Wieso ist das so? (16)

Wieso haben Zeitungen eine politische Ausrichtung?

Sage mir, welche Zeitung du liest und ich sage dir, was du wählst. Ist das wirklich so einfach? Zeitungen und ihre Online-Auftritte haben verschiedene politische Positionierungen. Während „Spiegel“ und „Süddeutsche Zeitung“ eher als linksliberal gelten, ordnet man die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ und die „Welt“ eher als konservativ ein. Aber warum ist das eigentlich so? Wie wirkt sich das auf die Berichterstattung eines Mediums aus? Und wird so nicht die journalistische Objektivität beeinflusst? Darüber haben wir mit dem Journalistikprofessor Klaus Meier von der Universität Eichstätt-Ingolstadt gesprochen.


Titelseiten der taz, der SZ, der FAZ und der Welt
Screenshot: taz, SZ, FAZ, Welt

Übermedien: Die „Süddeutsche Zeitung“ gilt als linksliberal, die „Welt“ als konservativ. Was bedeutet das eigentlich?

Klaus Meier: Das hat zwei Bedeutungen. Die eine ist, dass sich eine Zeitung auf dem Markt gegenüber der Konkurrenz positioniert, um eine Zielgruppe zu erreichen. Das ist aber nur eine mögliche Strategie, zum Beispiel hat sich die „Süddeutsche Zeitung“ als investigatives Medium profiliert und dadurch Leser gewonnen. Die zweite Bedeutung ist eher gesellschaftspolitisch: Wir brauchen in der pluralistischen Demokratie Vielfalt im Journalismus. Und es wäre äußerst ungünstig für die Demokratie, wenn wir zwar sechs überregionale Zeitungen haben, aber alle das Gleiche schreiben. Das ist ja Kennzeichen von autoritären oder totalitären Staaten. Insofern tut es der Demokratie gut, dass sich Zeitungen unterschiedlich positionieren.

Wenn die eine Zeitung verstärkt über das eine Thema berichtet und eine andere verstärkt über ein anderes, muss man ja theoretisch alle Zeitungen konsumieren, um das komplette Themenspektrum abzubekommen. Das ist doch utopisch.

Ja, das wird seit vielen Jahrzehnten diskutiert, dieses Spannungsverhältnis zwischen den zwei Konzepten von Pluralität: Binnenpluralität und Außenpluralität. Die Außenpluralität ist eher eine gesellschaftsweite Idealvorstellung, etwa zur Teilung von Macht und Einfluss. Aber wenn es um einzelne Bürger geht, dann ist natürlich eine Pluralität innerhalb von Redaktionen viel besser geeignet. Schon in den 60er und 70er Jahren wurde vorgeschlagen, dass man bei Zeitungen Gremien wie bei den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten einsetzt, damit sie vielfältiger berichten. Das waren natürlich utopische Vorstellungen, die nie umgesetzt wurden.

Kann man denn Medien so einfach in links und rechts einteilen?

Das Rechts-Links-Schema ist zwar im Alltag gebräuchlich, aber eigentlich zu einfach. Es gibt mindestens zwei wichtige Dimensionen, die das politische Spektrum beschreiben. Da ist einmal die Frage, welchen Kurs fährt ein Medium bei wirtschafts- und sozialpolitischen Fragen: eher sozialstaatlich oder eher marktliberal? Und dann noch: Welche Position nimmt ein Medium bei gesellschaftspolitischen Werten ein: eher konservativ und in deutlicher Ausprägung konservativ-autoritär, also zum Beispiel mit Betonung von Tradition, Recht und Ordnung, oder progressiv bis liberal-progressiv, also zum Beispiel mit Betonung der freien Entfaltung der Individuen und von Emanzipation. Der Begriff „rechts“ ist bei einer differenzierten Einordnung der großen deutschen Pressemedien (siehe Kasten), die sich alle weitgehend in der Mitte der Gesellschaft befinden, nicht mehr zielführend, weil er mit einer nationalistischen Position verknüpft ist.

Nach dem Zweiten Weltkrieg haben die Besatzungsmächte mitbestimmt, welche Personen Zeitungslizenzen bekommen haben. Welchen Einfluss hatte diese Lizenzpolitik auf den Zeitungsmarkt, den wir heute kennen?

Historisch gesehen muss man sogar noch weiter zurückgehen. Als sich die Pressefreiheit in Deutschland in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts allmählich durchsetzte, wurden gleichzeitig die Parteien gegründet und die Demokratie ist erwachsen. Die Öffentlichkeit war geprägt davon, dass man endlich seine Meinung frei äußern durfte, und die politisch relevante Presselandschaft bestand überwiegend aus Parteizeitungen. Die Zeitungen, die wir heute kennen, sind bei weitem nicht so polarisiert, wie es damals der Fall war. Und das hat sich bis in die Weimarer Republik zugespitzt. Presse-Historiker sagen auch, dass es ein Baustein für das Aufkommen des Nationalsozialismus war, dass die Presselandschaft und die allgemeine Öffentlichkeit so extrem zerstritten waren. Es gab keine reichweitenstarke Zeitung, die zwischen den verschiedenen Positionen moderiert hätte, sondern die Blätter haben oft unsachlich und übertrieben auf politische Gegner eingeschlagen und zur Vergiftung des politischen Klimas beigetragen.

Und nach dem Zweiten Weltkrieg?

Die Alliierten sind in ihrer Lizenzpolitik unterschiedlich vorgegangen. Die Amerikaner haben in ihrer Besatzungszone Lizenzen an Gruppen von Herausgebern verteilt. Die „Süddeutsche Zeitung“ zum Beispiel hat 1945 die erste Lizenz in Bayern erhalten – und zwar an drei Herausgeber mit unterschiedlichen politischen Positionen: ein Christsozialer und zwei Sozialdemokraten. Die Zeitung sollte vielfältig berichten – und vor allem Nachricht und Meinung trennen, was den West-Alliierten besonders wichtig war und worin es in Deutschland kaum eine Tradition gab. Heute gehört die „Süddeutsche Zeitung“ der Südwestdeutschen Medien Holding, einem der großen deutschen Medienhäuser. Die Briten sind anders vorgegangen: Ihnen war Außenpluralität wichtig und sie haben die Lizenzen an Einzelpersonen gegeben und versucht, die politischen Ausrichtungen breit zu streuen. Die große überregionale Zeitung aus dieser Zeit ist die „Welt“, die ihre Lizenz 1946 von den Briten bekommen hat. In den 50er Jahren hat Axel Springer die „Welt“ gekauft und erst dann ist sie konservativ geworden, davor war sie eher sozialliberal.

Worin genau spiegelt sich die politische Ausrichtung bei einer Zeitung eigentlich wider?

Die Kommentierung in Leitartikeln ist nur ein Aspekt. Im Grunde geht es um das Kriterium der Vielfalt. Wie spiegelt sich Vielfalt in einem Medium oder in einer Redaktion wider? In den Inhaltsanalysen geht es immer um folgende Kriterien: Themenvielfalt, Akteursvielfalt und Vielfalt in der Bewertung. Die Themenauswahl ist das Spannende: Man sucht Themen aus, von denen man denkt, dass sie die Zielgruppe der Zeitung besonders interessieren. Manchmal haben zwar fünf verschiedene Zeitungen das gleiche Thema als Aufmacher, aber es sind auch fünf verschiedene Aufmacher. Bei den Akteuren muss man nochmal unterscheiden: Akteure, die einfach so vorkommen und erwähnt werden, und Akteure, die in Artikeln länger zu Wort kommen und wie sie bewertet werden.

Wie kann es sein, dass Zeitungen eine politische Ausrichtung haben? Das schränkt doch die Objektivität ein.

Für Objektivität gibt es eine engere Definition und eine weitere. Die engere Definition ist die Frage: Was ist wirklich? Das ist die Faktentreue. Und da sollten tatsächlich alle journalistischen Medien eine einheitliche Faktenbasis haben. Es gibt natürlich komplexe Themen, bei denen noch nicht alle Fakten recherchiert sind. Aber objektiv wünschenswert ist es, dass man sich bei den Fakten einig ist. Wo man sich hingegen nicht einigen kann, ist die Frage: Was ist wichtig? Also die Auswahl der Themen und Akteure. Wenn 20 Journalisten über die Bundestagsdebatte, die den ganzen Tag dauert, berichten, dann haben wir 20 im Detail verschiedene Artikel und das ist auch gut so. Wir wollen in der Demokratie eben nicht, dass alle das Gleiche auswählen. Aber wenn wir diese demokratische Idealvorstellung der Vielfalt zu stark betreiben, kommen wir in Konflikt mit einer anderen demokratischen Idealvorstellung: Dass Medien eine gewisse Orientierung geben für die Gesellschaft, für Politik und die Bürger. Da sollte man sich bei den zentralen Dingen einig sein. In unserem Beispiel bedeutet das, dass die 20 Journalisten nach journalistischen Grundsätzen – etwa den Nachrichtenfaktoren – auswählen und zumindest die Kernaussagen der Bundestagsdebatte überall erwähnt werden. Orientierung und Vielfalt sind zwei Idealvorstellungen, die sich widersprechen können. Gut wäre ein gewisses Gleichgewicht vor allem in der Themenauswahl.

Aber wie ist das in der Realität? Es gibt Medien, die regelrechte Kampagnen fahren, zum Beispiel gegen das Heizungsgesetz. Das hat doch nichts mehr mit poltischer Orientierung und Gleichgewicht zu tun.

Der sogenannte Kampagnenjournalismus ist eine Form des Aktivismus gegen eine Person oder ein politisches Projekt. Dass das kein hochwertiger Journalismus ist, versteht sich von selbst. Ich würde sogar so weit gehen, dass Kampagnen von Redaktionen nicht mehr als Journalismus zu begreifen sind, sondern als politische Propaganda oder neudeutsch Negativ Campaigning. Denn die Fakten werden nicht wahrhaftig wiedergegeben oder es werden bewusst Fakten verzerrt dargestellt oder entlastende Tatsachen weggelassen, um eine Person oder Projekt an den Pranger zu stellen.

In Deutschland gibt es den sogenannten Tendenzschutz, der ist im Betriebsverfassungsgesetz geregelt. Er erlaubt es einem Zeitungsverleger, die für ihn arbeitenden Journalisten zu verpflichten, Inhalte in einer bestimmten politischen Sichtweise zu produzieren. Wie können sich ausgerechnet Journalisten so etwas vorschreiben lassen?

Das ist ein Thema, das vor allem in den 70er und 80er Jahren sehr heftig unter dem Stichwort „Innere Pressefreiheit“ diskutiert worden ist. Eigentlich geht es beim Tendenzschutz um den Betriebsrat und darum, dass er nicht so viel Mitspracherecht hat wie in anderen Unternehmen. Aber Journalisten, wie Sie schon sagen, wollen sich das eigentlich nicht vorschreiben lassen. Tatsächlich regelt es sich oft automatisch: Wenn ich eine linke Einstellung habe, bewerbe ich mich nicht bei Axel Springer, sondern lieber bei der „taz“. Zumindest früher war das so. Über die vergangenen Jahrzehnte haben sich diese Positionen abgeschliffen. Zum einen haben Journalisten durch professionelle Ausbildung und berufliche Sozialisierung inzwischen verinnerlicht, dass sie persönliche Meinung und journalistische Berichterstattung nicht vermischen sollen. Zum anderen hatten Verleger schon Ende der 80er Jahre – und heute natürlich ganz massiv – andere Interessen: Sie müssen Geld verdienen mit ihrem Medium, sie müssen sich auf dem Markt positionieren und das gelingt nicht mit einer starken politisch einseitigen Haltung. Das gelingt viel besser, wenn man eine Art Binnenvielfalt hat.

Wie gelingt so eine Binnenvielfalt?

Wenn man nicht auf politischen Positionen beharrt, sondern wenn man sich an der Lebenswirklichkeit der Menschen orientiert und nicht Themen oder Akteure marginalisiert, nur weil sie nicht in die politische Position passen. Das wäre nicht marktfähig. Insofern hat sich das in gewisser Weise von selbst gelöst. Heute haben nur Medien, die wirklich etwas stärker an den Rändern agieren, noch etwas klarer ihre politische Position, wie beispielsweise die „taz“ und die „Bild“. Aber bei der „Süddeutschen Zeitung“ oder der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ merkt man das kaum noch. Das sind Medien, die vielfältig in der Mitte sind und eine gewisse Binnenpluralität pflegen, also auch in den Kommentaren und Leitartikeln nicht die eine Linie durchziehen.

Inwiefern unterscheiden sich da die überregionalen Zeitungen von lokalen und regionalen Zeitungen?

Die Marktveränderungen, die ich eben beschrieben habe, treffen vor allem auf die Regionalzeitungen zu. Wir haben zunehmend eine Zahl von Einzeitungskreisen, das heißt, es gibt nur noch eine Zeitung und man kann sich nicht positionieren mit einer politischen Richtung. Man muss versuchen, alle Menschen zu erreichen, wenn man mit der Zeitung eine hohe Reichweite erzielen möchte. Wenn eine Zeitung sagt: Wir sind ganz klar konservativ und CDU-nah ausgerichtet – dann vergrault sie Menschen, die eine andere Position haben. Insofern wäre das verlegerisch ziemlich unklug und hat sich mittlerweile abgeschliffen. In einigen Großstädten haben wir hingegen schon noch verschiedene Zeitungen und die schleppen tatsächlich immer noch etwas von dieser Tradition der politischen Positionierung mit – teilweise unter einem Verlagsdach. Der Klassiker ist für mich immer das so genannte „Nürnberger Modell“.

Was genau versteht man darunter?

Der Verlag Nürnberger Presse gibt schon seit Jahrzehnten zwei Zeitungen heraus: Die „Nürnberger Nachrichten“, eher sozialliberal, und die „Nürnberger Zeitung“, eher konservativ. Vor einiger Zeit wurden die Redaktionen zusammengelegt und man hat tatsächlich versucht, beide Positionierungen beizubehalten. Deren Newsroom bietet manche Themen nur der einen Zeitung an und andere Themen der anderen. Auch die Kommentare unterscheiden sich, weil es unterschiedliche Redaktionsleitungen gibt. Der Verlag bezeichnet das Modell als Beitrag zur Meinungsvielfalt für eine funktionierende Demokratie. An dieser Stelle könnten wir wieder über Binnen- und Außenpluralität sprechen – Sie sehen, das Thema ist an sich sehr vielfältig und es gibt nicht die eine Idealvorstellung einer Tageszeitung in der demokratischen Gesellschaft.

6 Kommentare

  1. „Sage mir, welche Zeitung du liest und ich sage dir, was du wählst. Ist das wirklich so einfach?“ Früher mag es vielleicht eine große Korrelation zwischen Zeitungsabo und Wahlstimme gegeben haben. Mittlerweile hat aber die Relevanz klassischer Journalistik-Angebote, wie die hier betrachteten Zeitungen, deutlich abgenommen. Gleichzeitig wurde die Parteienlandschaft größer. Dazu kommt die im Artikel genannte „Ansammlung der Leitmedien in der Mitte“. Es wird also vermutlich immer schwieriger werden Zeitungen/Massenmedien eindeutig zu verorten.
    Dafür tauchen mehr und mehr Angbote online/in den sozialen Medien auf, die sehr eindeutig verortet werden können. Die mögen, wie im Artikel beschrieben, kein „hochwertiger Journalismus“ sein, aber trotzdem an Relevanz gewinnen. Bleibt die Frage, wer wird langfristig überbleiben?

  2. Ich lese auf Papier meine Regionalzeitung und die Zeit. Im Internet lese ich den Spiegel, FAZ. SZ, NZZ, taz, Welt und Bild. Außerdem: Übermedien, Bildblog, Tichys Einblick, Achse des Guten, Junge Freiheit, Reitschuster und Nius. Abonniert habe ich auch die New York Times und die Washington Post, lese sie aber wenig. Was wähle ich?

  3. Wow, wie schafft man das? Ich bekomme das mit einem 40-Std-Job nicht annäherungsweise hin. Selbst die Tagesschau fällt oft flach. Dabei habe ich nicht mal Kinder. Ich lese insgesamt aber schon recht viel, beruflich bedingt dreht sich das meiste jedoch um IT. Selbst in dem Feld komme ich kaum mit. Meine Hauptquellen sind Heise.de, c‘t, Netzpolitik.org, Krautreporter, Übermedien, Tagesschau/Heute und diverse Politsatire der ÖRR. Für „echte“ Zeitung habe weder Zeit, noch einen ausreichend großen Tisch.

  4. Naja, Florian Blechschmied verrät uns ja nicht, wieviel er in den Blättern/Online liest und wie ernst er diese nimmt. Aber wenn er von der Seriosität aller seiner Quellen überzeugt wäre, dann würde er meiner vergilbten Glaskugel nach wahrscheinlich eine Partei wählen, welche gesellschaftlich konservativ-autoritär und wirtschaftlich eher liberal unterwegs ist.

  5. Zur Frage der Objektivität: Die engere Definition ist also die Faktentreue, also was wirklich ist. Lautet dann die weitere Definition „Was ist wichtig? Also die Auswahl der Themen und Akteure“? Das wird nicht explizit erwähnt aber so hätte ich das jetzt gelesen.
    Dann ist also die Antwort, warum Objektivität nicht per se durch die politische Ausrichtung gefährdet ist die, dass diese Ausrichtung lediglich die Auswahl der Themen und Akteure betrifft, sprich die Objektivität im weiten Sinne? Aber inwiefern ist es objektiv, wenn ich Themen und Akteure entsprechend meiner politischen Ausrichtung auswähle? Wie sähe Objektivität im weit gefassten Sinn dann konkret aus? Gibt es denn eine objektiv richtige Auswahl an Themen und Akteuren? Oder ist sie gemessen an der politischen Ausrichtung objektiv, weil nachvollziehbar? Das Konzept der Objektivität im weiten Sinn wirft für mich mehr Fragen auf als es beantwortet. Leider ist die Antwort hier von der eigentlichen Frage abgeschweift und bei Funktionen des Journalismus gelandet.

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