Bahnhofskiosk

„Agile Coach“ und Bällebad

Jede Zeit hat ihre eigenen Zeitschriften, was der Name Zeitschrift ja schon so ein bisschen nahelegt. „Business Punk – Work Hard. Play Hard.“ ist die Zeitschrift für eine Zeit, in der im Wirtschaftsleben die „kreative Zerstörung“ gefeiert wird, oder, wie es diese Menschen nennen, die „Disruption“ – ich erkläre das mal vorsichtig als die Kunst, im richtigen Moment entscheidende Dinge anders zu machen, als sie „immer schon“ gemacht wurden, und damit auf Veränderung sowohl zu reagieren, als auch sie anzustoßen.1)Ein relaitv aktuelles Beispiel ist der Streamingdienst Netflix, der als eine neue Art Fernsehsender das „Binge-Watching“ ganzer TV-Serien-Staffeln in einem Rutsch sowohl von den DVD-Käufern abgeguckt als auch selbst befördert hat.

Zwei bärtige Männer. Einer trägt den anderen auf dem Rücken. Sieht beknackt aus.

Es ist also ein Heft für Leute, die in Co-Working-Spaces Apps entwickeln und Bällebad-Bilder posten. Super flauschig.2)Ich mache mich hier zum Affen, ich kenne die Codes der szene-eigenen Sprache nicht. Die Zukunft ist digital und all solche Sachen. Ein Dossier im aktuellen Heft beschäftigt sich damit, wie die Berater-Branche mit der Digitalisierung umgeht; in der Titelgeschichte tragen sich zwei Zausel Huckepack, die mal vegane Kondome hergestellt haben und jetzt die ganze Weltwirtschaft irgendwie umkrempeln wollen; und es gibt eine Geschichte über die Wiederauferstehung der Firma Polaroid mit Sofortbildkameras.3)Das führt sehr weit, aber korrekt müsste man sagen: Einer Firma Polaroid, die unter dem Label „Polaroid Originals“ wieder Sofortbildkameras und -filme anbietet, während eine andere Firma Polaroid weiter Brillengläser und Digitalkram herstellt.

Es ist gerade wahrscheinlich nicht der allerbeste Moment, dieses Heft anzugucken, weil sich diese ganze Disruptions-Nummer auch schon wieder alt anfühlt, aber ich will auf etwas anderes hinaus: „Business Punk“ hat vor acht Jahren ein ganzes Stück anders angefangen. Die Unterzeile „Work Hard. Play Hard.“ zeugt noch davon, denn sie passt in Wahrheit nicht in diese Hipster-Hightech-Start-Up-Kultur, in der die Firma der schönste Ort der Welt ist, weil sie einen Tischkicker hat und einen Kühlschrank voller Club Mate.

„Work hard, play hard“, also hart arbeiten und dafür hart feiern, ist eine typische Investmentbanker-Mentalität, also die von Leuten, die in ihrem Job weniger Erfüllung finden wollen als wahnsinnig viel Geld verdienen, um das dann beim „Play“ auszugeben. Als der Co-Gründer und -Erfinder von „Business Punk“, Nikolaus Röttger4)der das Heft gemeinsam mit Anja Rützel erfand, die Ursprungsidee im Jahr 2009 bei einem Ideenwettbewerb des Verlags Gruner+Jahr zum ersten Mal präsentierte5)Das Heft belegte, wenn ich mich richtig erinnere, nur den dritten Platz, wurde dann aber ein Mal produziert und verkaufte sich ganz gut, sodass es noch ein paar Versuche gab, bis es schließlich in Serie ging., war einer der prägnantesten Sätze, um den Geist der Helden dieses Heftes und gleichzeitig der Zielgruppe zu beschreiben, die es kaufen sollten:

„Scheiß auf die Work-Life-Balance!“

Die Business Punks waren immer auch ein bisschen böse, was im Klima der Finanzkrise, die 2009 noch sehr präsent war, mehr als nur ein bisschen mutig wirkte. Es war fast befreiend in seiner Unkorrektheit.

Im heutigen „Business Punk“-Berater-Dossier wird eine Frau vorgestellt, deren Aufgabe es ist, Unternehmen die wirtschaftlichen Vorteile ethischen Handelns nahezubringen („Krass, ich hätte nie geahnt, dass so eine Aufgabe daraus entsteht“) oder ein „Agile Coach“, der Beratern der den Beratungsagentur McKinsey beibringt, was es heißt, agile zu sein. (Leider erklärt er es den Lesern nicht wirklich, was mich zu der Annahme oder zumindest der Behauptung bringt, ich wäre wahnsinnig agile, denn ansonsten hätte das ja wohl mal jemand von mir verlangt, schließlich ist es offenbar wichtig.)

Büro voller bunter Bälle um die Tische und Stühle, Überschrift: Vollkommen ballaballa"

Es ist nicht so ganz leicht für „Business Punk“, dabei an dem Bullshit-Sprech entlang zu surfen, über den sie sich selbst lustig machen, aber sie machen das mit ziemlich guter Laune, und so lange man selbst einigermaßen okay drauf ist, kann gut gelaunte Spackerei ja wirklich unterhaltsam sein. „Business Punk“ ist das an vielen Stellen, und an anderen zumindest interessant.6)Ein paar Witze gehen auch richtig schmerzhaft in die Hose, aber Humor ist immer auch Geschmackssache, insofern sage ich dazu nichts, außer: Ich habe den perfekten Humorgeschmack.

Der Weg vom Work-hard-scheiß-auf-Balance-Magazin zum Co-Working-Bällebad-Agile-Heft ist offensichtlich einigermaßen geglückt, auch wenn damit eigentlich der Markenkern, diese badass-mäßige Attitüde verloren gegangen ist, die mal den Namensteil „Punk“ gerechtfertigt hat. Die Business-Punks in „Business Punk“ sind jetzt ethisch korrekte, nette Zauseln – was nicht verkehrt ist, ich mag nette Menschen –, aber das macht das Heft ein bisschen zu einer leicht unkonzentrierten Kiffer-„Brand eins“, bei der laute Musik läuft.

Doppelseite, links: Foto eines Mannes mit Glatze, rechts: Text

Die gut gelaunte Unkonzentriertheit setzt sich auch durch die Gestaltung fort: Da sind wunderschöne, riesige Initialen, die leider optisch so weit hinter dem Text verschwinden, dass sie nur noch Zierde sind und lange Texte optisch mit einem fehlenden Buchstaben anfangen, und es gibt Kästen mit Kurzbiografien, bei denen es kein System zu geben scheint, ob die oder der dort Abgebildete nun Autor des Textes ist, interviewt wird oder nur erwähnt. Während das Berater-Dossier ohne echte Bildidee auskommt – da werden einfach nur Typen abgebildet –, endet die Strecke mit einer ziemlich coolen Doppelseite, die keinen erkennbaren Zweck hat als für die Aufmerksamkeit auf den vorhergehenden Seiten zu danken.

Das ist schräg. Und schräg ist einerseits gut, aber ich kann nicht mit Überzeugung sagen, ob das hier eher zufällig schräg ist oder ein aus meiner Sicht nicht ganz konsequent durchgezogener Versuch, mit dem eigenen Magazin das zu machen, was es feiert: Disruption. Aber es ist ein gutes Beispiel dafür, dass jede Zeit ihre Zeitschrift hat. Und wenn die Zeiten sich ändern, muss es das Heft auch tun.

Warum bin ich eigentlich nicht Berater?

Business Punk
Gruner+Jahr
6 Euro

Fußnoten

Fußnoten
1 Ein relaitv aktuelles Beispiel ist der Streamingdienst Netflix, der als eine neue Art Fernsehsender das „Binge-Watching“ ganzer TV-Serien-Staffeln in einem Rutsch sowohl von den DVD-Käufern abgeguckt als auch selbst befördert hat.
2 Ich mache mich hier zum Affen, ich kenne die Codes der szene-eigenen Sprache nicht.
3 Das führt sehr weit, aber korrekt müsste man sagen: Einer Firma Polaroid, die unter dem Label „Polaroid Originals“ wieder Sofortbildkameras und -filme anbietet, während eine andere Firma Polaroid weiter Brillengläser und Digitalkram herstellt.
4 der das Heft gemeinsam mit Anja Rützel erfand
5 Das Heft belegte, wenn ich mich richtig erinnere, nur den dritten Platz, wurde dann aber ein Mal produziert und verkaufte sich ganz gut, sodass es noch ein paar Versuche gab, bis es schließlich in Serie ging.
6 Ein paar Witze gehen auch richtig schmerzhaft in die Hose, aber Humor ist immer auch Geschmackssache, insofern sage ich dazu nichts, außer: Ich habe den perfekten Humorgeschmack.

7 Kommentare

  1. Stimmt meine Vermutung, dass ein erfolgreiches Medien-Start-up wie uebermedien.de eine Abgabefrist entweder nicht hat oder nicht ernst nimmt, oder warum kann man die Veröffentlichung dieser genialen Kolumne so schwer vorhersagen (dienstags vs. mittwochs, vormittags vs. nachmittags)?

    Und noch was anderes: Die besprochenen Zeitschriften und Magazine sind auf den Fotos immer ein wenig abgeschnitten. Hat das urheberrechtliche Gründe (ich frage vor dem Hintergrund, dass z.B. Buchblogger ja davor gewarnt werden, ohne Zustimmung des Verlags einfach das Cover komplett abzufotografieren und online zu stellen)?

    Die Kolumne wieder: Eins Plus.

  2. @1 Sören: In der Regel kommt die Kolumne dienstags, am Nachmittag. Kann natürlich immer mal sein, dass etwas dazwischen kommt und es sich verschiebt. Aber schön, dass Sie immer gebannt darauf warten!

    Das mit den Bildern hat keine besonderen Gründe. Aber, ja, teilweise ist es urheberrechtlich schwierig, ganze Seiten (lesbar) abzubilden.

    @3 Hucky: Stehen im Text! Und wenn man mit der Maus auf der Ziffer anhält, erscheint der dazugehörige Text.

  3. Die Einhorn Leute haben Bärte, voll punk ey.

    Ich möchte an dieser Stelle etwas tatsächlichen Punk zitieren:
    „Nein, nein, wir woll’n nicht eure Welt, wir woll’n nicht eure Macht und wir woll’n nicht euer Geld! Wir wollen nichts von eurem ganzen Schwindel hören, wir wollen euren Schwindel zerstören!“

    Business-Punk ist also ein Oxymoron?
    Or am I just a moron?

  4. Jammensch, da hab ich in guter Tradition den Artikel direkt in 2 Tabs aufgemacht, damit ich smooth zwischen Volltext und Fußnoten hin- und her switchen kann, ich alter Multitasking-Optimizer – da merke ich: Is gar nich mehr nötig, heutzutage wartet MP mit Mouseover-Shizzle auf. Das nenne ich mal Disruption!

    … und dann merke ich: Is ja gar nich neu. Gab’s einen Artikel vorher auch schon. Hab ich ganz unagil verpasst. Tsk.

  5. „Es war fast befreiend in seiner Unkorrektheit.“

    Hier hat der Autor die Meta-Meta-Fußnote vergessen, irgendwas über ranzige Klischees. Apropos ranzig: Was ist mit dieser Kolumne über Olivenöl geschehen, die es hier mal gab? Ich mochte die!

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