft: deine Begründung, warum der Satz, den man do ähnlich ja öfter liest und hört, so falsch ist, würde mich wirklich interessieren.
Fred, einige meiner besten Freunde sind Metaphern. Ich bin kein Grammatiknazi, ich bin Alt-Wright, und hatte nicht die Absicht, jemanden zu verletzen. Sollte sich dennoch jemand beleidigt fühlen, bedaure ich das.
Ernsthaft: Ich persönlich finde, dass Sport schon vom Prinzip her nur eine sehr mittelmäßige Metapher auf das Leben ist, so mittelmäßig sogar, dass ich es immer ein bisschen affig finde, den Begriff dafür zu bemühen (weil… äh…? Ja, Leute strengen sich an und kämpfen, und manchmal schaffen sies dann, und manchmal nicht…? Billig? Trivial? Ich sehs einfach nicht. Was ist dann keine Metapher auf das Leben?), und in vieler Hinsicht ist Sport sogar inhaltlich eine echt miese Metapher auf das Leben, weil zum Beispiel im Fußball Mannschaften gegeneinander spielen und eine davon gewinnen und die andere verlieren muss, und ich würde mir wünschen, dass viel mehr Leute begreifen, dass das Leben oft/meistens/in der Regel völlig anders funktionier.
Aber eigentlich kann man sich den ganzen Schmonsens sparen, denn in meinem Kommentar ging es darum gar nicht, sondern darum, dass der Superlativ einfach Quatsch ist, und ich dies deshalb durch meinen eigenen Quatsch-Superlativ zu illustrieren versucht habe.
Freu mich aber trotzdem, falls du irgendeinen Aspekt des Themas vertiefen möchtest.
Oh, mir ist der erste Superlativ glatt entgangen, weshalb ich über deinen ein wenig gestolpert bin. Ich ziehe alles zurück und den Hut!
Jetzt würde mich natürlich nur noch interessieren, was denn nun die wirklich großartigste Metapher auf das Leben ist. Eine Idee? Rein intuitiv würde ich auch Fußball sagen, vermutlich weil schon so oft gehört.
Pffff… Ich bin generell kein Fan von Superlativen und verstehe auch nicht so richtig, welchen zweck eine Metapher auf das Leben überhaupt erfüllen soll, weil das Leben ja quasi definitionsgemäß alles umfasst, und Metapher für alles ist eine Metapher für nichts. Insofern bin ich wahrscheinlich gar nicht der richtig für diese Frage.
Hm.
Was soll denn eine Metapher machen? Sie soll etwas in einen anderen Zusammenhang setzen und dadurch neue Einblicke ermöglichen, bzw. einen Sachverhalte (anders) verbildlichen.
Und dann müssten wir noch klären, woran sich die Großartigkeit einer Metapher bemisst. Und was „das Leben“ überhaupt sein soll.
Die Frage hat Potential für eine philosophische und/oder sprachwissenschaftliche Habilitation, scheint mir.
Ein unausgereifter Ansatz: Wenn wir eine Metapher auf das Leben suchen, suchen wir die vielleicht am besten außerhalb ihres eigenen Gegenstandes, also im leblosen Bereich. Da fällt mir spontan die Entwicklung des Universums (nach dem derzeitigen Standardmodell) ein, die mit einem jungen, dichten, heißen, wilden Stadium voller Druck, aber noch mit sehr wenig Differenzierung beginnt, sich dann allmählich in klarer abgegrenzte Positionen entwickelt, Intelligenz hervorbringt und im gesetzten mittleren Alter an sich zu zweifeln beginnt, um dann letzten Endes recht würdelos in Kälte und Leere zu verpuffen.
Ich würde behaupten, dass ich zumindest Fußball damit toppen können müsste.
Ich finde, dass die Kommentare hier eine willkommene Abwechslung von denen unter YouTube Videos mit mehr als 10.000 Aufrufen sind.