Das Ende des Mythos von der „Spiegel“-Dok, die jedes Wort prüft
Als der „Spiegel“ vor dreieinhalb Jahren eine Werbekampagne mit dem neuen Claim „Keine Angst vor der Wahrheit“ startete, gehörte zu den Motiven auch eines, das den Chef der Dokumentare zeigte. „Wir glauben erst mal gar nichts“, stand als großes Zitat über seinem Foto. Und darunter:
Dr. Hauke Janssen, Leiter der SPIEGEL-Dokumentation, prüft mit seinem Team von 70 Leuten jedes Wort jedes Artikels.
Ich habe das damals geglaubt, und ich habe das auch bis vor wenigen Tagen für wahr gehalten, weil ich es selbst beim „Spiegel“ so erlebt habe. In langen, oft anstrengenden Telefonaten haben nette, fachkundige, furchtbar penible Dokumentare jede Aussage in meinen Artikeln hinterfragt.
Dass Claas Relotius es schaffte, so viele falsche und sogar frei erfundene Tatsachen in den „Spiegel“ zu bringen, wirft die Frage auf, wie diese Kontrolle so versagen konnte. Aber ich habe den Verdacht, dass es noch schlimmer ist: Dass es diese Kontrolle teilweise gar nicht gab.
Die „Spiegel“-Dokumentation prüft anscheinend nicht jedes Wort jedes Artikels. Manche Dinge glaubt sie einfach.
Nur so lässt sich erklären, dass ein Märchen erscheinen konnte wie die Schein-Reportage von Relotius aus der kleinen Stadt Fergus Falls in Minnesota. Relotius hatte dort im Frühjahr 2017 einen Monat verbracht „unter Menschen, die sonntags für Donald Trump beten“.
Was er über den Ort und die Menschen schrieb, war „ungehemmte Fiktion“, wie es zwei Bewohner von Fergus Falls später in einem Blog-Eintrag nannten; ein Zerrbild „einer Einwanderer fürchtenden, waffenbesessenen Kleinstadt“, das dem Klischee einer Trump-Hochburg entsprach, aber nicht der Wirklichkeit.
Michele Anderson und Jake Krohn haben all die Fehler, Übertreibungen und Erfindungen dokumentiert, und das ist nicht nur erschütternd, weil das Ausmaß der Fälschungen so groß ist, sondern auch, weil sich einige davon leicht hätten entdecken lassen – mit etwas Fact Checking.
Details wie das Ortseingangsschild, auf dem laut Relotius nicht nur „Willkommen in Fergus Falls“ steht, sondern auch der Zusatz: „der Heimat von verdammt guten Leuten“. Oder die Anekdote, dass im örtlichen Kino auch zwei Jahre nach dem offiziellen Kinostart immer noch der Kriegsfilm „American Sniper“ lief, was nicht stimmt.
Die Merkwürdigkeit, dass im Rathaus ein ausgestopftes Wildschwein hängen soll, obwohl es in der Gegend keine Wildschweine gibt. Der dunkle Wald, in dem sich die Stadt befinden soll, obwohl sie in der Steppe liegt.
Die falsche Angabe, wie viel Prozent der Einwohner für Trump gestimmt hatten.
Der „Spiegel“ selbst hat den Beispielen für Fehler, die der Dokumentation nicht aufgefallen sind, noch eigene hinzugefügt, zum Beispiel dieses:
So sind es von Fergus Falls nicht 2200 Kilometer nach New York, wie es im Text steht, sondern nur 1888.
Es mag angesichts all der sonstigen Ungeheuerlichkeiten lächerlich vom „Spiegel“ wirken, darauf hinzuweisen, dass auch dieses egale Detail nicht stimmte. Und es ist auch lächerlich, einerseits. Andererseits ist das aber genau die Art Tatsache, die von der „Spiegel“-Dokumentation routinemäßig überprüft wird und die sich leicht überprüfen lässt. Dass sie nicht überprüft wurde, deutet darauf hin, dass hier grundsätzlich etwas versäumt wurde.
Was „nur eingeschränkt überprüft“ wird
Unter der Aufzählung all der wunden Punkte erklärt der „Spiegel“:
Der SPIEGEL hat Fakten also nicht so sauber überprüft, wie es seine Statuten vorsehen. Zu sehr haben sich Redaktion und Dokumentation auf die vermeintliche Glaubwürdigkeit des Reporters verlassen. Hauseigene Verifikationsrichtlinien, nach denen zum Beispiel Orts- und Milieubeschreibungen in Reportagen nur eingeschränkt überprüft werden, wurden zu großzügig ausgelegt.
Moment mal – es gibt hauseigene Verifikationsrichtlinien, nach denen bestimmte Aussagen in Reportagen „nur eingeschränkt überprüft werden“? Selbst wenn der Fehler hier darin bestand, dass diese Richtlinien „zu großzügig ausgelegt“ wurden, warum gibt es solche Ausnahmen überhaupt? Wie verträgt sich das mit der Behauptung, die „Spiegel“-Dokumentation prüfe „jedes Wort jedes Artikels“?
Natürlich lassen sich nicht alle Behauptungen beweisen, vor allem nicht bei Reportagen. Für das, was ein Journalist vor Ort erlebt, gesehen, erfahren hat, gibt es nicht immer Belege oder andere Quellen. Das ist ja einer der Gründe, warum man Journalisten in die Welt schickt: Damit sie Dinge sehen und erleben, die sich noch nicht in Archiven nachschlagen oder ergoogeln lassen.
Das erklärt aber nicht, warum die Dokumentation nicht Tatsachen in Reportagen überprüft, die sich überprüfen lassen.
Richtig ist auch, dass die Abläufe und Sicherungsmaßnahmen in der Redaktion nicht darauf ausgelegt sind, dass man es mit einem Betrüger in der Redaktion zu tun hat. Die Organisation geht davon aus, dass Journalisten Fehler machen, weil sie schlampig sind, ahnungslos, in Eile oder einfach nur: Menschen, die eben Fehler machen. Die Organisation geht nicht davon aus, dass einer der eigenen Redakteure bewusst jahrelang Artikel fälscht.
Die „schwache Stelle der Dokumentation“
Im neuen „Spiegel“ [pdf] heißt es:
Und das ist die schwache Stelle der Dokumentation: Sie kann sehr vieles überprüfen, mit Datenbanken, im digitalen Archiv.
Aber was eine Quelle einem Reporter erzählt hat oder was ein Mann in der Wüste in einer Nacht macht, kann sie schwer vollständig überprüfen. Sie markiert diese Stellen dann mit einem Zeichen für „eigene Recherche“. Da setzt sie auf Plausibilität und vor allem das Vertrauen unter Kollegen.
Das bezieht sich auf die Geschichte einer Bürgerwehr an der Grenze zu Mexiko, aber der Fall „Fergus Falls“ zeigt, dass das Problem eben nicht nur solche Stellen waren, sondern auch schnöde, tatsächlich zu recherchierende Fakten.
In einem Artikel vom vergangenen Mittwoch, wie das „SPIEGEL-Sicherungssystem an Grenzen“ stieß, schrieb die Redaktion, dass die Dok selbst bei Formulierungen wie „Am 16. Februar 2016, einem nebelkalten Tag in München…“ anhand alter Wetteraufzeichnungen überprüfe, ob der besagte Tag nicht womöglich ein strahlend schöner, ungewöhnlich warmer war. Dieses Sicherungssystem scheint bei der Fergus-Falls-Geschichte nicht an seine Grenzen gestoßen – sondern schlicht nicht in Betrieb gewesen zu sein.
Der „Spiegel“ schreibt unter dem Fergus-Falls-Artikel:
Selbst wenn die Geschichte sauber nach den eigentlich gültigen Standards des Hauses verifiziert worden und alle offensichtlichen Fehler und Ungenauigkeiten ausgeräumt wären – weite Teile des Textes könnten immer noch Fiktion sein.
Das stimmt; der Gedanke hat in diesem Zusammenhang aber eine merkwürdige Stoßrichtung. Wenn die „Geschichte“ nämlich ordentlich überprüft worden wäre, wären so viele offensichtliche Fehler und Ungereimtheiten aufgefallen, dass vielleicht auch jemand den Rest in Frage gestellt hätte.
Ein Werbeversprechen, das man glauben dürfen muss
Dass hier offenbar „Spiegel“-Standards nicht eingehalten wurden, ist das eine. Was mich aber vor allem ärgert, ist das andere: Dass diese Standards ohnehin nicht dem entsprechen, was der „Spiegel“ öffentlich behauptet. „Jedes Wort jedes Artikels“, das ist nicht nur irgendein Werbeversprechen, das einfach besonders markig daherkommen soll. Dadurch, dass es der „Spiegel“-Dokumentar sagt, muss das Publikum es beim Wort nehmen dürfen.
Wie bitter: Die Behauptung, es mit den Fakten ganz genau zu nehmen, entsprach nicht ganz genau den Fakten.
Und diese Behauptung taucht ja nicht nur in der Werbung auf. Im „Spiegel“-Statut von 1949 heißt es:
Alle im SPIEGEL verarbeiteten und verzeichneten Nachrichten, Informationen, Tatsachen müssen unbedingt zutreffen. Jede Nachricht und jede Tatsache ist vor der Weitergabe an die Redaktion peinlichst genau nachzuprüfen.
2017 schrieb „Spiegel Online“:
Die Fachdokumentare verifizieren vor der Veröffentlichung jeden SPIEGEL-Artikel (…), überprüfen jeden einzelnen Fakt (…).
Im einem englischsprachigen Fachbuch zitiert Dok-Chef Janssen aus den eigenen Richtlinien:
Any fact that is to be published will be checked to see if it is correct on its own and in context, employing the resources at hand and dependent on the time available.
Auch in seiner neuen Ausgabe behauptet der „Spiegel“, dass alles überprüft wird; von „jeder Zeile im SPIEGEL“ ist da die Rede.
Und das Zitat von Dok-Chef Janssen kommt in diesem Artikel wieder vor: „Wir glauben erst mal gar nichts.“ Zwei Absätze weiter wird sein Kollege zitiert, der Relotius‘ Märchen-Geschichte von der mexikanischen Grenze überprüfte. Dessen Satz lautet, etwas weniger werbeträchtig: „Ich habe ihm dann geglaubt.“
Die „intensive Aufarbeitung der Vorgänge“
Ich reite nicht darauf herum, um das Unglück der Kollegen auszukosten, die ich in meiner kurzen Zeit beim Nachrichtenmagazin als außerordentlich nett, aufmerksam, korrekt und hilfreich erlebt habe. Ich reite darauf herum, weil sich der „Spiegel“ um diesen Teil des Debakels bislang ein wenig drückt: Dass nicht nur die Sicherheitssysteme versagt haben, sondern dass diese Sicherheitssysteme anscheinend nicht das sind, was man gegenüber der Öffentlichkeit behauptet hatte.
For @DerSPIEGEL to claim that no publication is safe from a dishonest journalist may be true. But it's also clear that they didn't try very hard — and if they had followed best practices standard at most major US mags they might have caught this a lot sooner.
— Andrew Curry (@spoke32) 21. Dezember 2018
Ich habe den „Spiegel“ gefragt, ob der vor Fehlern strotzende Fergus-Falls-Artikel von Claas Relotius überhaupt verifiziert wurde und wie sich erklären lässt, dass auch leicht überprüfbare faktische Aussagen offenbar nicht überprüft wurden. Die Pressestelle antwortete:
„Ja, der Artikel wurde durch die Dokumentation überprüft. Wir werden die intensive Aufarbeitung der Vorgänge abwarten, bevor wir uns im Detail zu möglichen Fehlerquellen äußern können.“
Außerdem habe ich nach dem Wahrheitsgehalt der Behauptung gefragt, dass „jedes Wort jedes Artikels“ geprüft werde, und welche Ausnahmen von dieser Regel vorgesehen seien. Die Antwort:
„Die abweichenden Verifikationsrichtlinien für Reportagen berücksichtigen die der Gattung eigene Quellenlage. Denn der Reporter verarbeitet Informationen und Sinneseindrücke in seinen Texten, die häufig nicht oder nur eingeschränkt mit den verfügbaren Datenbanken und Archiven überprüft werden können. Für jede Reportage gilt die Maßgabe, dass sie im Detail auf ihre Plausibilität und überprüfbare Fakten hin geprüft wird.“
Auf meine Bitte, einen Blick in diese Verifikationsrichtlinien werfen zu können, ist der „Spiegel“ in seiner Antwort nicht eingegangen.
Die sagenhafte Dokumentation, die jedes Wort im „Spiegel“ prüft, ist ein wichtiger Teil des „Spiegel“-Mythos. Ja, man wird dem Nachrichtenmagazin Zeit geben müssen, all den Dingen auf den Grund zu gehen, die da schiefgegangen sind. Aber ich finde es ein schlechtes Zeichen, wie sehr es in seinem Umgang mit dem Skandal darauf abhebt, dass bestimmte Dinge nicht zu überprüfen waren, und damit von denen ablenkt, die einfach nur nicht überprüft wurden.
Im Falle Ingo Moceks (der in diesem Zusammenhang noch gar nicht genannt wurde) (http://www.taz.de/!5145655/) waren die Umstände bei Neon sehr ähnlich (fehlende Bänder bei Interviews), und auch hier gab es eine Dok, die bekannt war für äußerst gute und penible Arbeit. So dass die Frage ist: Wie unabhängig, wie stark kann eine Dok sein, die dann halt doch weisungsgebunden unter der Chefredaktion steht?
Tom Kummer, Ingo Mocek, Relotius – unter den beiden Chefredakteuren Klotzek und Ebert ist das übrigens jetzt der dritte Fall eines männlichen, profilstarken Autors, der gefälscht hat.
Funfact: Laut Falk-Routenplaner fährt man mit dem Auto zwischen dem Stadtzentrum von Fergus Falls und dem Times Square in New York 2.222 Kilometer. Ausgerechnet eine der wenigen korrekten Informationen von Relotius hat der Spiegel jetzt als falsch bezeichnet. Da scheint echt Chaos zu herrschen…
„Die Heimat von verdammt guten Leuten.“ Ach du lieber Himmel, das steht wirklich in der Reportage? Das klingt wie aus einer Kurzgeschichte von Stephen King geklaut.
https://twitter.com/spoke32/status/1076219412485677056?s=21
Wenn das so stimmt sind die Amerikaner wesentlich kritischer, was Einfordern von Kontrollmöglichkeiten angeht.
„Richtig ist auch, dass die Abläufe und Sicherungsmaßnahmen in der Redaktion nicht darauf ausgelegt sind, dass man es mit einem Betrüger in der Redaktion zu tun hat. Die Organisation geht davon aus, dass Journalisten Fehler machen, weil sie schlampig sind, ahnungslos, in Eile oder einfach nur: Menschen, die eben Fehler machen. Die Organisation geht nicht davon aus, dass einer der eigenen Redakteure bewusst jahrelang Artikel fälscht.“
Vielleicht muss man zumindest in Stichproben in der Lage sein, so was nachzuprüfen um Betrug auszuschließen. Er kam und kommmt halt leider immer wieder vor und beschädigt das höchste Gut der Medien, ihre Glaubwürdigkeit
Nun ja, nachdem Relotius seine erste Preise eingeheimst und Fichtner wohl intern allen klargemacht hatte, dass die Art von Relotius Geschreibels die Vollendung der Weltgeschichte darstelle, dann dürfte sich wohl keiner mehr getraut haben, mal kritisch nach den Quellen der Kitschszenen und Kitschcharaktere nachzufragen.
Im aktuellen Spiegel in eigener Sache gibt es übrigens eine neue Deutung der Dokumentation. Armin Wolf schreibt in einem Tweet von der „berühmten SPIEGEL-Dokumentation“. Dieser Tweet wird von der Redaktion mit „die legendäre SPIEGEL-Dokumentation“ eingeführt. Laut Wikipedia sei die „Legende […] eine dem Märchen und der Sage verwandte Textsorte“.
Wie war das eigentlich in diesem Fall vor zwei Jahren, wo dasselbe Ressort betroffen war:
https://meedia.de/2016/08/30/arrogant-und-unjournalistisch-juergen-todenhoefer-gewinnt-rechtsstreit-mit-dem-spiegel-sein-sohn-rechnet-ab/
@7: Ich glaube mich zu erinnern, das Problem damals war dass der Artikel auf den Infos von einem Mann beruhte, der dabei gewesen war aber sich später mit den Todenhöfers zerstritten hatte. Vor Gericht wog natürlich die Aussage von 2 Leuten mehr als die von einem einzelnen, mit womöglich „finsteren“ Motiven. Wer nun die Wahrheit gesagt hat, weiss ich nicht: auf der einen Seite der nicht ganz seriöse Todenhöfer ( https://meedia.de/2015/07/27/bitte-zitieren-sie-richtig-wie-juergen-todenhoefer-im-live-faktencheck-gegen-nikolaus-blome-unterging/ ) gegen den nicht ganz seriösen SPIEGEL.
Heute vor 76 Jahren wurden führende Mitglieder der Widerstandsgruppe „Rote Kapelle“ hingerichtet. Eine breit aufgestellte Gruppe, von KommunistInnen bis KatholikInnen, KünstlerInnen und Adligen.
Das angebliche Nachrichtenmagazin S. strickte 1968 in einer großen Serie an der Legende einer von Moskau gelenkten kommunistischen Spionagetruppe. Erfundene „Reportage“ at it’s best. Komischerweise werden solche Sachen (und andere Nachkriegsreportagen von Ex-Nazis in diesem Blatt) immer gern vergessen, und dieses Magazin bekommt aufgrund einer Durchsuchungsaktion in den 60ern den Titel „Sturmgeschütz der Demokratie“ und verkauft sich fortan als angeblich wichtigstes Nachrichtenmagazin des Landes. Ja. es gab gute und wichtige Reportagen und Enthüllungen, aber gleichzeitig auch ebensoviel plain Bullshit in diesem Heft. Dabei war das Narrativ schon immer immer wichtiger als Fakten.
Deswegen ruft mir dieser Fall auch nur ein müdes Schulterzucken hervor.
Journalismus hat viele Probleme, aber ein R. ist weder Anfang noch Ende davon.
Warum sollte man eigentlich glauben, dass alle anderen Fakten von anderen Artikeln von anderen Autoren beim Spiegel genauestens vor Veröffentlichung geprüft wurden?
Wurden „nur“ die Beiträge von Relotius nicht nach Richtigkeit geprüft?
In diesem Artikel wird ja nur darauf eingegangen, was trotz der Dokumentationsabteilung schief gelaufen ist, und das es vielleicht dort Probleme gibt, die der Spiegel nicht in den Fokus rückt oder rücken will.
Was ist aber mit all den Medien, die überhaupt gar keine oder keine vergleichbare Dok-Abteilung haben? Ist Relotius wirklich nur ein Einzelfall? Dass ich genau das, was Relotius getan hat, in meiner kurzen Zeit als Journalist bei einer Kollegin selbst erlebt habe, lässt mich persönlich zu dem Schluss kommen, dass es weit häufiger vorkommt, als so manchem lieb ist.
Wir werden es aber wohl nie erfahren, wer genau soll das enthüllen? Da würde man sich ja selbst anklagen. Und auch übermedien ist recht sanft in seiner Bearbeitung gegenüber dem Spiegel:
„Ich reite nicht darauf herum, um das Unglück der Kollegen auszukosten, die ich in meiner kurzen Zeit beim Nachrichtenmagazin als außerordentlich nett, aufmerksam, korrekt und hilfreich erlebt habe.“
Inwiefern ist es hier überhaupt relevant, ob die Journalisten bei Spiegel nett, aufmerksam, korrekt und hilfreich sein mögen?
“ Ja, man wird dem Nachrichtenmagazin Zeit geben müssen, all den Dingen auf den Grund zu gehen, die da schiefgegangen sind.“
Das ist fast so, als sage, man müsse VW Zeit geben, all den Dingen auf den Grund zu gehen, die da schiefgegangen sind.
Es ist vielleicht eine nicht ganz falsche Annahme, die Entscheider beim Spiegel haben eine andere Geisteshaltung zu sich und ihrem Produkt als ein Autokonzern, und überhaupt könne man das nicht vergleichen, aber die Tatsache, dass man dem Spiegel die Aufarbeitung eines über sein Haus hinaus fundamental relevanten Vorgangs, so einfach überlässt und ihm dafür auch noch seine eigene Zeit einräumt, das ist doch sehr naiv.
Wir sehen hier eher einen Kurs über Krisenmanagent von Seiten des Spiegels.
Überhaupt ist ja nichts von der Gegenseite bekannt. Wer weiß was Claas Relotius alles darüber enthüllen könnte, wie leicht es gewesen sein mag, den Spiegel zu betrügen. Ob wir das überhaupt je erfahren? Gibt es Absprachen, Schweigeverpflichten? Spätestens hier müssten Externe Recherchieren, was da gerade wirklich beim Spiegel abläuft.
Was gerade beim Spiegel läuft? Der zählt gerade, was ihm die Story eingebracht hat, wie übrigens auch Herr Niggemeier. Ob „Klaus Rhinozerus“ (Titanic) dafür wohl Provision erhält?
@Tommix: Äh, wie bitte? Wir haben Tag drei nach der Enthüllung des Skandals, wie schnell sollen die denn sein beim Spiegel? Und in der Aufarbeitungskommission sollen doch auch Externe dabei sein? Ganz ehrlich, bis auf den missglückten Enthüllungstext von Fichtner kann man dem Spiegel aktuell wirklich kaum vorwerfen, nicht transparent und mit großem Willen zur Aufklärung vorzugehen. Das erinnert nicht im Entferntesten an VW.
In dem Heft (51) vor dem „was ist“-Heft fiel mir auf, dass da in einer „Geschichte“ (Journalisten-Jargon) von Smoltczyk über Horst Seehofer stand „pro bonum, contra malum“. Jeder Lateiner weiß, dass pro mit Ablativ steht (und wiederum contra, hier korrekt, mit Akkusativ): also „pro bono“ wäre richtig. Das ist jetzt nix Kompliziertes, das ist Sextanerwissen, O-Deklination, Grundzüge I a), 3. Stunde oder so.
Seltsam, dachte ich, diese in Hamburg weltberühmte Spiegel-Dok, da muss es doch ein paar Altsprachler drunter geben, aber vielleicht war die betriebseigene Weihnachtsfeier wichtiger.
Und ein paar Wochen zuvor schaffte es glatt ein „Leonhard Cohen“ in einer Überschrift ins gedruckte Heft.
Jedes Wort geprüft? Das war vielleicht mal vor 20 Jahren. Nur der Mythos hat überlebt. Bis letzte Woche.
http://www.youtube.com/watch?v=Sx_1oYGtKYM Und auch deshalb bitte kein Wegsehen hiervon: „… Ein 4-köpfiger Rechercheverbund, körperlich und wirtschaftlich geschädigt, in seiner Existenz vernichtet. Das NDR-Medienmagazin ZAPP berichtete ebenso als JournalistenBlatt und BILD, wie auch Lutz Tillmans, Geschäftsführer des Deutschen Presserates, eindeutig Stellung bezog. 39 Strafverfahren gegen JournalistInnen im Rahmen ihrer Tätigkeit sind alleine in Sachsen bekannt: das bundesweit Aufsehen erregende Verfahren gegen die Leipziger Journalisten Datt und Ginzel war im Zusammenhang mit dem Sachsensumpf also nur die Spitze des Eisberges. …“? Abarbeiten am Ausland ist eben einfacher, als das unbequeme Kehren vor der eigenen Haustüre! Kollegialität und Zivilcourage bleiben jedoch auf der Strecke!
Was mir nach einigen Nachdenken besonders krass vorkommt: falls ich eine Reportage fälschen würde, sei es, um meine eigenen Vorurteile zu vervielfältigen, sei es um des Geldes willen oder um Ruhm und Ehre willen, ich würde doch zumindest die Details, die man mit drei Sekunden Googlesuche überprüfen kann, richtig machen, erstens, weil es mich ebenfalls drei Sekunden (pro Detail) kostet, und zweitens, weil ich damit rechnen muss, dass das überprüft wird; nur die Dinge, die man nur überprüfen kann, indem man selbst in die USA oder in die Türkei oder sonstwohin fährt, erfinde ich oder biege sie meiner Geschichte entsprechend zurecht.
Dass das hier nicht passiert ist, ist ja nicht nur ein Zeichen, dass nicht einmal stichprobenhafte Kontrollen durchgeführt wurden, sondern auch, dass Relotius das wusste oder zumindest zutreffend erraten hat.
@Mycroft 18
Das verstehe ich auch nicht. Vor allem, weil diese Prüfung im heutigen Internetzeitalter wirklich schnell geht.
Aber es geht ja noch weiter: spätestens die Leute, die ihn mit Preisen gekrönt haben, sollten das doch nochmal geprüft haben oder etwa nicht? Oder gab es in den Stücken, die ausgezeichnet wurden diese Fehler nicht?
Das interessiert mich auch brennend und ich hoffe, es gibt noch eine Antwort drauf. Ich meine, wenn man schon einen Monat nach Fergus Falls gurkt und sich vornimmt, eine „passende“ Geschichte zu erfinden, dann hat man doch vor Ort und mit Internetanschluss alle Zeit der Welt, zumindest die nachprüfbaren Fakten korrekt darzustellen oder sich eben in jedem schmutzigen Winkel die passenden Fakten und Bilder zusammenzusuchen, ohne vor sich hin zu lügen. Irgendwo gibt es sicher den gewünschten Stoßstangenaufkleber oder sonstewas, da muss ich doch gar nicht über das Ortsschild phantasieren. Wenn ich fälschen wollte, wäre es mir nun gerade ein Anliegen, solche Details hypergenau darzustellen … schon sehr komisch.
@16
Der Oberwitz daran, dass „WimS“ schon immer richtig hatte, was „Der Spiegel“ nun versemmelte:
„PRO BONO – CONTRA MALUM war das Motto von Welt im Spiegel, einer Kolumne der Zeitschrift pardon.“
(Quelle: Wikipedia)
Ich habe eine us-amerikanische Facebook Freundin (politisch aktiv), die ich über ein Hobby kennen gelernt hatte. Sie bat mich vor einiger Zeit darum einen österreichischen Artikel in dem sie zitiert wurde für sie zu übersetzen, da sie meinte sie wolle sicher gehen ob sie korrekt zitiert wurde, denn sie hätte vor einigen Jahren mit einer deutschen Zeitschrift so furchtbar schlechte Erfahrungen gemacht. Da seien lauter Zitate von ihr drin gelandet, die sie überhaupt gar nicht gesagt hätte. Da habe ich interessehalber nachgefragt welche Zeitschrift das denn gewesen sei und war überrascht als sie den Spiegel nannte. Es handelte sich dabei um diesen Artikel
http://www.spiegel.de/international/world/a-lesson-for-europe-american-muslims-strive-to-become-model-citizens-a-505573.html
Und die fraglichen Zitate sind die von „Hind Makki“ auf der 2. Seite:
http://www.spiegel.de/international/world/a-lesson-for-europe-american-muslims-strive-to-become-model-citizens-a-505573-2.html
Ich habe ihr das sofort geglaubt, denn da ich sie kenne ist es völlig absurd, dass sie diese Sätze geäußert hätte.
Ich frage mich allerdings was für Chancen man da überhaupt hat, dagegen vorzugehen. Sie hat es wohl auch einfach fallen lassen und unter schlechte Erfahrung verbucht.
@ Kerstin
Na, wenn es je eine Chance gab, gegen sowas vorzugehen, dann jetzt…
Komisch.
Ich kenne Niemanden; ich wiederhole „Niemanden“, der vom Fall Relotius überrascht ist.
Allerdings herrscht in meinem Bekanntenkreis seit Jahren auch ein einhelliges Übereinstimmen zu diesem Druckerzeugnis.
Relotius ist doch nur der Fisch, der das Wasser des Spiegel und ähnlich gepolter Propagandamaschinen zum Leben brauchte.
Ohne Spiegel kein Relotius.
Und wenn man diesen entfernt, bleibt das undemokratische, unehrliche und politisch links übereifernde Biotop für die nächsten wartenden Lügenfischlein zurück.
Ist doch egal, ob der nächste verzerrende Bericht von ihm oder anderen Protagonisten kommt.
Wir haben es hier nicht mit einem Defekt im System zu tun.
Wir haben den Defekt als System. Es ist die ganze Linie des Spiegels, der sich weder als Berichterstatter und Dienstleister, sondern als Besitzer der Deutungshoheit und der politisch einseitigen Agitation begreift.
Und das „Sturmgeschütz der Demokratie“………*hüstel*.
Da klammert man sich an einen einzelnen Fall vor einem halben Jahrhundert, bei dem der Spiegel nach außen den Rebell mimen konnte. Und der damals innerhalb des Unternehmens nicht einmal unumstritten war.
Wäre es die AfD, der man so etwas zugute halten müsste, käme nach der Spiegel-Terminologie sofort der berüchtigte „Einzelfall“, der nicht berücksichtigt zu werden braucht, zur Anwendung.
Der Spiralsturz in den Kiosk-Verkäufen hängt ganz sicher nicht allein am Internetverhalten der infrage kommenden Konsumenten.
Von daher alles im grünen Bereich.
@Gereon: Ah, gut, Sie wussten und wissen alles schon. Wie erklären Sie sich, dass Relotius auch im Wasser eines Magazins wie der „Weltwoche“ schwamm, die ganz sicher alles ist außer ein linkes Biotop?
@ #25 Gereon:
„politisch links übereifernde Biotop“
Der Spiegel ist alles andere als „links“. Der Spiegel ist vielmehr „progressiv Neoliberal“. Mehr über diesen Begriff erfahren sie bspw. hier: http://norberthaering.de/de/27-german/news/1075-fraser
Was wir als „links“ empfinden, muß man schon uns überlassen.
Es gibt kaum noch ein Druckerzeugnis in Deutschland, welches nach dem Duktus eines Menschen, der in den siebziger Jahren angefangen hat, sich politisch zu engagieren, nicht als links, radikal links, ultralinks oder linksextrem zu bezeichnen wäre.
Das ganze Spektrum hat sich erheblich nach links verschoben.
95% aller Teilnehmer bei Pegida z.B. wären aus der Sicht eines Berichterstatters aus den 70ern nicht einmal als konservativ bezeichnet worden, statt wie jetzt, gar als rechtradikal.
Heutigen Journalisten sind durch ihre eigene linke Sozialisation in den Journalistenschulen und Universitäten sämtliche Maßstäbe verlorengegangen.
Schon halblinks gilt da mittlerweile als rechtsextrem.
Ihr Einwand mit der „Weltwoche“, Herr Niggemeier, hätte man also höchstens zu Zeiten F.J. Strauß gelten lassen können.
Darüber hinaus hat Relotius, den ich nicht für dumm halte, durchaus bei der Abgabe von Berichten an seine Auftraggeber differenziert.
Der hat genau das geliefert, was die jeweiligen Empfänger haben wollten. Herz, Schmerz oder Nazis.
Auftragsproduktionen halt.
Das ist ja gerade das Verwerfliche an der ganzen Sache, die unter „Information“ getarnt gelaufen ist und von vielen in der Folge dann auch geglaubt wurde. Das hatte; das HAT System.
Daß Sie selbst den Unterschied nicht mehr merken, liegt an dem durch und durch linksdriftenden Biotop, in dem Sie sozialisiert worden sind, sich selbst bewegen und das Sie als Eichstrich für Ihr politisches Normalnull heranziehen.
Die Realität da draußen ist aber eine andere.
Und das ist doch auch das, was den Mainstreammedien vom Bürger vorgeworfen wird.
Das Bemessen und Bewerten politischer Geschehnisse unter dem eigenen, völlig aus der Mitte verschobenen Standpunkt.
Fernab jeder Realität.
Von der kriminellen Energie, das auch noch mit „Haltung“ anzureichern, wie bei „Spiegel“, „Focus“ oder „Stern“ an der Tagesordnung, ganz abgesehen.
Für so was hat die deutsche Sprache schon lange den Begriff „Propaganda“ im Gebrauch.
Die Durchdringung der Medien mit linkem Gedankengut hat sich somit als Phyrrussieg herausgestellt.
Jetzt ist zwar alles schön links, aber niemand da draußen „glaubt denen noch was“.
Und weil das so ist, können solche Medien in Bälde nur noch durch staatliche Bezuschussung überleben. Im „Kampf gegen rechts“, der eigentlich ein Kampf gegen die freie Meinung ist, wird das ja schon ganz offen angedacht und auch die Mittel großzügig bereitgestellt.
Bezahlte Kämpfer für das (Regierungs-)Gute, die jetzt auch in den politischen Foren einen passenden Namen gefunden haben: „Relotisten“.
Und ich bin sicher, daß Sie bald genau darüber werden berichten können.
Den Troll bitte nicht füttern!
#28
Aus Sicht eines Berichterstatters der 70er mag das alles als Links gelten. Funfact: gehen sie ein wenig weiter in die 40er zurück, da werden sie Berichterstatter finden, die sogar „Compact“ als Linksradikal empfinden würden.
Ihnen viel Spaß in Ihrem Weltbild, allen anderen Gratuliere ich dazu, weiter gekommen zu sein.
@Micha
„Links“ ist also „weiter gekommen“?
Nach dem krachenden Scheitern der nationalen sozialistischen Arbeiterpartei, der Stalinisten, der DDR und eigentlich allen linken Visionen?
Und wenn Sie glauben, man müsse in die 40er Jahre zurückgehen, um die heutige Situation schlecht finden zu können….woher nehmen Sie die Gewissheit, das ausgerechnet Ihre Sicht der Dinge der absolute Maßstab ist?
Fakt ist, daß der Spiegel ideologisch gelogen und propagandiert hat.
Läßt sich nicht wegdiskutieren.
Und daß Relotius nur eine Einzelperson eines ganzen Volkes von Gefälligkeitsdenunzianten ist, dessen Größe durch das Ausscheiden von Relotius faktisch nicht meßbar kleiner geworden ist.
Und das wird eben außerhalb der sehr engen Blase, in der sich Relotius, ähnlich wie Naturen einer Hayali, eines C.Kleber oder anderen „gibdumireinenpreisdannkriegstduaucheinenpreisvonmir“-Preisträger tummeln, bemerkt.
Nur in dieser Blase hält man sich für die ganze Welt.
@31
Die Welt ist weiter gekommen.
Sie bemühen die 70er. Die waren anders als die 40er.
Und heute ist es anders als in den 70ern. Zumindest für die meisten Menschen.
@ Gereon: Endlich habe ich ein geeignetes Thema für meine Dissertation gefunden: „Privatisierung des Gesundheitssystems und Zeitarbeit – wie Kommunisten die Gesellschaft umgestalten“. Danke!
Ich verstehe etwas nicht.
Es ist ja unbestritten, dass es Filterblasen gibt.
Jetzt wurde hier kritisiert, dass der Artikel quasi nur aufgrund einer linken Filterblase entstanden ist.
Vorher wurde als Einführung von der kritisierenden Person betont, dass es niemanden im Bekanntenkreis gibt, den der im Artikel behandelte Fall verwundert und in eben diesem Bekanntenkreis eh jeder den Spiegel auf eine ganz bestimmte Art einordnet.
Sprich, es wurde erklärt, dass man aus einer quasi absoluten Filterblase kommt, um dann dem Autor eine Filterblase vorzuwerfen.
Wenn man/er das also schon selbst zumindest faktisch erkannt hat, dass die Perspektive gar nicht ausreicht, um begründete Kritik üben zu können, warum kommt dann nicht die gedankliche Umsetzung und damit Hinterfragung der eigenen Perspektive, sondern dieses vehemente projizieren des eigenen Problems auf den Autor des Artikels?
Ist das wirklich reines Getrolle, wie schon in #29 angemerkt wurde oder ist das real existierendes Denken in gewissen Kreisen?
Wenn letzteres, dann muss ich gestehen, ich kann dieser Art zu denken nicht mehr folgen, selbst, wenn ich meine Perspektive wechsle und versuche, mich in die Person hinein zu versetzen.
Vielleicht kann mir da jemand helfen?
Es sind keine „gewissen Kreise“.
Es ist die Realität außerhalb dieser Blase hier.
Das schreiben in der dritten Person und das Diskreditieren des Gesprächspartners als Troll zeigt außer einer Scheißangst auch die Hilflosigkeit beim gerade erlebten Argumentationsverlust.
Ich kann jedenfalls keinerlei sachlichen Konter erkennen.
Ein großes Problem der linken Bewegung, der die Denker abhanden gekommen sind und die aufgrund des einstigen Images als Vordenker oder Reformer jede Menge intellektuellen Sondermüll und auch geistig völlig derangierte Personen ins Boot gelassen hat.
Eine Korrelation ist aber keine Kausalität; das Imitieren linker Verhaltensweisen führte demnach bei den betroffenen Personen auch nicht zu einer Intelligenzsteigerung.
Eigentlich profan, aber man muß wohl immer wieder darauf hinweisen.
Aber unter dem Strich sind die Kommentare unter den meinen dann auch der beste Beweis dafür, daß Relotius‘ Wirken kein Fehler im System, sondern allgemein befürworteter Denkstandard ist.
Auch hier.
Sonst hätte Herr Niggemeier wohl auch nicht anschließend diesen Artikel hier behandelt:
https://uebermedien.de/34075/schauergeschichten-ueber-wilde-bergvoelker-im-suedosten-europas/
sondern einen von denen, die das meistdiskutierte Thema in Deutschland, den „Flüchtlingen“, thematisiert.
Denn ob im Balkan Blutrache herrscht oder ein transsylvanischer Fürst als Wiedergänger auftaucht, interessiert in Chemnitz oder Duisburg keinen Menschen.
Es war damals bis heute eine schöne Schauergeschichte.
Aber man möchte trotz Relotius‘ Lügen nicht an die heilige Kuh der Linken, des „guten Flüchtlings“, rühren.
Von daher sehe ich in diesem Fall keinerlei Einsicht oder Besserung.
Weder beim Spiegel noch hier.
@ Micha #34
„Ist das wirklich reines Getrolle, wie schon in #29 angemerkt wurde oder ist das real existierendes Denken in gewissen Kreisen?“
Oh, das Denken ist echt. Trollerei ist das, was er schreibt, weil es hermetisch ist: Jeden Widerspruch, den Gedeon hier bekommt, wird er sofort als Bestätigung für seine These einordnen, wonach die etablierten Medien und Parteien (außer der AfD) von Linken unter Realitätsverlust beherrscht werden. Er fischt nicht nach Komplimenten sondern nach Abwehr, und haut deshalb steile Thesen heraus (der NS war links, Journalisten sind „ein Volk von Gefälligkeitsdenunzianten“, etc.).
Seine Behauptungen sind nicht besonders originell, eher neurechter Standard. Aus seiner Sicht sind sie aber kaum zu widerlegen, denn er argumentiert auf Basis einer petitio principii – einem Fehlschluss, bei dem das, was eigentlich zu beweisen ist, schon als Prämisse vorausgesetzt wird: Mainstream-Journalisten sind eine linke Lügenbande. Deshalb gilt ihm Relotius als pars pro toto, während er dutzende Artikel über kriminelle Flüchtlinge als Ausnahmen abtun kann, die seine Regel bestätigen. Ja, letztlich sieht er sich durch jeden Artikel bestätigt, in dem es nicht um Flüchtlinge geht: Wenn Lazarevic (nicht Niggemeier, wie fälschlich behauptet) über den Balkan schreibt, dann tue er das, um vom Flüchtlings-Thema abzulenken. Logisch.
Der Begriff „Filterblase“ trifft es nicht, denn Gedeon scheint die „große“ Öffentlichkeit ja durchaus zu rezipieren. Nur tut er das halt auf eine recht spezielle Art und Weise.
(So, und nun kann er antworten, dass nicht seine, sondern meine Wahrnehmung speziell sei, dass kein Mensch zwischen Flensburg und Berchtesgaden an den Quatsch noch glaube, den ich erzähle, und dass ich der lebende Beweis für eine degenerierte, in Panik um sich schlagende Linke sei – denn sonst hätte ich ihm ja rechtgegeben. Es ist müßig.)
Kleiner Nachtrag zu dem Balkan-Artikel: Er passt Gedeon natürlich auch deshalb nicht in den Kram, weil er seinem Relotius-Bild zuwiderläuft. Lazarevic zeigt, dass sich Relotius bei seinen Reportagen weniger von linken Klischees leiten ließ, als von allgemeinen Klischees – Kriegskinder-Klischees über den Nahen Osten, Redneck-Klischess über die USA und Blutrache-Klischees über den Balkan. Gerade seine Albanien-Geschichte scheint vor Zerrbildern über das wilde Südost-Europa nur so zu strotzen.
Was macht Gedeon? Er erklärt diese Sorte von Relotius‘ Lügen für irrelevant, da sie – wie ein Vampir-Roman – in „Chemnitz oder Duisburg keinen Menschen“ interessiere. Das ist a) ein bloße Behauptung, zeichnet b) ein ziemlich hinterwäldlerisches Bild, dass ich als Chemnitzer oder Duisburger nicht auf mir sitzen lassen würde und geht c) an der Sache (die Untersuchung der Methode Relotius) vorbei. Es ist aber notwendig, um die eigene Interpretation von Claas R. als dem ertappten linken Volksverräter aufrecht zu erhalten.
@KRITISCHER KRITIKER
Ja, dass die Argumentation von ihm insgesamt nicht schlüssig ist, dass sieht man ja auf den ersten Blick.
Ich fand es aber besonders Bemerkenswert, dass er ja selbst weiß, dass er eben nur die eine Sichtweise kennt und erlebt.
Das es ihm wichtig war, extra darauf hin zu weisen, im Grunde nur in dieser Filterblase zu leben.
Als Einstieg in seine Argumentation und mit einer Wiederholung verstärkt.
Es ist so, als würde ich schreiben, dass ich keine Ahnung von Physik habe, mir die Aussagen Einsteins über die Relativität von Raum und Zeit aber als Falsch erscheinen und ich mich dadurch bestätige, dass mein Umfeld ebenfalls sagt, es hat sich nie für Physik interessiert und versteht auch nicht, was Einstein da aussagen will, weswegen es irgendwie nicht richtig sein kann.
Die Offenbarung eines Defizites zur Meinungsbildung als Verstärkung der Meinung finde ich halt irgendwie besonders merkwürdig und das ist mir auf diese Art und Weise noch nicht untergekommen.
Obwohl ich natürlich viele Aussagen und Meinungen wie die seine kenne. Aus dem Bekanntenkreis und Netz. Wie die meisten Menschen lebe ich halt nicht in so einer abgeschirmten Welt und kenne die Meinung natürlich. Nur eben nicht die einführende „Begründung“, dass man eigentlich nichts dazu sagen kann, sowas ist mir neu.
@ Micha:
Wo sagt er denn, dass er nichts dazu sagen könne? Er meint doch, alles über den Spiegel (und den Stern und den Focus und die Weltwoche und und und) zu wissen. Der Witz an der petitio principii ist, dass sie Allgemeingültigkeit beansprucht („Fakt ist“, „kann man nicht wegdiskutieren“, etc.). Wer mit ihr operiert, meint immer, für alle zu sprechen – und wer ihm widerspricht, ist entweder dumm oder böse, weil er die Wahrheit leugnet. Schöner Text dazu hier:
https://www.hoheluft-magazin.de/2015/10/na-logisch-der-dogmatische-fehlschluss/
Wie sinnlos es ist, mit Gereon zu debattieren, zeigt auch sein Umgang mit dem Begriff „Links“: Einerseits scheint er ganz genaue Kritierien zu haben, denn er unterscheidet in „linksextrem“, „ultralinks“, „radikal links“, „links“ und „halblinks“ als hätte er eine Art Celsius-Skala zur Gesinnungsmessung erfunden. Dann aber heißt es „Was wir (!) als ‚links‘ empfinden (!), muss man schon uns (!) überlassen.“ Also ein Gruppengefühl, dass gleichzeitig begriffliche Exaktheit behauptet. Na ja…
@KRITISCHER KRITIKER
Gemeint war, dass er von sich selbst sagt, er lebt in seiner Blase und kennt nur Sichtweisen aus seiner Blase bezüglich des Spiegels.
Für mich bedeutet das, dass man dann zu einer Sache nichts sagen kann, wenn man nicht alle Aspekte betrachtet und kennt.
Reicht jetzt aber auch zu ihm. ;-)
Nun ja, die politische Richtung des Spiegels ist doch ausreichend bekannt. Eine entsprechende Reportage hat Herr Relotius geliefert. Deswegen und nur deswegen ist es wohl niemanden „aufgefallen“.
Kein Kommentator lebt in einer Blase. Es sind immer die anderen.
Und jetzt direkt aus meiner Blase heraus etwas zu Herrn Relotius:
Er konnte also Artikel schreiben sowohl für eher linke als auch für eher rechte Publikationen. Er fand heraus, dass seine Beiträge durch Übertreibungen und Erfindungen besser zu verkaufen waren.
Schließlich landete er in Festanstellung beim „Spiegel“, einem der beliebtesten Arbeitgeber für Journalisten. Wäre er bei der „Weltwoche“ genommen wurden, hätte er tolle Geschichten über „böse“ Flüchtlinge bzw. Asylanten erfunden, beim „Spiegel“ über „gute“ Flüchtlinge bzw. Geflüchtete.
Niemand aber scheint zu wissen, welche politische Einstellung Herr Relotius wirklich hat oder hatte.
Die Argumentation, dass es in Ordnung sei, „irrelevante“ Details einer Story zu verfälschen, damit sie sich besser „liest“ (siehe: Wetter am Ort des Ereignisses), ist mir in meiner Zeit als Journalistin unter Kollegen leider durchaus begegnet – gerne begleitet durch die Phrase „Die Leser wollen es doch so!!“. Völlig außer acht gelassen wird dabei die Erkenntnis, dass „kleiner“ Betrug durchaus auf großen Betrug hindeuten kann, und auf die Präsenz von pathologischen Lügnern.
Natürlich gibt es, wie hier schon erwähnt, nicht überall eine professionell organisierte Dokumentation wie beim „Spiegel“. Vielleicht werden wir nie erfahren, wie es in diesem Fall offenbar gelang, diese zu umgehen bzw. mundtot zu machen.
Es wäre aber interessant, sich einmal anzuschauen, welche Maßnahmen Unternehmen anderer Branchen treffen, um Betrug durch eigene Mitarbeiter zu verhindern (insbesondere wenn es um größere Geldsummen geht), und diese mit den Praktiken im Journalismus zu vergleichen.
@38
„Es ist so, als würde ich schreiben, dass ich keine Ahnung von Physik habe, mir die Aussagen Einsteins über die Relativität von Raum und Zeit aber als Falsch erscheinen und ich mich dadurch bestätige, dass mein Umfeld ebenfalls sagt, es hat sich nie für Physik interessiert und versteht auch nicht, was Einstein da aussagen will, weswegen es irgendwie nicht richtig sein kann.“
Leider ist das keine übertriebene Phantasie, sondern das passiert tatsächlich immer wieder. Ich lese auf Wissenschaftsseiten, wie Menschen immer wieder in den Kommentaren versuchen, die Erkenntnisse von Albert Einstein zu widerlegen.
Und schaut man mal gezielt auf Webseiten von Esoterikern, so findet man dort auch immer wieder Erklärungen dazu, warum die ganze Relativitätstheorie falsch sein müsse. Wenn man die Erklärungen liest und die Links verfolgt, landet man mit großer Wahrscheinlichkeit irgendwann bei Antisemitismus – die bloße Tatsache, daß Albert Einstein Jude war und damit in den Augen mancher Menschen „undeutsch“, fürt zu der Schlußfolgerung, daß seine Erkentnisse ja alle gar nicht stimmen könnten.
Dies wird leider auch dadurch gefördert, daß Albert Einstein immer wieder als das einsame Ausnahmetalent dargestellt wird, das sich im stillen Kämmerlein bahnbrechende Erkenntnisse ausgedacht hätte. Mit dieser Sichtweise begründen dann Menschen, daß das ja alles gar nicht stimmen könnte, sondern daß ihm nur einfach alle geglaubt hätten, weil seine Theorien geschickt formuliert gewesen seien und sie niemand verstanden habe. Und andere wiederum begründen ihre privaten Alternativtheorien mit Sätzen wie „Albert Einstein haben auch erst alle ausgelacht“. Man möchte laut aufschreien! Albert Einstein war ein Eremit, der im stillen Kämmerlein abgeschieden philosopiert hat, und der von anderen ausgelacht wurde. Sondern er hat im regen Austausch mit anderen Physikern seiner Zeit seine Überlegungen zusammengetragen.
Aber ich habe mich ja über die merkwürdige Darstellung Albert Einsteins schon im Rahmen des Adventskalenders aufgeregt :-)
https://uebermedien.de/33306/der-grosse-symbolbild-adventskalender/#comment-90728
„Leider ist das keine übertriebene Phantasie, sondern das passiert tatsächlich immer wieder. Ich lese auf Wissenschaftsseiten, wie Menschen immer wieder in den Kommentaren versuchen, die Erkenntnisse von Albert Einstein zu widerlegen.“
Das kenne ich auch zur Genüge.
Zum Beispiel auf ScienceBlogs kommt es immer wieder vor, dass da Menschen meinen, sie haben Lücken in der Argumentation entdeckt und erklären Einstein damit für Widerlegt.
Allerdings sind das Menschen, die sich durchaus mit Physik beschäftigen.
Nur dann irgendwo Falsch abbiegen.
Hier ist es ja so, dass direkt damit eingestiegen wird, zu sagen, man kenne niemanden, der je was anderes dachte als dass die Medien eh nur Quatsch verbreiten.
Also direkt kund tun, in einer Blase zu Leben.
Was das Ganze um so merkwürdiger macht.
Zum Thema Einstein: natürlich hat er sich ausgetauscht, natürlich hat er sich auch gerade in Sachen Mathematik, wo er eben nicht so bewandert ist, Hilfe geholt. Natürlich baut seine Arbeit auf den Erkenntnissen anderer auf. Und natürlich hat er auch Fehler gemacht.
Aber dennoch, so, wie ich die Geschichte (die reale, nicht ausgedachte) um ihn herum verstehe, hat er Einzigartiges geleistet und zwar durchaus im Sinne eines Eremiten, der im stillen Kämmerlein neue Gedanken hatte, die er im Kopf in physikalische Gesetze umgewandelt hat, die revolutionär waren.
Aber das ist OT.
Ihre Brücke zum Thema zurück kann ich aber auch bestätigen, dass Einstein und natürlich noch mehr Galilei von „Querdenkern“ gerne missbraucht werden, um die eigene Blase/Meinung zu schützen.
Deshalb hatte ich Gereon unter einem anderen Artikel auch gefragt, wo er denn seine Infos herbekommt, wenn er denn alle etablierten Medien als unseriös betrachtet.
Es ist noch schlimmer. Ich habe vor Jahren einen befreundeten „Spiegel“-Dokumentar gefragt, wieso es trotz der Dokumentation so viele Fehler in den Artikeln gibt. Mir fiel das bei den Artikeln auf, mit deren Inhalt ich mich zufällig selbst etwas auskannte. Er hat mir erzählt, dass die Redaktion sich die Freiheit nimmt, auf Einwände der Dokumentare einzugehen oder eben nicht. Im Klartext: der „Spiegel“ druckt bisweilen auch Behauptungen, die bei der Dokumentation durchgefallen sind!