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Im November schreibt ein Student aus Aachen einen Beschwerdebrief an den Hessischen Rundfunk (HR). Hauke Diers ärgert sich über einen Werbespot, der in verschiedenen Varianten abends im Ersten, dem Hauptprogramm der ARD, gelaufen ist.
Die Clips zeigen Touristen in einem luxuriösen Restaurant, eine Abenteuerfahrt durch Wüstensand, Menschen auf einem Motorboot – eine Kampagne für Reisen nach Katar. Die Spots würden „extrem klimaschädliches Verhalten“ bewerben, schreibt Hauke Diers an den HR und fordert, solche „im hohen Maße umweltschädliche Werbung in Zukunft nicht mehr zu schalten“. Der Brief, der Übermedien vorliegt, verweist unter anderem auf den immens hohen CO₂-Ausstoß, den ein Flug nach Katar verursacht.
Die Beschwerde hat eine rechtliche Grundlage: Fernseh- und Radiowerbung darf in Deutschland keine Verhaltensweisen fördern, die „in hohem Maße den Schutz der Umwelt gefährden“. So steht es im Paragraf 8 des Medienstaatsvertrags, an den sich alle Rundfunk- und Onlinemedien in Deutschland halten müssen, private genauso wie öffentlich-rechtliche.
In der Praxis hat diese Regel allerdings kaum Folgen. Das zeigt auch die Beschwerde über die Katar-Reisewerbung.
Hauke Diers beschreibt in seinem Brief nicht nur den Spot, sondern auch dessen Platzierung im Programm. Denn am 4. und 6. November berichtete die ARD abends in ihrer Rubrik „Wissen vor acht“ über Wassermangel und Extremwetter – zwei mögliche Folgen der Klimakrise. Es sei „besonders grotesk“ gewesen, dann innerhalb von Minuten „einen der Verursacher in der Werbung“ zu sehen, schreibt Hauke Diers. Gemeint ist, dass die Katar-Kampagne indirekt für emissionsreiche Flüge wirbt. Flugzeuge sind in dem Spot zwar gar nicht zu sehen, die Webseite zur Kampagne „Visit Qatar“ verlinkt aber mehrere Airlines (und eine Anreise mit dem Auto scheint eher unwahrscheinlich).
Verantwortlich für die Fernsehwerbung im Ersten ist die ARD Media GmbH, eine Tochtergesellschaft der Werbegesellschaften der ARD-Anstalten mit Sitz in Frankfurt am Main. Der HR sitzt ebenfalls in Frankfurt und ist deshalb für die Beschwerde zuständig.
HR-Intendant Florian Hager beantwortet den Brief innerhalb weniger Tage, indem er ein Statement der ARD Media GmbH weiterleitet. Das Unternehmen weist darin jede Verantwortung zurück: Ob Flugreisen beworben werden sollten, sei eine gesellschaftspolitische Frage, heißt es. Darüber zu entscheiden, sei nicht die Aufgabe von Werbezeitvermarktern.
Hauke Diers wendet sich daraufhin an das Aufsichtsgremium des HR, den Rundfunkrat. Darin sitzen Personen aus Politik, Kirche, Gewerkschaften und anderen gesellschaftlichen Gruppen, die die Arbeit des öffentlich-rechtlichen Senders kontrollieren sollen. Vorsitzende des Gremiums ist Miriam Dangel vom Hessischen Bauernverband, die dort laut Webseite unter anderem für Umwelt und Nachhaltigkeit zuständig ist.
Sie könne seine Irritation über die Kombination von Reisewerbung und Klimaberichterstattung gut nachvollziehen, schreibt die Vorsitzende in einer Mail an Hauke Diers, die Übermedien vorliegt. Die juristische Prüfung sei jedoch eindeutig ausgefallen: Die Reisewerbung falle nicht unter Paragraf 8. „Es müsste schon der einzelne Spot für sich genommen in hohem Maße eine Umweltgefährdung darstellen.“ Wie genau so ein Spot aussehen müsste, schreibt sie nicht. Stattdessen: Weil der Fall so eindeutig sei, würde sie gerne auf die weitere Diskussion im Rundfunkrat verzichten: „Wären Sie einverstanden?“
Hauke Diers ist nicht einverstanden. Deswegen diskutiert am 18. März der Beschwerdeausschuss des Rundfunkrats über die Werbung. Von der nichtöffentlichen Debatte erhält der Beschwerdeführer eine Zusammenfassung, die Übermedien vorliegt. Rechtlich ist der Spot aus Sicht des Gremiums und einer hinzugezogenen Juristin nicht zu beanstanden. Eingriffe in die Werbefreiheit seien nur unter strengen Voraussetzungen zulässig und Flugreisen nicht verboten. Außerdem arbeite die Redaktion grundsätzlich unabhängig von den Werbevermarktern, das Zusammentreffen von Spot und Klimakrisenberichten war demnach Zufall. Der Ausschuss empfiehlt, die Beschwerde zurückzuweisen.
Auch im kompletten Rundfunkrat wird am 6. Juni noch einmal über den Fall diskutiert, diesmal öffentlich. Das Gremium folgt schließlich der Empfehlung des Beschwerdeausschusses: Die Beschwerde wird einstimmig abgelehnt.
Die Diskussionen in beiden Gremien zeigen, dass viele Rundfunkratsmitglieder die Kritik grundsätzlich sympathisch finden. Das Anliegen sei auf viel Verständnis gestoßen, heißt es in der Zusammenfassung des Beschwerdeausschusses; den Katar-Spot sehe der Ausschuss kritisch.
Im gesamten Rundfunkrat gibt es allerdings verschiedene Meinungen. Die Frage nach Werbung für klimaschädliche Produkte sei eine politische Diskussion, findet eine Vertreterin der evangelischen Kirche. Ein FDP-Politiker sagt, es sei nicht Aufgabe der öffentlich-rechtlichen Sender, Flugscham zu vermitteln. Für den Beschluss spielen diese Argumente aber keine Rolle: Die Rundfunkräte sehen schlicht keinen rechtlichen Spielraum.
Dabei ist auffällig, dass in allen Schreiben, Diskussionen und Protokollen eine Frage unbeantwortet bleibt: Wie müsste denn eine Werbung aussehen, damit sie als zu umweltschädlich nach Paragraf 8 abgelehnt wird? Wann gefährdet ein Spot „in hohem Maße“ die Umwelt? Und für welche Produkte müsste er werben?
Umsetzen muss die Regel die ARD Media GmbH, die alle Spots prüft und erst dann zur Ausstrahlung freigibt. Der Sprecher des Unternehmens, Norbert Rüdell, sagt in der öffentlichen Rundfunkratssitzung, die Regel sei in ihrer jetzigen Form „nicht wirklich umsetzbar“. Man bräuchte klare Vorgaben, um den Paragrafen anwenden zu können: „Der Gesetzgeber hat es sich ein bisschen leicht gemacht.“
Auf die Nachfrage von Übermedien, wie solche konkreten Vorgaben denn aussehen müssten, weicht Rüdell aus: Aufgabe seines Unternehmens sei es, auf „offensichtliche Rechtsverstöße“ zu prüfen, schreibt er. Die Frage, ob schon einmal ein Spot als zu umweltschädlich abgelehnt worden sei, beantwortet er ebenfalls ausweichend: Ablehnungen seien grundsätzlich sehr selten – die Agenturen und Unternehmen seien über die gesetzlichen Vorgaben schließlich informiert.
Zusätzlich zum Medienstaatsvertrag gelten für die ARD eigene Werberichtlinien. Darin finden sich konkrete Klauseln unter anderem für Tabak- und Alkoholwerbung. In Sachen Umweltschutz steht in den Richtlinien exakt die gleiche Formulierung wie im Medienstaatsvertrag – ohne weitere Konkretisierung.
Es ist kein Fall bekannt, bei dem die Klausel zu umweltschädlicher Werbung bisher zum Einsatz gekommen ist. Was bedeutet: Die Formulierung steht seit Jahren im Medienstaatsvertrag, ohne irgendwelche Auswirkungen zu haben.
Dass sich der Paragraf auch ganz anders auslegen ließe, zeigte im Mai 2024 eine Auswertung der Otto-Brenner-Stiftung. Das Autorenteam untersuchte Werbeclips im öffentlich-rechtlichen und privaten Fernsehen sowie auf YouTube. Fast ein Drittel der Fernsehwerbespots bewerbe klimaschädliche Produkte, folgerten die Autoren. Das verletze den Medienstaatsvertrag.
Als klimaschädlich bewerteten die Autoren Produkte mit großem CO₂-Fußabdruck oder indem sie prüften, „ob es klimafreundlichere Alternativen gibt bzw. das Produkt nach Ansicht der Verfasser*innen als verzichtbar gelten kann“. Diese breite und ungenaue Definition führte dazu, dass unter anderem sämtliche Spots für Tiefkühlpizza, Wegwerfwindeln, Burger, Käse, Schokolade und Kaffee als klimaschädlich eingestuft wurden.
Es ist unwahrscheinlich, dass Rundfunkräte in Zukunft Schokoladenwerbung als Verstoß gegen den Medienstaatsvertrag werten. Nach aktuellem Forschungsstand ist nicht endgültig belegt, wie Werbeverbote überhaupt wirken – ob zum Beispiel weniger Werbung für Flugreisen tatsächlich dazu führt, dass weniger Menschen fliegen. Die Autoren der OBS-Studie fordern auch kein generelles Werbeverbot für klimaschädliche Produkte, sondern schlagen weitere Lösungen vor, zum Beispiel jährliche Berichte, verpflichtende Warnhinweise in Spots, ein CO₂-Gesamtbudget für Werbung pro Sender oder variable Werbepreise je nach Produkt.
Klimaschädliche Werbung zu regeln, sei ein politischer Auftrag, findet Hauke Diers, der sich beim HR über die Katar-Werbung beschwert hat. Im Gespräch mit Übermedien äußert er Verständnis, dass weder der Rundfunkrat noch die ARD Media Group die Katar-Werbung eindeutig verurteilen. Schade sei aber gewesen, dass alle Beteiligten die Frage vermieden hätten, wann die Regel im Medienstaatsvertrag denn nun greife, „dabei wäre das das Spannendste gewesen“. Diese Debatte sei umgangen worden.
Die Vorsitzende des HR-Rundfunkrats schreibt auf Anfrage von Übermedien, es sei Aufgabe des Gesetzgebers zu prüfen, ob der Paragraf 8 noch angemessen und zeitgemäß sei. Die Diskussion darüber betreffe die Gesellschaft als Ganzes und solle auch dort geführt werden. Ihr Gremium prüfe lediglich, ob rechtliche Verstöße vorliegen.
Nicht nur die öffentlich-rechtlichen Aufsichtsgremien haben Schwierigkeiten, den Paragrafen auf Werbung anzuwenden, sondern auch die Landesmedienanstalten, die private Sender und Online-Medien kontrollieren. Der Direktor der Niedersächsischen Landesmedienanstalt, Christian Krebs, kritisierte schon vor einem Jahr, dass die Hürden hoch seien, einzelne Werbeclips wegen Umweltgefährdung zu verbieten. Er wisse, wie Gerichte die Formulierung „in hohem Maße“ auslegen würden, sagt er der Katholischen Nachrichtenagentur: „Ich kann mir keinen einzigen Spot vorstellen, der diese Latte reißt.“
Annika Schneider ist Redakteurin bei Übermedien. Als freie Medienjournalistin hat sie als Moderatorin und Autorin beim Deutschlandfunk und WDR gearbeitet, außerdem als Kolumnistin beim MDR-Altpapier. Sie hat Journalistik und Politikwissenschaft in Eichstätt und Erlangen studiert und ihr Handwerk im Lokalen gelernt. 2025 wurde sie für ihre Arbeit bei Übermedien mit dem Donnepp Media Award für Medienpublizistik ausgezeichnet.
Ich bin beeindruckt, dass dieses epochale Problem endlich Eingang in die Medienkritik gefunden hat.
Dabei liefert die ARD täglich ausreichend Material für Kritik. Und wenn es nur die ist, dass der Zuseher für 18,36 Euro monatlich nur noch mit Konserven abgespeist wird, weil zuviel Geld in überzogenen Gehältern, Pensionen und Pensionsrückstellungen versickert.
Aber gut. Gerade eben lief übrigens Werbung für Kreuzfahrten.
Kreuzfahrten war tatsächlich auch mein erster Gedanke. Ernsthaft könnte das niemand verteidigen. Aber es gibt bestimmt irgendwelche hahnebüchenen Argumente warum auch Werbung für Kreuzfahrten in Ordnung ist.
Ich denke das ein Verbot schon auch sinnvoll sein könnte. Wenn man nicht regelmäßig mit etwas zugebombt wird denkt man auch nicht so oft daran. Aber die Umsetzung ist vermutlich kaum möglich auch mit klareren Richtlinien.
„Warnhinweise“ wären bestimmt effektiver. Wie auf Tabak.
Aber von sowas kann ich vermutlich nur träumen in unserem Raubtier Kapitalismus.
Kreuzfahrten, Flüge / ferne Urlaubsziele und Autos (v.a. Verbrenner und Hybrid-SUVs) sind tatsächlich die Produkte, die am augenfälligsten den §8 Medienstaatsvertrag verletzen – denn mit so etwas überschreitet man sein faires CO2-Budget fürs ganze Jahr, das 1,5 Tonnen beträgt (siehe die im Text verlinkte Studie von Otto-Brenner-Stiftung und Universität Leipzig, ich bin einer der Autor:innen). Und dann ist es auch egal, ob und wie ein Werbeverbot wirkt: Der Gesetzgeber hat (schon vor 34 Jahren) gesagt, dass er Werbung für umweltschädliche Verhaltensweisen nicht gesendet haben möchte. Punkt. Das nun zu konkretisieren, damit Rundfunkräte oder Gerichte dieses Verbot auch durchsetzen können, wäre meines Erachtens das Gebot der Stunde für alle Medienpolitiker:innen, im Angesicht der sich verschärfenden Klimakrise. Wenn das die Politik nicht möchte, dann sollte sie sich wenigstens ehrlich machen und die Vorgabe abschaffen (denn so wie jetzt ist sie witzlos, wie der Artikel sehr schön zeigt).
Studien zur Wirksamkeit von Werbung zu verlangen ist schon irgendwie niedlich, wenn Werbung nicht wirken würde, würden die Konzerne ja nicht ewig Geld dafür ausgeben…
@Simon H.:
Die Flugkonzerne geben Geld für Werbung aus, damit die, die fliegen wollen, nicht bei der Konferenz einsteigen. Die Frage wäre, wie viele erst durch eine Werbung auf die Idee kommen, eine Flugreise zu unternehmen.
Dazu ein berühmtes Zitat, das man in jeder Marketing-Vorlesung mit als erstes auf den Weg bekommt:
@4 „Ich weiß, die Hälfte meiner Werbung ist hinausgeworfenes Geld. Ich weiß nur nicht, welche.“ Henry Ford
Worauf ich hinaus will im Allgemeineren: Entgegen dem Klischee gibt nicht allein der Staat nutzlos Geld aus. Die unglaublich hohe Effizienz jeglicher privater Unternehmen ist eine Mär.
(Ich würde sogar soweit gehen, dass öffentlich-staatliche Betreibungen ähnlich effizient sind, aber das ist natürlich auch eine steile These.)
Ansonsten können wir doch mal kreativ werden und uns einen Spot ausdenken, der das Kriterium erfüllen würde.
Also es sollte losgehen mit einer brennenden Feuerschale, in der aber kein Holz liegt, sondern Öl verbrannt wird in einer riesigen Flamme.
Man sollte die Uhrzeit sehen, etwa 14:00 Uhr. Und natürlich ein Blick auf ein Thermoter
* Verbrenne Öl“ *Pause* „glaube mir, das geht runter wie Öl“
* es gehen junge skeptische Menschen vorbei, diese werden als häßliche Fratzen karikiert*
„Die Opfer könnens sich halt nicht leisten, aber DU schon. Wärme ist geil… Verbrenne Öl“
*dazu umweltschädlicher Umgang mit dem Öl beim achtlosen Nachfüllen*
„Für einen nachhaltig warmen Planeten: Verbrenne Öl“
(Achso, falls sich gerade jemand denkt, an einem Sonnerabend sinnlos mit Holz ne Feuerschale zu betreiben, ist ja gar nicht so anders… Ja, stimmt.)
Oder alles, wo mit möglichst viel CO2-Ausstoß Werbung gemacht wird.
Eine andere Frage zu Werbung bei den ÖR treibt mich schon eine Weile um und ich komme da einfach nicht weiter – vielleicht kann hier ja jemand helfen?
Ich habe festgestellt, dass der tagesschau-Bot auf Telegram ein Werbebanner für einen Kanal namens BolzPlatz einblendet. Nach Klick auf einen Info-Button kommt der Hinweis, dass 50 % der Einnahmen aus Telegram-Werbung an den Besitzer des Bots gehen, der sie ausspielt.
Der Kanal BolzPlatz wiederum dreht sich darum, mit dubiosen Methoden schnelles Geld zu machen.
Finde nur ich das skandalös?
Ich habe mich schon vor Wochen damit an die zuständige Stelle bei den ÖR gewandt und nie eine Antwort erhalten.
@KaraZ
Aus dem Bauch heraus und nach einer kurzen Recherche online würde ich vermuten, dass die Tagesschau gar nicht selbst auf Telegram ist, sondern eine dritte Person diesen Bot betreibt, der womöglich einfach nur andere Kanäle der Tagesschau online abgrast und sie auf Telegram repostet. (z.B. vom WhatsApp-Kanal)
Fremde Leistungen einfach nur zu kopieren passte dann ja auch dazu, einfach nur nen schnellen Euro machen zu wollen mit z.B. solch zweifelhaften beworbenen Kanälen.
@Peter Sievert, das ist hier nicht der Fall. Die Tagesschau bietet zweimal am Tag drei Kurznachrichten über verschiedene Messenger an, unter anderem Telegram. Der Bot, den ich nutze, ist das Original der Tagesschau – er ist auf der Website der Tagesschau verlinkt.
#10
Ja, stimmt. Habe es jetzt auch entdeckt. Sehr befremdlich tatsächlich, dass da dann überhaupt Werbung ist und dann auch noch solche…