Bayerischer Rundfunk distanziert sich von True-Crime-Programm

Die Live-Show des „True Crime“-Podcast-Duos Alexander Stevens und Jacqueline Belle soll nicht mehr unter dem Logo des Bayerischen Rundfunks (BR) auf Tour gehen. Auf Anfrage von Übermedien teilte der Sender mit, dass er den Logo-Lizenzvertrag „zum nächstmöglichen Zeitpunkt“ beenden werde.
Seit 2020 haben Strafverteidiger Stevens und BR-Moderatorin Belle den erfolgreichen Bayern3-Podcast „True Crime“. Aus diesem Format haben sie auch eine Live-Show entwickelt, die seit einigen Monaten unter dem Titel „Tödliche Liebe“ in vielen deutschen Städten zu sehen ist. Veranstalter ist das Konzertbüro Augsburg.
Die Show geriet wegen ihrer Darstellung eines konkreten Mordfalls in die Kritik. Eine Angehörige des Opfers und die Opferschutzorganisation Weißer Ring äußerten schwere Vorwürfe. Kritik gab es auch am BR, der nach eigenen Angaben keinen Einfluss auf den Inhalt der Show habe, jedoch bisher sein Logo zur Verfügung gestellt und die Show auch beworben hat. Übermedien berichtete im März sowie kürzlich im Newsletter über den Fall.
Stevens und Belle erzählen den Fall in ihrer Show zwar anonymisiert und ohne genaue Ortsangaben. Weil er aber so bekannt und einzigartig ist, ist es relativ leicht, herauszufinden, um welche Personen es geht.
Zur Unterhaltung „ausgeschlachtet“
Barbara Baumer, die Schwester der 2012 ermordeten Maria Baumer, warf Stevens und Belle vor, den Mord an ihrer Schwester zur Unterhaltung „auszuschlachten“ und aus dem „Schlimmsten“, was ihr und ihrer Familie passiert sei, eine Show zu machen. In dem Bühnenprogramm kommt der Verurteilte in einem längeren O-Ton zu Wort und beteuert, dass er Maria Baumer nicht ermordet habe. Das Publikum darf zudem per Smartphone über die Schuld des Täters abstimmen. Ein Vertreter des Weißen Rings monierte, dass dadurch ein „rechtskräftiges Urteil buchstäblich infrage“ gestellt werde und „unnötig Zweifel am Rechtssystem“ entstünden.
Zusätzliche Irritation löste die Doppelrolle von Alexander Stevens aus, der für das Vollstreckungsverfahren vom Täter mandatiert worden war. Denn der Mörder von Maria Baumer ist zwar verurteilt und in Haft. Es ist aber nicht auszuschließen, dass die Frage noch einmal juristisch aufgerollt wird, ob die „besondere Schwere der Schuld“, die das Gericht festgestellt hatte, angemessen war.
Anwalt weist Vorwürfe zurück
Der Anwalt des Podcast-Duos verteidigte die Show gegenüber Übermedien. „Infotainment“ sei durch die Pressefreiheit geschützt und nach dem Medienstaatsvertrag „nicht minder gewichtet als ein reines journalistisches oder ein reines Unterhaltungskonzept“. Die postmortalen Persönlichkeitsrechte von Maria Baumer würden nicht verletzt. Außerdem weist der Anwalt darauf hin: Man habe Barbara Baumer „proaktiv angerufen, um sie danach zu befragen, ob sie ihre Eindrücke schildern lassen möchte“, was diese ablehnte. Auch den Vorwurf, die Show stelle das Urteil infrage, wies er zurück: „An der juristischen Verantwortlichkeit und Schuld gegenüber dem Publikum wird kein Zweifel gelassen, auch wenn das Publikum zum ‚Mitdenken‘ aufgefordert wird, um sich selbst ein Bild zu machen und Gedanken hierzu zu äußern.“ Der Anwalt sieht zudem keinen Interessenkonflikt durch Stevens’ Mandat.
Dennoch kündigte das Podcast-Duo noch während unserer Recherchen im März über ihren Anwalt an, den Fall durch einen anderen zu ersetzen. Doch anscheinend nicht, weil man erkannt hätte, dass man mit so einer Show womöglich die Gefühle von Angehörigen verletzt. Sondern: Weil, so der Anwalt, das mediale Auftreten von Barbara Baumer die Frage aufgeworfen habe, „ob die bislang umgesetzte Anonymisierung unter diesen Umständen weiterhin aufrechterhalten werden kann“. Barbara Baumer hatte aufgrund des großen medialen Interesses am Mord an ihrer Schwester verschiedenen Medien Interviews gegeben. Ein Versuch, zumindest ein wenig Kontrolle über die Berichterstattung zu behalten, wie sie im Gespräch mit Übermedien erklärte.
Angehörige blitzte zunächst ab
Barbara Baumer hatte sich bereits Ende 2024 über ihre Anwältin an BR-Intendantin Katja Wildermuth gewandt, zunächst jedoch ohne Erfolg. Erst nachdem Übermedien im März nachgefragt hatte, kündigte der BR eine interne juristische Prüfung an. Dabei sollte geklärt werden, ob die Logo-Vergabe im „Einklang mit den internen Regeln des BR erfolgt“ sei. Das Ergebnis formuliert der BR nun so:
„Nach anfänglicher Unterstützung der Präsentation des Falls durch die Redaktion hat der BR im Fortgang der Tour und insbesondere nach Reaktionen der Familie Baumer seine Position korrigiert und seitdem darauf hingewirkt, dass der Fall ausgetauscht wird. Der Veranstalter hat uns versichert, dass der Fall am 5. Juni zum letzten Mal auf der Bühne zu sehen sein wird.“
Der BR ließ offen, was der „nächstmögliche Zeitpunkt“ für die Beendigung des Lizenzvertrags ist – also ob der Vertrag regulär ausläuft und nicht mehr verlängert wird oder vorzeitig endet. Zur Frage eigener Versäumnisse äußerte sich der Sender nicht.
Podcast-Konzept wird überarbeitet
Der BR kündigte jedoch an, auch das Konzept des „Bayern 3 True Crime Podcasts“ zu überarbeiten. Ob das personelle Veränderungen bedeutet – etwa ein Ausscheiden von Alexander Stevens – bleibt abzuwarten.
Bereits 2023 hatte Übermedien über den „True Crime“-Podcast des Senders berichtet. Damals sprach Stevens in einer Folge über den „Doppelgängerinnenmord“ in Ingolstadt, obwohl er in dem laufenden Verfahren selbst als Verteidiger auftrat. Weder Stevens noch der BR sahen auf Anfrage von Übermedien darin einen Interessenkonflikt. Dennoch beschloss die Redaktion später, dass man den Ingolstädter Fall im Podcast bis zum Urteil nicht mehr begleiten werde. Das sagte die Bayern3-Programmchefin Katja Voigt-Kreutzer in einer Dokumentation des NDR-Medienmagazins „Zapp“.
Kein Extra-Honorar

Auch das Oberlandesgericht München hat sich kürzlich mit den vielen Rollen von Alexander Stevens befasst. Es entschied Ende April, dass Stevens, der als Pflichtverteidiger im sogenannten „Starnberger Dreifachmord“ tätig war, keine Pauschalvergütung erhält. LTO berichtete zuerst darüber.
Normalerweise kann ein Pflichtverteidiger zusätzlich Geld bekommen, wenn ein Verfahren besonders umfangreich ist. Das erkannte das Gericht im Starnberger Fall zwar an, fand aber: Stevens habe in dem Fall auch genug andere Einnahmen gehabt – etwa durch Bühnenauftritte mit dem Nachrichtensprecher Constantin Schreiber und seinen True-Crime-Podcast. In beiden Formaten sprach er über den Fall.
Das Gericht machte außerdem deutlich, für wie außergewöhnlich es die Rolle des podcastenden Strafverteidigers hält:
„Rechtsprechung zur Frage der Berücksichtigungsfähigkeit derartiger Einkünfte bei der Entscheidung über Pauschgebührenanträge existiert bislang nicht (was unschwer damit zu erklären sein dürfte, dass Fälle, in denen Strafverteidiger Erkenntnisse aus Verfahren, an denen sie selbst beteiligt waren, medial zu Unterhaltungszwecken kommerzialisieren, singulär sind).“
Die Autorin

Lisa Kräher ist Redakteurin bei Übermedien. Sie hat bei der „Mittelbayerischen Zeitung“ volontiert und von 2013 an als freie Journalistin und Filmautorin gearbeitet, unter anderem für epd. Sie ist Autorin für die „Carolin Kebekus Show“ und Mitglied der Grimme-Preis-Jury.
Der abschließende Kommentar des Gerichts ist einfach nur köstlich.
Wenn man sich dann mal ansieht, dass die Science Cops in ihrem Podcast beim WDR nicht mal ihr Buch erwähnen dürfen finde ich das hier schon etwas merkwürdig. Ich bin mir sicher, der Fall liegt hier irgendwie ganz anders, aber es sieht halt trotzdem komisch aus.