Heikle Seitenwechsel

Wenn Journalisten Regierungssprecher werden, befeuern sie einen pauschalen Verdacht

Die „Spiegel“-Redakteurin Christiane Hoffmann, der frühere „Spiegel“-Chefredakteur Wolfgang Büchner und der „taz“-Redakteur Ulrich Schulte arbeiten künftig als Pressesprecher:innen für die Bundesregierung. Andere ehemalige Journalist:innen tun das schon länger. Ist das ein Problem?


Es sind nur Randnotizen aus Berlin: Einige Kolleginnen und Kollegen der Hauptstadtpresse wechseln den Arbeitgeber. Sie arbeiten nun für die Regierung. So what? Wenn Sie jetzt eine einfache Antwort erwarten – klicken Sie am besten weiter.

Zwei Bemerkungen vorneweg: In Artikel 12 des Grundgesetzes heißt es, dass alle Deutschen das Recht haben, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen. Das gilt auch für Journalist:innen, natürlich. Aber es ist andererseits auch so: Diejenigen, die bei jeder Gelegenheit brüllen, dass Presse und Politik unter einer Decke stecken, erhalten gerade neue Nahrung. Von der AfD ist diesbezüglich übrigens nicht viel zu hören. Was wohl daran liegt, dass auch dort ehemalige Journalisten als Sprecher tätig sind. Macht es das besser?

Nähe und Distanz

Über Generationen haben sich Journalist:innen den Ruf erschrieben, ja: erkämpft, nach Exekutive, Legislative und Jurisdiktion die vierte Gewalt im Staat zu sein. Vor allem, weil sie sich als Kontrollinstanz verstehen und über die, die Macht haben, nicht nur berichten, sondern sie kritisieren und Machtmissbrauch aufdecken. Ja, Journalist:innen müssen die Nähe zur Politik und Wirtschaft suchen, um Personen und Vorgänge zu verstehen, um Informationen zu erhalten. Aber sie müssen ebenso Distanz wahren, um Beißhemmungen zu vermeiden. Politikjournalist:innen sollten daher nicht in der Partei sein, über die sie berichten; Wirtschaftsjournalist:innen sollten keine Aktien des Unternehmens besitzen, über das sie berichten, und Sportjournalist:innen sollten nicht Mitglied des Vereins sein, über den sie berichten.

Die Welten des Journalismus und der Politik müssen – gerade beim Wechselspiel von Nähe und Distanz – stets durch eine rote Linie getrennt sein. Übertreten verboten!

Aber der Übertritt hat eine lange Tradition. Die Regierung Brandt lockte den stellvertretenden Chefredakteur des „Spiegel“, Conrad Ahlers, auf die andere Seite, Helmut Schmidt den Intendanten von Radio Bremen, Klaus Bölling. Helmut Kohl machte den früheren „Bild am Sonntag“- und „Welt“-Chefredakteur Peter Boenisch zu seinem Sprecher, Gerhard Schröder Uwe-Karsten Heye, der zuvor für ARD und ZDF gearbeitet hatte.

Sogar zwei Ikonen des unabhängigen Journalismus waren durchaus bereit, über die rote Trennungslinie zu treten. Der Investigativreporter Seymour Hersh diente 1968 dem demokratischen Senator Eugene McCarthy bei dessen Bewerbung für eine Präsidentschaftskandidatur als Pressesprecher. Und sogar „Tagesthemen“-Moderator Hanns Joachim Friedrichs dachte 1990 darüber nach, als Sprecher in die Regierung eines möglichen SPD-Kanzlers Oskar Lafontaine einzutreten.

Macht und Verdacht

Es gibt gute Gründe für Regierungen, Journalist:innen als Sprecher zu engagieren. Sie profitieren von ihren Kontakten und von ihrer Glaubwürdigkeit. Und auch für Journalist:innen gibt es, damals wie heute, gute Gründe, die Seiten zu wechseln. Bei den genannten Fällen wird Geld wohl nicht das Motiv gewesen sein, vermutlich hat die gestandenen Journalisten die pure Neugier getrieben: Wie mag es wohl auf der anderen Seite zugehen? Vielleicht war es auch Bedeutungsgewinn; die Aussicht, nach Jahren der Kritik an Machthabern selbst ein wenig zu den Machthabern zu gehören.

Bei weniger prominenten Fällen – etwa beim Wechsel in Landesregierungen, in untergeordnete Behörden oder Unternehmen – kommen noch andere Motive hinzu: Die wirtschaftliche Schwäche etwa von Regionalverlagen treibt vor allem freie Journalist:innen in krisenfestere Arbeitsverhältnisse. Wirtschaftlich abgesicherte Kolleginnen und Kollegen sollten sich hüten, verächtlich auf Seitenwechsler aus Not herunterzublicken.

Doch Kolleg:innen, die die Seiten wechseln, setzen sich schnell einem Verdacht aus: Dass sie sich mit einer absichtsvoll freundlichen Berichterstattung einer Partei oder einem Unternehmen angedient haben. Oder dass sie so unbequem berichtet haben, dass ihr neuer Arbeitgeber ihre kritische Stimme ausschalten wollte. Und dass sie das zuließen. Die aktuellen Seitenwechsler in der Ampelregierung sind über jeden Zweifel erhaben. Dazu haben sie bis in die jüngste Vergangenheit hinein genügend eindrucksvolle Beispiele geliefert. Aber der pauschale Verdacht tut dem Journalismus nicht gut.

Außenwirkung und Kontrolle

In früheren Epochen blieb eine Fundamentalkritik an den Seitenwechseln meistens aus. Dass für alle Regierungen von Brandt bis Merkel ehemalige Journalist:innen sprachen, daran hatte sich das Publikum gewöhnt. Aber vielleicht war die Ruhe auch trügerisch. Wie hätten die Deutschen ihren Unmut über Seitenwechsler in den Brandt/Schmidt/Kohl-Jahren denn äußern können? Und selbst in der Anfangszeit der Kanzlerschaft von Angela Merkel waren die Artikulationsmöglichkeiten arg begrenzt. Als Twitter gegründet wurde, war Angela Merkel schon ein Jahr lang im Amt.

Es liegt nicht nur an sozialen Medien, aber das Geschrei von der „Lügenpresse“, der „Systempresse“ und entsprechenden Verschwörungstheorien ist in den vergangenen Jahren lauter geworden – oft unerträglich, aber unüberhörbar. Das Geschrei hat auch dazu geführt, dass Redaktionen sich viel stärker hinterfragen. Ist vielleicht doch etwas dran an der Kritik? Sind sich Medien und Politik zu nahe gekommen?

Heute müssen wir Journalist:innen mehr als frühere Generationen auf unsere Außenwirkung achten. Weil wir nun selbst kontrolliert werden. Und deshalb sollten sich alle, die über einen Seitenwechsel nachdenken, darüber klar sein, wie ihr Schritt über die rote Linie von außen wahrgenommen wird. Und auch, ob ein Schritt zurück eines Tages möglich sein wird – oder nicht.

Sündenfälle

In diesem Zusammenhang sind die Geschichten von Ulrich Wilhelm, Rolf Kleine und Steffen Seibert interessant. In den achtziger Jahren arbeitete Ulrich Wilhelm als freier Journalist für den Bayerischen Rundfunk, er wechselte in den Staatsdienst, wurde erst Pressesprecher von Ministerpräsident Stoiber, dann von Kanzlerin Merkel. Nachdem er im Jahr 2010 sein Regierungsamt aufgab, wurde er Intendant des Bayerischen Rundfunks.

Ich habe Ulrich Wilhelm als Sprecher geschätzt, mich aber gewundert, dass sein Wechsel von der Regierung an die Spitze einer öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt nur ein wenig Grummeln auslöste und keinen lautstarken Protest. Für viele, die Wert auf die im Grundgesetz vorgeschriebene Staatsferne und Unabhängigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks legen, war Wilhelms Wechsel ein Sündenfall. Damals ging das noch.

Drei Jahre später engagierte der unter Druck geratene SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück den früheren „Bild“-Redakteur Rolf Kleine als Sprecher. Bei der Arbeit für eine Dokumentation über Steinbrücks Wahlkampf hatte ich viel mit ihm zu tun. Nur wenige Monate nach Steinbrücks Wahlniederlage wechselte Kleine erneut. Wohin? Genau, zur „Bild“. Jetzt traf ich Kleine wieder als Teil der Hauptstadtpresse, der über Steinbrücks ehemalige Rivalin Merkel berichtete. Auch dieses Hin- und Her-Tänzeln auf der roten Linie stärkte nicht gerade den Ruf der Medien als Kontrollinstanz der Mächtigen. Nur ein paar Insider regten sich auf.

Und Steffen Seibert? Die Älteren erinnern sich noch an ihn als Moderator der ZDF-Nachrichten. Seibert hatte, als er 2010 Regierungssprecher wurde, mit dem ZDF ein „allgemeines Rückkehrrecht“ vereinbart. Aber nach dem Ende von Merkels Kanzlerschaft ist seine Rückkehr zum Sender als Nachrichtenmoderator oder Chefredakteur kaum vorstellbar. Die Toleranz der Öffentlichkeit hat sich während seiner elfjährigen Amtszeit verändert. Das weiß das ZDF, das weiß auch Steffen Seibert. Deshalb wird Merkels Sprecher nicht zum ZDF zurückkehren. Und das ist gut so.

Problematisches Rückkehrrecht

Eine Lehre lässt sich aus all diesen Fällen ziehen: Um bei künftigen Seitenwechseln den Verdacht auf unlautere Motive und parteiische Berichterstattung zu verringern, sollte in Arbeitsverträgen von Journalist:innen kein Rückkehrrecht nach einem Wechsel in die Politik mehr aufgenommen werden. Wer als Journalist:in einmal in der Politik war, sollte anschließend nicht in alter Position über seine ehemaligen Kolleg:innen und Chef:innen oder deren Konkurrenten berichten.

Mehr Regeln werden arbeitsrechtlich kaum durchsetzbar sein. Sie wären auch nicht wünschenswert. Denn neben den grundsätzlichen Einwänden gegen Seitenwechsler gibt es ja auch sehr praktische, alltägliche Gründe, die für einen Seitenwechsel sprechen. Journalist:innen – auch ich – profitieren davon, wenn sie es mit ehemaligen Berufskolleg:innen in Pressestellen zu tun haben. Mit Personen, die unser Handwerk verstehen und das Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit respektieren. Ich mache bei der Arbeit an meinen Filmen überwiegend positive Erfahrungen mit Seitenwechslern. So gesehen freue ich mich auch über jeden guten Neuzugang in den Pressestellen.

Aber ebenso sehr freue ich mich über gute, kritische Kolleg:innen, die nicht wechseln. Trotz aller Versuchungen. Damit sie die, die wirklich Macht haben, kontrollieren. Denn die stehen ja auf der anderen Seite.

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