Aserbaidschan-Interview

Die „Berliner Zeitung“ zeigt Verständnis für Autokratien – wieder einmal

Die „Berliner Zeitung“ interviewt einen Geschäftsmann aus Aserbaidschan, ohne dessen Verbindung zur Präsidentenfamilie zu erwähnen. Das Gespräch wirkt wie verkappte Werbung für das autoritäre Regime – und ist nicht der erste Beitrag dieser Art.

Aserbaidschan steht im Weltfreiheitsranking noch hinter China, Russland oder Somalia und gehört zu den unfreisten Staaten der Welt. Foto: IMAGO / Russian Look

Es gibt sie noch, die guten Nachrichten, und die „Berliner Zeitung“ präsentierte ihren Lesern auf einer Doppelseite am 21. Juni gleich zwei: „Warum Deutschland mehr kann, als es selbst glaubt – und Aserbaidschan mehr bietet, als viele erwarten.“

Überbringer der beiden frohen Botschaften ist ein Mann namens Mir Jamal Paschajew, den das Blatt interviewt hat. Die „Berliner Zeitung“ stellt ihn vor als stellvertretenden Vorsitzenden des Aufsichtsrates der Pasha Holding, ein „großes, privat geführtes Investment- und Beteiligungsunternehmen mit Sitz in Baku, Aserbaidschan“.

„Aserbaidschan“, so führt der stellvertretende Chefredakteur Daniel Cremer ins Interview ein, „will international investieren – und schaut dabei auch nach Deutschland“. Paschajew erklärt dann, dass seine Firma in Deutschland und speziell in Berlin kaufen möchte. „Interessante Arbitrage-Möglichkeiten“ sehe er auf dem Berliner Wohnungsmarkt. Er erzählt, dass in Deutschland grundsätzlich vieles gar nicht so schlecht sei, außer vielleicht die nervigen Umweltschutzregeln in der Baubranche, lobt die Politik von Donald Trump und schwärmt von der Arbeit der aserbaidschanischen Regierung.

Nicht nur rätselhaft, sondern skandalös

Warum die „Berliner Zeitung“ ausgerechnet Paschajew als Experten vorstellt und ihm so breiten Raum gibt, wird an keiner Stelle des Interviews klar. Aber wenn man mehr weiß über ihn und die von ihm geführten Unternehmen, muss man sagen: Das Gespräch ist nicht nur rätselhaft, sondern skandalös.

Es wirkt wie verkappte Werbung für das autoritäre aserbaidschanische Regime und einen mit ihm aufs engste verbundenen Konzern. Kaum etwas, das wir im Interview erfahren, bildet die Realität treffend ab. Und die „Berliner Zeitung“ widerspricht ihrem Interviewpartner an keiner Stelle oder ordnet seine Rolle und die seines Unternehmens ein.

Das beginnt schon damit, dass sie die Pasha Holding als Unternehmen vorstellt, das „im Besitz der Familie Paschajew ist, einer der bekanntesten Familien des Landes“. Das ist nicht falsch, verschweigt aber die wesentlichen Details. Aserbaidschan wird seit 2003 von Ilham Alijew mit harter Hand regiert, der Nachfolger seines Vaters wurde, man kann von einer Erbdiktatur sprechen. Die zweitmächtigste Person im Land ist Mehriban Alijewa, die Frau des Präsidenten und seit 2017 Vizepräsidentin des Landes – ein Titel, der nur für sie geschaffen wurde.

Gebürtig heißt sie Mehriban Paschajewa – das ist die weibliche Form von Paschajew. Ihr Vater Arif hat die Pasha Holding gegründet. Mir Jamal Paschajew, den die „Berliner Zeitung“ nun interviewt hat, ist ein Neffe des Gründers und damit ein Cousin der Präsidentengattin.

Mit der Präsidentenfamilie verwandt

Spätestens durch die Hochzeit zwischen Präsident und späterer Vizepräsidentin sind die Paschajews also Teil der Herrscherfamilie. Die Familie kontrolliert nahezu alle Bereiche der aserbaidschanischen Wirtschaft. Mehrheitseigner der Pasha Holding, deren Expertise die „Berliner Zeitung“ so schätzt, sind laut Recherchenetzwerk OCCRP die beiden Töchter des Präsidentenpaares. (Die genaue Eigentümerstruktur ist nicht öffentlich und wird offenbar auch bewusst verschleiert.) Die Pasha Holding ist also nicht nur ein Familienbetrieb der Paschajews, sondern gehört direkt oder indirekt der Präsidentenfamilie.

Der autoritäre aserbaidschanische Präsident llham Aliyew mit seiner Frau Mehriban auf einer Wirtschaftskonferenz in Mailand. Foto: IMAGO/Zuma Press

Mir Jamal Paschajew ist aber mit den Töchtern des Präsidentenpaares nicht nur verwandt und über die Pasha Holding geschäftlich mit ihnen verbunden. Er hält auch gemeinsam mit ihnen unzählige Briefkastenfirmen in Steueroasen. Viele dieser Firmen scheinen dem Zweck zu dienen, Immobilien vor allem in Großbritannien zu kaufen und zu verschleiern, dass sie dem Diktator von Aserbaidschan gehören. Andere Firmen wurden offenbar genutzt, um europäische Politiker in Europa zu beeinflussen, im Sinne von Aserbaidschan zu handeln. (Der amerikanische Thinktank Carnegie Endowment for International Peace (CEIP) gibt hier einen Überblick über die Struktur der Korruption in Aserbaidschan.)

Auf unsere Frage, warum die „Berliner Zeitung“ nicht erwähnt hat, dass die Familie Paschajew familiär und geschäftlich eng mit der Familie des aserbaidschanischen Präsidenten verbunden ist und das Unternehmen mehrheitlich seinen Töchtern gehört, antwortet Chefredakteur Tomasz Kurianowicz: „Unserer Kenntnis nach enthält Ihre Frage Unwahrheiten. Mehrheitlich gehört das Unternehmen nicht den Töchtern, sondern dem Gründer, der ihr Opa ist.“ Wohlgemerkt: Die „Berliner Zeitung“ hat gar keine Verbindung ihres Gesprächspartners und seiner Firma zur Herrscherfamilie erwähnt.

Ein Geflecht von Briefkastenfirmen

Wenn Paschajew in der „Berliner Zeitung“ wohlwollend nach seinen künftigen Investitionen in deutsche Immobilien gefragt wird, muss man sich zwangsläufig fragen: Möchte die Pasha Holding hier investieren? Oder sind es die windigen Offshore-Firmen von Paschajew, die am Ende mehrheitlich der Herrscherfamilie gehören, die bereits Immobilien in ganz Europa besitzt?

Immerhin hat Paschajew nicht vor, im großen Stil in Deutschland Immobilien zu kaufen, sondern plant, wie er der „Berliner Zeitung“ erzählt, nur „ein oder zwei Pilotprojekte“, da Milliardenbeträge „außerhalb unserer finanziellen Möglichkeiten liegen“. Dabei scheinen die finanziellen Möglichkeiten fast grenzenlos zu sein. Immerhin gehört seine Pasha Holding mittlerweile auch zu den Eigentümern einer der teuersten Immobilien Europas: Das Luxushotel „Portonovi“ in Montenegro, eine ehemalige Kaserne. 2013 hatte der staatliche aserbaidschanische Ölkonzern, trotz schlechterem Angebot als die Mitbewerber, das Areal für insgesamt knapp 740 Millionen Euro aus der Staatskasse des Landes gekauft und einen Tag später über zig Briefkastenfirmen in verschiedenen Steueroasen an die Familie Alijew verschenkt. Später wurde auch die Pasha Holding Miteigentümer. Mir Jamal Paschajew sitzt im Vorstand der Firma, die das Areal heute betreibt.

Durch verschiedene Leaks und investigative Recherchen wurde bekannt, dass Paschajew Immobilien im Wert von mindestens einer Milliarde Euro in Europa zumindest teilweise besitzt und verwaltet. Das ganze Ausmaß ist unklar, weil diese Investitionen über ein Geflecht von Briefkastenfirmen getätigt wurden, deren Eigentümer oft nur durch durchgestochene Dokumente bekannt wurden.

Im Interview mit der „Berliner Zeitung“ beklagt Paschajew, dass er immer wieder Probleme bei der Eröffnung von Konten in Deutschland erlebt. „Widerstände, gegen die wir nach wie vor ankämpfen müssen“ nennt er das. Die „Berliner Zeitung“ klärt ihre Leser nicht darüber auf, was vermutlich dahinter steckt: Banken sind verpflichtet, zur Bekämpfung von Geldwäsche bei sogenannten politisch exponierten Personen wie Paschajew Nachweise über die Herkunft von Geldern einzuholen und das Risiko für Geldwäsche zu prüfen. Gerade solche Nachweise erbringt die Herrscherfamilie und ihr engstes Umfeld aber ungern.

„Neugierig auf die Perspektive“

Auf die Frage, warum die „Berliner Zeitung“ ihren Lesern nicht erläutert, was die Ursache für die „Widerstände“ sind, die Paschajew beklagt, antwortet Chefredakteur Kurianowicz: „In dem Interview geht es explizit um die Perspektive von Herrn Paschajew. Fakt ist, dass regulatorische Prozesse westlicher Banken Marktteilnehmer aus dem globalen Süden oftmals diskriminieren.“

Probleme mit Banken umging Paschajew immer wieder kreativ: Er gründete eigene Banken – in Montenegro, in Georgien, in der Türkei. In Malta verstieß die Bank, die Paschajew und die Herrscherfamilie nutzten, gegen Geldwäschegesetze, weil sie unter anderem von ihnen keine Nachweise zur Herkunft des Vermögens forderte.

Paschajew und die „Berliner Zeitung“ wollen offenbar verschleiern, dass wir hier ein Interview mit dem Orchestrator eines großen Offshore-Königreichs einer Diktatorenfamilie lesen. Die „Berliner Zeitung“ widerspricht auf Anfrage dieser Einordnung: „Wir haben lediglich ein Interview mit einem Wirtschaftsvertreter aus Aserbaidschan geführt, weil wir neugierig auf dessen Perspektive waren.“

Wenn man hingegen um die enge Verflechtung Paschajews mit dem Regime wüsste, könnte man auch einige andere erstaunliche Äußerungen besser einordnen, die die „Berliner Zeitung“ unwidersprochen lässt.

Das Interview mit Paschajew erschien im Ressort „Wissen“. Ausriss: Berliner Zeitung

Zum Beispiel, dass die aserbaidschanischen Herrscher alles getan hätten, „was in ihrer Macht stand, um die Bürger zufriedenzustellen“. Nur in der Ukraine sind die Menschen im postsowjetischen Raum derzeit weniger zufrieden als in Aserbaidschan – nicht trotz, sondern wegen der Regierung, die Paschajew hier als Heilsbringer lobt. Aserbaidschan steht im Weltfreiheitsranking noch hinter China, Russland oder Somalia und gehört zu den unfreisten Staaten der Welt.

Der stellvertretende Chefredakteur lässt Unwahrheiten durchgehen

Paschajew wirbt dafür, trotz der schwierigen geopolitischen Lage zwischen Iran, Russland und Armenien, ins Land zu investieren und die Fortschritte und Chancen zu erkennen. Er sagt in diesem Zusammenhang: „Wir haben ein Waffenstillstandsabkommen zwischen Aserbaidschan, Armenien und Russland unterzeichnet, das 2020 die militärischen Operationen beendete. Aber wir können nichts an der geopolitischen Lage und den Nachbarn ändern. Es wird wahrscheinlich nie perfekt sein.“

Ein Ende der militärischen Operationen? 2023 verstieß Aserbaidschan mit einer groß angelegten Militäroffensive gegen das Waffenstillstandsabkommen. Mehrere Hundert Soldaten starben; Aserbaidschan eroberte Bergkarabach zurück und vertrieb zehntausende Menschen aus der Region. Daniel Cremer von der „Berliner Zeitung“ lässt seinem Interviewpartner aber auch diese Lüge durchgehen. Auf unsere Frage nach den Gründen dafür teilt der Chefredakteur uns mit: „Die ‚Berliner Zeitung‘ hat mehrfach über die Ereignisse berichtet, und war im Gegensatz zu anderen deutschen Medien regelmäßig vor Ort.“

Das groteske Interview wirft die Frage auf, wieso die „Berliner Zeitung“ Paschajew überhaupt ein ausführliches Interviews einräumt. Interessiert es den durchschnittlichen Leser wirklich, ob der Vermögensverwalter einer Diktatur Deutschland für einen freundlichen Investitionsstandort hält? Vielmehr scheint es, als interessiere sich vor allem die „Berliner Zeitung“ zunehmend für die ölreiche Diktatur am kaspischen Meer.

Auffällig freundliche Berichterstattung

Seit gut einem Jahr berichtet das Blatt auffällig intensiv und erstaunlich freundlich über das Land im Kaukasus, das im weltweiten Index der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen auf einem der letzten Plätze liegt.

So erfahren die Leser im Juli vergangenen Jahres etwa, dass Aserbaidschan sich von Europa benutzt fühlt, weil die EU kurzfristig Gas aus dem Land gekauft hat, aber schon alleine wegen der Klimaziele keine langfristigen Verträge unterzeichnen will. Der Artikel zitiert den aserbaidschanischen Botschafter in Großbritannien und wirkt insgesamt sehr mitfühlend mit den Problemen der Diktatur. Auch als der Instagram-Account von Bundespräsident Steinmeier in einem Post zu Armenien eine falsche Flagge verwendet, berichtete die „Berliner Zeitung“ über die Wut der Aserbaidschaner und die Entschuldigung der deutschen Delegation.

Beim Krieg mit Armenien und den anschließenden Streit um einen Friedensvertrag übernimmt die „Berliner Zeitung“ gerne die aserbaidschanische Perspektive. Als die Zeitung im November 2024 die Grenzregion besuchte – natürlich auf aserbaidschanischer Seite – behauptete sie, „die europäische Öffentlichkeit präferiert das armenische Narrativ”. Eine steile These, die so sonst vor allem in staatlichen aserbaidschanischen Publikationen zu finden ist.

Verzicht auf „mahnenden Zeigefinger“?

Für Aserbaidschan-Lob ist kein Anlass zu klein. Ende April organisierte die aserbaidschanische Botschaft in Berlin ein Event zum 80. Jahrestag des Ende des zweiten Weltkrieges. Im Kulturzentrum Urania zeigte sie „Damals in Triest“, das Porträt eines aserbaidschanischen Partisanen, der gegen die Nazis kämpfte. Der Film wurde 1958 gedreht, ein Jahr später von den DEFA-Studios in der DDR übersetzt und nun im Auftrag der Botschaft digital restauriert.

Der Botschafter Nasimi Aghayev fand große, patriotische Worte: „Heute Abend ehren wir einen Helden – und mit ihm ein Volk und Land, dessen bedeutender Beitrag zum Sieg über den Faschismus zu oft im Schatten der Geschichte steht.“

Es wirkte wie ein etwas spezieller Lokaltermin – etwas für Feinschmecker, und das nicht nur wegen der gefüllten Weinblätter und würzigen Guttab-Teigtaschen, die „großen Anklang“ fanden, wie die „Berliner Zeitung“ in ihrem Bericht notierte. Aber der Abend taugte offenbar auch dazu, Bezüge zum aktuellen Weltgeschehen herzustellen. Die „Berliner Zeitung“ feierte ihn als einen „Beitrag zur Erinnerungskultur, der ohne Handreichungen und ohne politische Ausgrenzung auskam. Vielleicht war ja jemand aus dem Auswärtigen Amt anwesend und nimmt sich ein Beispiel daran. Denn dieser Abend war frei von mahnenden Zeigefingern und Ideologie.“

Das bezog sich auf eine Empfehlung des deutschen Außenministeriums, bei den Gedenkveranstaltungen zum Ende des zweiten Weltkrieges keine offiziellen Vertreter Russlands einzuladen, was die „Berliner Zeitung“ skandalös fand. Es ist trotzdem ein origineller Gedanke, der Bundesregierung zu empfehlen, sich ein Beispiel an einer Diktatur wie Aserbaidschan zu nehmen, die wegen Menschenrechtsverletzungen aus dem Europarat ausgeschlossen ist, wenn es um den Verzicht auf „mahnende Zeigefinger“ geht.

Auf unsere Frage, ob die „Berliner Zeitung” oder der Berliner Verlag in irgendeiner Weise Förderungen oder Zuwendungen aus Aserbaidschan erhalten hätten, antwortet Chefredakteur Kurianowicz: „Nein. Die Berliner Zeitung ist eine tatsächlich unabhängige Zeitung.“

Zwei bemerkenswerte Besuche im Land

Noch vor nicht allzu langer Zeit war die Berichterstattung zu Aserbaidschan in der „Berliner Zeitung“ kritisch. Ein Journalist der Zeitung, Thomas Schmid, war sogar offiziell „unerwünschte Person“ in Aserbaidschan, seit er 2015 die Region Bergkarabach besuchte – im Sommer 2023 wurde er vom Präsident des Landes dann von der Liste gestrichen.

Doch irgendwann im Frühjahr 2024 ändert sich der Ton. Als das Blatt über einen Staatsbesuch von Wladimir Putin in Aserbaidschan berichtete, war nicht mehr vom „autoritären Alijew“ die Rede – er ist nun nur noch Staatspräsident. In jüngeren Artikeln finden sich kaum noch Hinweise darauf, dass Aserbaidschan eine brutale Diktatur ist. (Kurianowicz verneint eine Änderung in der Berichterstattung über das Land: „Die „Berliner Zeitung“ berichtet grundsätzlich vorurteilsfrei, objektiv und fair aus allen Regionen der Welt.“)

Bemerkenswert sind in diesem Zusammenhang zwei Besuche der Zeitung im Land. Im Frühjahr 2024 nahm die „Berliner Zeitung“ an einer Konferenz zur Islamophobie in der aserbaidschanischen Hauptstadt teil. Die Konferenz wurde von mehreren staatlichen Stellen Aserbaidschans gemeinsam ausgerichtet. In seiner Eröffnungsrede stellte Präsident Alijew fest, dass die Akteure, die Demokratie predigten, islamophob seien, allen voran Europa. Die EU und der Europarat seien daher zu Plattformen zur Verbreitung und politischen Durchsetzung von Islamophobie geworden.

Die „Berliner Zeitung“ erwähnte dieses Zitat in ihrem Bericht nicht, übernahm es aber durchaus narrativ. Sie argumentierte, dass Aserbaidschan zwar in den Freiheitsrechten ganz hinten stünde, doch dass gerade diese Unfreiheit eine Alternative sei zu Europa, dessen Gesetze und Werte von vielen Muslimen angeblich als diskriminierend wahrgenommen würden. Staatliche aserbaidschanische Medien berichteten anschließend begeistert, dass sich eine deutsche Zeitung für ihre Konferenz interessierte.

Ein Verleger voller Wohlwollen

Im Sommer desselben Jahres flog der Inhaber der Zeitung selbst nach Aserbaidschan. Verleger Holger Friedrich reiste nach Baku und in die Region Bergkarabach, in der seit der aserbaidschanischen Großoffensive 2023 keine Armenier mehr leben. Sie ist militärisches Sperrgebiet und kann nur mit Genehmigung besucht werden. Friedrich nahm am „Shusha Global Media Forum“ teil, das von der aserbaidschanischen Präsidialverwaltung organisiert wurde. Thema des Forums: „Aufdeckung falscher Informationen: Bekämpfung von Desinformation“.

Später schaute Friedrich sich dann noch ein Filmstudio an, finanziert vom Präsidenten zur Produktion von Propagandafilmen (so sagt es wörtlich die aserbaidschanische Presse), und nahm an einem Panel über Klimaschutz teil.Holger Friedrichs Berichte in der „Berliner Zeitung“ über das Forum in Shusha fielen positiv aus. Ein Artikel bestand zum größten Teil daraus, Alijew direkt zu zitieren, samt Girlanden wie: „Aliyev bedankte sich für den Dank der Journalistin für die humanitäre Unterstützung der Ukraine durch Aserbaidschan“. Der Staatspräsident, protokollierte Friedrich, „agierte in vier Sprachen spontan, vermittelte Perspektiven und erklärte.“ Den anwesenden Journalisten habe er „eine Chance der Vermittlung“ der aserbaidschanischen Perspektive gegeben. „Ob diese Chance aufgegriffen wird, insbesondere von westlichen Medienvertretern, werden die nächsten Monate zeigen.“

In einem zweiten Artikel schilderte Friedrich wohlwollend das Agieren Aserbaidschans auf der globaler Bühne und staunte über den „Grad an Offenheit“ während der Konferenz, den er als Kontrast zur hinteren Position auf der Rangliste zur Pressefreiheit empfand.

All das erinnert an Friedrichs Berichte aus China, wo er ebenfalls an mehreren Konferenzen teilnahm und hinterher voller Wohlwollen schrieb. Die FAZ warf ihm hinterher vor, chinesische Propaganda ungefiltert weiterzutragen; die NZZ schrieb in diesem Zusammenhang von „nützlichen Idioten von Diktaturen“. Friedrich behauptet, andere Sichtweisen auf Länder wie China, Aserbaidschan oder auch Russland zulassen zu wollen, und beklagt immer wieder, dass der Westen eine Position der Überlegenheit einnimmt, statt seine eigenen Defizite wahrzunehmen. Menschenrechtsverletzungen sind in seiner Perspektive eher lästige Nebensachen.

Im Abschlussbericht aus Aserbaidschan fasst Holger Friedrich eine der Kernbotschaft der dortigen Diskussionen so zusammen: „Medien sollten keine Waffe sein.“ Ein Satz, der wie Hohn klingen muss für die zahlreichen inhaftierten Journalisten im Lande.

8 Kommentare

  1. Es schreibt halt jeder das, wofür bezahlt wird. Im Grunde würde es genügen, solche Artikel als Werbung zu kennzeichnen. Der Spiegel hat auch Millionen von Bill Gates genommen und dafür allerlei Rührstücke über Projekte verfasst, bei denen die Gates-Stiftung involviert war.
    Wenn das alles ist, worin sich die sogenannte „bessere“ Medienkritik erschöpft, können wir uns wieder hinlegen.

  2. @Lake_of_the_Woods: Ihr Kommentar ist gleich doppelt justiziabel.

    Sie behaupten, die „Berliner Zeitung“ hätte Geld für das Interview bekommen. Wenn Sie dafür Belege haben, würde ich die gerne sehen. Wenn Sie keine haben, würde ich das nicht behaupten.

    Und Sie behaupten, der „Spiegel“ hätte Geld von Bill Gates dafür (!) bekommen, Rührstücke über Projekte der Gates-Stiftung zu verfassen. Das ist nicht das, wofür der „Spiegel“ Geld von der Bill & Melinda Gates Foundation bekommen hat. Es sei denn, Sie wissen auch da mehr?

    (Sie können Übermedien aber gern auch im Liegen lesen.)

  3. Der Vollständigkeitshalber der Hinweis, dass der SPIEGEL außer den 2,5 Mio aus 2018 im Jahr 2021 weitere 2,9 Mio als Zugabe erhielt. Bezüglich der redaktionellen Inhalte des SPIEGELs ändert sich nichts, die entstehen weiterhin „ohne Einfluss durch die Stiftung“.

    Fehl geht auch die Annahme, es gäbe einen Zusammenhang zu den großzügigen Geschenken, mit denen die Bundesregierungen die Bill & Melinda Gates Stiftung bedenken.
    Denn das sind nämlich gar keine Geschenke. Tatsächlich gehen die über 3 Milliarden an Projekte und Programme, an denen die BMGF beteiligt ist.
    Alle erfüllen einen guten Zweck. Das kann man nachlesen, aber wir hätten sowieso nichts anderes erwartet.
    Dass unsere Regierung sich kein Mitspracherecht für die Verwendung des Geldes vorbehalten hat und nicht mal eine Erfolgskontrolle ausübt, das ist kein Makel, sondern der unwiderlegbare Beweis für die nicht mehr zu überbietende Selbstlosigkeit der BMGF.
    Im Gegenzug verzichtet der Bill ebenfalls auf eine Erfolgskontrolle und hat nicht mal ein Mitspracherecht für die Verwendung seiner Millionenspenden an SPIEGEL, von Hirschhausen & Gen.
    Und so ist alles wieder im Lot.

  4. @3: Echt jetzt? Ich hätte Ihnen mehr Niveau zugetraut, als dem grün-woken Zeitgeist nachzulaufen, immer dann nach dem Staatsanwalt zu rufen, wenn Meinung nicht gefällt. Dabei hatte ich die „Berliner Zeitung“ mit keinem Wort erwähnt, sondern lediglich allgemein angemerkt, dass es in diesem Land durchaus möglich ist, sich die Veröffentlichung von Meinung kaufen zu können, was übermedien übrigens schon mehrfach sehr schön herausgearbeitet hat.
    Aber mutmaßlich ging es Ihnen auch nur um die Nennung des Ex-Arbeitgebers in solchem Kontext.
    Nun, man kann natürlich daran glauben, dass zwischen einer Serie von gefühligen Artikeln und der Ausreichung millionenschwerer „Fördermittel“ so gar kein Zusammenhang besteht. Man kann auch um eine Litfaßsäule rennen und „Hilfe, ich bin eingemauert!“ schreien. Das bleibt sich gleich.

  5. @Lake_of_the_Woods: Ich habe nicht nach dem Staatsanwalt gerufen, sondern Sie darauf hingewiesen, dass die „Berliner Zeitung“ oder der „Spiegel“ gegen die Behauptungen, die Sie in Ihrem Kommentar erheben, juristisch vorgehen könnten und Sie die dann beweisen oder unterlassen müssten.

  6. Bin immer wieder begeistert, wie detailliert Ihr sowas herausarbeitet. Das lese ich gerne und bezahl dafür auch gerne!

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