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Vor fast 13 Jahren wurde Barbara Baumers Schwester Maria ermordet. Der Fall aus Bayern ging groß durch die Medien, und auch Barbara Baumer geriet dadurch in die Öffentlichkeit. Journalisten, so erzählt Baumer es bei einer Presseveranstaltung zum Thema Opferschutz der Staatsanwaltschaft München Ende Februar, hätten sie angerufen, als sie gerade einmal zwei Stunden vom Tod ihrer Schwester wusste. Medienvertreter seien zur Beerdigung gekommen und hätten Fotos davon veröffentlicht, obwohl die Familie das ausdrücklich nicht wollte. Sie habe sich teilweise gefühlt wie der „Affe im Zoo“, sagt Baumer. Bis heute greifen Podcast-Formate den Fall ihrer Schwester auf, spekulieren und füttern damit ihr nach True Crime hungerndes Publikum.
Irgendwann muss doch mal Schluss sein, findet Baumer: „Wann kommt der Zeitpunkt, an dem ich in Ruhe abschließen darf?“
Doch Ruhe hatten Barbara Baumer und ihre Familie auch in den vergangenen Monaten nicht. Inzwischen diente der Fall sogar als Vorlage für eine Unterhaltungsshow, die seit einigen Monaten unter der Marke Bayern 3 durch die Stadthallen und Theatersäle der Republik tourt. Der Strafverteidiger Alexander Stevens und die BR-Moderatorin Jacqueline Belle, beide bekannt aus ihrem erfolgreichen BR-Podcast „True Crime – Unter Verdacht“, breiten den Stoff noch einmal aus. In der Show, die mit zahlreichen Gags des launigen Duos gewürzt ist, darf das Publikum sogar per Smartphone darüber abstimmen, ob es denkt, dass der verurteilte Mörder schuldig ist oder nicht. Titel des True-Crime-Abends: „Tödliche Liebe“. Die günstigsten Tickets kosten beim Anbieter Eventim 39,90 Euro.
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Der Fall dürfe als „einer der spektakulärsten Kriminalfälle der letzten 15 Jahre“ bezeichnet werden und unterliege bis heute einer umfangreichen medialen Auswertung, schreibt der Medienanwalt, der Jacqueline Belle und Alexander Stevens vertritt, auf Übermedien-Anfrage, warum der Fall für das Bühnenprogramm noch einmal aufbereitet wurde.
Aber rechtfertigt das Argument, dass es sich um einen „spektakulären“ Fall handelt, der durch alle Medien ging, dass daraus eine Show gemacht wird? Müssen Angehörige es aushalten, dass der Mord an einem geliebten Familienmitglied zur spannungsgeladenen, teilweise humorigen Mitmach-Abendunterhaltung wird? Die juristische und die medienethische Auffassung liegen dabei weit auseinander.
Die Geschichte von Barbara Baumer zeigt, was der True-Crime-Kult für Opfer von Gewalttaten und deren Angehörige bedeuten kann. Sie lässt erkennen, dass es erst öffentliche Kritik braucht, damit die Verantwortlichen reagieren. Und nicht zuletzt wirft sie die Frage auf, ob die Glaubwürdigkeit des Bayerischen Rundfunks, mit der sich die Show schmückt, durch so ein Format nicht selbst Schaden nimmt.
Man habe aus dem Schlimmsten, was ihr und ihrer Familie im Leben passiert ist, eine Show gemacht, klagt Baumer. Der Fall ihrer Schwester werde zur „Unterhaltung ausgeschlachtet“. Sie habe vor der Tour in zwei Telefonaten mit der BR-Moderatorin Jacqueline Belle ihre Bedenken geäußert. Im ersten habe sie darum gebeten, dass der Fall gar nicht im Programm aufgegriffen wird. Im zweiten Telefonat habe Belle ihr mitgeteilt, dass man den Fall in der Show bringen werde.
Der Anwalt von Stevens und Belle bestätigt auf Nachfrage, „dass Frau Baumer proaktiv angerufen wurde, um sie danach zu befragen, ob sie ihre Eindrücke schildern lassen möchte“, was diese ablehnte. Im zweiten Anruf habe man ihr mitgeteilt, „dass keine erkennbaren Fotos ihrer Schwester weder zu Todes- noch zu Lebzeiten verwendet werden, die Namen verändert werden, wie auch weitgehend eine Anonymisierung durchgeführt wird.“ Aus Sicht von Stevens und Belle habe man etwaigen Bedenken von Barbara Baumer Rechnung getragen. Wer die großen Kriminalfälle der vergangenen Jahre ein wenig verfolgt hat, wer aus dem süddeutschen Raum kommt oder einfach kurz googelt, dürfte trotz Anonymsierung ziemlich schnell darauf kommen, um welche Personen es geht. Das stellen auch Stevens und Belle über ihren Anwalt nicht in Abrede.
Sie selbst habe sich die Show nicht anschauen wollen, sagt Baumer. Deshalb hat sie eine Anwältin beauftragt, die Veranstaltung für sie zu dokumentieren. Besonders schockiert habe die Angehörigen unter anderem, dass zunächst Fotos von den polizeilichen Ermittlungen verwendet wurden. Darunter zum Beispiel eines von Unterwäsche des Opfers, die damals der Beweisführung diente. Ein weiteres Foto zeigte Knochenreste (die laut Anwalt von Stevens und Belle verpixelt worden waren) am Fundort der Leiche.
Die Bilder seien seit dem 6. Dezember durch KI-generierte Fotos ersetzt worden, teilte der Bayerische Rundfunk auf Anfrage der „Mittelbayerischen Zeitung“ mit. Sie hatte Ende Februar als erste über die Kritik am True-Crime-Bühnenprogramm berichtet. Es war vermutlich kein freiwilliger Bildertausch. Denn das Polizeipräsidium Regensburg, der Urheber der Fotos, war rechtlich gegen die Verwendung in der Show vorgegangen.
Die Behörde sprang der Familie Baumer auf diese Weise juristisch zur Seite. Die Anwältin der Familie sah selbst keine Möglichkeit, juristisch gegen die Show vorzugehen. Die Persönlichkeitsrechte des Opfers sind zehn Jahre nach dem Tod erloschen, die Inhalte der Show von der Meinungsfreiheit gedeckt. Sogenanntes „Infotainment“ sei nach dem Medienstaatsvertrag im Sinne der Pressefreiheit nicht minder gewichtet als ein reines journalistisches oder ein reines Unterhaltungskonzept, schreibt der Anwalt des True-Crime-Duos auf Übermedien-Anfrage. Postmortale Rechte von Maria Baumer seien nicht verletzt worden.
Die Marke Bayern 3 verleiht der Show von Belle und Stevens Seriosität. Wer diese Show besucht, darf erwarten, dass der Inhalt öffentlich-rechtlichen Standards entspricht. Der Sender wirbt auf seiner Seite für den „erfolgreichen BAYERN 3 ‚True Crime’-Podcast live on tour“, im Foyer der Veranstaltung gibt es Aufsteller mit dem Logo des Senders und des Podcasts, vor denen die Fans Fotos machen können. Stevens und Belle stehen als Gesichter des populären BR-Podcasts für den Sender.
Die Anwältin von Barbara Baumer hatte bereits im November 2024 in einem Schreiben an BR-Intendantin Katja Wildermuth die Empörung und Kritik ihrer Mandantin übermittelt. Sie erhielt eine Antwort aus der juristischen Direktion des BR, in der man die Vorwürfe freundlich, aber entschlossen größtenteils zurückwies. Man sei als Sender Lizenzgeber und nicht Veranstalter, das sei das Konzertbüro Augsburg. Der Schriftverkehr liegt Übermedien vor.
Auch auf Anfrage der „Mittelbayerischen Zeitung“ an den BR vor rund zwei Wochen teilte der Sender mit, dass es als „(Logo)-Lizenzgeber“ rechtlich unmöglich sei, in das Programm der Show einzugreifen, man aber auch keinen Anlass dafür sehe. Zudem verteidigte der BR das Programm gegenüber der Lokalzeitung: „Durch die ‚sehr emphatische Aufbereitung‘ erfahre das Thema Femizid anhand des Falles Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit.“
Wir hätten gerne gewusst, welche Kriterien der BR für eine Lizenzvergabe hat und ob der Sender oder eine Tochterfirma damit Geld verdient. Hat sich von den Programmverantwortlichen jemand die Show vorher angeschaut? Und inwiefern decken sich Inhalt und Aufbereitung der Live-Tour mit dem öffentlich-rechtlichen Auftrag? Aber die Sprecherin schickt nur ein kurzes Statement, indem sie uns ebenfalls auf die Trennung des „Bayern 3 True Crime Podcasts“ und der Bühnenshow hinweist. Der BR sei „lediglich der (Logo-) Lizenzgeber“. In dem Statement steht aber auch:
„Das Logo wurde von einer Tochterfirma lizensiert. Ob diese Lizensierung im Einklang mit den internen Regeln des BR erfolgt ist, ist eine von mehreren Fragen, die derzeit Gegenstand einer aktuell laufenden internen (rechtlichen) Prüfung sind. Bitte haben Sie Verständnis, dass wir uns während dieser Prüfung nicht weiter äußern.“
Das ist neu und lässt erahnen, dass im BR zwischenzeitlich vielleicht doch jemand hinterfragt hat, ob diese Show zu den Ansprüchen des Senders passt. Konkrete Gründe für diese Neubewertung nannte der Sender auf Nachfrage nicht.
Dass Alexander Stevens das gute Image der Öffentlich-Rechtlichen für sich nutzt, ist nicht neu. In einer anderen True-Crime-Bühnenshow hat er sich sogar einen echten „Tagesschau“-Sprecher an die Seite geholt: Constantin Schreiber. Darüber berichtete auch schon das NDR-Medienmagazin „Zapp“, das sich im vergangenen Jahr in einer Doku kritisch mit dem schillernden Strafverteidiger, Podcaster und Bühnenmann Stevens beschäftigt hat.
Im Rahmen der Live-Show von Alexander Stevens und Jacqueline Belle gibt es eine Spendensammlung für die Opferorganisation Weißer Ring. Dabei äußerte sich genau dieser Verein in den vergangenen Jahren immer wieder kritisch zu True-Crime-Formaten und deren Umgang mit Betroffenen. Wie passt das zusammen?
Auf Anfrage schreibt uns Karsten Krogmann, Leiter des Teams Medien & Recherche beim Weißen Ring, dass dem Verein Inhalt und Ablauf der Show zunächst nicht bekannt gewesen seien. Der öffentlich-rechtliche Namensgeber im Titel habe auch keinen Anlass gegeben, an der Seriosität der Veranstaltung zu zweifeln. Nachdem Krogmann auf den problematischen Inhalt aufmerksam gemacht worden sei, habe er sich die Show im Januar in Hannover selbst angeschaut. Sein Fazit:
„Ein ‚wahres Verbrechen‘ wird hier genutzt, um einem zahlenden Event-Publikum einen durchchoreografierten, unterhaltsamen Abend zu bieten, an dem viel gelacht wird – mit spielerischen Elementen wie der Möglichkeit, per Smartphone Richter zu spielen. Dass damit ein rechtskräftiges Urteil buchstäblich infrage gestellt wird, ist nicht nur eine Zumutung für die betroffene Familie, die jahrelang für die juristische Aufarbeitung des Mordfalls gekämpft hat; es schürt meiner Ansicht nach auch unnötig Zweifel am Rechtssystem.“
In der Show wird auch ein mehrminütiger Originalton des verurteilten Mörders abgespielt, der bis heute behauptet, Maria Baumer nicht getötet zu haben. Der Anwalt von Stevens und Belle weist den Vorwurf, dass die Show das Urteil und die Schuld des Täters infrage stelle, allerdings zurück: „An der juristischen Verantwortlichkeit und Schuld gegenüber dem Publikum wird kein Zweifel gelassen, auch wenn das Publikum zum ‚Mitdenken‘ aufgefordert wird, um sich selbst ein Bild zu machen und Gedanken hierzu zu äußern.“
Der Weiße Ring will offenbar dennoch kein Feigenblatt für eine Veranstaltung sein, die aus einer Gewalttat auf diese Weise „Infotainment“ macht. Der Verein prüfe aktuell, ob er die Spendensammlung von sich aus beendet, schreibt Krogmann. Zudem werde sich das „Forum Opferhilfe“, das Magazin des Vereins, in seiner nächsten Ausgabe kritisch mit der Show und ihrem Umgang mit Betroffenen auseinandersetzen.
Alexander Stevens habe gegenüber dem Publikum „zu keinem Zeitpunkt zum Ausdruck gebracht, dass ein Fehlurteil gefällt worden wäre o. ä.“, heißt es im Schreiben seines Anwalts an Übermedien. Was juristisch zur Diskussion stehe, sei, „ob die ‚zusätzliche‘ Strafzumessung (…) im vorliegenden Fall angemessen war.“
Das Gericht hatte dem Verurteilten 2020 eine „besondere Schwere der Schuld“ bescheinigt, was eine vorzeitige Haftentlassung nach 15 Jahren ausschließt. Es ist also möglich, dass die Frage nach der Strafzumessung noch einmal juristisch aufgerollt wird. Und der Verurteilte hat auch schon einen Anwalt, der ihm dabei zur Seite stehen kann: Es ist – Überraschung – Alexander Stevens.
Das muss man sich mal vorstellen: Der Bühnen-Anwalt Stevens, der den Fall für sein Publikum „sachlich“ beleuchten soll, ist auch der echte Anwalt, der den Verurteilten vertritt und in dieser Funktion das Beste für seinen Mandanten herausholen will. Stevens sei „für den Täter zur Überprüfung seiner Verurteilung mandatiert“ worden, bestätigt sein Anwalt auf Nachfrage. Einen Interessenkonflikt sehe man nicht:
„Wenn tatsächlich ein Wiederaufnahmeverfahren in Gang gesetzt werden würde, (erst) dann wäre eine vorsorgliche Entscheidung trotz Anonymisierung zu treffen, ob es sinnvoll ist, dass Herr Dr. Stevens öffentlich über diesen Fall spricht, was ohnehin dann die Einhaltung gesetzlicher Vorgaben bedingt. Ein Interessenkonflikt besteht momentan jedenfalls weder rechtlich noch in sonstiger Form.“
Im Falle eines solchen Verfahrens wäre der Medienrummel vermutlich erneut groß. Stevens, der die Aufmerksamkeit liebt, wäre dafür genau der Richtige. Nur für die Angehörigen des Opfers bliebe die Ruhe, nach der sie sich sehnen, weiterhin ein frommer Wunsch.
Wir wollten von Alexander Stevens und Jacqueline Belle wissen, ob sie die Kritik von Baumers Familie nachvollziehen können, ob es Überlegungen gab oder gibt, das Thema aus Rücksicht auf die Familie nicht mehr als Bühnenshow umzusetzen. Ihr Medienanwalt schreibt uns zunächst dazu:
„Dass Frau Baumer es als pietätlos oder als Ausschlachtung empfindet, dass der Fall ihrer Schwester Gegenstand einer Berichterstattung eines Fachanwalts und einer ausgewiesenen Journalistin ist, sollte einem persönlichen Austausch mit ihr vorbehalten bleiben, der nunmehr erwogen wird. Nachdem die Anonymisierungen im beschriebenen Umfang vorgenommen worden sind, hat ihr Vorwurf Monate, nachdem die Live-Show bereits auf Tournee ist, und mit Blick darauf, dass sie mit der Sache ihrer Schwester selbst immer wieder offensiv an die Medien getreten ist, sehr überrascht. Trotzdem sollte hier ein Weg gefunden werden, mit ihren Bedenken umzugehen, auf Grundlage eigener Eindrücke.“
Für Alexander Stevens seien die Vorwürfe von Barbara Baumer neu, er habe erst in den vergangenen Wochen durch einen Zeitungsbericht [Anm.: der „Mittelbayerischen Zeitung“] davon erfahren. Obwohl es den Brief an die BR-Intendantin gibt? Entweder gab es hier keinen Austausch, oder es war den Beteiligten doch ein bisschen egal, dass eine einzelne Angehörige mit dem Programm nicht einverstanden ist, solange es keine öffentliche Kritik gibt.
Stevens’ und Belles Anwalt verweist in der Mail an Übermedien auf „Dokumentationen, etliche TV-Beiträge, Interviews der Familie, beginnend schon mit der Vermisstenmeldung 2012 wie auch während der jahrelang laufenden Suche, bei der sich die Familie an die Medien wandte – vor dem Prozess, während des Prozesses und nach Abschluss des Prozesses ebenso“.
Was man damit wohl andeuten will, ist die sogenannte Selbstöffnung, von der man im Presserecht spricht, wenn eine Person freiwillig private Informationen von sich preisgibt. Ein Beispiel: Angenommen, ein Politiker und seine Ehefrau teilen ihr erwartetes Babyglück immer wieder mit einer großen Boulevardzeitung, machen sie damit die Tür für die Öffentlichkeit auf. Sollten sie zu einem späteren Zeitpunkt presserechtlich gegen Berichterstattung über ihr Privatleben vorgehen wollen, sind die Hürden möglicherweise höher als bei einer prominenten Person, die sich zu privaten Themen nie öffentlich äußert.
Stevens’ Seite argumentiert also rein presserechtlich – und damit am Kern der Kritik vorbei. Denn in dieser geht es vor allem um medienethische Fragen, also darum, ob man aus so einer grausamen Gewalttat eine Show machen sollte – selbst wenn rechtlich nichts dagegen spricht.
Baumer sagt im Gespräch mit Übermedien, sie habe den Vorwurf schon öfter gehört, dass sie sich ja selbst an die Medien gewandt habe. Dabei war die Familie während der Suche nach der Schwester auf die Öffentlichkeit angewiesen. Baumer sagt, sie sei zum Beispiel auf Anraten der Ermittler in der ZDF-Sendung „Aktenzeichen XY“ zu Gast gewesen. Sie war auch nach dem Prozess in einigen Formaten zu sehen, wie zum Beispiel in einer Doku von ZDF Info 2023. Für Baumer seien die Momente, in denen sie sich vor Medien öffnete, ein Stück weit Selbstermächtigung gewesen – ein Versuch, wenigstens ein bisschen Kontrolle darüber zu haben, was berichtet wird. „Ich wollte falschen Behauptungen entgegentreten und Sachen richtig stellen“, sagt sie.
Das Argument, dass eine Angehörige wegen solcher Medienauftritte damit klarkommen muss, dass der Fall ihrer Schwester nun Hauptinhalt einer True-Crime-Show ist, hält Karsten Krogmann vom Weißen Ring für falsch:
„Opfer bzw. Angehörige tragen keine Mitverantwortung daran, wenn ‚ihre‘ Fälle von True-Crime-Formaten aufgegriffen und nacherzählt werden. Es steht jedem Betroffenen frei, Zeitpunkt und Ort selbst zu bestimmen, um mit Journalisten über die eigenen Erfahrungen zu sprechen – zum Beispiel, weil es noch ein Aufklärungsinteresse gibt oder der Wunsch nach öffentlichem Austausch besteht. Das ist aber kein Freibrief für Dritte, den Fall opferunsensibel zu Unterhaltungszwecken zu verarbeiten.“
Am Ende gibt es noch eine Überraschung. Der von Stevens und Belle beauftragte Medienanwalt meldet sich noch einmal bei Übermedien und teilt mit: Der Fall soll künftig nicht mehr auf der Bühne erzählt werden.
Ein Umdenken beim Podcast-Duo? Die Erklärung klingt nicht wirklich danach. Das „mediale Auftreten von Frau Baumer habe zu der Überlegung geführt, ob die bislang umgesetzte Anonymisierung unter diesen Umständen weiterhin aufrechterhalten werden kann“. Um dieser Situation Rechnung zu tragen, sei daher entschieden worden, dass dieser Fall kurzfristig durch einen anderen ersetzt werde. Der Anwalt fügt noch hinzu:
„Die Verantwortung, über den Fall ihrer Schwester in der Öffentlichkeit zu sprechen, liegt somit zeitnah in Zukunft ausschließlich wieder bei Frau Baumer, ihren eigenen medialen Aktivitäten und den Medien, mit denen sie zusammengearbeitet hat und weiter zusammenarbeitet.“
Weniger Einsicht und weniger Empathie gegenüber einer Person, deren Schwester ermordet wurde, könnte so ein Statement nicht enthalten.
Lisa Kräher ist Redakteurin bei Übermedien. Sie hat bei der „Mittelbayerischen Zeitung“ volontiert und von 2013 an als freie Journalistin und Filmautorin gearbeitet, unter anderem für epd. Sie ist Autorin für die „Carolin Kebekus Show“ und Mitglied der Grimme-Preis-Jury.
Bah das letzte Zitat ist schon ziemlich eklig.
das ist ja nicht das erste mal, dass dieser anwalt unangenehm – um es vornehm auszudrücken – auffällt. das sollte doch eigentlich ein fall für seine zuständige anwaltskammer sein. es gibt ja schließlich auch so etwas wie ethik für anwälte. aber die zählt vielleicht nicht für anwälte, denen die öffentliche meinung wurscht ist, hauptsache die kasse klingelt??
Stevens und Belle suchen sich also ein unverfänglicheres Opfer ohne Angehörige, das sie auf der Bühne zum Spektakel machen können. Wird bestimmt auch ein sehr erheiternder Abend mit schickem Essen davor, Prosecco in der Pause und beschwingt plappernden Publikum auf dem Nachhauseweg.
Dieser True Crime-Wahn, ausgelöst durch XY-Nebenformate und Wiederholungen im ZDF-Boulevard , ist ekelig.
True Crime ist ja an sich ok, diese seeehr spezielle Gemengelage aus Befangenheit und Sensationslust allerdings ist denkbar weit von ok entfernt.
Ein Journalist, der an anderer Stelle als Journalist, Angehöriger oder sonstwie Involvierter mit der Person oder Institution verbunden ist, über die er berichtet, soll dies offenlegen (oder eben gar nicht berichten), aber ein Journalist, der als Jurist die Person verteidigt, über die er berichtet, nicht?
Inwieweit jemand dachte, dass die Angehörigen des Opfers das billigen würden, entzieht sich dem gesunden Menschenverstand.
Hält der BR die Aufbereitung durch die Show tatsächlich für „sehr emphatisch“ oder doch eher für sehr empathisch? Ersteres würde zwar wahrscheinlich stimmen, aber als Verteidigung keinen Sinn ergeben.
Könnten sich auch die KonsumentInnen von TrueCrime mal zu Herzen nehmen. Sie delektieren sich an realem Leid anderer. Mit einigem historischem Abstand mag das angehen, aber solange Beteiligte noch am Leben sind – nicht sehr vorbildlich.