Die vorläufig letzte Folge

Bahnhofskiosk geschlossen

Alles begann mit einem Uhrenvergleich, Mitte Januar 2016, auf „seidenmattem, schwerem Papier“, mit „brillanten Fotos“ und jeder Menge Zeitanzeigeklunkern, auch mal im Wert von um die 75.000 Euro. Wer so flüssig ist, klar, der gönnt sich auch ein Magazin wie „Chronos“ für 7,90 Euro, was vornehmlich Herren sein dürften, denn „Chronos“ zeigt vornehmlich Herrenuhren.

Die Zeit-Schrift war die erste in unserem „Bahnhofskiosk“, der zwei Tage nach dem Start von Übermedien eröffnet wurde. Seither sind, in knapp viereinhalb Jahren, Woche für Woche, rund 200 Ausgaben dieser Kolumne hinzu gekommen, mit mehr als 200 rezensierten Heften. Und nicht nur Nischenmagazine wie „Chronos“ oder „Fliegenfischen“ oder „Der Pilger“, auch „Ada“, „Auto Bild“, „Bravo Girl“ (mit 11-jähriger Gast-Rezensentin!), „Beef“, „Brand Eins Edition“, „Business Punk“, „Cicero“, „Focus“, „Neon“, „Playboy“, „Vogue“ oder die „Wirtschaftswoche“ – ein Querschnitt der deutschen Magazinlandschaft.

Die Kolumne mit all den Autorinnen und Autoren, die an ihr mitgeschrieben haben, ist uns ans Herz gewachsen, auch weil sie so alt ist wie Übermedien selbst – trotzdem wollen wir den „Bahnhofskiosk“ nun vorläufig schließen.

Neuerscheinungen, Auszeichnungen, Trends

Es ist nicht so, als gäbe es keine Magazine mehr, die wir noch rezensieren könnten, die realen Bahnhofskioske sind voll damit. Aber wir haben eben schon sehr viele Hefte besprochen, aus verschiedensten Genres. Deshalb wollen wir uns künftig nicht jede Woche Zeitschriften vornehmen, sondern uns mit ihnen befassen, wenn es Anlässe gibt, also Neuerscheinungen, Auszeichnungen, spezielle Trends oder, auch das wird uns in den nächsten Monaten und Jahren beschäftigen: der Niedergang einiger gedruckter Magazine.

Noch ist schlecht abzuschätzen, wie schwer die Krise die Verlage treffen wird und welche Hefte dabei auf der Strecke bleiben. 220 Millionen Euro Corona-Hilfe hat die Bundesregierung den Zeitungs- und Zeitschriftenverlagen versprochen, und auch wenn manche von Lockdown und Krise profitieren (Gartenmagazine!), sieht es insgesamt nicht gut aus, das zeigen auch aktuelle Zahlen. Wie in den vergangenen Jahren geht die Auflage bei etlichen Zeitschriften weiter in den Keller, teilweise massiv, und nun kommt auch noch eine Anzeigenflaute dazu. Das ein oder andere Heft hat es schon dahingerafft.

Ein Blick ins prall gefüllte „Bahnhofskiosk“-Archiv

Es wird sich also einiges tun. Verlage drängen ja auch weiterhin – Printsterben hin, Krise her – mit neuen Heften auf den Markt. Bis wir über die berichten, bleibt der Blick ins prall gefüllte „Bahnhofskiosk“-Archiv – und der Dank an alle Kolumnistinnen und Kolumnisten, die für uns zum Bahnhofskiosk gegangen sind, um im „Bahnhofskiosk“ darüber zu schreiben.

An erster Stelle an Peter Breuer, der die Kolumne begründet hat und nicht nur über das erwähnte Uhrenheft schrieb, sondern auch über so klingende Titel wie „Hohe Luft“, „Salon“ oder „schluck“, das „anstößige Weinmagazin“.

Lange Zeit hat dann Michalis Pantelouris (zwischenzeitlich vertreten von Oliver Gehrs) den „Kiosk“ geprägt. Dabei ist er nicht nur Zeile für Zeile abgelaufen, Pantelouris hat auch das Sujet der akribischen Layout-Ebenen-Kritik mit Hingabe bedient oder TV-Zeitschriften durchgeackert („Top-Tipp: Hack“).

Zuletzt wurde der „Bahnhofskiosk“ im Wechsel von mehreren Autor/innen befüllt, wovon einer gleich zu dritt war: der multiple Leser Cordt Georg Wilhelm Schnibben, die zusammen immer wieder hochwertige Exemplare aus den Regalen zogen, um sie (meistens jedenfalls) zu empfehlen.

Johanna Halt schreckte vor nichts zurück: weder vor verquasten Kunstmagazinen noch davor, mehrere Blätter des Bauer-Verlags, die komischerweise alle einen Preis gewonnen hatten, vergleichend zu lesen.

Arno Frank sezierte große Titel wie „Focus“ oder „Cicero“, trieb sich aber auch vor zwielichtigen Regalecken rum, zum Beispiel bei „Max Giesinger“. Zum Ausgleich gab’s dann „Geliebte Katze“.

Sigrid Neudecker beobachtete wie Magazine über Vögel und Vögeln berichten, entdeckte ein Magazin mit 95 Jahren Verspätung – und sie hatte Jörg Pilawa und George Clooney.

Johanna Adorján war erst kürzlich dazu gekommen, sie schrieb drei Ausgaben, unter anderem das unterhaltsame Gesellschaftsporträt „Alle weiß, hohl und gefangen im Widerspruch“ über ein Heft aus der „Bunte“-Familie.

Sie alle haben zu dieser erfolgreichen Kolumne beigetragen. Danke dafür! Und wir freuen uns sehr, dass sie auch künftig weiter für uns schreiben werden.

16 Kommentare

  1. Oooooooooooch. :-(

    Im Nachfolgekonzept, wenn man das so nennen kann („… mit ihnen befassen, wenn es Anlässe gibt, also Neuerscheinungen, Auszeichnungen, spezielle Trends oder … der Niedergang einiger gedruckter Magazine), fehlt mir das, was ich im Bahnhofskiosk immer am interessantesten fand: die Nischenmagazine. Der Blick medienprofessioneller Nichtfreaks auf halbprofessionelle Freakmagazine. Wenn es dafür nicht doch irgendeine Form der Fortsetzung gibt, wird mir hier echt was fehlen.

  2. Sehr schade! Ich hoffe, ebenso wie earendil, dass bei den punktuellen Einblicken der Zukunft immer mal wieder auch Kuriositäten und Außenseiterprodukte auf Schriftgröße sowie Wort- und Bildsprache untersucht werden. Danke für die bis hierhin tolle Sammlung an Beiträgen.

  3. Schade, aber gleichzeitig auch danke. Ich verdanke dieser Rubrik eine wunderbare Neuentdeckung: „Katapult„, das geniale „Magazin für Eis, Kartografik und Sozialwissenschaft“.

  4. Schnüff! Heul!

    Was Earendil sagt. Aber ohne „Freaks“, lieber als Nerds bezeichnet. Und mit der Ergänzung, dass es gerade die Rezension ganz normaler, quasi alltäglicher Ausgaben war, die für mich den Reiz ausmachte – eben mal ins Regal des Bahnhofskiosk gegriffen. Nicht Neuerscheinungen (da gibt man sich ja wohl noch besondere Mühe) oder Nachrufe auf eingestellte Print-Werke (die man dann nicht mehr lesen kann).

    @Uli: Bei mir ist’s Max Planck Forschung geworden.

  5. Wie werde ich diese Rubrik vermissen! :(
    Hier wurden Zeitschriften rezensiert, die ich im Leben nicht gekauft hätte und damit Zugang zu etwas vollkommen unbekanntem erhalten habe. Oder Zeitschriften, die ich kannte und damit diese aus einem neuen Blickwinkel sehen konnte.

    Vielen Dank dafür.

  6. Nunja, das Problem ist, das die so immerwährend kritisierten völlig immun sind, möglicherweise eher beflügelt ob der Kritik an ihnen.
    Verschwendete Lebenszeit, sich mit sowas zu beschäftigen.
    Auch beim Nachbarn „Bildblog“ herrscht z.Zt. begründet „tote Hose“.
    JR wirds freuen bzw. es ist ihm egal.

    Die Tichys o. Steingarts o. Austs o. usw. werden begeistert sein, ihre vermeintliche Meinungshoheit erlangt zu haben.

    Übrigens: Mit mir muss sich niemand unterhalten: Dies ist ja kein Chatroom.

  7. „Die Tichys o. Steingarts o. Austs o. usw. werden begeistert sein, ihre vermeintliche Meinungshoheit erlangt zu haben.

    Übrigens: Mit mir muss sich niemand unterhalten: Dies ist ja kein Chatroom.“

    Manchen Leuten kann man kaum mehr an Niederlage zufügen, als daß man sie wortwörtlich zitiert.

  8. Schade, aber man soll ja (Plattitüdenalarm!) aufhören, wenn es am Schönsten ist. Ich habe die Kolumne immer gerne gelesen. Vielen Dank dafür!

  9. Kann man mich der Mehrheitsmeinung nur anschließen: immer kurzweilig, meistens unsinnig, nie überflüssig.

    Vielleicht gibt’s in nochmal zwei Jahren dann den Relaunch der Rubrik.

  10. Nach gut sieben Monate nach Schließen des „Bahnhofskiosk“ kann ich nur feststellen: eine anlassbezogene Berichterstattung über Zeitschriften reisst es nicht raus, jedenfalls nicht, wenn sie sich auf die kritischen Aspekte Vermengung Werbung/Redaktion, der kreative Umgang der Überschriften durch die Yellow-Press und alles rund um die Politik des Presserates beschränkt.

    Es fehlt hier etwas.

  11. Wie die Zeit verfliegt. Für mich ist Übermedien irgendwie noch immer „das neue Projekt“, nach dem Stilllegen des Medienblogs meines Vertrauens. Und „Bahnhofskiosk“ war sehr früh meine Lieblingsrubrik. Ich hätte gedacht, seitdem wären es vielleicht 25, vielleicht 30 Besprechungen gewesen. Bis eben hatte ich aber auch nicht realisiert, dass das Ganze schon seit 2016 stattfindet.

    Ich freue mich auf das Stürzen ins Archiv. Frisch fühlt ihr euch immer noch an.

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