Die Kolumne
Michalis Pantelouris ist Journalist und hat an vielen Magazin-Erfindungen und -Relaunches mitgewirkt. Er geht für uns jede Woche zum Bahnhofskiosk, um Zeitschriften zu entdecken.
Das einzige, was durch Wiederholung nicht langweilig wird, ist Sex. So lernen das Drehbuchautoren – zumindest in der Theorie, in der Praxis wenden es die meisten dann nicht an. Alles andere nutzt sich ab. Jobs, Partner, irgendwann wahrscheinlich sogar Pokemon Go – alles außer Sex wird mit der Zeit und der ewigen Wiederholung langweilig, wenn es sich nicht laufend verändert.
Michalis Pantelouris ist Journalist und hat an vielen Magazin-Erfindungen und -Relaunches mitgewirkt. Er geht für uns jede Woche zum Bahnhofskiosk, um Zeitschriften zu entdecken.
Magazine haben es insofern ganz gut, weil ja dauernd so viel Neues passiert in der Welt, jeden Tag gerade so viel, dass die Zeitung voll wird. Und wer wochen- oder monatsweise erscheint, findet, nicht immer einfach, aber letztlich ja doch wieder Themen. Hurra!
Gleichzeitig gibt es einen Lehrsatz in Print-Redaktionen, zu dem ich keine endgültige Meinung habe: „Der Leser braucht Struktur.“ Er soll wissen, wo er gerade ist im Heft, Dinge wiederfinden, seine festen Leuchttürme, und die Mutter aller Leuchttürme sind „Rubriken“, die zu jedem Erscheinungszyklus neu gefüllt werden. Zugleich, finde ich, sind sie das Gefährlichste, was man einem Magazin antun kann, wenn man nicht sehr aufpasst.
Manche Rubriken sind dabei nur Formen, wie „Vorne der News-Teil mit kleinen Geschichten und vielen Fotos“, aber die meisten haben Themen, und einige wenige werden legendär wie das „Was macht eigentlich“ jahrzehntelang hinten im „Stern“.
Solche Rubriken zu erschaffen, ist ein Highlight in einem Magazinmacher-Leben. In dem Magazin „The Weekender – Magazin für Einblicke und Ausflüge“ haben sie eine Rubrik geschaffen, die mir so viel Spaß macht und so gut den Spirit des gesamten Heftes beschreibt, dass ich allein deswegen in dieser Woche über das Magazin hier reden möchte.
„The Weekender“ ist ein Hipsterblatt in höchster Konzentration. Wenn Magazine Beine hätten, wären die des „Weekender“ dünn und in hautenge Hosen gezwängt. Über seine Brille brauche ich wahrscheinlich nichts sagen. Es ist ein elegisches, wunderschön fotografiertes und so zurückhaltend ätherisches Heft, dass man damit akute Panikattacken zum Abklingen bringen kann. Man würde beim Lesen nicht einmal merken, wenn man brennt.
Es handelt von Reisen nach Tiflis und einer Kunsthochschule in Indien, Kohlgerichten und Armem Ritter, einem Käser in der Schweiz und einer japanischen Illustratorin, deren Zeichnungen so zauberhaft ungelenk wirken, dass Hipster sie sich wahrscheinlich von ihren Kindern tätowieren lassen wollen würden, wenn das nicht voll unkorrekt wäre. Von Wanderwegen rund um Peking und dem verwunschenen Garten eines Töpfers in Frankreich.
Die Welt ist im „Weekender“ ein magischer Ort voller Leute, die das „lässig“ in die Kunst gebracht haben, ihre Wohnung nachlässig einzurichten. Wenn diese ganze Karmatheorie stimmt, muss ich noch etwa vier Inkarnationen lang extrem schlecht gelaunte Leprakranke betreuen, damit ich endlich als etwas wiedergeboren werde, das cool genug ist, um im „Weekender“ aufzutauchen.
Aber lesen darf ich es.
Die Rubrik, die ich meine, kommt ganz vorne im vordersten Heftteil, der auch angemessen als „Vorne“ rubriziert ist, und sie heißt „Wunderkammern“. In ihr werden in jeder Ausgabe besondere Museen vorgestellt, genauer „kleine, kunstvolle und kuriose Museen in aller Welt“. Das ist eine so gute Idee, dass ich wirklich dämlich gegrinst habe, als ich sie zum ersten Mal sah.
Kleine kuriose Museen sind per se großartig, aber als Rubrik kann diese hier einfach alles. Sie schmückt das Heft und trägt zu seinem Spirit bei, selbst wenn mal ein Text in dieser Rubrik nicht großartig ist, einfach weil die Idee so gut ist. Sie hat den unschätzbaren Vorteil, dass sie kein bisschen aktuell sein muss. Sie kann als Freifeld bei der Heftmischung benutzt werden wie das „Chance“-Feld bei Kniffel: „Wir haben noch gar nix Afrikanisches im Heft? Dann machen wir was Afrikanisches in den ‚Wunderkammern‘!“; „Irgendwie alles im Ausland? Packen wir ein deutsches Museum in ‚Wunderkammern‘!“
Es spart oft so viel Arbeit, wenn nicht eine Geschichte eine ganze Heftmischung durcheinander wirft, weil man ein Freifeld hat. Und weil ein kurioses Museum schon per Definition interessant ist, fällt weg, was die Krankheit der meisten langweiligen Zeitschriften ist: Ab irgendeinem Punkt werden Rubriken in Heften in der Regel nur noch abgefüllt.
Das 167. Mal „Was machen wir diesen Monat in …“ endet meiner Erfahrung nach regelmäßig damit, dass man froh ist über jeden Vorschlag, der irgendwie in die Rubrik passt*. Und wenn die Geschichten nicht gut sind, muss die Rubrik schon überragend sein, damit man nicht relativ schnell die ganze Rubrik als nicht lesenswert abspeichert.
Auch im „Weekender“ gibt es so ein Format, allerdings nicht als „feste Rubrik“, sondern als Geschichte in dieser Ausgabe. Sie heißt „Fünf Bücher, die wir immer schon mal lesen wollten“ und in ihr stellen fünf Autoren Bücher vor, die sie unterschiedlich weit nicht durchgelesen haben. Das ist eine Rubrik, die es erstens so schon oft gegeben hat und die zweitens völlig davon abhängt, wie gut der jeweilige Autor ist. Das würde sehr schnell langweilig werden, glaube ich, wenn man es oft wiederholen würde. In diesem Fall ist es allerdings stellenweise echt lustig.
Was uns endlich zu der Frage bringt, warum so wenig Rubriken wie Sex sind, also durch Wiederholung nicht langweilig zu kriegen? Was sind das für Rubriken, die man immer anguckt, sich auf und über sie freut, wegen denen man ein ganzes Heft kauft und an die man sich erinnert?
Ich habe in Wahrheit keine Ahnung, aber ich erinnere mich an die schönste Rubrik, die ich jemals ein bisschen mitgestaltet habe, wenn schon nicht erfunden. Sie hieß „Ich dachte, du wärst längst tot“ und lief in „FHM“. Wir haben dort jeden Monat vier leicht in Vergessenheit geratene Prominente in Kurzbiografien vorgestellt, von denen allerdings – was nie irgendwo erklärt wurde – eine unbestimmte Zahl tatsächlich längst tot war. Das gab die lustigsten Leserbriefe, die man sich nur wünschen kann.
Es war detailverliebter Überaufwand für eine dreckige, kleine Freude, aus Liebe zu einer großen Freude – und damit haben wir zumindest eine Beschreibung von Sex, mit der ich ganz gut leben könnte, im Fall der Fälle.
The Weekender
Carnivora Verlagsservice GmbH
11 Euro
*Mein System war übrigens regelmäßig, Rubriken zu erfinden, die so aussahen, als würden sie in jeder Ausgabe vorkommen, sie aber in merkwürdigen Kombinationen nicht jedes Mal alle vorkommen zu lassen. Ich wollte Orientierung nie mit Langeweile balancieren müssen. Keine Ahnung, ob das irgendwas bringt.
Offenlegung: Ich habe mit den beiden kreativen Köpfen hinter „The Weekender“, Dirk Mönkemöller und Christian Schneider, vor – wenn ich mich nicht sehr irre – etwa sieben Jahren ein paar Wochen in einer Redaktion zusammengearbeitet.
Wie soll ich denn einen sinnvollen Kommentar schreiben, wenn ich den Artikel noch gar nicht in Gänze lesen konnte?
Klar sehe ich auch das Problem, dass sonst kein Input der Leser kommt, aber irgendwie ist es etwas doof.
@1: Abwarten, bis nach einer Weile auch für Nicht-Übonnenten der Artikel vollständig verfügbar wird. Dann einen sinnvollen Kommentar schreiben, oder auch nicht.
Magic! :D
@1 Ingo: Sie können den Artikel in Gänze lesen, wenn Sie Abonnent sind. Abonnieren können Sie uns hier: https://uebermedien.de/abo/ (Monatlich kündbar.)
Wie jetzt, dieser Artikel ist seit dem 22.11. online und bislang hat noch niemand auf das Offensichtliche hingewiesen? Na gut, dann tu ich es auch nicht.