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Hummel auf Stilblüten

Die „Landlust“ war über Jahre das größte Phänomen im gebeutelten Markt der Print-Magazine. Bei jeder Gelegenheit, zu der Verlagsmenschen beieinander standen, wurden die neuesten Auflagenzahlen geraunt:

800.000!

900.000!

Dann irgendwann mehr als eine Million verkaufte Auflage!

Landlust Titelseite Ausgabe Juli/August 2016

Unglaubliche Zahlen, vor allem deshalb, weil sie ständig weiter wuchsen. Die Auflagenkurve der sechsmal im Jahr erscheinenden „Landlust“ sieht aus wie die der griechischen Staatsschulden: Es wurde einfach alles immer mehr. Ein Wunder. Ein Rätsel. Eine Zeitschrift. Und auf dem aktuellen Cover ist eine Hummel auf einer Blume.

„Landlust“ ist die wahrscheinlich am meisten kopierte Zeitschrift auf dem Markt, sie hat ein ganzes Genre der landlustartigen Zeitschriften geschaffen, das inzwischen so überfüllt ist, dass dort Stadtfrust ausbrechen muss.

Es ist das iPhone unter den Zeitschriften. Man sollte deshalb denken, „Landlust“ wäre auch das am besten analysierte Heft des Landes. Tatsächlich ist es das aber nicht. Zumindest dann nicht, wenn man sich ansieht, dass es offensichtlich bisher niemandem gelungen ist, irgendwelche Lehren aus dem „Landlust“-Erfolg zu ziehen – denn den Erfolg für sein Blatt kopiert hat noch niemand. Im Gegenteil: Ich habe selbst wahrscheinlich zigmal kopfschüttelnd über „Landlust“-Ausgaben gesessen – wie über der aktuellen – und nach dem Geheimnis gesucht. Jetzt versuche ich es noch einmal. Die Coverzeile diesmal ist: „Sommerleben“.

Weil ich es nicht anders sagen kann: Die Texte in der „Landlust“ sind manchmal bis an den Rand der Stilblüte trocken. Unter zwei Bildern, auf denen Hände Aprikosen ernten, steht als Bildunterschrift „Aprikosenernte“. Unter dem Bild von etwas für mich Unidentifizierbaren in der Geschichte „Rosen veredeln“ steht: „Noch sieht die Veredelungsstelle zwischen dem üppigen Grün der Unterlage unspektakulär aus. Aus ihr treibt später die gewünschte Rosensorte.“

Ich kenne Chefredakteure, die in dieser Kette am liebsten den Art Director, den Fotoredakteur, den Redakteur und den Textchef gefeuert hätten, weil sie eine Geschichte mit einem offensichtlich unspektakulären Foto aufmachen und das auch noch drunterschreiben (in der realen Welt wurden natürlich alle vier aus Kostengründen vorher gefeuert). In der „Landlust“ erscheint es so.

Eine Geschichte über Paprika könnte genauso auf Wikipedia stehen („Christoph Kolumbus brachte nach der Entdeckung Amerikas Paprikasamen nach Europa“), und eine Geschichte über eine zur Gartendusche umfunktionierte Bushaltestelle beginnt mit der Feststellung: „Die meisten Menschen warten an der Bushaltestelle auf den Bus.“ Natürlich ist die Headline der Gartenduschengeschichte „Ab unter die Dusche!“

"Landlust" Ausgabe Juli/August 2016

Kurz: Ich habe nirgendwo im professionellen Journalismus je so trockenes Zeug gelesen. Eingebettet in höchstens semiprofessionelle Fotos von Bastelarbeiten (man kann aus einem Stückchen Fahrradschlauch und einem Knopf einen schönen Ring basteln. Bildunterschrift: „Praktisch! Der Ring kann ruhig mal nass werden“).

Sommerleben. Eine Hummel. Eine Million verkaufte Auflage. Fuck. Me.

Natürlich ist das alles irgendwie zauberhaft, das Gebastel und Geimkere mit den Hummeln und die Gärten und die kleinen Schalen, die man aus Moos und Kräutern bastelt und die dann schön duften. Die Gärten nach dem Vorbild der Kräuterfee Hildegard von Bingen und die Weindörfer zwischen Saale und Unstrut, die fotografiert sind wie ich fotografiere, mit lauter Touristenrücken im Vordergrund, weil der Unterschied zwischen mir und einem Profi ist, dass ich die Leute auch nicht frage, ob sie sich mal umdrehen können.

Aber vor allem scheint aus jeder einzelnen Seite dieses Heftes die tiefe Überzeugung seiner Macher: die meinen das alles vollkommen ernst. Unzynischer, unironischer, unhipper kann man ein Heft nicht machen. Nichts, aber auch wirklich gar nichts an diesem Heft ist irgendeine Pose, und entgegen allem, was ich jemals über das Zeitschriftenmachen gelernt habe, scheinen Leser das zu merken. Eine Million Verkaufte alle zwei Monate! Einfach mit Ernsthaftigkeit!

"Landlust" Ausgabe Juli/August 2016

Ich lege mich jetzt fest: Diese Zeitschrift kann eigentlich nicht von echten Journalisten gemacht sein, weil Journalisten das gar nicht können. Wir können uns nicht einmal unironische Geburtstagsgeschenke machen, weil wir immer Angst haben müssen, sonst zu viel über uns preiszugeben, und wir kennen garantiert niemanden, der unironisch Schmuck aus Fahrradschläuchen trägt, geschweige denn selber bastelt. Dafür sind selbst die Freunde unserer Vorschulkinder zu cool.

Unironisch müsste ich sagen, wahrscheinlich wäre der beste Weg, den „Landlust“-Erfolg zu kopieren, eine neue, unzynische, ehrliche Ernsthaftigkeit bei dem, was das eigene Magazin ausmacht. Aber ich bin Journalist und glaube deshalb fest, wir sollten einfach das mit den Blumen und den Hummeln auf den Covern viel entschlossener durchziehen.

Landlust
Landwirtschaftsverlag Münster
Erscheint alle zwei Monate
4,20 Euro

13 Kommentare

  1. Sorry, aber das ist eine Hummel auf dem Titel! Ist vielleicht in der Begeisterung über das Wortspiel in der Überschrift untergegangen…

    Ansonsten treffende Analyse.

  2. Möglicherweise erkennt da gerade die Generation meiner Mutter eine der Sachen, die uns ~20-Jährige so von großen Internet-Phänomenen fasziniert hat, nämlich dass es Leute gibt, die einfach über das Reden, was sie mögen und gut können, auch wenn das Reden selber nicht so ihre Stärke ist.

    Ein Großteil aller großen Fernseh/Print-Werke wird ja tatsächlich nicht direkt von Leuten gemacht, die begeistert von ihrem Thema sind, sondern von Journalisten, Moderatoren und ähnlichen vermittlern. Die Medienleute, an die sich z.B. meine Mutter sofort erinnern kann, sind eigentlich auch alle immer deutliche „Fans“ ihrer Materie, wie Biolek oder Kretschmer. Das ist bei den Leuten, die mir wichtig sind, auch nicht anders (z.B. Redlettermedia, Erica Moen, Niggi).

    Vielleicht ist die Landlust einfach nur legit und kommt deshalb so gut an. Neben der Biedermeier-Renaissance (Rückzug vom anstrengenden Öffentlichen) natürlich.

  3. Ach, Herr Pantelouris, das kann doch jedem ironisch-distanzierten Stadtmenschen mal passieren. ;-)

  4. Naturporno?
    Die Bilder sind entscheidend, für den Text interessiert sich doch eh keiner…

    Im Gegensatz zu den Landlust-Nachmachern hat die Pornoindustrie aber gelernt – und verkauft professionellen Amateur-Kontent. ;)

  5. Fast eine Million Menschen sind in Deutschland in rund 15.000 Kleingartenvereinen organisiert. Dazu kommen unzählige Privatgärten, sowie der seit Jahren wachsende Trend zu den verschiedenen Formen des „Urban Gardening“: Mietgärten, Stadtgärten, essbare Stadt, Baumscheibenpatenschaften, Guerilla-Gardening, Balkongärtnern, und und und…. – und dann noch die Leute, die vom Gärtnern träumen aber nicht dazu kommen.
    Alle diese Menschen brauchen keine ironischen Texte, sondern mögen ernsthafte Beiträge rund um die eigene Liebe zu Flora und Fauna.
    Von daher wundert der Erfolg von Landlust nicht – eher wundert mich, dass man sich darüber wundert!

  6. Jepp. Da interessiert sich mal eine Redaktion für ihre Leser und gibt ihnen das, was sie tatsächlich wollen. Und lässt den Rest einfach weg. Eigentlich ganz einfach.

    (Üblich und allzu verführerisch stattdessen: Ich mach ein Produkt, das ich und meine Freunde ganz toll finden, und such mir dann Idioten Kunden, die mir das finanzieren. Ist dem Kommentator selbst oft genug passiert)

  7. Ich schließe mich meinen Vorrednern an: Bei Landlust schreiben Leute über Themen die ihnen wirklich was bedeuten. Dass die Fotos nicht so toll sind, dass die Texte ein Lektorat vertragen würden, dass das Layout nicht so doll ist: GESCHENKT!
    Anstatt sich darüber lustig zu machen wäre es eher gut den Berufsstand der Journalisten an eine leider inzwischen oft vergessene Weisheit zu erinnern: „Wenn man keine Ahnung hat, einfach mal die Fresse halten.“ (Oder umgekehrt: wenn man von was Ahnung hat, darüber schreiben anstatt der aktuellen Sau durchs Dorf hinterher zu rennen :)

  8. Das ist jetzt sehr praktisch. Auf der abgebildeten Seite ist das Thema: „Brauchen Rosen Kaffee?“.

    Michalis Pantelouris, Sie haben das Heft ja gelesen…. :)

    Brauchen Rosen Kaffee und hilft Kaffee auch gegen Schnecken, die bei diesem Regenwetter heuschreckig das Gemüse überfallen?

  9. Was folgt denn nun aus der Erkenntnis, dass Leidenschaft bei vielen Lesern offenbar besser ankommt als Ironie? Lässt sich die Vertrauenskrise mit mehr Ernsthaftigkeit bekämpfen? Fürchte allerdings (und das meine ich ganz unironisch), dass vielen Journalisten ihr Job dann noch weniger Freude machen würde

  10. Handwerk braucht keine super Fotos und nicht solche Sprüche:
    Sommerleben. Eine Hummel. Eine Million verkaufte Auflage. Fuck. Me.

    Daraus könnte man lernen.

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