Notizblog (6)

Die Legende von der „Schmutzkampagne“ der SZ gegen Alice Weidel

Gestern wurde die stellvertretende Chefredakteurin der „Süddeutschen Zeitung“, Alexandra Föderl-Schmid, als vermisst gemeldet. (Inzwischen ist sie lebend gefunden worden.) Es gab die Befürchtung, dass sie sich das Leben genommen haben könnte, und viele stellten einen Zusammenhang her mit Vorwürfen, denen sie sich in den vergangenen Tagen ausgesetzt sah: Es geht um mögliche Plagiate in ihrer Promotion und darum, ob sie sich auch in ihrer journalistischen Arbeit in unzulässiger Weise bei fremden Quellen bedient hat.

In den Sozialen Medien sorgt der Fall für erbitterte Diskussionen: Empörung und Häme statt Zurückhaltung und Anteilnahme. In der Kritik steht vor allem die aggressive, gnadenlose Art, in der Julian Reichelts Wutmedium „Nius“ Stimmung gemacht hat gegen Föderl-Schmid, und erstaunlich oft kommt als Antwort der immer gleiche Vorwurf, Föderl-Schmid habe ja selbst eine Plagiats-Kampagne gegen die AfD-Chefin Alice Weidel gefahren, und bei der seien die Vorwürfe auch noch unberechtigt gewesen. Die mal mehr, mal weniger deutlich ausgesprochene Interpretation: Sie sei nur Opfer von etwas geworden, das sie selbst als Täterin bei anderen betrieben habe, und verdiene kein Mitleid.

Man sollte es nicht ausdrücklich hinschreiben müssen, aber: Solche Reaktionen auf einen möglichen Suizid sind unmenschlich und in jedem Fall inakzeptabel.

„Karma is a bitch“

Aber weil es so oft zu lesen war, lohnt es sich vielleicht auch, dem faktischen Kern zu widersprechen. Er lässt sich unter anderem zurückführen auf das Blog des rechten Publizisten Alexander Wallasch. Der schrieb am vergangenen Montag:

Der Versuch, die Doktorarbeit von Alice Weidel zu beschädigen, misslang der Süddeutschen Zeitung auf geradezu epischer Breite. Verantwortlich war Alexandra Föderl-Schmidt, von der nun bekannt wurde, dass ihre Doktorarbeit Plagiate enthalten soll.

Wallasch nennt Föderl-Schmid eine „Relotius-Person“, spricht von einer „Schmutzkampagne“, unterstellt der SZ-Vizechefin, dass sie „Dr. Weidels Ruf vernichten“ und „sie hinterhältig zu Fall bringen wollte“.

Wallasch fragte bei Alice Weidel nach, was sie zu den Vorwürfen gegen Föderl-Schmid sage, und Weidel antwortete laut Wallasch „mit kaltem Lächeln“: „Karma is a bitch.“

„Offensichtlich“ politsch motiviert

Die Erzählung von der gescheiterten „Schmutzkampagne“ der SZ gegen Weidel scheint bei vielen verfangen zu haben. Was hat die Zeitung tatsächlich gemacht?

Plagiatsvorwurf gegen Alice Weidel
Screenshot: sueddeutsche.de

Am 16. Dezember 2023 berichtet sie groß online und auf ihrer Seite 2:

Plagiatsvorwurf gegen Alice Weidel Die Uni Bayreuth überprüft die Doktorarbeit der AfD-Vorsitzenden. Plagiatesucher hatten zuvor ein Gutachten vorgelegt. Weidel weist die Vorwürfe zurück. Sie seien politisch motiviert
Ausriss: SZ, 16. Dezember 2023

Zwei „Plagiatesucher“ hätten sich an die Universität gewandt. Sie hätten in Weidels Dissertation „zwar keine großflächigen Plagiate, aber viele kleine Plagiatsfragmente“ entdeckt. Eine Vorprüfung der Universität habe ergeben, dass die Doktorarbeit näher untersucht werden soll.

SZ-Redakteur Roland Preuß konfrontiert Weidel mit den Vorwürfen und zitiert sie unter anderem mit dem Satz: „Meine Doktorarbeit dürfte schon von Dutzenden Plagiatsprüfern ebenso aufmerksam wie ergebnislos unter die Lupe genommen worden sein.“ Die politische Motivation des Gutachtens sei „offensichtlich“. Die SZ erwähnt, dass unbekannt sei, wer das Gutachten in Auftrag gegeben habe; einer der Gutachter sage, es sei offenbar jemand, „der Alice Weidel schaden will“.

Ausriss: SZ, 16. Dezember 2023

Der SZ-Autor dokumentiert und diskutiert mehrere „besonderes auffällige Fundstellen“ und schreibt, er „konnte damit die Vorwürfe, die von den beiden Gutachtern erhoben werden, in Teilen nachvollziehen“. Er hat bei einem der Plagiatesucher der bekannten Plattform Vroniplag nachgefragt, der einerseits sagt, man sei selbst „mit dieser Zahl der dokumentierten Zitierfehler nicht an die Öffentlichkeit gegangen“, andererseits aber meint: „Eine Aberkennung ihres Doktortitels hätte vor Gericht wohl Bestand.“

Die SZ zitiert auch aus einer Stellungnahme, die der pensionierte Wirtschaftsprofessor Stefan Homburg für Alice Weidel erstellt hat: Homburg ist einer von denen, bei denen sie sich rechtswidrig bedient haben soll. Er nennt die Vorwürfe „abwegig“; er fühle sich als Autor von Weidel „wohlwollend behandelt“.

Der ausführliche Text lässt Beteiligte und Betroffene zu Wort kommen, holt zusätzlichen Expertenrat ein, ordnet die Bedeutung der Vorwürfe für die besondere Rolle Weidels in der AfD ein und enthält sich eines abschließenden eigenen Urteils.

„Gründliche Prüfung“

In einem weiteren Artikel befasst sich die SZ mit der Frage, was über Autoren und Auftraggeber des Gutachtens bekannt ist. Die Autoren wollten anonym bleiben, seien der SZ und der Hochschule aber bekannt. Den Auftraggeber kennt die SZ nach eigenen Angaben zwar nicht; sie macht sich aber keine Illusionen über seine Motivation: „Das Plagiatsgutachten zur Doktorarbeit von Alice Weidel geht offenbar nicht zurück auf die Sehnsucht, wissenschaftliche Redlichkeit durchzusetzen“, schreibt sie mit für die SZ typischem Augenzwinkern.

„Laxer Umgang“ Autor des Gutachtens zur Doktorarbeit von AfD-Chefin Alice Weidel weist Kritik zurück
Ausriss: SZ, 18. Dezember 2023

Zwei Tage später berichtet die SZ erneut. In einem nachrichtlichen Artikel berichtet sie von den Reaktionen auf die Einleitung des Prüfverfahrens. Der federführende Autor des Gutachtens kommt noch einmal zu Wort, und Alice Weidel mit dem Vorwurf, angesichts der Erfolge der AfD sei eine „Kampagne“ gegen sie losgetreten worden.

In aller Ruhe
Ausriss: SZ, 18. Dezember 2023

In einem Kommentar schreibt Preuß, dass das Plagiatsverfahren „eine große potenzielle Wucht“ habe, „auch wenn die AfD und ihre Anhänger nichts davon wissen wollen.“ Angesichts der Kampagnenvorwürfe meint er:

Umso wichtiger ist jetzt eine gründliche Prüfung der Vorwürfe durch die Uni Bayreuth. Sie darf nicht den Anschein erwecken, im Fall Weidel werde aus politischen Gründen mit anderem Maß gemessen als bei anderen Plagiatsfällen.

„Vereinzelt Zitierfehler“

Am 26. Januar 2024 berichtet die SZ ein weiteres und letztes Mal. Gedruckt ist es in der überregionalen Ausgabe eine kleinere dpa-Meldung, in der in München gedruckten Haupt-Aufgabe ein etwas längerer Artikel von Preuß auf Seite 7. Online berichtet die SZ etwas ausführlicher.

Weidel behält Doktortitel Universität sieht nach Prüfung keine Belege für absichtliche oder grob fahrlässige Plagiate.
Ausriss: SZ, 26. Januar 2024

Die Zeitung berichtet, dass die Universität Bayreuth „nicht genügend Hinweise für eine weitere Prüfung“ sehe: „Zwar seien nach Ansicht der Kommission für wissenschaftliche Integrität vereinzelt Zitierfehler in der Arbeit zu finden, teilte die Universität am Donnerstag mit. Diese Passagen reichten aber nicht aus, um ein grob fahrlässiges oder absichtliches wissenschaftliches Fehlverhalten zu belegen.“

(Alexander Wallasch bezeichnet das als „einen lupenreinen Freispruch“.)

Die eigentliche Schmutzkampagne

Das ist die Berichterstattung der SZ über die Plagiatsvorwürfe gegen Alice Weidel. Das ist das, was von rechten Alternativmedien und Menschen, die ihnen glauben, als ekelhafte Schmutzkampagne bezeichnet wird, als Versuch einer Vernichtung, lanciert angeblich durch Alexandra Föderl-Schmid: drei abwägend-distanzierte nachrichtliche Artikel; ein Kommentar, der zu einer Prüfung „in aller Ruhe“ aufruft; eine (vielleicht etwas klein geratene) Meldung über den abschließenden Befund der Universität. Und anders als „Nius“, das selbst einen „Plagiatsjäger“ auf Föderl-Schmid angesetzt hat, hat die SZ nur über ein entsprechendes Gutachten über Alice Weidel berichtet.

Die Erzählung von einer Schmutzkampagne der SZ gegen Weidel ist natürlich ihrerseits politisch motiviert, und vielleicht verfängt sie auch deshalb so sehr, weil es an der Art, wie die Zeitung über Vorwürfe gegen den stellvertretenden Bayerischen Ministerpräsidenten Hubert Aiwanger berichtet hatte, tatsächlich breite Kritik gab.

Man kann lange darüber streiten, was eine Kampagne ist, und in welcher Form Kampagnen zulässig sind und ab wann sie auf eine gefährliche Vernichtung von Menschen zielen. Das wird auch im Zusammenhang mit dem Fall Föderl-Schmid eine Debatte sein, die zu führen ist.

Aber die Vorwürfe, die der SZ und in besonders hemmungsloser Form Alexandra Föderl-Schmidt im Zusammenhang mit dem Plagiatsverdacht gegen Alice Weidel gemacht werden, sind haltlos. Oder anders gesagt: eine Schmutzkampagne.

Nachtrag, 10. Februar. Ich habe ergänzt, dass sich die Meldung, dass Weidel den Doktor-Titel behält, je nach Print-Ausgabe der SZ unterschied.

7 Kommentare

  1. Ich schließe mich Jochen an. Danke. Aber um das etwas auszuführen: Die Behauptung, dass Frau Föderl-Schmid ja selbst eine Schmutzkampagne losgetreten habe, ist natürlich auch in die timeline der von mir genutzten sozialen Medien gespült worden. Sollte ich vielleicht wirklich mal meinen facebook-account stilllegen? Es ist ein absoluter Wahnsinn, mit wieviel Hass ich mich auf diesem Wege regelmäßig konfrontieren lasse. Und leider habe ich tatsächlich weder die Zeit noch die journalistische Recherche-Erfahrung, um da jedes Mal die Fakten prüfen zu können. Danke.

  2. Danke für den Artikel. Wenn ich richtig mitgezählt habe, ist das jetzt schon der zweite Notizbuch-Beitrag mit Bezug auf Nius in kurzer Zeit.
    Mir kommt es so vor, als ob Reichelts Wutblog immer mehr Relevanz im politisch rechten Spektrum findet. Aufgefallen ist es mir bei Merz und Aiwanger, die in Talkshows über Inhalte berichteten, die ich nirgendwo anders so prominent wie dort finden konnte. Am auffälligsten war es allerdings zuletzt bei Alice Weidel, die vor 10 Tagen im Bundestag beinahe die komplette Startseite von Nius zitierte .
    Ich hoffe, dass der „Erfolg“ von Nius nicht lange anhält und das Format nicht an Relevanz bis in die gesellschaftliche und politische Mitte gewinnt.

  3. Danke für diesen wahrlich aufklärenden Kommentar wie auch den zu Reichelt + Nius. Nur in einem Punkt möchte ich mich „präzisierend“ einbringen: auf meiner Semantik-Wortwaage gewogen, verdienen die Aktionen die Bezeichnung „Hass- + Hetzkampagne“.
    Wenn ich als Leih-Bayer die verbalen Auswürfe des Herrn Aiwanger in den letzten Wochen immer wieder mal auf die Waage lege, komme ich auch da nur zu einem Schluss: das ist Hass und Hetze – so unverblümt menschenverachtend wie im Fall von Weidel und Reichelt.

  4. Kommt wohl auch darauf an, _wie_ heftig sie angegangen wird. Gemessen an der tatsächlich überhaupt nicht kampagnenartigen, und der Prominenz von Frau Weidel ja auch angemessenen Berichterstattung in vorliegenden Fall kann das hier sicher verneint werden.
    Andererseits ist es nicht die Schuld von Weidel, wenn man solche Vorwürfe auch gegen Föderl-Schmid erheben konnte.
    (Falls jetzt einer sagt: „Die aber auch ist Kindergarten!“ – entweder alle oder keine…)

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