„Nürnberger Nachrichten“

Wenn die Lokalzeitung den OB-Kandidaten beim Buchprojekt unterstützt

Der Nürnberger SPD-Politiker und Oberbürgermeister-Kandidat Nasser Ahmed hat ein Buch veröffentlicht – im Verlag der „Nürnberger Nachrichten“, lektoriert vom Chefpublizisten des Blatts. Ein Fall von fragwürdiger Nähe zwischen Lokalpolitik und Lokaljournalismus.

In Nürnberg steht im kommenden Frühjahr die Wahl des Oberbürgermeisters an. Möglich, dass der CSU-Politiker Marcus König nach seinem Sieg im Jahr 2020 weitere sechs Jahre im Amt bleibt. Aber ebenso denkbar ist, dass sein Herausforderer Nasser Ahmed das Rathaus für die SPD zurückerobert. Schließlich galt Nürnberg immer als – wie es in Medien oft so schön heißt – „Hochburg“ der Sozialdemokraten.

Alle Bürgerinnen und Bürger, die sich näher für den Kandidaten der SPD interessieren, können seit vergangener Woche auf knapp 230 Seiten dessen Lebensgeschichte nachlesen. Im Buch mit dem etwas sentimentalen Titel „Und dennoch stehe ich hier – Warum ich Nürnberg liebe“ erzählt Ahmed von seinem bemerkenswerten Werdegang – vom Sohn eritreischer Einwanderer zum bayerischen Spitzenpolitiker. Vom, wie Ahmed selbst schreibt, „schüchternen Jungen aus [dem Stadtteil, Anm.] Gleißhammer zum ersten schwarzen Stadtrat und Oberbürgermeister-Kandidaten, den Nürnberg je hatte“. Ahmed ist seit elf Jahren Nürnberger Stadtrat, seit 2021 Vorsitzender der SPD Nürnberg und seit 2023 stellvertretender Generalsekretär der BayernSPD.

Nasser Ahmeds neues Buch: "Und dennoch stehe ich hier"
Screenshot: Verlag Nürnberger Presse / Montage: Ü

Dass das Buch nun, rund neun Monate vor der Kommunalwahl, erscheint, kann als Teil von Ahmeds Wahlkampf verstanden werden – zumindest als Imagepflege im Vorfeld der Wahl. Fragwürdig ist deshalb die Tatsache, dass das Werk im Verlag Nürnberger Presse erscheint – also dem Verlag, der die „Nürnberger Nachrichten“ (NN) und die „Nürnberger Zeitung“, die kleinere Schwester der NN, herausgibt. Beide Zeitungen werden seit 2019 von einer gemeinsamen „Zentralredaktion“ produziert.

Warum sollten für Lokaljournalismus andere Regeln gelten?

Und weil so ein Manuskript eines Politikers an der einen oder anderen Stelle noch ein bisschen sprachlichen Schliff braucht, hat Nasser Ahmed auch einen namhaften Lektor an seiner Seite: Alexander Jungkunz, der bis 2022 Chefredakteur der NN war und sich nach einer Verkleinerung der Chefredaktion nun Chefpublizist der NN nennt.

Der NN-Chefpublizist fungiert als Lektor des OB-Kandidaten der Nürnberger SPD – und schreibt also als Lokaljournalist mit herausragender Position mehr oder weniger direkt an dessen Bild in der Öffentlichkeit mit? Angenommen, „Zeit“-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo oder ein anderer bekannter Journalist oder eine Journalistin eines bundesweiten Mediums hätte Friedrich Merz vor der Bundestagswahl bei einem Buchprojekt unterstützt – würde man da nicht sagen: Das geht nicht! Das ist viel zu nah!

Warum sollte das im Lokaljournalismus anders sein? Weil man sich dort ohnehin kennt? Weil man dort sowieso eng miteinander ist?

Der Verlag Nürnberger Presse und SPD-Politiker Nasser Ahmed gehen mit ihrem gemeinsamen Projekt offen um. Bei einem „NN-Talk“ wurde das Buch am vergangenen Mittwochabend in Nürnberg vorgestellt, moderiert von einer NN-Redakteurin. Und Ahmed dankt dem Verlag in seinem Buch ausdrücklich. Er schreibt:

„Das Buch handelt von Chancen, die ich in Nürnberg bekommen habe. Durch dieses Buch habe ich eine weitere Chance erhalten – und zwar vom Verlag Nürnberger Presse. Ich danke den Verlegerinnen Sabine Schnell-Pleyer und Bärbel Schnell sowie dem Chefredakteur Michael Husarek und meinem Lektor und dem Chefpublizisten Alexander Jungkunz sowie dem ganzen Team des Verlags. Sie haben zu einem frühen Zeitpunkt an dieses Buchprojekt und die Botschaft dahinter geglaubt und sie unterstützt. Ich bin sehr froh, dass dieses traditionsreiche Nürnberger Medienhaus sich der Förderung von Demokratie und Menschenrechten verschrieben hat – und das auch lebt.“

Das klingt nicht danach, als hätte Nasser Ahmed eines Tages vor dem Nürnberger Verlagshaus gestanden und nur noch jemanden gesucht, der die Rechtschreibfehler korrigiert und das Buch druckt. Das klingt nach einem gemeinsamen Projekt, nach gemeinsamen Zielen. Und für den ein oder anderen Leser vielleicht auch ein bisschen danach, als wäre es den NN nicht unrecht, wenn in Nürnberg bald wieder die SPD regiert.

Das ist auch nicht ganz abwegig – die NN gelten traditionell als eher SPD-nahes Blatt, die „Nürnberger Zeitung“ hingegen als konservativer. Dass Zeitungen unterschiedliche politische Ausrichtungen haben, ist üblich. Das bedeutet aber nicht, dass ein Medium eine Partei oder einen bestimmten Politiker direkt unterstützt.

„Der Demokratie verpflichtet“

Auf Anfrage von Übermedien, warum der Verlag sich dafür entschieden habe, das Buch des SPD-Politikers zu veröffentlichen, schreibt Alexander Jungkunz, dass Ahmeds „Biografie zum einen die bemerkenswerte Integration eines Kindes/Heranwachsenden“ zeige, „der aus einer nach Nürnberg eingewanderten Migrantenfamilie stammt“, und zum anderen auch „ein Stück Nürnberger Stadtentwicklung“ widerspiegele. Auch Jungkunz betont, die Förderung von Demokratie und Menschenrechten sei „eines der obersten Prinzipien“ seines Hauses und: „ein Leitstrahl unseres Handelns“. Zudem passe die im Untertitel genannte „Liebe zu Nürnberg“ zur Einstellung des Medienhauses.

Dass sich ein Medium der Stadt, über die es berichtet, in erster Linie nicht liebevoll, sondern vor allem interessiert, wach und kritisch nähern sollte, sei hier nur am Rande erwähnt. Dass sich ein Medienhaus Demokratie und Menschenrechten verpflichtet fühlt, klingt aber ja zunächst mal gut. Doch gehört zu demokratischen Prinzipien auch, dass Journalisten und Politiker eine gewisse Distanz wahren – damit Berichterstattung unabhängig und kritisch bleiben kann.

Durch eine solche Zusammenarbeit zwischen Autor und Lektor entsteht zwangsläufig Nähe. Nähe, die dazu führen kann, dass man künftig wohlwollender berichtet. Und selbst wenn das nicht der Fall ist: Für Außenstehende kann zumindest der Eindruck entstehen, dass Medien und Politik gemeinsame Sache machen. In Zeiten, in denen die Nähe von Politik und Journalismus immer wieder Thema ist und Misstrauen darüber herrscht, sollte man genau das vermeiden. Auch im Lokaljournalismus.

Jungkunz sieht jedoch keinen Interessenkonflikt in seiner Doppelrolle als Lektor des SPD-Politikers und Chefpublizist: „Ich schreibe nicht über Kommunalpolitik in Nürnberg, auch nicht über den Kommunalwahlkampf. Das machen andere KollegInnen. Das wird auch so bleiben. (…) Meine Unabhängigkeit war und bleibt daher gewahrt.“

Falls Sie sich schon gefragt haben, was ein Chefpublizist eigentlich macht: „Er schreibt vor allem Meinungsbeiträge und Analysen, führt Interviews und kümmert sich um Serien oder Veranstaltungen.“ So steht es auf der Autorenseite von Alexander Jungkunz. Dort wird auch deutlich, wie produktiv der Chefpublizist ist – es vergeht kaum ein Tag, an dem er nicht die aktuelle politische (Welt-)Lage kommentiert oder Politiker und Prominente interviewt. Er prägt mit seinen Beiträgen zweifellos das Blatt und steht als Person für die Zeitung.

Und man kommt als NN-Chefpublizist offenbar nicht ganz an den kommunalen Parteien und ihren Akteuren vorbei. So schrieb Jungkunz vergangenes Jahr beispielsweise über Nasser Ahmeds Aufenthalt in den USA. Er berichtete über den „Europaempfang“ der Nürnberger SPD vor der Europawahl und, im Vorfeld der Bundestagswahl, über eine Konferenz der Nürnberger SPD, bei der der damalige Generalsekretär Matthias Miersch zu Gast war.

Auch wenn es dabei nicht um Stadtratsbeschlüsse oder Kommunalpolitik im engeren Sinne ging: Es gibt auch in Jungkunz‘ Berichterstattung Berührungspunkte zwischen ihm als Journalist und Ahmed als Chef der Nürnberger SPD. Und es ist nicht auszuschließen, dass es sie auch in Zukunft geben wird.

Screenshot des Berichts über "NN-Talk" mit Nasser Ahmed
Screenshot: nn.de

Am vergangenen Mittwoch wurde das Buch der Öffentlichkeit vorgestellt – präsentiert von den „Nürnberger Nachrichten“. In seinem „Newsletter aus der Chefredaktion“ lieferte Alexander Jungkunz am Freitag dann einen kurzen, wohlwollenden Bericht zu dem „NN-Talk“. Welche Rolle er selbst bei dem Projekt hatte, erfährt man als Leserin dort nicht. Dafür erfährt man aber, wo man das Buch bestellen kann.

Der etwas längere Nachbericht von NN-Redakteur Hans Böller erwähnt immerhin, dass das Buch im eigenen Verlag erscheint. Dass der Chefpublizist daran mitgewirkt hat, lässt aber auch er weg. Was vermutlich nicht mal daran liegt, dass die NN das geheimhalten wollen. Sie finden es ja nicht mal problematisch. Aber wäre es nicht das Mindeste, das transparent zu machen? Und womöglich sogar den Lesern zu erklären, weshalb der Verlag das Buch des SPD-Kandidaten verlegt?

Nasser Ahmed jedenfalls freute sich am Freitag auf Instagram, dass es die Vorschau zum Bericht über die Buchvorstellung auf die Titelseite der NN geschafft hat. Mit Foto! Das ist doch schon mal gute Werbung.

Bisher eher unpolitische Titel

Das Buch von Nasser Ahmed ist das erste Buchprojekt eines Politikers, das im Verlag Nürnberger Presse erscheint. Bisher veröffentlichte das Haus eher unpolitische Titel – etwa einen Wanderführer zu den „schönsten Brauereien“, Regionalkrimis wie „Scheunen-Schätzla – Oma Gerdas erster Fall“ (das fränkische Pendant zu Miss Marple) oder Kolumnen-Sammlungen von NN-Autorinnen und -Autoren.

Jungkunz schreibt auf Anfrage von Übermedien: „Sollte es ähnlich anregende Publikationen anderer Politiker aus der Region Nürnberg geben, würden wir darüber im Einzelfall entscheiden. Und dabei sicherlich Politiker aller demokratischen Parteien gleich behandeln.“ Mit Parteipolitik habe die Entscheidung, die Geschichte von Nasser Ahmeds außergewöhnlichem Lebensweg zu verlegen, nichts zu tun.

Dass Nasser Ahmed einen außergewöhnlichen Lebensweg hat, der es wert ist, erzählt zu werden, steht außer Zweifel. Das hätte womöglich auch ein anderer Buchverlag so gesehen. Der hätte aber nicht, wie der Verlag Nürnberger Presse, die Glaubwürdigkeit als unabhängige Zeitung aufs Spiel gesetzt.

4 Kommentare

  1. Regionalkrimis wie „Scheunen-Schätzla – Oma Gerdas erster Fall“ (das fränkische Pendant zu Miss Marple)

    Habe mir die Leseprobe zu Gemüte geführt. Ich glaube, ich bleibe beim britischen Original.

  2. Das sind die Verwerfungen der Demokratie; es ist ganz nachvollziehbar, dass die NN oder spezifische Leute den OB supporten. Es ist sogar denkbar, dass all das wirklich ohne Ansicht der Partei und Politik passiert.

    Aber für vertrauenswürdige Arbeit sollte man eben auch den Anschein vermeiden, denn hinter dem Anschein verbergen sich auch die Unehrlichen. Und dann muss man sein Buch eben trotzdem in Dresden oder sonstwo herausbringen.

    Leider agieren Menschen in Machtpositionen oft nicht so reflektiert, sondern im Brustton der Überzeugung, selbst nichts verbrochen zu haben und ohne Tadel zu sein. Die Vorstellung, dass man manche Dinge eben einfach nicht macht, die gilt nicht mehr.

  3. Der Artikel blendet leider vollkommen aus, dass der VNP doch viel mehr von der Publikation profitiert hat als der Autor. Der hätte es sicher auch in einem anderen sogar renommierteren Verlag veröffentlichen können. Aber es ist gut, dass es im VNP erschienen ist, weil es eben auch eine tolle Erzählung vor dem Hintergrund der Nürnberger Geschichte und Gegenwart ist. Ich jedenfalls hätte kein Verständnis gehabt, wenn man sich eine solche Gelegenheit entgehen lassen hätte. Und dass der VNP für ein solches Projekt auch alles tut, dass es gelingt, erscheint mir eine professionelle Selbstverständlichkeit.
    Allein ärgerlich fände ich es, wenn der VNP anderen demokratischen Politikern nicht gleichermaßen offen, interessiert und unterstützend begegnen würde. Das zu fürchten, habe ich allerdings keinen Anlass.

    ps. Aus Gründen der Transparenz : ich war in die Entstehung des Buches eingebunden und bin Kandidat der spd für den Nürnberger Stadtrat.

  4. Es wäre sicherlich wünschenswert, hätte es hier mehr Transparenz über die Hintergründe der Entstehung des Buches gegeben. So richtig verwerflich kann ich das Projekt nach der Lektüre des Artikels aber nicht finden (dasselbe würde ich bei Politikern aus CDU, Grünen oder der fdp schreiben).

Einen Kommentar schreiben

Mit dem Absenden stimmen Sie zu, dass Ihre Angaben gemäß unseren Datenschutzhinweisen gespeichert werden. Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.