Gewalt gegen Frauen

Faesers Zahl zu Femiziden ist fragwürdig, aber Journalisten übernehmen sie trotzdem

Endlich berichten mehr Medien über Femizide. Dass in Deutschland jeden Tag eine Frau getötet wird, weil sie eine Frau ist, stimmt so aber nicht. Denn die Polizeistatistik, aus der die Zahl stammt, erfasst gar keine Tatmotivation.

Endlich berichten mehr Medien über Femizide. Dass in Deutschland jeden Tag eine Frau getötet wird, weil sie eine Frau ist, stimmt so aber nicht. Denn die Polizeistatistik, aus der die Zahl stammt, erfasst gar keine Tatmotivation.


„Fast jeden Tag wird in Deutschland eine Frau getötet, weil sie eine Frau ist.“ Variationen dieses Satzes waren im November in vielen Medien zu lesen:

„Im Jahr 2023 wurden 360 Frauen in Deutschland getötet – weil sie Frauen waren.“ („Tagesschau“)

„2023 wurden zudem 360 Frauen getötet, weil sie Frauen waren – also etwa aus Frauenhass, wegen einer Trennung oder im Kontext eines patriarchalischen Gesellschaftsbilds des Täters.“ („Stern“)

„Im vergangenen Jahr wurden 360 Frauen Opfer eines Femizids – sie wurden also getötet, weil sie Frauen waren.“ („Zeit“)

„An jedem Tag stirbt in Deutschland eine Frau durch Frauenhass oder durch die Hand ihres (Ex-)Partners: 360 Femizide wurden im Jahr 2023 in der Bundesrepublik verübt.“ („Freitag“)

Doch die Zahl hinter diesen Meldungen ist so nicht richtig.

Anlass für die vielen Berichte war, dass das Bundeskriminalamt (BKA) zum ersten Mal ein Bundeslagebild zu „Geschlechtsspezifisch gegen Frauen gerichteten Straftaten“ erstellt hat. Am 19. November stellte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) es in der Berliner Bundespressekonferenz vor. Sie eröffnete ihr Statement folgendermaßen:

„Fast jeden Tag wird in Deutschland eine Frau oder ein Mädchen getötet. Das ist fast jeden Tag ein Femizid. […] Es entsetzt mich, wenn ich diese Zahlen ansehe, wenn ich sehe, wieviel Frauen und Mädchen jeden Tag in Deutschland Opfer von Übergriffen werden. Sie werden Opfer, weil sie Frauen sind.“

Die Zahlen für das Bundeslagebild stammen aus der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS), die ebenfalls federführend vom BKA erstellt wird. Die PKS wertet allerdings überhaupt keine Tatmotivation aus, gibt also gar nicht an, warum eine Frau getötet worden ist. Darauf weist die Behörde in ihrem Lagebild auch explizit hin. Es sei nur eine „Annäherung an die tatsächliche Anzahl“ von Femiziden möglich. Und, auch das steht in dem Dokument: Bislang habe man sich nicht einmal auf eine „bundeseinheitliche Definition“ des Begriffs geeinigt.

Berechnung verzerrt die Realität

Trotzdem hat man sich entschieden, im Lagebild eine Zahl an Femiziden auszuweisen – und zwar, indem man schlicht alle Tötungsdelikte an Frauen als Femizid wertet. Ausgenommen wurden lediglich zwei Raubmorde und zwölf Tötungen auf Verlangen, also Suizide mit Hilfe einer anderen Person. Diese Definition von Femizid entspricht keiner der wissenschaftlichen Definitionen, auf die das BKA in den Fußnoten des Lagebildes selbst verweist. Gerade bei einer so komplexen Thematik erscheint diese Vorgehensweise seltsam unwissenschaftlich, um nicht zu sagen realitätsverzerrend.

Femizide zu definieren ist schwierig. Ein journalistischer Leitfaden von Investigativjournalist:innen, der in der Fachzeitschrift „journalist“ veröffentlicht wurde, spricht von Femizid als „Tötung von Frauen aufgrund ihres Geschlechts oder bestimmter Vorstellungen von Weiblichkeit“. Diese Definition erscheint griffig genug und lässt dennoch viele Detailfragen offen. Wenn zum Beispiel ein Mann seine Frau, seinen Sohn und seine Tochter tötet, ist der Mord an der Tochter dann ein Femizid, der am Jungen aber „nur“ ein Kindsmord? Diese Unterscheidung nach Geschlecht nimmt das BKA-Lagebild implizit vor.

Auch in vielen anderen Konstellationen, in denen eine Frau getötet wird, ist das Tatmerkmal „geschlechtsspezifisch gegen Frauen gerichtet“, das immerhin der Titel des Lagebildes ist, nicht zutreffend: Wer die reiche Erbtante die Treppe runterschubst, um an das Erbe zu kommen, ist sicherlich ein Mörder. Aber er hätte den Erbonkel mutmaßlich genauso um die Ecke gebracht. „Geschlechtsspezifisch gegen Frauen gerichtet“ ist daran auf den ersten Blick nichts. Umstritten ist auch, ob die seltenen Tötungen von Frauen durch Frauen (die das BKA-Lagebild derzeit ebenfalls pauschal als Femizid wertet) dazugezählt werden sollten. Und so lassen sich viele weitere Fälle denken.

Missverständnisse vorprogrammiert

In der von der Bundeszentrale für Politische Bildung (bpb) herausgegebenen Zeitschrift „Aus Politik und Zeitgeschichte“ haben vier Wissenschaftler:innen aus verschiedenen Forschungsgebieten unterschiedliche Definitionsversuche zusammengetragen. Sie verweisen darauf, dass es stets auf den Kontext ankomme, was als Femizid gilt. Die Perspektive feministischer Aktivist:innen unterscheidet sich dabei zum Beispiel von der juristischen. Das Fazit des Textes: „Der Begriff ‚Femizid‘ verweist auf unterschiedliche Formen und Ausprägungen von Sexismus im Kontext tödlicher Gewalt gegen Frauen. Dabei wird er verschiedentlich definiert und verwendet, weshalb ein Hinweis auf den jeweiligen Kontext unumgänglich ist, um Missverständnissen vorzubeugen.“

Protest gegen Femizide und Gewalt gegen Frauen: Plakate an einem Bauzaun in Freiburg im November 2024
Protestplakate der Aktivistinnen von „Femizide stoppen!“, die auch eine bessere Berichterstattung über Gewalt an Frauen fordern Foto: Imago/Winfried Rothermel

Auf Anfrage von Übermedien zu der genauen Definition antwortet das BKA sinngemäß: Weil Femizide eine herausgehobene Bedeutung hätten, sei es notwendig, den Bereich als eigene Fallgruppe in dem Lagebild auszuweisen. Aber „aus faktischen Gründen“ (eben, weil es dazu keine auswertbare Statistik gibt) sei „eine statistische Auswertung, die explizit Antworten auf die vorliegenden Femizid-Definitionen geben (sic!), nicht möglich“.

Mit anderen Worten: Weil man polizeilich und damit kriminologisch nicht weiß, warum die betroffenen Frauen umgebracht wurden, wertet man schlicht alle Tötungen als Femizide, es sei denn, man hat (wie bei Raubmord) eindeutige Kriterien, die dagegensprechen.

Anderes Lagebild, andere Zahlen

Aussagekräftiger erscheint ein anderes Lagebild, das das BKA bereits seit längerem erstellt: jenes zur „Häuslichen Gewalt“, das früher mit „Partnerschaftsgewalt“ betitelt war. In der aktuellen Ausgabe 2023 kommt das Wort „Femizid“ überraschenderweise gar nicht vor. Dafür gibt das Lagebild an, dass 155 Frauen und Mädchen Opfer eines vollendeten Tötungsdelikts im Rahmen von Partnerschaftsgewalt geworden seien.

Diese Zahl ist zum einen viel niedriger als die von Faeser angeführten 360 Taten pro Jahr. Andererseits ist sie unvollständig, weil Femizide eben auch außerhalb von Beziehungen stattfinden. Das BKA verweist in seiner Antwort an Übermedien darauf, dass es „zu kurz gegriffen“ sei, „die Betrachtung ausschließlich auf weibliche Opfer im Kontext Häuslicher Gewalt zu reduzieren. Auch Tötungen von Mädchen und Frauen durch unbekannte oder nur flüchtig bekannte Personen können Femizide sein.“ Das ist zweifelsohne richtig, wie zum Beispiel Prostituiertenmorde oder Amokläufe sogenannter „Incels“, die gezielt Frauen ermorden, zeigen.

Hinzu kommen in dem Lagebild „Häusliche Gewalt“ weitere 92 Mädchen und Frauen, die Opfer innerfamiliärer Tötungsdelikte geworden sind. Wie viele dieser Delikte als Femizid gelten, ist unklar und hängt wie gesagt von der Definition ab. Häufig geht es um Kindstötungen. Sogenannte „Ehrenmorde“ (die weit überwiegend Femizide sind) fallen ebenfalls darunter, aber eben auch viele andere Konstellationen wie die Tötung der eigenen Eltern, Geschwister und sonstiger Angehöriger. Dass viele dieser Delikte keine Femizide sind, lässt sich auch daran erkennen, dass 41 Prozent der Opfer männlich sind (bei der Partnerschaftsgewalt beträgt deren Anteil lediglich 13 Prozent).

Doppelter blinder Fleck

Es handelt sich also um einen blinden Fleck in doppelter Hinsicht: Weder weiß man genau, wie viele Fälle von häuslicher oder partnerschaftlicher Tötungsdelikte das Tatmotiv „geschlechtsspezifisch gegen Frauen gerichtet“ erfüllen, noch weiß man, wie viele sonstigen nichtfamiliären Tötungsdelikte das tun. Die Frage, wie viele Frauen wirklich pro Jahr getötet werden, „weil sie eine Frau sind“, lässt sich also gar nicht ohne Weiteres beantworten. Flächendeckende wissenschaftliche Studien dazu fehlen in Deutschland bisher. Dementsprechend mahnt eine Bund-Länder-Gruppe der Innenministerien in einem Ergebnisbericht zum Thema, wissenschaftliche Definitionsprobleme müssten gelöst werden. Dazu braucht es aber auch Geld für Forschung zum Thema.

Im Lagebild zählt man dagegen einfach alle Delikte, von denen man nicht weiß, dass sie kein Femizid sind. Auf Nachfrage von Übermedien, ob nicht die Gefahr bestehe, dass die Öffentlichkeit einen falschen Eindruck gewinne, antwortet eine Sprecherin: „Im Lagebild erfolgt eine umfassende Kommentierung und Einordnung der Fallgruppe Femizide. Insofern ist nicht zu erwarten, dass durch die Darstellungen im Lagebild ein falsches Bild entsteht.“ (Unterstreichung im Original.)

Dass durch die Darstellung der Ministerin und in ihrem Schlepptau vieler Medien sehr wohl ein falscher Eindruck entsteht, ist offensichtlich. Dass das dem BMI gegenüber weisungsgebundene BKA nicht öffentlich opponiert, ist klar: Das ist eben die Krux derartiger Exekutiv-Konstellationen. Man denke an die kürzlich öffentlich gewordenen Auffassungsunterschiede zwischen Robert-Koch-Institut und Bundesgesundheitsministerium. Umso mehr wäre es allerdings Aufgabe von Journalistinnen und Journalisten, die von einer Politikerin angeführten Zahlen zu prüfen.

Auf eine Anfrage an Bundesinnenministerin Faeser, ob ihr diese Zählweise bekannt war, warum sie sich trotzdem für ihre Wortwahl entschied und ob sie damit nicht ein falsches Bild vermittele, antwortet eine Sprecherin zunächst ausweichend, „aus statistischen Gründen“ sei eben „ein weiter Ansatz“ gewählt worden – die Zahlen seien „soweit möglich eingegrenzt“. Auf die erneute Nachfrage nach dem falschen Eindruck in der Öffentlichkeit heißt es, man habe die Zahl der Femizide „quantitativ ausgewiesen. Eine Aussage, ob es sich bei den hier betrachteten Tötungsdelikten auch qualitativ um Femizide handelt, ist anhand der vorliegenden Daten hingegen nicht möglich.“

Das ist mit Verlaub ein starkes Stück: Denn offensichtlich müsste die „qualitative“ Wertung, ob es sich bei einer Tötung um einen Femizid handelt, erfolgen, bevor man einen solchen zählt – und vor allem, bevor man in der Öffentlichkeit erzählt, jeden Tag werde eine Frau getötet, „weil sie eine Frau ist“. Die Ministerin hat eine Täuschung der Öffentlichkeit mindestens billigend in Kauf genommen.

Politisch gewollt

Man könnte vermuten: Dieser Ansatz war politisch gewollt. Denn das SPD-geführte BMI und das von der grünen Ministerin Lisa Paus besetzte Familienministerium haben ein veritables politisches Interesse, sich als Wahrnehmer und Durchsetzer von Frauenrechten zu profilieren – im Gegensatz zum Beispiel zu CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz, der noch 1997 im Bundestag gegen die Strafbarkeit der Vergewaltigung in der Ehe stimmte (wobei er sagt, dass er heute anders abstimmen würde). Die Vorstellung des Lagebilds durch beide Ministerinnen erfolgte nach dem Bruch der Ampel und damit quasi im Wahlkampf.

Dabei empfiehlt die Bund-Länder-Arbeitsgruppe, auf die das Lagebild in den Fußnoten verweist, anderes: In ihrem Ergebnisbericht wird gerade nicht empfohlen, alle genannten Deliktsgruppen „insgesamt“ der Kategorie „Femizid“ zuzuschlagen, sondern zwischen verschiedenen Fallkonstellationen zu differenzieren, weil nur so zu Ursachen und Risikofaktoren geforscht werden könne. Genau daran hat man sich im Lagebild nicht gehalten.

Auch in anderer Hinsicht ist der Bericht der Arbeitsgruppe deutlich:

„Die BLAG empfiehlt nachdrücklich eine Implementierung des Begriffs Femizid im deutschen Sprachraum. Die Tötung von Frauen im sozialen Nahraum als Intimizide zu deklarieren, verharmlost diese zu innerfamiliären Einzelfällen beziehungsweise persönlichen Tragödien.“

Mit anderen Worten: Die Etablierung des Begriffs ist politisch gewollt. Im Zweifelsfall offenbar auch dann, wenn man das Problem der schwammigen Definition noch gar nicht gelöst hat.

Vorher war es noch „jeder dritte Tag“

Ärgerlich ist, dass die meisten Medien zumindest in ihrer Hauptberichterstattung kein Wort über diese Probleme, Widersprüche und politischen Implikationen verlieren, sondern dem von den Ministerien vorgegebenen Credo folgen wie die Bläser dem Kapellmeister. Offenbar verwundert es die meisten Redaktionen nicht einmal, wie die Zahl der Femizide so schnell hochschnellen konnte. Noch bis vor kurzem berichteten die meisten Medien im Zuge der Veröffentlichung des Lagebilds „Häusliche Gewalt“, jeden dritten Tag bringe ein Mann in Deutschland seine (Ex-)Partnerin um:

„Fast jeden dritten Tag stirbt eine Frau in Deutschland – getötet von ihrem Partner oder Ex-Partner.“ („Tagesschau“, März 2023)

„Fast jeden dritten Tag stirbt eine Frau durch die Hand ihres Partners oder Ex-Partners.“ (NDR, August 2023)

„Fast jeden dritten Tag stirbt eine Frau infolge von Gewalt des Partners oder Ex-Partners.“ (Deutschlandfunk, November 2023)

„Jeden dritten Tag ein Mord: Warum Deutschland seine Frauen nicht vor Femiziden schützen kann“ (RND, Februar 2024)

„Jeden dritten Tag ein Femizid“ (Focus online, August 2024)

Nun wird eine dreimal so hohe Zahl in die Welt getragen – und kaum jemand scheint zu hinterfragen, ob die stimmen kann. Das betrifft selbst Institutionen, die mit politischer und medialer Bildung beauftragt sind. So fällt es bei der Bundeszentrale für Politische Bildung offenbar niemandem auf, dass beide Angaben auf ein- und derselben Webseite in zwei verschiedenen Teasern stehen: „Fast jeden Tag geschieht in Deutschland ein Femizid: Alleine 2023 wurden in Deutschland 360 Frauen von ihrem Partner oder Ex-Partner getötet.“ Und: „Alle drei Tage wird in Deutschland eine Frau wegen ihres Geschlechts vom (Ex-)Partner getötet.“

Auf Übertreibung könnte der Backlash folgen

Wenn aber praktisch jedes Tötungsdelikt an Frauen als Femizid gilt, lässt sich leider leicht die umgekehrte Erzählung aufmachen, wonach in Wirklichkeit alles halb so schlimm ist: So ist genau die Gesamtzahl aller vollendeten Tötungsdelikte an Frauen und Mädchen seit dem Jahr 2000 um etwa 35 Prozent zurückgegangen. Man kann Wetten darauf abschließen, wann rechte Medien auf diesen Trichter kommen.

Denn diese haben ja einen anderen Verdacht: Nämlich, dass die Gesellschaft (und damit vor allem die Männer) jahrelang immer weniger gewalttätig wurde(n) (was auch weitgehend zutreffend ist), bis es zur sogenannten „unkontrollierten Masseneinwanderung“ von Millionen junger Männer aus Kulturkreisen kam, die im Verdacht stehen, dass Frauen dort weder de jure noch de facto gleichberechtigte Menschen sind. Daran ist wiederum sehr vieles falsch und ein bisschen was richtig (mehr dazu hier und hier). Indem man nahezu alle Tötungsdelikte zum Femizid deklariert, leistet man dem rechten Argwohn, hier würden andere Tatzusammenhänge unsichtbar gemacht, jedenfalls erheblich Vorschub.

Doch es gibt auch einige Artikel – im Gegensatz zu den Lagebild-Vermeldungen leider fast immer hinter der Paywall – die das Problem der BKA-Zahlen erkennen und benennen: So schreibt Stephan Klenner in der „FAZ“, nicht jede Beziehungstat sei ein Femizid. Auch in der „Süddeutschen Zeitung“ beschäftigt sich Max Fluder ausführlich mit dem Begriff. In der „Welt“ rechnet Marie-Luise Goldmann mit dem aus ihrer Sicht identitätspolitisch motivierten Femizid-Begriff ab und im „Spiegel“ glaubt der Strafrechtskolumnist Thomas Fischer, dass „Alarmismus am Ende den Opfern“ schade – und kritisiert in gleich zwei Beiträgen auch die entsprechende Berichterstattung des eigenen Hauses.

Ebenfalls im „Spiegel“ beschäftigen sich Juliane Löffler, Katrin Elger, Louisa Uzuner und Nina Krug sehr ausführlich mit dem Lagebild und der Gewalt gegen Frauen und nennen Punkte, die sonst kaum Thema sind: Denn ein Anstieg der von der Polizei registrierten Taten ist wie bei allen Delikten der PKS nicht gleichzusetzen mit einem Anstieg aller Taten. Wie immer leuchtet die PKS nur das Hellfeld der Kriminalität aus. Wenn man sich also bemüht, die polizeiliche Wahrnehmung zu stärken, wovon entsprechende Innenministerkonferenz-Arbeitsgruppen und BKA-Lagebilder ja ein wichtiger Ausdruck sind, dann leuchtet man das Dunkelfeld folglich heller aus. Auch die Verschärfung zahlreicher Strafrechtsparagrafen führt automatisch zu einem Anstieg der Fallzahlen.

Studie kritisiert Berichterstattung

Um es an dieser Stelle deutlich zu sagen: Ja, auch Medien haben es viele Jahre lang versäumt, das Problem der Gewalt von Männern gegen Frauen adäquat abzubilden. Das zeigt aktuell eine Studie im Auftrag der Otto-Brenner-Stiftung: Die Medienwissenschaftlerin Christine Meltzer untersucht darin die Berichterstattung verschiedener deutscher Medien zwischen 2020 und 2022*. Sie stellt fest, dass Partnerschaftsgewalt unterrepräsentiert ist, obwohl sie das größte Risiko für das Leben einer Frau darstellt. Auch kritisiert sie, dass der Fokus auf besonders brutalen oder spektakulären Fällen liege, obwohl diese Taten erst das Ende einer Gewaltspirale darstellten. Dadurch stünden Einzelfälle im Mittelpunkt, nicht die strukturelle Gewalt gegen Frauen. Bei der Berichterstattung über „Ehrenmorde“ werde dagegen häufig sehr ausführlich auf vermeintliche oder tatsächliche kulturelle und gesellschaftliche Hintergründe eingegangen.

Auch, wenn es sich ebenfalls um die Darstellung eines Einzelfalls handelt, ist eine Reportage der „WDR Lokalzeit“ ein gelungenes und bewegendes Gegenbeispiel. Darin erzählt eine Mutter von dem Femizid an ihrer Tochter durch einen Arbeitskollegen. Erstens wird die Einbettung in den gesellschaftlichen Zusammenhang durch Anmoderation und Begleittext hergestellt. Zweitens wird deutlich, wie diese Taten nicht nur das Leben der getöteten Frauen, sondern auch das der Angehörigen, Familien und Freunde nachhaltig zerstören, verändern und beeinflussen. Rechnet man solche Effekte auf die Gesellschaft hoch – und betrachtet nicht nur vollendete Tötungsdelikte, sondern das ganze Ausmaß an versuchten und vollendeten Gewaltdelikten, sexuellen Übergriffen, Nötigungen, Bedrohungen und Beleidigungen – wird schnell klar, wie immens die Auswirkungen insgesamt sind.

Es geht keineswegs darum, dass Medien wieder in Gleichgültigkeit verfallen oder das Problem kleinreden. Aber man tut der Sache keinen Gefallen, wenn man das Thema in irgendeine Richtung politisch überfrachtet – so wie bei der weidlich ausgeschlachteten „Messergewalt“. Der Begriff Femizid hat sich, wie politisch gewollt, in der Öffentlichkeit etabliert. Leider folgte darauf die politische und mediale Verwirrung der Öffentlichkeit mit halbwahren oder schlicht falschen Behauptungen. Das ist schlecht, und zwar für alle Beteiligten. So schärft man langfristig kein Problembewusstsein, sondern entwertet Begriffe.

* Korrektur, 17.12.24: An dieser Stelle stand zuerst, dass sich die Studie auf die Berichterstattung der Jahre 2015 bis 2019 bezog. Tatsächlich hat Christine Meltzer in einer 2021 veröffentlichten Vorgängerstudie diesen Zeitraum untersucht. Im Text gemeint und verlinkt ist allerdings ihre neueste Auswertung, die im Dezember 2024 veröffentlicht wurde.

 

26 Kommentare

  1. Vielen Dank für diesen aufklärerischen Artikel!

    Mich hat dieses Thema auch schon oft beschäftigt. Einerseits finde ich es wichtig, Gewalt spezifisch an Frauen stärker zu thematisieren. Andererseit wirft der Femizid-Diskurs alle Begriffe und Deutungs-Arenen durcheinander, dass die Sache auf den ersten Blick angreifbar wird. Der Autor verweist auf die Backlashgefahr – sehr gut!

    Es ist offenkundig, dass mit dem Femizid-Begriff aktivistische und politische Interessen verbunden sind (was ja okay ist). Umso mehr stört es, wenn dann Medien das ungefiltert und unkritisch übernehmen (wie der Artikel darstellt), und Leitartikel auf dieser Grundlage sogar harte Reformen im Strafrecht fordern. Das ist der Alarmismus des „immer schlimmer“. Den sind wir so gewohnt, das uns der immense und unerklärte Schritt von „jeden dritten Tag“ zu „jeden Tag“ tatsächlich kaum auffällt.

    Woe wohltuend dann so ein Text wie hier von Herrn Reisin…

  2. Ich schließe mich an: Vielen Dank für diesen Text, der auf den Punkt bringt, was mir bei dem Thema schon oft durch den Kopf gegangen ist. Ich hatte von Anfang an meine Probleme mit dem Wort Femizid. Das ist zwar mittlerweile in den Medien etabliert, war am Anfang aber eines von den plötzlich auftauchenden aktivistischen Wörtern, die viele Leser erst einmal nicht verstanden haben. Und schon gar nicht wussten sie, was damit genau gemeint ist.

    Ergänzen möchte ich, dass mich auch das oft als Grund für Femizide angeführte angebliche strukturelle gesamtgesellschaftliche Problem nicht überzeugt. Welcher Frauen schlagende oder tötende Mann täte es nicht, wenn es diese angeblichen gesellschaftlichen Strukturen nicht gäbe? Gehen bis zur Tötung führende Besitzansprüche von Männern weg, wenn wir die Gesellschaft ändern? Ich glaube nicht.

  3. @Susanne:
    „Welcher Frauen schlagende oder tötende Mann täte es nicht, wenn es diese angeblichen gesellschaftlichen Strukturen nicht gäbe? Gehen bis zur Tötung führende Besitzansprüche von Männern weg, wenn wir die Gesellschaft ändern? Ich glaube nicht.“

    Wie soll ich das werten? Naturgegeben, Inschallah?
    80% aller Mordopfer sind Männer, fast immer ermordet von Männern, in Partnerschaften aber sind 80% der Mordopfer Frauen, von Männern getötet.

    Was genau ist eigentlich Ihre Definition von „Strukturen“ und womit begründen Sie genau Ihren Fatalismus? Religion? Konservativismus? Nostalgie?

    Das würde mich echt interessieren.

  4. @Susanne
    Das beste Beispiel für Besserung durch veränderte Strukturen ist doch, dass seit 1997 Vergewaltigung in der Ehe strafbar ist. Mann hat sich davor doch keine Gedanken darüber machen müssen ob sie will oder nicht. Er wurde allenfalls wegen Nötigung belangt.

    „Die Frau genügt ihren ehelichen Pflichten nicht schon damit, dass sie die Beiwohnung teilnahmslos geschehen lässt.“
    „Wenn es ihr versagt bleibt, im ehelichen Verkehr Befriedigung zu finden, so fordert die Ehe von ihr doch eine Gewährung in ehelicher Zuneigung und Opferbereitschaft.“
    „„ … und verbietet es, Gleichgültigkeit oder Widerwillen zur Schau zu stellen.“
    Solchermaßen wurden die Frauen noch 1966 vom Bundesgerichtshof belehrt.

    Und für weitere interessante Einblicke empfehle ich folgende Folge der Anstalt:
    https://www.zdf.de/comedy/die-anstalt/die-anstalt-vom-12-november-2024-100.html

  5. Wahnsinn, immer etwas Neues. Hätte mir vor 10 Jahren jemand erzählt, dass eine SPD-Innenministerin populistischer agiert als ihre konservativen Vorgänger zusammen (Grenzkontrollen!), hätte ich wohl nur laut gelacht. Nur Aktionismus und Populismus. Nancy Faeser wird wohl eher nicht in die Annalen der Geschichte eingehen und falls doch, dann wohl eher als abschreckendes Beispiel.

  6. Bei den Netsilik-Inuit im arktischen Kanada war die Tötung neugeborener Mädchen sehr verbreitet. Hintergrund ist, dass männliche Nachkommen durch insbesondere die Jagd zur Sicherung des Überlebens der Familie beitragen konnten. Das lange Stillen (zwei bis drei Jahre) und Aufziehen eines Mädchens galt darum gerade in Zeiten knappen Nahrungsangebotes als Hindernis, da die Mutter nicht so schnell wieder schwanger werden und, so es der Zufall wollte, einen Jungen gebären konnte. Die Entscheidung darüber, ob ein weibliches Neugeborenes aufgezogen wurde, war hauptsächlich abhängig vom aktuellen und zu erwartenden Nahrungsangebot und wurde häufig vom Vater getroffen, aber auch von der Kindsmutter oder den Großeltern. Meist wurden die Kinder, deren Tod man entschieden hatte, in den Schnee gelegt und sie erfroren, sofern nicht eine andere Familie sich des Säuglings annahm. Als Nebeneffekt der Tötung weiblicher Neugeborener blieb das Geschlechterverhältnis relativ ausgeglichen, da viele Männer bei der Jagd umkamen.
    (Wikipedia)

    Das könnte man das als Femizid einstufen (Töten wegen des Geschlechts), ohne dabei gegen die Logik zu verstoßen
    Ob es angemessen ist, aus dem warmen Wohnzimmer heraus die Praktiken der Völker zu bewerten, die unter den Bedingungen des täglichen Kampfs um Überleben in bitterer Armut leb(t)en, das mag jeder für sich entscheiden.

    Ist vielleicht auch nicht so wichtig. Diese Vorgänge sind weit entfernt, örtlich und zeitlich.
    Jetzt, hier, heute gibt es faktisch keine Femizide. Es gibt Tötungsverbrechen, leider. Aber keine Femizide.

    Wenn es so was gäbe, die Medien würden uns mit Fallschilderungen eindecken.
    Die Krawallpresse sowieso. Wer glaubt, die BILD würde einen Mordfall verschweigen, wenn das Mordmotiv Hass gegen Frauen ist?
    Die Hochintelligenzpresse noch mehr. Natürlich würde die ZEIT solche Fälle an die große Glocke hängen – wenn es denn welche gäbe.

    Aber chillt mal, die Pfründe bleiben erhalten.
    Die Subventionen für die „Stoppt Gewalt gegen Frauen!“-Abteilungen laufen weiter.
    Genauso läuft die Wissenschaft, die wie gewohnt in den „interdisziplinären Forschungsprojekten“ die üblich belegfreien Studien mit den sattsam bekannten „beunruhigenden Befunden“ liefert.
    Und dass die Presseerklärungsabschreiber ihren Propagandaauftrag nicht erfüllen, ist sowie undenkbar.

  7. Ich hoffe es macht sich hier keine/keiner die Mühe und antwortet auf den Troll der sich hier im Kommentar-Raum niedergelassen hat.

  8. @MT:

    Warum sollte ich versucht sein, jemanden daran zu hindern, sich selber als widerliches Subjekt zu offenbaren.
    Zivilisationsverlierer träumen vom Neandertal.

  9. Auch, wenn ich mich natürlich freue, dass die absichtlich unklare Definition des Begriffes hier thematisiert wird, aber das hier:
    „Das ist zweifelsohne richtig, wie zum Beispiel Prostituiertenmorde oder Amokläufe sogenannter „Incels“, die gezielt Frauen ermorden, zeigen.“
    stimmt so leider auch nicht.
    Werden Prostituierte ermordet, weil sie Frauen sind, und nicht wegen ihres Berufes? Das hieße ja, dass der Mörder keine männlichen Prostituierten töten würde. Ist das so, oder sind überproportional viele Prostituierte Frauen und deshalb meistens die Opfer solcher Mörder? („Prostituierte“ ist genusneutral und damit gegendert.)
    Und Incels, die Amok laufen, bringen nicht gezielt Frauen um, sondern „ziellos“ (daher: Amoklauf) Frauen und Männer, weil sie nicht nur Frauen hassen, sondern die Gesellschalft als ganzes.
    Da werden mindestens drei Motivlagen oder Tätergruppen (Incel, Prostituiertenhasser und (Ex)Partner) als Femizid zusammengefasst, die wenig miteinander zu tun haben.
    Was Morde durch (Ex)Partner betrifft – kennt hier jemand Effi Briest? Ehemann bringt, um sein soziales Ansehen zu wahren, den Geliebten seiner Frau um. Von seiner Frau lässt er sich einfach nur scheiden. Man könnte argumentieren, dass hier ein Mann wegen seines Geschlechtes getötet wurde, und um der „Ehre“ willen. Keine Ahnung, wie häufig das in Deutschland vorkommt, aber wenn wir schon die weltweiten Tötungsdelikte erfassen, dann sowas auch.

  10. @MT#4:
    Schon, aber es ging um die Frage, warum sich die Frau nicht scheiden lässt, sondern der Scheidung sogar widersprach.
    https://de.wikipedia.org/wiki/Ehelicher_Beischlaf#Situation_in_Deutschland
    Im fraglichen Fall wollte er sich scheiden lassen, aber weil er eine Geliebte hatte und das Schuldprinzip noch galt, musste sie der Scheidung zustimmen.
    Hier ging es also darum, dass Sex beiden Spaß machen soll, und das andernfalls ein legitimer Scheidungsgrund wäre.

  11. @ #9 :Mycroft
    Naja, da steht ja nicht, „ausnahmslos jeder …“, sondern es werden Beispiele aufgeführt, die zweifelsohne Femizide sein können. Klar, bei weiblichen Protituierten können auch andere Motive vorliegen.

    Die Behauptung Incel-Amoks seien per se keine Femizide, ist aber einigermaßen abstrus: „Mein Krieg gegen Frauen. … Ich werde alle Frauen dafür bestrafen, dass sie mir Sex entzogen haben… Ich kann nicht jede einzelne Frau auf der Welt töten, aber… Ich werde eben die Mädchen angreifen, die alles vertreten, was ich am weiblichen Geschlecht hasse: Die heißeste Schwesternschaft der UCSB.“ […] „In diesen Lagern wird die überwiegende Mehrheit der weiblichen Bevölkerung bewusst zu Tode gehungert werden. Das wäre eine effiziente und passende Weise, sie alle zu töten … Ich würde einen riesigen Turm nur für mich errichten lassen … und sie alle genüsslich beim Sterben beobachten.“
    https://de.wikipedia.org/wiki/Amoklauf_von_Isla_Vista

    Einfach zu sagen, „die hassen auch die Gesellschaft als Ganzes“, deswegen töten sie bei diesen Taten auch Männer (true) blendet Frauenhass sowohl als ideologische wie spezifische Tatmotivation völlig aus. Ich wüsste nicht, warum man das nicht als Femizid werten sollte, es sei denn, man will eigentlich darauf hinaus, dass die ganze Kategorie sinnfrei wäre. Das glaube ich tatsächlich nicht.

    Was das Komplementär („Androzid“ for a lack of a better word) angeht, ja, das kann es durchaus geben: zum Beispiel auch in Form von Kriegsverbrechen an Jungen und Männern im wehrfähigen Alter; oder auch an schwulen Männnern, zum Beispiel im Rahmen der „Ehrenmord“-Problematik. Hätte ich persönlich auch kein Problem damit, das auch so zu zählen.

  12. „Die Behauptung Incel-Amoks seien per se keine Femizide, ist aber einigermaßen abstrus…“
    Wo habe ich „per se“ geschrieben? Der Punkt war, dass die Incels als Täter eben nicht „gezielt“ Frauen ermorden, also Männer verschonen; d.h., das Risiko, dass Sie oder ich mal einem Incel-Amoklauf zum Opfer fallen, ist nur geringfügig geringer, als dass einer Frau das passiert. Dann stürben wir also abstruserweise wegen „Frauenhass“? Okeee…

    Und wie würde dann die Schlagzeile lauten?
    „Zehn Menschen ermordet, weil sie Frauen waren, und acht weitere, obwohl sie keine Frauen waren!“?

    Der komplementäre Begriff wäre mMn Maskuzid, aber Wörter sind Schall und Rausch.

  13. Ok, anderes Beispiel:
    Ein islamistischer Terrorist, der u.a. viel auf antisemitischen VT-Seiten unterwegs war, bringt in einer Kneipe drei Juden, drei Christen, drei Moslems und drei Atheisten um, wobei er ruft: „Tod allen Ungläubigen!“
    Das als „Antisemitischer Terroranschlag“ zusammenzufassen, träfe den Sachverhalt nicht so ganz, mMn, auch wenn es nicht komplett oder meinetwegen „per se“ falsch ist.
    In der derzeitigen Verwendung ist der Begriff „Femizid“ so wischi-waschi, dass man ihn entweder erstmal einigermaßen einheitlich definieren sollte oder ganz weglassen. Letzteres wäre frauenfeindlich und ersteres ist anscheinend zu kompliziert…

  14. Ein antisemitischer Anschlag ist ein antisemitischer Anschlag.
    Ein fundamentalistischer Anschlag ist ein fundamentalistischer Anschlag.
    Ein frauenfeindlicher Anschlag ist ein frauenfeindlicher Anschlag.

    Für alle 3 ( und es könnten nat. auch weitere gefunden werden ) Anschläge gilt, dass die Motivation nicht durch die Opfer belegt wird.

    Dass ein Muslim Opfer eines antisemitischen Anschlag werden kann, ist nicht neu.
    Ebenso kann ein Mann Opfer eines frauenfeindlichen Anschlags werden. Dass das dann ein Femizid wäre, hat niemand behauptet. Die Konstellation ist imho nur wieder ein Strohmann.

  15. „Dass ein Muslim Opfer eines antisemitischen Anschlag werden kann, ist nicht neu.“ Oft sind Muslime sogar die _Ziele_ von Islamisten, deshalb nennt man das dann einen _islamistischen_ Anschlag, wenn man ordentlich ist. Dass Islamisten nur gegen das „christliche Abendland“ kämpften, ist ja ein rechtes Narrativ. (Im meinem Beispiel stand übrigens „Tod allen Ungläubigen“, damit wären Juden, Christen und Atheisten mit erfasst und natürlich Muslime, die vom Glauben abfielen, und der Islamist im theoretischen Beispiel greift keine Synagoge oder Kirche an, sondern einen Alkohol-Ausschank, wo natürlich keine „wahren“ Moslems zu finden wären…)

    Analog könnten Sie oder ich Ziele und nicht bloß zufällige Opfer eines Incel-Anschlages werden – wie die realen Fälle beweisen – deshalb greift die kritisierte Behauptung/Formulierung, Incels würden „gezielt“ Frauen ermorden, zu kurz.

    Aber ja: Incels töten Frauen aus Frauenhass, das sind dann Femizide, und Männer aus Männerhass, dass sind dann Maskuzide oder was auch immer. Manche würden das dann auch Menschenhass und Homizide nennen, aber Medien müssen das natürlich getrennt auflisten. Die männlichen Opfer von Alta Vista sind genauso tot wie die weiblichen, sie wurden mindestens genauso gezielt ermordet, sie haben ebenso Angehörige, die um sie trauern, sie hatten alle den Tod gleichermaßen nicht verdient, und sie verdienen alle dasselbe Mitleid. Trotzdem sollen sie im Tod nicht gleich sein, denn ihre Ermordungen werden unterschiedlich genannt. Weil ihr Mörder – der seinen allumfassenden Menschenhass durchaus dokumentiert hat – die einen anscheinend etwas weniger gehasst hat als die anderen. Nicht soviel weniger, um sie zu verschonen, aber ein klitzekleines Bisschen.
    Ja, ich weiß, Wörter sind Schall und Rauch… merken Sie sich das fürs nächste Mal, wo jemand Teer und Asphalt verwechselt.

  16. Der übliche Blödsinn, also eine letzte Richtigstellung und dann Schluss.

    Also noch einmal: Ein antisemitischer Anschlag ist ein antisemitischer Anschlag.
    Nicht die Opfer determinieren die Motivation, die Motivation ist der Agens.

    Quelle Wiki, „Anschlag in Halle“, Absatz „Motive“
    „Kurz vor dem Anschlag veröffentlichte B. auf dem Imageboard Meguca einen Link auf sein Bekennerschreiben. Darin erklärte er in englischer Sprache sein Vorhaben und seine Motive: Anfangs habe er eine Moschee oder ein Antifa-Zentrum stürmen wollen, weil sie schlechter bewacht seien. Doch wolle er vorrangig Juden ermorden, da diese auch hinter muslimischer Einwanderung nach Europa steckten. Die Synagoge von Halle sei der nächstgelegene Ort, wo er Juden finden könne. Am Jom Kippur würden sich dort hoffentlich auch viele nichtreligiöse Juden aufhalten. Er habe die Synagoge nicht ausgekundschaftet, um nicht aufzufallen. Zudem beschrieb er ausführlich die Herstellung seiner selbstgebauten Waffen. Somit sollte der Anschlag auch deren Schlagkraft beweisen.[1]
    […]
    3. Töte so viele Anti-Weiße wie möglich, vorzugsweise Juden; Bonus: Nicht sterben.“ Er forderte seine Leser zur Nachahmung auf, warnte dabei aber vor der „ZOG“. Diese Abkürzung für „Zionist Occupied Government“ bezeichnet die bei Neonazis verbreitete Verschwörungstheorie für angeblich von Juden beherrschte Regierungen. “

    Wenn Frauen ermordet werden, weil sie Frauen sind, ist das ein Femizid.
    Und zwar egal ob aus Frauenhass, aus Geringschätzung der Frauen, weil sie die leichteren Oper scheinen oder was auch immer.

    Sie, @Mycroft, erfinden am laufenden Band Strohmänner, um das zu relativieren.

  17. „Wenn Frauen ermordet werden, weil sie Frauen sind, ist das ein Femizid.“
    Ja. Die Behauptung war aber, dass Incels, und als Beispiel der Amokläufer von Alta Vista, _gezielt_ Frauen ermordeten, und das ist offensichtlich falsch.

    „Nicht die Opfer determinieren die Motivation, die Motivation ist der Agens.“
    Der Amokläufer selbst sprach von seiner Motivation oder Agenda:

    Morgen ist der Tag der Vergeltung, der Tag, an dem ich mich an der _Menschheit_ rächen werde, an euch allen. …

    Siehe Link, den Herr Reisin netterweise geliefert hat. Hervorhebung von mir. Sein Hass beschränkte sich also nicht auf Frauen, er plante auch nicht, hauptsächlich oder _gezielt_ Frauen umzubringen (im Unterschied zum Attentäter von Halle, der tatsächlich Juden zum _Ziel_ hatte). Und wenn Sie jetzt sagen: „Taten zählen mehr als Worte“, ok, aber dieser Amokläufer hat doppelt so viele Männer wie Frauen umgebracht. Von „gezielt Frauen ermorden“ kann in dem Fall zumindest keine Rede sein.
    Also zwei Femizide und vier Maskuzide. Oder zwei Feimzide und vier „normale Morde“, suchen Sie es sich aus.

  18. @alle außer Frank Gemein:
    Wenn jemand sagt, (Blackpiller-)Incels hassen Frauen, und ich sage: „Die hassen alle Menschen!“, wer von uns „relativiert“, also verharmlost das dann? Davon abgesehen, dass der Hass dieser Gruppe auf die Gesamtgesellschaft schon recht gut dokumentiert ist.
    Weiterhin, der guten Ordnung halber darf man das nennen, wie man will, aber angenommen, der Attentäter von Halle hätte seine Pläne verwirklicht, wären das nicht Judäozide? Sollten Medien Morde an Sinti und Roma nicht Sintiromaequezide nennen? Infantizide müsste man natürlich auch benennen, weil es sonst nicht genug Mitgefühl gibt.
    Weil Weihnachten ist, bin ich vielleicht zynischer als sonst, aber ich bezweifle so ein bisschen, dass sich Mordraten durch bessere Begrifflichkeiten senken lassen.

  19. „Wenn jemand sagt, (Blackpiller-)Incels hassen Frauen, und ich sage: „Die hassen alle Menschen!“, wer von uns „relativiert“, also verharmlost das dann? “

    Black lifes matter All lifes matter

    Für mich eine ziemlich leichte Antwort: Natürlich relativieren Sie und natürlich versuchen Sie hier das eine gegen das andere auszuspielen.

    Kennt man, ist immer dieselbe Methode!

    Es geht letztlich um die Zuordnung der Femizide zu den bias crime/hate crime aka Hassverbrechen, um auf der einen Seite damit eine besondere Schwere der Schuld zu begründen und auf der anderen Seite heute noch besonders vulnerable Menschen auch besonders zu schützen.

    https://de.wikipedia.org/wiki/Hasskriminalit%C3%A4t#H%C3%A4ufigkeit_von_Hasskriminalit%C3%A4t_in_Deutschland

    „Auswirkungen auf das Individuum:
    Es wird spezifisches psychologisches und emotionales Leid zugefügt, welches Rückwirkungen auf die Identität und das Selbstwertgefühl des Opfers hat. Opfer von Hate crimes können stärker von psychologischen Nachwirkungen und Krankheiten betroffen sein als Opfer vergleichbarer Gewalttaten. Durch entsprechende Unterstützung können die Folgewirkungen nach dem Trauma gemindert werden. Zusätzlich ist der Grad der Gewalttätigkeit oft viel extremer als bei anderen Taten.
    Hate Crimes werden von den Opfern seltener angezeigt als vergleichbare nicht-bias-motivierte Verbrechen, selbst wenn der Täter bekannt ist.
    […]“

  20. Meine Damen und Herren,
    Herr Gemein verharmlost oder „relativiert“ die einen Morde, indem er den Opfern den hatecrime-Opfer-Status abspricht.
    Ohne „hatecrime“ sollen mildere Strafen möglich sein, also Verharmlosung.
    Ohne „hatecrime“ wären die Opfer nicht so „vulnerabel“, was ein subtiler Hinweis darauf ist, dass sie sich doch selbst hätten schützen können.
    Dass er sich nicht vorstellen kann, dass Incels auch Männer hassen, mag seinem Lagerdenken zuzuschreiben sein.
    Und dann zitiert er einen Absatz über Hasskriminalität, der sich erkennbar nicht auf Morde bezieht:
    „Opfer von Hate crimes können stärker von psychologischen Nachwirkungen und Krankheiten betroffen sein als Opfer vergleichbarer Gewalttaten.“
    Das mag sein, gilt aber nicht für Mordopfer.
    „Zusätzlich ist der Grad der Gewalttätigkeit oft viel extremer als bei anderen Taten.“ Aber auch, wenn auf das Opfer 15-20 Mal eingestochen wurde, verdient es nicht genausoviel Mitgefühl wie ein „echtes“ Hate-Crime-Opfer.
    „Hate Crimes werden von den Opfern seltener angezeigt als vergleichbare nicht-bias-motivierte Verbrechen, selbst wenn der Täter bekannt ist.“ Bei Tötungsdelikten ist es generell so, dass sie nicht von den Opfern angezeigt werden. Aus offensichtlichen Gründen.
    Ansonsten, wenn es zukünftigen Opfern helfen würde, dass solche Verbrechen als xy-zide zu bezeichnen, was spräche dagegen, bei Alta Vista von Maskuziden zu sprechen? Selbst, wenn es nichts nutzt, kann es ja auch nicht schaden. Herr Gemein wehrt sich dagegen.

  21. Können wir abschliessend noch mal feststellen:

    Mycroft weist wieder daraufhin, „All lives matter“, mit exakt den gleichen Argumenten, wie die Relativerer in den USA auch.
    Wer auf die besondere Situation der Frauen hinweist, dem wird vorgehalten, er mißachte die möglichen anderen Opfer.
    Die Strategie ist zu verhindern, dass das Besondere an der Situation nicht herausgestellt werden darf, weil angeblich alle nicht einbezogenen Gruppen dadurch missachtet würden.
    Eine immer infame Taktik!

    Logisch zu ende gedacht bedeutete dies, dass der Kinderschutz sich vor allem durch Menschenverachtung auszeichnet, weil nicht alle anderen auch mitbedacht seien.

    Dazu dann noch ein bißchen Erbsenzählerei bzgl. des „hate-crime“ Zitats um mal wieder die Nebelmaschine anzuwerfen und fertig ist der Sermon.

  22. Wenn ich sage, dass dieser Incel die ganze Menschheit hasste und Herr Gemein behauptet, er habe nur die Hälfte gehasst, wer von uns verharmlost den Incel, so von der Logik her?

    „Mycroft weist wieder daraufhin, „All lives matter“, mit exakt den gleichen Argumenten, wie die Relativerer in den USA auch.“
    Die All-Live-Matter-Sager vergleichen den Tod eines Schwarzen durch Polizeigewalt mit den Tod irgendeines Weißen durch irgendwen anders, um die Polizei (und Staat und Gesellschaft) zu verteidigen. Sie sind halt nicht von Polizeigewalt betroffen.
    Ich vergleiche die Ermordung eines Mannes durch einen Incel mit der Ermordung einer Frau durch genau denselben Incel. Es läge mir fern, den Incel zu verteidigen oder verharmlosen. Warum sollte man mir das unterstellen? Ich gehöre zur seiner „Zielgruppe“ und identifiziere mich mit seinen Opfern.

    „Logisch zu ende gedacht bedeutete dies, dass der Kinderschutz sich vor allem durch Menschenverachtung auszeichnet, weil nicht alle anderen auch mitbedacht seien.“ Logisch zu Ende gedacht – liebe Mitmenschen, die hier noch mitlesen – bedeutet das, dass man nicht nur von Femiziden lesen sollte, sondern auch ggfs. von Maskuziden und eben Infantiziden, s.a. #. Kann ja zumindest nicht schaden.
    Aber dann halt nach Sachverhalt, nicht nach Willkür.

  23. Dass man die Wörter Maskuzid, Infantizid und dergleichen verwenden sollte, sofern passend, meine ich übrigens unironisch.
    https://uebermedien.de/33214/hasswort-beziehungsdrama/

    Ob das den erhofften postitiven Effekt auch potentielle Täter, Strafverfolgungsbehörden oder die Gesellschaft im Allgeminenen haben wird, kann sein oder nicht, aber es ist immerhin präziser als „Beziehungsdrama“ oder „Amoklauf“.

  24. Femizid ist ein treffender Begriff für „Beziehungstaten“ (schrecklich verharmlosender Begriff!). Frauen leben in einer Beziehung, oder besser gesagt bei einer Trennung nachgewiesen gefährlicher als Männer.
    Aber ja, nicht jede ermordete Frau ist Opfer eines Femizids.

    „Wenn zum Beispiel ein Mann seine Frau, seinen Sohn und seine Tochter tötet, ist der Mord an der Tochter dann ein Femizid, der am Jungen aber „nur“ ein Kindsmord?“ Tatsächlich fällt der Sohn hier auch unter den Begriff Femizid, wenn zbps eine Trennung im Raum steht. Selbst wenn der Vater die Kinder umbringt, um ihnen das Leid zu ersparen, sind sie tot, weil der Mann seine Frau umgebracht hat. In vielen Fällen werden Kinder vom Expartner / Vater ermordet, um sie der Mutter wegzunehmen.
    Er wurde getötet, weil der Mann ihn, die Tochter und Frau als seinen Besitz sieht.

    Man könnte es aber auch „Mord aus niederen, chauvinistischen Gründen“ oder so nennen. Aber das die patriachalen Strukturen sehr viele Morde begünstigen, sollte auch immer wieder so kommuniziert werden.
    Darunter fallen für mich dann auch die ganzen Bar. Schlägereien/ Verbrechen alla „was schaust du mich so an“. Generell sämtliche Verbrechen, die irgendwas mit „Ehre“, Besitzanspruch, „Kräftemessen“ usw zu tun hat..
    Erinnert mich oft an eine Doku über Makaken. Da wurde ein fremdes , jugendliches Männchen von den anderen getötet, weil unter den Männchen im Rudel gerade ein Machtkampf geherrscht hat, und jeder seine „Härte“ zeigen musste. Unter anderen Bedingungen werden solche Fremden oft in den Rudel aufgenommen. Ich glaube, Menschen sind da noch recht ähnlich…

Einen Kommentar schreiben

Mit dem Absenden stimmen Sie zu, dass Ihre Angaben gemäß unseren Datenschutzhinweisen gespeichert werden. Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.