Comeback einer gelöschten Recherche

Alexander Zverev hat derzeit – um eine gängige Sportfloskel zu bemühen – mit einigen Rückschlägen zu kämpfen. Beim ATP-Turnier in Hamburg war der deutsche Tennisstar angeschlagen und schied im Achtelfinale aus. Sportlegende Rafael Nadal äußerte zuletzt Zweifel an Zverevs mentaler Verfassung, und auf dem Weg zu den French Open in Paris wurde sein Flugzeug vom Blitz getroffen und musste notlanden. All diese Ereignisse bescherten dem Hamburger in den vergangenen Tagen wieder viel mediale Aufmerksamkeit. Für einen Profisportler wie Zverev ist diese Form der lückenlosen Berichterstattung Standard.
Für einen Artikel, der heute erneut auf der Seite der „Süddeutschen Zeitung“ veröffentlicht wurde, dürfte das allerdings nicht gelten. Denn nach eineinhalb Jahren juristischer Auseinandersetzung mit Zverev und seinen Anwälten aus der Kanzlei Schertz Bergmann kann das Blatt eine groß angelegte „Seite Drei“-Recherche wieder online stellen. Sie wirft kein schmeichelhaftes Licht auf den Sportler.
Der betreffende Text wurde ursprünglich am 2. November 2023 publiziert und einen Monat später vom Landgericht Berlin im Eilverfahren in wesentlichen Teilen verboten. Die SZ löschte daraufhin den gesamten Text. Ein vorläufiger Erfolg für Zverev.
In der SZ-Recherche geht es um strafrechtlich relevante Vorwürfe von Zverevs Ex-Partnerin Brenda Patea, die Zverev bestreitet. Über die Vorwürfe hatten bereits im Juli 2023 mehrere Medien berichtet. In dem SZ-Text äußerte sich Brenda Patea aber erstmals ausführlich. Thema war auch der Umgang mit dem gemeinsamen Kind sowie ein Vertragsentwurf, der Patea angeblich zum Stillschweigen über ihre Beziehung mit Zverev verpflichten sollte. Wie die SZ berichtet, unterschrieb Patea aber nichts.
Warum die SZ überhaupt berichtete
Ein wesentlicher Grund für die „Süddeutsche Zeitung“, über all das zu berichten, war die öffentliche Inszenierung der Beziehung durch das Paar selbst. Die Autoren schreiben in ihrem Text:
„Für die Sponsoren, ihre und seine, ist Reichweite wichtig. Und bei einem Sportler, bei dem jede Muskelzerrung zur News wird, spielt es eine besondere Rolle, was über ihn geredet wird. Er hat Vorbild zu sein, auf dem Platz und daneben. So wird das Private öffentlich gemacht, solange es der Vermarktung dient. Sobald es schaden könnte, soll es privat sein.“
Aber auch juristisch gab es einen Anlass zur Berichterstattung: Kurz vor der SZ-Veröffentlichung, im Oktober 2023, hatte das Amtsgericht Tiergarten in Berlin einen Strafbefehl gegen Zverev ausgestellt und eine Geldstrafe gegen ihn verhängt. Der Tennisspieler bestritt alle Vorwürfe und legte Einspruch ein. Es kam zum Prozess, der im Juni 2024, acht Monate nach der SZ-Veröffentlichung, gegen eine Geldauflage eingestellt wurde. Zverev gilt damit als unschuldig, wenngleich das keinen Freispruch bedeutet. Auch über das Strafverfahren und den Prozess berichteten neben der SZ zahlreiche Medien.
Text wäre „sinnfreies Gerippe“ gewesen
Die Wiederveröffentlichung des SZ-Artikels ist insofern bemerkenswert, da bei vergleichbaren Streitfällen meist um einzelne Passagen gefochten wird. Dass ein gesamter Beitrag offline geht, ist unüblich. Warum dies in diesem Fall dennoch geschah, erklärt Ralf Wiegand, Leiter des Ressorts Investigative Recherche bei der SZ, auf Anfrage von Übermedien damit, dass es bei dem Beschluss des Landgerichts Berlin im Kern um den strafrechtlich relevanten Vorwurf gegen Zverev ging:
„Hätten wir alle Informationen und Recherchen zu dem Vorwurf aus dem Text herausoperiert, wäre letztlich nur ein relativ sinnfreies Gerippe übriggeblieben. Deshalb haben wir uns entschieden, den Text für die Dauer des Hauptsacheverfahrens zu depublizieren und vor Gericht weiter um unsere Berichterstattung zu kämpfen.“
Anfang des Jahres hat die Sache für die SZ eine entscheidende juristische Wendung genommen. Das Landgericht Berlin II hat die einstweilige Verfügung von Dezember 2023 in entscheidenden Teilen aufgehoben. Untersagt bleiben aktuell zwei Textpassagen. Dazu zählt eine Äußerung von Brenda Patea sowie eine längere Passage über Details eines Einigungsvorschlags bezüglich des Kindes.
Über den Kernvorwurf darf die SZ aber laut dem Gericht weiter berichten. Der Text ist deshalb seit heute leicht gekürzt und an entsprechenden Stellen abgeändert wieder online.
Die Sache mit der offenen Tür
Die Begründung des Urteils ist dabei deutlich: So kommt das Gericht zu dem Schluss, dass das „öffentliche Informationsinteresse“ den „Eingriff in die Privatsphäre des Klägers durch die Berichterstattung“ sachlich rechtfertige. Der Artikel der SZ beschränke sich „gerade nicht auf eine boulevardjournalistische Ausleuchtung der Privatsphäre des Klägers“, heißt es im Urteil, sondern widme sich auch der „sachlich diskutierten und von der Person des Klägers entkoppelten Frage…“
„… wie Prominente und insbesondere Spitzensportler zunächst private Beziehungen in der medialen Öffentlichkeit leben, um dann im Falle ihres Scheiterns zu versuchen, ihre eigene Privatheit über die Gegenleistung finanzieller Zuwendungen an den ehemaligen Lebenspartner wieder herzustellen.“
Es geht hier also auch um das, wovon Christian Schertz, der prominente Medienrechtler, der auch Alexander Zverev vertritt, seinen Mandanten eigentlich immer dringend abrät: bloß nicht die Tür für die Öffentlichkeit aufmachen, sonst bekommt man sie nur schwer wieder zu! Womöglich hätte deshalb ein Gericht bei einem vergleichbaren Fall mit Prominenten wie Jan Böhmermann oder Günther Jauch anders argumentiert und entschieden. Denn diese schirmen ihr Privatleben schon immer strengstens ab.
Für SZ-Investigativ-Chef Ralf Wiegand ist es ein „sehr wichtiges und erfreuliches Urteil“, schreibt er auf Übermedien-Anfrage. Rechtskräftig ist es allerdings nicht. Wie eine Sprecherin der Berliner Zivilgerichte bestätigt, haben beide Parteien Berufung eingelegt.
Auf Nachfrage von Übermedien begründete Zverevs Anwältin Anna Sophie Heuchemer aus der Kanzlei Schertz Bergmann diesen Schritt damit, dass nach ihrer Auffassung noch weitere Teile der Berichterstattung rechtswidrig seien. Dies habe ursprünglich auch das Landgericht im Eilverfahren im Dezember 2023 bestätigt.
Juristische Niederlage
Dennoch ist das Urteil vorerst als juristische Niederlage für Zverev und seine Anwälte zu werten – was wohl auch erklärt, warum es bislang keine Pressemitteilung der Kanzlei Schertz Bergmann dazu gibt, die sonst auch kleinere juristische Erfolge öffentlichkeitswirksam verkündet.
Warum die SZ den Text erst jetzt brachte und nicht gleich, als das Landgericht Berlin die Verfügung an entscheidenden Stellen aufgehoben hat? Ralf Wiegand erklärt das mit den Abläufen im eigenen Haus:
„Das Investigativ-Ressort war seit der maßgeblichen Entscheidung im März in den vergangenen Wochen mit etlichen großen Recherchen gut ausgelastet, das hat dann Priorität. Die Textänderungen müssen von uns gemacht und erklärt werden, natürlich abgestimmt mit den Juristen und abgenommen von der Chefredaktion.“
Wiegand verweist dabei auch auf aktuellere Texte, die der SZ jüngst rechtliche Auseinandersetzungen beschert haben, wie die Recherchen zu Grünen-Politiker Stefan Gelbhaar sowie der Firma Weplace.
Verfahren gegen US-Tennisreporter läuft noch
Die Recherche der „Süddeutschen Zeitung“ ist übrigens nicht die einzige über Alexander Zverev, die verschwunden ist. Auch zwei ältere Artikel des US-Tennisjournalisten Ben Rothenberg – veröffentlicht 2020 im Tennis-Magazin „Racquet“ und 2021 im Online-Magazin „Slate“ – sind gelöscht bzw. in der EU nicht mehr verfügbar.
In den Texten ging es um Vorwürfe einer anderen Ex-Freundin, die Zverev ebenfalls bestreitet. Die „Washington Post“ berichtete im August 2024 über den zermürbenden Rechtsstreit, den Rothenberg seitdem mit Zverev vor dem Berliner Landgericht führt. Laut Aussage von Rothenbergs Anwältin läuft das Verfahren noch. Der nächste Verhandlungstermin sei Anfang Juni.
Die Autorin

Lisa Kräher ist Redakteurin bei Übermedien. Sie hat bei der „Mittelbayerischen Zeitung“ volontiert und von 2013 an als freie Journalistin und Filmautorin gearbeitet, unter anderem für epd. Sie ist Autorin für die „Carolin Kebekus Show“ und Mitglied der Grimme-Preis-Jury.
Die SZ kann also ihren Zverev-Text SEIT MÄRZ wieder (gekürzt) veröffentlichen. Tut es aber nicht, weil angeblich ‚keine Zeit’… und holt den Text rein zufällig genau in dem Moment raus, als Zverev unter größter internationaler Beobachtung (und psychischem Druck) steht. Diese VÖ-Termin-Wahl scheint mir demnach nur eine Rache-Aktion zu sein. Unfein.
Danke, dass ihr das hier transparent gemacht habt.
@1: „Rache-Aktion“
Unterstelle keine böse(re) Absicht, wenn Kapitalismus als Erklärung ausreicht.
Ist schon bemerkenswert, wenn die Süddeutsche die Bildzeitungsmethoden imitiert. Reicht das restliche Weltgeschehen nicht aus, die Seiten zu füllen? Muss man sich an den Demontage eines jungen Mannes versuchen, nur weil er seine Freundin nicht versteckt hat? Ich glaube kaum, dass irgendein/e Leser/in aus der Ferne beurteilen kann, ob ein weltbekannter Exfreund nicht ein nützlicher Goldesel ist, der zur Finanzierung des Lebens beitragen oder gekränkte Gefühle rächen soll ? Vor allem, wenn die Vorwürfe in eklatant auffälligem Abstand publik gemacht werden?
Das frage ich mich sogar als Frau.
Der „SZ“ hier unlautere Methoden zu unterstellen die man nicht mit Fakten belegen kann, ist nichts anderes als was man der „SZ“ selber vorwirft.
Ich mag den Sportler Zverew auch. Nur verfall ich ihm gegenüber nicht in Gefühlsduselei, weil ich Ihn persönlich nicht kenne.
Ich möchte das nicht zu persönlich an #1 und #3 richten und von diesem Fall auch abstrahieren.
Trotzdem in Bezug auf diese Kommentare: Kann es sein, dass Otto und Ottilie Normalo unserer Gesellschaft viel eher bereit sind, (steinreichen) (Sport)Stars beizuspringen, die an sich einem sehr hedonistischen Zeitvertreib nachgehen, wenn sie schlechte Presse haben, verglichen damit, wie zustimmend viele reagieren, wenn Politiker schlechte Presse haben, die für das Wohl unserer Gesellschaft arbeiten, wie gut auch immer ihnen das gelingen mag. (Und ja, die werden auch nicht tendenziell schlecht bezahlt, aber in Vergleich zu ersteren und zu den Verdienstmöglichkeiten, die sie außerhalb der Politik hätten, relativiert sich das stark.) Woher kommt das? Oder sehe ich das falsch?
Alexander Zverev ist ein zutiefst unangenehmer Mensch – man sehe sich nur mal seinen Auftritt bei „Schlag den Star“ an.