Julian Reichelt werden Machtmissbrauch und Mobbing vorgeworfen. Eine Untersuchung läuft. Er ist beurlaubt. Holger Klein spricht mit Stefan Niggemeier über den „Bild“-Chefredakteur, wie und was man überhaupt berichten kann und darf – und was der Fall für Axel Springer bedeutet.
Der „Bild“-Chefredakteur kündigt an, sich gegen die zu wehren, „die mich vernichten wollen, weil ihnen ‚Bild‘ und alles, wofür wir stehen, nicht gefällt“. Was bedeutet seine vorübergehende Freistellung?
Julian Reichelt wird beschuldigt, mit jungen Mitarbeiterinnen intime Beziehungen gehabt und sie begünstigt zu haben. Verschiedene Vorwürfe von Machtmissbrauch werden jetzt vom Springer-Konzern untersucht; Reichelt bestreitet sie. Aber auch andere haarsträubende Geschichten aus der „Bild“-Welt werden jetzt kolportiert – teils auf zweifelhaften Umwegen.
Nach den Vorwürfen gegen „Bild“-Chef Julian Reichelt versucht der Vorstand von Axel Springer, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu beruhigen: „Wir wollen, dass jeder ohne Angst auf mögliche Missstände und Fehlverhalten hinweisen kann. Wir werden aber keine Form der Vorverurteilung zulassen.“
Der Deutsche Presserat der Verlage und Journalistenverbände hat keine echten Sanktionsmöglichkeiten. Wenn Medien sich nicht an medienethische Grundsätze halten, kann er sie rügen, aber nicht einmal den Abdruck dieser Rügen erzwingen. Das macht ihn zu einer attraktiven Alternative zu den Landesmedienanstalten, die neuerdings für die Aufsicht über andere redaktionelle Online-Medien zuständig sind.
Eigentlich müssen öffentliche Rügen durch den Presserat zeitnah im betroffenen Medium abgedruckt werden. Die „Bild“-Redaktion aber sagt, sie entscheide selbst, „wann, wo und wie“ sie die Beanstandungen veröffentlicht. Konkret heißt das anscheinend: wenn überhaupt, nur noch online.
Auf tausend Zigaretten mit Julian Reichelt: Mehrere Monate begleitete ein Kamerateam die „Bild“-Redaktion bei der Arbeit und filmte sogar kontroverse Diskussionen bei internen Besprechungen. Das ist spektakulär, aber am Ende erstaunlich wenig erhellend.
Die „Süddeutsche Zeitung“ hat die „Bild“-Zeitung heftig dafür kritisiert, dass sie Chat-Nachrichten eines Kindes veröffentlicht hat, nachdem seine Geschwister getötet wurden. Der „Bild“-Chefredakteur prangert das wiederum an: Die SZ habe dasselbe gemacht und nachträglich „verschleiert“.
Springer-Chef Mathias Döpfner fordert von anderen Verleger*innen, Verantwortung zu übernehmen. Wenn die Branche wirklich so angewidert ist von der Solingen-Berichterstattung der „Bild“, sollten die Verleger*innen ihn beim Wort nehmen – und Döpfner als Präsidenten des Zeitungsverlegerverbands absetzen.
Eine „neue Qualität“ der Kritik an „Bild“ beklagt der Axel-Springer-Chef nach deren Kampagne gegen den Virologen Christian Drosten. In einem Gespräch mit dem „Bild“-Chefredakteur versucht er herauszufinden, warum die Arbeit des Blattes so wenig gewürdigt wird. Es ist ein erstaunliches Dokument der Realitätsverdrehung.
Dass „Bild“ eine Kampagne fährt, ist nichts neues. Doch Dynamik und Machtverhältnisse haben sich verändert. Die Wellen, die die Zeitung auslöst, treffen sie zunehmend selbst.
Der Versuch, mit „Hier spricht das Volk“ Publikum und Diskutierende zu ein bisschen Panik anzustacheln, ist gescheitert. Und das beweist vor allem eines: Die Wirkmacht der „Bild“ schwindet.