Wochenschau (62)

Eine Schweigekolumne

Moll

Mit jeder Berichterstattung über einen weiteren Anschlag verfestigt sich diese Müdigkeit über journalistische Unbelehrbarkeit: Die publizistischen Fehlerroutinen sind teilweise frustrierend identisch mit denen vorheriger Anschläge; es ist, als hätte man aus den jüngsten Attacken nur minimale Einsichten gewonnen, wenn überhaupt. Der Fokus der Berichte liegt nach wie vor mehr auf dem Täter als auf den Opfern, die „Bild“-Zeitung verstört wieder mal mit ihrer willentlichen Verantwortungslosigkeit, die sie und andere Medien schon nach den Anschlägen in Christchurch und Halle zeigten, und wiederholt starrsinnig die Fehler, vor denen Kriminologen immer wieder warnen, da sie Nachahmer inspirieren können.

„Tagesschau“ und „Heute-Journal“ lassen aus unerfindlichen Gründen nach einer rechtsextremistisch motivierten Attacke schon wieder Alexander Gauland zu Wort kommen.

„Focus Online“ schreibt etwas von „Shisha-Morden“, als ob es die Kritik an der Nutzung des Ausdrucks „Döner-Morde“ für die Anschläge des NSU nie gegeben hätte. Politiker werfen in Betroffenheitsbekundungen unbeholfener mit Hufeisen um sich als nach der Ministerpräsidentenwahl in Thüringen.

Dur

Daneben gab und gibt es in diesen Tagen aber glücklicherweise auch viele kluge Analysen. Zum Beispiel:

Das „Neue Deutschland“ agierte vorbildlich, indem es umsichtig und bedacht mit der Veröffentlichung der Namen der Opfer umging. Und auch die Talkshows „Maybritt Illner“, Markus Lanz und Anne Will haben in der vergangenen Woche, was die Auswahl ihrer Gäste betrifft, mit der Autorin Kübra Gümüşay, dem Soziologen Matthias Quent, dem Kriminalkommissar Sebastian Fiedler, der Psychiaterin Nahlah Saimeh, dem Investigativ-Journalisten und Extremismus-Experten Olaf Sundermeyer und mit dem Journalist Yassin Musharbash vieles richtig gemacht – auch wenn der Einwand der Ko-Vorsitzenden der Neuen Deutschen Medienmacher Ferda Ataman berechtigt ist.

Und man ist ja tatsächlich schon dankbar dafür, dass da diesmal kein AfDler rumgurken durfte.

Grundsätzlich müssen deutsche Massenmedien selbstkritisch reflektieren, wie sie sich am Kultivieren von Alltagsrassismus beteiligen. Anti-Rassismus muss explizit in den redaktionellen Statuten stehen. Durch diskriminierende Headlines, pejoratives Wording, ausgrenzendes Framing, mangelnde Diversität in der Auswahl der Protagonisten und das Herstellen von Reichweite für eine antidemokratische Partei düngen auch Redaktionen den geistigen Nährboden für Rechtsextremismus.

Pause

Mein Kopf und Herz sind nach wie vor von einer dumpfen Schwere umklammert – und obwohl es gerade jetzt an der Zeit wäre, Kritik zu üben und konkretes politisches und journalistisches Handeln einzufordern, spüre ich seit Hanau und nach den anderen Ereignissen der vergangenen Woche noch immer eine so überwältigende Traurigkeit in mir, eine so beklemmende Sprachlosigkeit, dass ich mir stattdessen vor allem einen Moment der Stille wünsche.

Ich möchte meine Trauer gerne publizistisch zum Ausdruck bringen, ohne sie exhibitionistisch ausschreiben zu müssen – auch weil mir schlicht die Worte fehlen. Da man die eigene Sprachlosigkeit paradoxerweise nicht ausformulieren kann, macht man das, was in der Sprachforschung als das Bezeichnen eines Sprechaktes beschrieben wird – man paraphrasiert die emotionale Konsequenz: Ich bin sprachlos. Ich bin betroffen. Ich weiß nicht, was ich sagen soll.

Stattdessen würde ich gerne einfach nichts sagen, aber man kann online nur schwer demonstrativ schweigen. Es gibt in der digitalen Sphäre nicht wirklich die Möglichkeit zum Innehalten. Wie sähe eine digitale Schweigeminute aus?

Der französische Philosoph Jean Baudrillard schrieb einmal über das Schweigen in Zeiten einer medialen Dauerbeschallung folgende Zeilen, die sich so auch auf soziale Netzwerke und Medien übertragen lassen:

„(…) es gibt keine Zeit für das Schweigen. Das Schweigen ist aus den Monitoren verbannt, verbannt aus der Kommunikation. Die Medienbilder (und die medialen Texte sind Bilder) schweigen nie: Bilder und Botschaften müssen ohne Unterbrechung aufeinanderfolgen. Schweigen wäre eine solche Synkope im Kreislauf, eine kleine Katastrophe, ein Lapsus, der im Fernsehen zum Beispiel höchst signifikant wäre – ein mit Angst und Jubel geladener Bruch, der klarstellt, dass diese ganze Kommunikation im Grunde nur ein forciertes Szenario ist, eine ununterbrochen Fiktion des Bildschirms, die die Leere der Mattscheibe wettmacht, auch die unserer mentalen Mattscheibe, auf deren Bilder wir nicht weniger gespannt lauern.“

Deswegen heute eine Schweigekolumne – als Geste, aber auch als Kommentar. Diese Woche keine weiteren Worte:

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

11 Kommentare

  1. Hmmm… das Kommentarfenster nimmt nicht nur Whitespaces.

    Dann sage ich halt doch was dazu: Ich konzentriere mich diesmal lieber auf das was offenbar ganz gut lief als auf die Idioten von Bild und Konsorten.

  2. Was mir noch vor dem Lesen der Kolumne durch den Kopf ging: eine der angenehmsten Bebilderungen, denen ich in letzter Zeit begegnet bin – nach dem Motto: „Wenn man nichts zu zeigen hat, …“

  3. Schade, dass der Ansatz in rechten Blogs so gar nicht stattfindet.

    Ich habe das auch überprüft.
    In Blog 1 findet dieser Ansatz so gar nicht statt.
    In Blog 2 findet dieser Ansatz so gar nicht statt.
    In Blog 3 findet dieser Ansatz so gar nicht statt.
    In Blog 4 findet dieser Ansatz so gar nicht statt.
    Meine ganze Hoffnung lag dann auf Blog 5. Aber auch dort (kann jeder nachlesen) findet dieser Ansatz auch so gar nicht statt.

    Wenigstens der Tagesspiegel verwendet einen konstruktiven Ansatz. Dort hat man erkannt, dass das suchen auf der Oberfläche am Ende ja doch nichts bringt. Deshalb sind die in die Tiefe gegangen und haben den wahren Grund sofort gefunden: Weiße Männer.
    Diese Ansatz bietet ganz neue Möglichkeiten für die Prävention.

  4. @ Einervonvielen, #5:
    “ Weiße Männer.
    Diese Ansatz bietet ganz neue Möglichkeiten für die Prävention.“

    Warum gehen Sie nicht einfach mit gutem Beispiel voran? Und verzichten das nächste Mal auf den Sarkasmus?

  5. Sarkastisch ist wohl mehr das drumherum. Denn diesmal ist alles irgendwie anders als bei anderen Tötungsverbrechen.

    Die Betreiber von Mahnwachen werden nicht von der Antifa zusammengeschlagen.

    Keiner informiert uns, dass wir das locker sehen müssen, weil die Anzahl der Toten durch Krankenhauskeime, Verschlucken oder Verkehrsunfälle viel größer ist als die der Terroropfer.

    Kein Instrumentalisierungsverbot.

    Keine Artikel mit der Aufforderung, uns an den Terror zu gewöhnen.

    Keine Warnung vor voreiligen Schlüssen.

    Keine Informationen, dass die Kriminalität nachlässt.

    Keine antirassistischen Widerstandskämpfer, die sich gegen die widerwärtige rassistische Hetze des Tagesspiegel auflehnen.

    Es sieht so aus, als würde feinsinnig differenziert nach wertvollen und wertlosen Opfern, nach lieben und bösen Mördern.
    Tut mir leid, ich kann mir keine harmlosen Gründe für diese Doppelstandards vorstellen.
    Was vielleicht nur an meiner geringen Vorstellungskraft liegt.

  6. @ Einervonvielen, #7

    Ihr Beitrag ergibt hinten und vorne keinen Sinn. Zudem enthält er groteske Falschaussagen: Niemand differenziert nach „lieben und bösen Mördern“!
    Die einzig logische Begründung dafür ist, dass Sie trollen.

  7. Der voreilige Schluss war doch das frühe Einschießen gewisser Berichterstatter auf einen Hintergrund in der „Shisha-Mafia“, analog zu den sog. „Döner-Morden“. Im Unterschied zu letzteren wurde dieser Fall deutlich schneller aufgeklärt.

    Woraus ein genereller Lernprozess wohl hergeleitet werden kann, nur leider nicht bei der BILD.

Einen Kommentar schreiben

Mit dem Absenden stimmen Sie zu, dass Ihre Angaben gemäß unseren Datenschutzhinweisen gespeichert werden. Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.