Verstöße gegen Pressekodex

„Bild“ veröffentlicht keine Rügen des Presserates mehr in der gedruckten Zeitung

Am Dienstag vergangener Woche hat die „Bild“-Zeitung etwas Ungewöhnliches gemacht: Sie hat eine „peinliche Rüge“ des Presserats veröffentlicht. Ganz prominent, groß unten auf der ersten Seite.

SCHLEICHWERBUNG / Presserat rügt "Spiegel"-Artikel über LSD-Trips
Ausriss: „Bild“ vom 12. Januar 2021

Es war allerdings, Überraschung, keine Rüge für die eigene Berichterstattung, sondern eine für den „Spiegel“. Rügen des Presserates für „Bild“ hat die gedruckte „Bild“-Zeitung schon seit eineinhalb Jahren nicht mehr veröffentlicht, obwohl der Pressekodex das vorsieht und der Verlag Axel Springer sich dazu verpflichtet hat.

Einen Grund dafür nennt das Blatt nicht. „Bitte haben Sie Verständnis, dass wir redaktionelle Entscheidungen nicht kommentieren“, antwortet „Bild“-Sprecher Christian Senft auf eine entsprechende Anfrage von Übermedien.

Dabei hatte „Bild“-Chefredakteur Julian Reichelt gerade erst so schön formuliert:

„Wir als Marke fordern von Politikern, Wirtschaftsbossen, Fußballvereinen und dem ganzen Land Transparenz ein. Diese Maßstäbe müssen auch für uns gelten. (…)

Transparenz ist schwierig, manchmal lästig und manchmal eine Zumutung, aber nun einmal das Fundament unserer Gesellschaft.“

Aber dass Reichelt sagt, dass diese Maßstäbe auch für „Bild“ gelten müssen, heißt ja noch nicht, dass diese Maßstäbe auch für „Bild“ gelten.


Die Dokumentation der Entscheidungen und ihrer Abläufe auf den Seiten des Presserates ist leider lückenhaft. Sie gibt aber einige erhellende, teils erschütternde Einblicke in das Verhältnis des Boulevardblattes zu dem Gremium und zum Pressekodex insgesamt.

Ein Fall von Anfang vergangenen Jahres. „Bild“ hatte groß über eine Bluttat im „feinen Starnberg“ berichtet: Drei Mitglieder einer Familie waren erschossen in ihrem Haus aufgefunden. „Bild“ zeigte Fotos von ihnen und behauptete in der Überschrift, dass der Sohn der Täter war:

Drei Tote im feinen Starnberg - Kinder-Psychologin und Ehemann von Sohn erschossen
Ausriss: „Bild“ vom 14. Januar 2020

In Wahrheit war, wie sich später herausstellte, der Sohn nicht der Täter.

Der Presserat leitete nach einer Beschwerde ein Verfahren ein. Das sieht vor, dass auch die Redaktion angehört wird. „Bild“ und die Rechtsabteilung von Axel Springer aber weigerten sich, zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen. Der Grund: Der Leser, der sich an den Presserat gewandt hatte, hatte dem Gremium dazu geschrieben: „Tut endlich was gegen diese Zeitung oder es müssen andere Lösungen her.“ Das stelle geradezu eine Bedrohung dar, fand Chefredakteur Julian Reichelt. Es sei „verstörend“, dass der Presserat diese Beschwerde überhaupt zulasse.

Der Presserat rügte „Bild“ trotzdem, wegen der Vorverurteilung des vermeintlichen Täters und der Verletzung des Opferschutzes. Einen bedrohenden Charakter in der Beschwerde konnte der entsprechende Ausschuss nicht erkennen.

Schulen und Kitas wegen falscher Corona-Studie dicht
„Bild“-Titelseite vom 26. Mai 2020

Einige Monate später behandelte der Presserat Beschwerden über die spektakuläre „Bild“-Behauptung, der Charité-Virologe Christian Drosten sei mit einer „grob falschen“ Studie dafür verantwortlich, dass Schulen und Kitas in Deutschland geschlossen sind. Auch in diesem Fall nahm „Bild“ im Verfahren keine Stellung zu den Vorwürfen. Gründe dafür sind nicht bekannt.

Doch nicht immer scheint das Verhältnis von Sprachlosigkeit geprägt. Häufiger klingt es nach Ermüdung durch endlose Wiederholung. Viele Verfahren befassen sich mit der Ziffer 8 des Pressekodex, die unter anderem Dinge behauptet wie: „Die Presse achtet das Privatleben der Menschen“, oder: „(…) bloße Sensationsinteressen rechtfertigen keine identifizierende Berichterstattung“. „Bild“ besteht hingegen regelmäßig darauf, aus Opfern von Unfällen und Straftaten auch Opfer von „Bild“ zu machen.

Julian Reichelt schreibt dem Presserat dann, dass das Interesse der Öffentlichkeit an dem Fall so groß sei, dass die Interessen der Opfer dahinter zurückstehen müssten. Der Presserat stellt dann fest, dass ein „grober Verstoß gegen die presseethischen Grundsätze“ und insbesondere den Opferschutz vorliege, und spricht eine Rüge aus. Und „Bild“ veröffentlicht dann diese Rüge oder veröffentlicht sie nicht.

In der Zeitung hat „Bild“ zuletzt am 8. Juni 2019 eine Rüge des Presserates für die eigene Berichterstattung abgedruckt. Online hält sich „Bild“ hingegen offenbar häufiger an die Pflicht zur Veröffentlichung. Vermutlich bezieht sich „Bild“-Sprecher Senft darauf, wenn er uns mitteilt:

„Bild“ veröffentlicht alle Rügen, vornehmlich dort, wo sie jederzeit und auf Dauer transparent für jeden einsehbar sind. Wann, wo und wie entscheidet die Redaktion.

Richtig daran ist, dass auf Bild.de einige Rügen „auf Dauer“ unter den beanstandeten Artikeln, tief im Archiv vergraben, einsehbar sind, nicht zuletzt solche, bei denen die Redaktion den Anlass der Beanstandung nicht geändert hat. Senfts Behauptung, dass „Bild“ „alle Rügen“ veröffentlicht, ist allerdings vermutlich falsch – es sei denn, sie bezieht sich auch auf einen unbestimmten Tag in der Zukunft, wenn das Blatt nach eigenem Gusto damit beginnt, teils Jahre zurückliegende Rügen an irgendeinem noch unbekannten Ort zu veröffentlichen.

Die Formulierung, dass die „Bild“-Redaktion entscheide, „wann, wo und wie“ sie eine Rüge veröffentliche, zeigt, was sie von dem Gremium hält, das es mit jeder ausgesprochenen Rüge bittet, sie in einer der nächsten Ausgaben zu veröffentlichen. Der Verlag Axel Springer hat sich gegenüber dem Presserat verpflichtet, Rügen „in dem jeweils betroffenen Medium aktualitätsnah und in angemessener Form zu publizieren“.

Getragen wird der Presserat als Organ der freiwilligen Selbstkontrolle übrigens unter anderem vom Zeitungsverlegerverband BDZV. Dessen Präsident ist Mathias Döpfner, der Vorstandsvorsitzende von Axel Springer, dem Verlag, der „Bild“ herausgibt.


Dokumentation: Von „Bild“ in der Zeitung unveröffentlichte Rügen

„Bild“ zeigt Opfer des Unglücks von Genua

Unter der Überschrift „Sie fuhren in die Ferien und stürzten in den Tod“ berichtet „Bild“ identifizierend über einige Opfer des Brückeneinsturzes in Genua, nennt Namen, veröffentlicht Fotos, darunter das eines minderjährigen Jungen.

„Bild“-Chefredakteur Julian Reichelt meint, es gehöre zur Chronistenpflicht der Presse, umfassend über solche Katastrophen zu berichten. Innerhalb der Grenzen des presserechtlich und presseethisch Zulässigen müsse sie darin frei sein zu entscheiden, welche Fotos sie verwendet und bis zu welcher ethischen Grenze dabei personalisiert werde. Angesichts der Berichterstattung in internationalen Medien fragt er, ob nach deutschem Verständnis etwas unethisch sein könne, was der Rest der Welt für selbstverständlich halte.

Der Beschwerdeausschuss urteilt: „Bild“ hat gegen die Pflicht zum Opferschutz verstoßen. Opfer von Katastrophen und Straftaten dürften nur dann identifizierend dargestellt werden, wenn sie selbst, Angehörige oder sonstige befugte Personen zugestimmt haben oder wenn es sich bei dem Opfer um eine Person des öffentlichen Lebens handelt. Zur Aufgabe der Presse gehöre zwar auch, über die Folgen von Anschlägen oder Katastrophen detailliert zu berichten. Die Abbildung von Opfern dürfe aber nicht zu Lasten der Betroffenen oder Angehörigen gehen. Diesen Grundsatz hat „Bild“ missachtet.

Und was das Handeln von Medien in anderen Ländern angeht: Die Grundsätze des Pressekodex könnten nicht außer Kraft gesetzt werden können, weil es in anderen Ländern andere ethische Regeln gibt. (0707/18/2)


„Bild“ macht getöteten Mann zu „GEZ-Kassierer“

„Bild“ macht mit der Schlagzeile auf: „Er klingelte wegen offener Gebühren – GEZ-Kassierer an Haustür erstochen!“ und zeigt ein Foto des Opfers. Tatsächlich gibt es nicht nur die GEZ nicht mehr; auch der Beitragsservice von ARD und ZDF beschäftigt keine eigenen Mitarbeiter, die an Wohnungstüren klingeln. Aus dem „Bild“-Artikel selbst geht dann auch hervor, dass es sich um einen Mitarbeiter der Stadt-Kämmerei handelte und dass es nicht um Rundfunkgebühren gegangen sei.

„Bild“-Chef Julian Reichelt verteidigt die Schlagzeile: Die bewertend-zusammenfassenden Aussagen seien von der grundgesetzlich garantierten Presse- und Meinungsfreiheit geschützt.

Der Beschwerdeausschuss des Presserates erkennt einen schweren Verstoß gegen den in Ziffer 8 des Pressekodex festgehaltenen Schutz der Persönlichkeit sowie einen Verstoß gegen die in Ziffer 2 des Pressekodex festgeschriebene journalistische Sorgfaltspflicht. Es ging davon aus, dass insbesondere eine Zustimmung zur Veröffentlichung des Fotos durch Angehörige oder sonstige befugte Personen fehlte. Die Überschriften suggerierten den Lesern wahrheitswidrig, es sei bei dem Vorgang an der Haustür um die Eintreibung von GEZ-Gebühren gegangen. (1118/19/1)


„Bild“ veröffentlicht Foto einer verunglückten Familie

Ein Mann, seine Frau und die gemeinsame Tochter sterben bei einem Verkehrsunfall. „Bild“ berichtet mit einem Foto der Unfallstelle, auf dem man das Autokennzeichen erkennen kann. Am nächsten Tag berichtet „Bild“ unter der Überschrift „Ganze Familie stirbt in diesem Auto-Wrack“ und zeigt die Unfallopfer. Einer der Hinterbliebenen beschwert sich beim Presserat: Die Angehörigen hätten der Veröffentlichung der Fotos nicht zugestimmt.

„Bild“-Chefredakteur Julian Reichelt meint, die Öffentlichkeit habe vor allem bei spektakulären Geschehnissen, die sich im öffentlichen Raum ereigneten, ein besonderes Interesse daran, von den Medien umfassend und durchaus unter Einbeziehung von Einzelschicksalen und gegebenenfalls auch personalisierend informiert zu werden.

Der Presserat sieht in der „Bild“-Berichterstattung einen schwerwiegenden Verstoß gegen den Schutz der Persönlichkeit und einen groben Verstoß gegen den Opferschutz (Ziffer 8 und Richtlinie 8.2 des Pressekodex). Es liege kein öffentliches Interesse vor, das die Interessen der Opfer überwiegt und eine identifizierbare Berichterstattung rechtfertigen würde. (0724/19/1)


„Bild“ macht Unfallopfer identifizierbar

Unter den Überschriften „ER raste 7 junge Deutsche tot“ und „Diese jungen Leben zerstörte der Totraser“ berichtet „Bild“ über einen Unfall in Südtirol, bei dem ein Mann mit einem Sportwagen zu schnell und stark alkoholisiert in eine Gruppe junger deutscher Skiurlauber gerast ist. „Bild“ zeigt Fotos von fünf Opfern und nennt die Vornamen, nennt Details aus ihrem Leben. Zwei der Getöteten sind identifizierbar. Auch der Fahrer wird gezeigt.

„Bild“-Chefredakteur Julian Reichelt erwidert, es sei der Presse ausdrücklich aufgetragen, über Straftaten und Ermittlungsverfahren zu berichten. Das berechtigte Interesse der Öffentlichkeit überwiege in diesem Fall die schutzwürdigen Interessen der Betroffenen.

Der Beschwerdeausschuss entscheidet: „Bild“ hat gegen Ziffer 8 des Pressekodex (Persönlichkeitsrechte) in Verbindung mit Richtlinie 8.2 (Opferschutz) verstoßen. (0014/20/1)


„Bild“ zeigt Fotos von Verbrechensopfern und macht ein Opfer zum Täter

Unter der Überschrift „Kinder-Psychologin und Ehemann von Sohn erschossen“ berichtet „Bild“ über eine Straftat und zeigt die getöteten Eltern und den mutmaßlichen Täter. Auch das Wohnhaus der Familie und der Abtransport einer Leiche in einem Sarg werden gezeigt.

„Bild“-Chefredakteur Julian Reichelt lehnt es ab, sich zu der Beschwerde zu äußern, weil die Zeitung darin mit den Worten: „Tut endlich was gegen diese Zeitung oder es müssen andere Lösungen her“ geradezu bedroht werde. Aus diesem Grund nimmt die Redaktion nicht Stellung zu der Beschwerde.

Die „Bild“-Berichterstattung verstößt laut Presserat gleich in mehrfacher Hinsicht gegen den Pressekodex. Zum einen verletzt „Bild“ durch die identifizierende Darstellung der Betroffenen den Opferschutz (Ziffer 8, Richtlinie 8.2). Zum anderen ist die Überschrift vorverurteilend: Die Ermittlungen ergaben, dass der Sohn nicht der Täter war.

Einen bedrohenden Charakter in der Beschwerde konnte der Beschwerdeausschuss nicht erkennen. (0089/20/2)


„Bild“ vs. Drosten

„Bild“ titelt: „Fragwürdige Methoden: Drosten-Studie über ansteckende Kinder grob falsch“. Der Virologe der Charité habe mit einer Untersuchung „komplett danebengelegen“.

„Bild“ nimmt zu den Beschwerden über die Berichterstattung nicht Stellung.

Der Beschwerdeausschuss erkennt mehrere schwere Verstöße gegen die journalistische Sorgfaltspflicht. Der Kern des Artikels – die Kritik mehrerer Wissenschaftler an einer vorläufigen Fassung einer Corona-Studie zur Ansteckung von Kindern – werde gleich in der Überschrift verzerrt dargestellt; die Formulierung, die Studie sei „grob falsch“, werde von den zitierten Expertenmeinungen im Text nicht gedeckt. Nicht erwähnt wird im Beitrag, dass es sich bei der Studie nur um eine Vorveröffentlichung handelt. Zudem zitiere die Redaktion die Studie unsauber. (0481/20/2)


Hongkonger Demokratie-Aktivist distanziert sich von „Bild“-Zitat

„Bild“ berichtet über das gewaltsame Vorgehen der Hongkonger Polizei gegen Demonstranten und zitiert den Aktivisten Joshua Wong mit den Worten: „Ich bitte die deutsche Regierung: Schaut auf Hongkong, seht was hier passiert und nennt das Unrecht beim Namen!“ Der widerspricht: Er habe „Bild“ in letzter Zeit kein Interview gegeben und auch früher nicht von „Unrecht“ gesprochen.

„Bild“ nimmt zu der Beschwerde nicht Stellung.

Der Presserat sieht Verstöße gegen die journalistische Sorgfalt nach Ziffer 2 und die Wahrhaftigkeit nach Ziffer 1 des Kodex. Das sei als besonders schwerwiegend, da der Dissident durch die ihm zugeschriebene, kritische Äußerung über die chinesische Staatsmacht gefährdet werde. (0617/20/2)


„Bild“ zeigt Lawinenopfer

„Bild“ berichtet über einen Skifahrer, der von einer Lawine verschüttet und getötet worden war. Das Blatt zeigt Fotos des Verunglückten, die aus seinem Facebook-Account stammen, nennt seinen Vornamen, den abgekürzten Nachnamen, das Alter, den Beruf und den Wohnort.

„Bild“-Chefredakteur meint, dass es sich bei dem Unfall um ein spektakuläres Geschehen handele, das großes öffentliches Interesse hervorgerufen habe. Unter diesem Gesichtspunkt sei es nicht zu beanstanden, dass über das Opfer identifizierend berichtet worden sei. Ein öffentliches Interesse an einer identifizierenden Berichterstattung habe vorgelegen, da der Winter 2018/2019 von Schneemassen in den Skigebieten geprägt gewesen sei. Mehrere Unfälle hätten eine umfassende öffentliche Diskussion um die Risikobereitschaft von Wintersportlern entfacht.

Der Presserat spricht eine Rüge aus: Bei dem Opfer handelt es sich weder um eine Person des öffentlichen Lebens noch sei erkennbar, dass Hinterbliebene der Foto-Veröffentlichung zugestimmt hätten. Eine Anonymisierung durch die Redaktion wäre erforderlich gewesen. Da diese nicht erfolgt sei, liege ein grober Verstoß gegen die presseethischen Grundsätze vor, insbesondere den Opferschutz. (0005/19/2)


„Bild“ zeigt Mordopfer

Unter dem Titel „Das dunkle Geheimnis des Kopfschuss-Killers“ berichtet „Bild“ über den Mord an einer Cafébesitzerin in Duisburg. Der Beitrag enthält ein Foto des Opfers, dessen Persönlichkeitsschutz dadurch verletzt wurde. (0751/18/2)


Respektlos vor dem Leid der Angehörigen

„Bild“ berichtet über einen „Schwert-Mord mitten auf der Straße“ in Stuttgart und zeigt zum Beispiel auf der Titelseite ein Foto des Täters mit erhobenen blutigen Armen. Der Presserat rügt diese „Täterperspektive“ – die Redaktion laufe damit Gefahr, sich zum Werkzeug des Verbrechers zu machen. Die Berichterstattung sei übertrieben sensationell (Pressekodex, Ziffer 11).

Beanstandet wurde auch die identifizierende Darstellung des Opfers. Zu sehen war ein Porträtfoto des Mannes vor der Tat, daneben ein verpixeltes Bild des Sterbenden in einer Blutlache. Die Darstellung verstößt laut Presserat gegen den Opferschutz (Ziffer 8, Richtlinie 8.2). Sie gehe zudem respektlos mit dem Leid der Angehörigen um. (0674/19/1)


„Bild“ zeigt „Axtmord“

„Bild“ veröffentlicht ein Foto, auf dem zu sehen ist, wie ein Mann mit erhobener Axt in aller Öffentlichkeit seine Frau erschlägt.

Der Presserat sieht darin einen Verstoß gegen die Ziffer 11 des Pressekodex, wonach die Presse auf eine unangemessen sensationelle Darstellung von Gewalt, Brutalität und Leid verzichtet. Zudem hatte die Redaktion die Axt noch grafisch mit einem Kreis hervorgehoben. Nach Richtlinie 11.1 und 11.3 des Pressekodex hätte sie zudem die Wirkung des Titelfotos auf die Angehörigen des Opfers sowie auf Kinder und Jugendliche beachten müssen. (0966/19/1)


„Bild“ verletzt Menschenwürde eines verwirrten Mannes
„Bild“ zeigt das Foto eines Mannes, der fast nackt, nur mit einem Hemd bekleidet durch einen U-Bahnhof in München gelaufen ist. „Bild“ hat einen Balken über seine Augen gelegt, der aber nach Ansicht des Presserates zu klein war, um den Mann zu anonymisieren. Ein öffentliches Interesse an der Person habe nicht bestanden. Der Presserat sah zudem eine Verletzung der Menschenwürde des Mannes, der sich augenscheinlich nicht im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte befand. (0861/20/2)

17 Kommentare

  1. Für solche Artikel zahle ich doch gerne meinen Beitrag! Top!

    Anmerkungen:
    Gibt es einen Blog, der die Rügen der Bildzeitung dokumentiert? Wäre das evtl. sonst eine regelmäßige Kategorie hier oder auf bildblog wert?

    „Tut endlich was gegen diese Zeitung oder es müssen andere Lösungen her.“ Der Beschwerdeführer meint vermutlich, dass es eine andere Lösung geben müsse, als dass sich die Presse freiwillig selbst kontrolliert (Presserat / BDZV). Dass das im Falle der größten Boulevardzeitung nicht funktioniert, beweist Springer ja selbst. Dass Reichelt hinter der Formulierung etwas Drastischeres vermutet liegt vermutlich an Projektion.

    „Einen bedrohenden Charakter in der Beschwerde konnte der Beschwerdeausschuss nicht erkennen.“
    Dennoch musste sich Springer nicht dazu äußern?
    Generell hat Springer ja öfters nicht Stellung genommen – Das geht einfach so?

    „Die Grundsätze des Pressekodex könnten nicht außer Kraft gesetzt werden können, weil es in anderen Ländern andere ethische Regeln gibt.“
    Vielleicht sollte der Reichelt auch erst mal recherchieren, was „der Rest der Welt für selbstverständlich hält“. Nicht der Rest der Boulevardzeitungsverleger.

    „Die bewertend-zusammenfassenden Aussagen seien von der grundgesetzlich garantierten Presse- und Meinungsfreiheit geschützt.“
    Sind das diese postfaktischen Zeiten, von denen vor 2 Jahren alle sprachen? Realität überholt Satire und so?

    Mir drängt sich der Eindruck auf, dass hier tatsächlich mal eine andere Lösung her muss. Mindestens eine Veröffentlichungsfrist (spätestens X Tage nach Erteilung der Rüge) für den Abdruck von Rügen mit finanzieller Sanktionierung, am besten relativ zum Umsatz des Verlags.

    Dass sich der Branchenführer selbst eine gratis Extrawurst gönnt, weil er es kann – Wen wundert’s?

  2. In einer besseren Welt würde der Spiegel jetzt einfach alle BILD-Rügen veröffentlichen.
    So aus Symmetriegründen.

    Aber in einer besseren Welt würden eine Menge Sachen eh nicht passieren.

  3. @Anderer Max: Der Presserat ist ein Organ der freiwilligen Selbstkontrolle. Er hat keine wirklichen Sanktionsmöglichkeiten. Er kann auch keinen Verlag zwingen, zu irgendwas Stellung zu nehmen oder irgendwas abzudrucken.

    Es schadet natürlich dem Ansehen des Presserates, wenn die Verlage mit ihm so umgehen wie die „Bild“-Zeitung. Und das könnte Leute auf den Gedanken bringen, dass es mit einer freiwilligen Selbstkontrolle nicht getan ist. Allerdings gibt es viele gute Gründe, gerade in Deutschland, eine irgendwie staatlich organisierte Kontrolle der Presse zu vermeiden.

    (Der Presserat ist in den fünfziger Jahren gegründet worden, um ein Bundespressegesetz zu verhindern. Das ist eigentlich auch eine gute Idee. Wenn sie funktioniert.)

  4. Danke für die Antwort. Dass dem Presserat so dermaßen die Hände gebunden sind und er nicht mal Stellungnahmen verlangen kann, war mir nicht bewusst. Aber klar, macht Sinn, ohne Sanktionierungsmöglichkeit keine Autorität. Klassenclown Reichelt hat erkannt, dass nichts passiert, wenn Presserat-Mama bis 3 gezählt hat.

    Mich stört nur das „irgendwie“ in Ihrer Antwort.
    Klar stimme ich zu: Je selbstkontrollierter, desto besser.
    Aber es kann doch durchaus Möglichkeiten geben, die nicht gleich in 1933 gipfeln. Z. B. ein verpflichtender Abdruck von Rügen innerhalb einer Frist mit Geldstrafen. Will hier aber auch keine Pandorabüchse öffnen.
    Alternativ kann sich der Presserat doch auch selbst diese Autorität verleihen, oder nicht?
    Was wäre eigentlich, wenn z. B. Springer aus dem Verband austräte? Nur mal als Gedankenspiel.
    Ich habe irgendwie den Verdacht, dass hier über Jahrzehnte keine Grenzen ausgelotet wurden und das Rügennichtabdrucken erst der Anfang eines Machtspielchens ist.

  5. Daran wird sich nichts ändern. Die Bild ist ein Drecksblatt, das seinen Erfolg aus purer Drecksblatt-Haftigkeit zieht. Würde es alle ethisch fragwürdigen Texte und Bilder ungedruckt lassen, würde es eingehen.

    Die Sache mit dem öffentlichen Interesse an Opfer-Bildern ist so einfach nicht zu verurteilen, wie es angesichts der Bild-Splatterei mit Unfallfotos erscheint. Nehmen wir das Foto von Alan Kurdi. Einerseits ein großes Zeitdokument, das einen globalen Konflikt in nuce widerspiegelt – andererseits nur ein kleiner Junge, dessen Tod zum Gegenstand „öffentlichen Interesses“ allein dadurch wurde, dass jemand seine Leiche fotografiert hat.

    Ich habe kaum Klagen gehört, dieses Bild sei illegitim und ein Missbrauch des toten Jungen. Seine Tante, Tima Kurdi, hat ein berührendes Buch über die Geschichte hinter dem Foto geschrieben („Der Junge am Strand“). Wenn das aber legitim ist (und ich tendiere dazu), dann lässt sich Julian Reichels Anspruch auf den Abdruck von Leichen nicht mehr generell, sondern nur situationsbedingt zurückweisen. Und das wird schwierig – ein Dilemma.

  6. Die aufgeführten BILD-Fälle sind Sauereien und die Stellungnahmen der Chefredaktion sind Ausreden.

    Na und?

    Was für die Handwerker die Innung, ist für die Zeitungen der Presserat. Mithin der Querschnitt der vielfältigen Wahrheitspresse, die den Anspruch der Seriosität schon lange aufgegeben hat. Erst still und heimlich, neuerdings offen mit der Begründung des Haltungsjournalismus.

    Dieser Verein hat sich selbst verwurstet, den muss man nicht mehr ernst nehmen. Deshalb können sich die BILD-Fuzzis ganz entspannt zurücklehnen und der Dinge harren, die da kommen.
    Wohlwissend, da kommt nichts mehr.

  7. Die Entwicklung ist ja bei jedem Printmedium der Fall.
    Interessant ist da eher der Kontext mit dem Onlineauftritt, wie bildblog es macht: https://bildblog.de/auflage/
    Schön wäre, wenn die beiden Statistiken noch die gleiche x-Achse hätten ;)

  8. Mit leichter Schamesröte im Gesicht werde ich hier beichten, dass ich das „oder es müssen andere Lösungen her“ in meiner Beschwerde tatsächlich so formuliert habe. Welche Lösungen das sein könnten, ist mir als Medienrecht-Laie weder klar, noch hat diese Diskussion etwas in meiner Beschwerde zu suchen gehabt. Ich verstehe das Argument, dass die Medien keiner staatlichen Kontrolle unterliegen dürfen. Andererseits scheint man den zahnlosen Presserat für ausreichend zu halten. Dass die Bild das schamlos ausnutzt, führt zu meiner Bewertung, dass es anderer Lösungen bedarf. Dass es scheinbar unter kein Gesetz fällt, einem Mordopfer öffentlich und mit Reichweite zu unterstellen, es hätte seine Familie getötet, geht mir an die Nieren. Das kann doch kein Kavaliersdelikt sein. Warum das nicht unter Rufmord oder üble Nachrede fällt ist mir nicht klar. Aber dass es einer Lösung bedarf, die nicht die Freiheit der Presse einschränkt, sondern die Rechte von Opfern schützt und jene dafür belangt, die auf dem Rücken der Opfer ihre Brötchen verdient haben, ist meine volle Überzeugung. Ich hätte wohl einfach nur formulieren müssen „dann müssen GEEIGNETE RECHTSSTAATLICHE Lösungen her“, schon hätte sich Julian Reichelt nicht mehr hinter einem projizierten Bedrohungsszenario verstecken können.

    Ich bin leider öfter wütend, als ich es sein möchte, aber das heißt nicht, dass ich anderen deshalb den Kopf abreiße. Es heißt, dass ich Kopfschmerzen davon bekomme, wie sich meine Umwelt verhält und deshalb kontinuierlich und mit steigendem Nachdruck auf Lösungen bestehe. Wenn etwas nachweislich zu keiner Besserung führt, dann müssen andere Lösungen, also bessere Lösungen her.

    Über den Ausgang der Geschichte bin ich nicht unglücklich. Die Rüge wurde trotz meiner emotionalen Schärfe erteilt (war ich wirklich der einzige, der sich darüber beschwert hat?) und weiterhin hat Julian Reichelt mit seinem Starrsinn ein weiteres, starkes Argument geliefert, warum die freiwillige Selbstkontrolle für das Kampagnen-Medium Bild nicht genügt.

    Sorry, dass ich hier in den Kommentaren auch mal anmaßend kommentiert habe. Mir geht manchmal so viel gegen den Strich, dass es besser wäre, in dieser Stimmung gar keinen Kommentar mehr abzugeben. Ist jedenfalls mein Jahresvorsatz und ich hoffe, mich einigermaßen zusammenreißen zu können. Wut kann nur Nachdruck hinterlassen, aber lösungsorientiert ist Wut wenn überhaupt nur sehr begrenzt.

    Schönes Wochenende

  9. Dass es scheinbar unter kein Gesetz fällt, einem Mordopfer öffentlich und mit Reichweite zu unterstellen, es hätte seine Familie getötet, …

    Wie kommen Sie darauf, dass Straftaten gem. § 189 StGB unter kein Gesetz fallen?
    Und seit wann ist das so, dass das Strafrecht Sache des Presserats ist und nicht der Gerichte?

  10. @Jörn
    Für die üble Nachrede ist entscheidend, dass die Tatsachenbehauptung „nicht erweislich wahr“ ist. Dass die Behauptungen nicht der Wahrheit entsprachen, hat der Presserat mit der Rüge bzgl. der Vorverurteilung festgestellt.

    Der Grundsatz der üblen Nachrede wird im Sonderfall der Verdachtsberichterstattung ausgehebelt. Obwohl naturgemäß in einer offenen Mord-Situation noch gar nicht feststeht, ob ein im Raum stehender Vorwurf sich letzten Endes erhärtet und es zu einer rechtskräftigen Verurteilung kommt, darf die Presse bereits über den bloßen Verdacht berichten. Eigentlich gilt das Recht auf Abdruck einer Gegendarstellung als Gegengewicht zu dem Einfluss der Presse auf die öffentliche Meinungsbildung zum Schutz von Betroffenen. Wenn aber die ganze Familie getötet wurde, kann keiner der Betroffenen mehr eine Gegendarstellung abdrucken lassen und ihr Name darf in den Dreck gezogen werden, solange noch keine Ermittlungsergebnisse feststehen. Jeden beliebigen Verdacht kann sich ja schließlich jeder erfundene und auf einmal nicht mehr auffindbare Zeuge aus den Fingern saugen lassen.

    Jetzt sind Sie dran und erklären mir bitte, warum die Verdachtberichtserstattung der Bild-Zeitung üble Nachrede betreiben darf.

  11. Jetzt sind Sie dran und erklären mir bitte, warum die Verdachtberichtserstattung der Bild-Zeitung üble Nachrede betreiben darf.

    Nein, bin ich nicht. Aus dem einfachen Grund, dass ich das nicht behauptet habe.

  12. Niemand wird gezwungen, dieses Blatt oder andere Zeitschriften von Springer oder Ippen zu kaufen und zu lesen. Die hohen Auflagen beweisen aber, dass offensichtlich ein nicht unerheblicher Bedarf besteht. Da in Deutschland Presse- und Meinungsfreiheit herrscht, kann der Pressekodex nur eine unverbindliche Empfehlung und der Presserat nur ein zahnloser Tiger sein. Aber weil die Presse, fast immer, nur über Dinge berichtet, die bereits geschehen und nicht mehr zu ändern sind, handelt es sich sowieso, nur um Unterhaltung und der Wahrheitsgehalt ist nicht so wichtig. Springer, Übermedien und Co. sind die Bänkelsänger und Marktschreier der Gegenwart.

  13. Wieder mal eine Glanztat von Übermedien!
    Wo sonst werden die Ungeheuerlichkeiten von BILD so kontinuierlich und kompetent nachgehalten und sachlich eingeordnet wie hier.
    Man wünscht sich, dass Übermedien auch Juristen lesen, die einzelnen falschen, grob ehrrührigen oder verletzenden Aussagen der BILD-„Redaktion“ presserechtlich oder gar strafrechtlich nachgehen und – wenn möglich – Klage einreichen. Vielleicht finden sich ja Anwälte, die die Opfer vertreten, ohne dass ihnen gleich große Kosten entstehen. Sollte man dafür nicht ein Forum eröffnen, auf denen solche Fälle diskutiert und vorangetrieben werden könnten?

  14. Mindestens ein Forum gibt es bereits mit Bildblock.de und ich bin überzeugt davon, dass es auch noch ein paar mehr gibt. Was mögliche Klagen angeht, gehen die der Springer-Presse an demselben vorbei. Entweder sie einigen sich auf einen Vergleich oder sie zahlen die Strafe.

  15. @Jörn: Sie sehen das also anders und das finde ich interessant. Wären Sie so freundlich, kurz Ihre Sicht auf die Gegebenheiten zu erläutern?

    Wenn sich bei einer zulässigen Verdachtsberichterstattung später herausstellt, dass die Äußerung unwahr ist, hat der Betroffene weder Ansprüche auf Widerruf oder Richtigstellung noch auf Schadensersatz (vgl. BGH, Urteil vom 07.12.1999, Az.: VI ZR 51/99). Das ist meiner Meinung nach vollkommen in Ordnung. Aber eine zulässige Verdachtsbericht-Erstattung muss auf verschiedene Punkte achten:

    1. eine für die Öffentlichkeit wesentlich berührende Angelegenheit
    2. vor Aufstellung oder Verbreitung der Behauptung müssen hinreichend sorgfältige Recherchen über den Wahrheitsgehaltangestellt werden
    3. je schwerwiegender die Äußerung das Persönlichkeitsrecht beeinträchtigt, umso höhere Anforderungen sind an die Erfüllung der Sorgfaltspflichten zu stellen
    4. es muss ein Mindestbestand an Beweistatsachenfür den Wahrheitsgehalt der Information sprechen (vgl. BGH, Urteil vom 26.11.1996, Az.: VI ZR 323/95)
    5 .es ist eine Stellungnahme des Betroffenen einzuholen
    6. die Darstellung darf keine Vorverurteilung des Betroffenen erwirken
    7. unzulässig ist eine auf Sensationen ausgehende, bewusst einseitige oder verfälschende Darstellung
    8. es müssen auch die zur Verteidigung des Beschuldigten vorgetragenen Tatsachen und Argumente berücksichtigt werden
    9. Namensnennung des Betroffenen ist nur bei schwerer Kriminalität oder Straftaten, die die Öffentlichkeit besonders berühren, zulässig

    Da meiner Einschätzung nach nicht auf die Punkte 2 bis 7 geachtet wurde, ist diese Verdachtsberichterstattung unzulässig und hat damit die Würde der Betroffenen verletzt.

    Darum meine Frage, warum Sie das anders sehen, bzw. wie Sie das überhaupt sehen. Ist das für Sie legitim?

  16. @Jörn: Sie sehen das also anders.

    Nein.
    Ich bin nur dafür, die Begriffe ordentlich gegeneinander abzugrenzen.

    Der Presserat hat legal sowieso nicht viel zu melden. Und das einzige Werkzeug das er mal hatte, die Moral, hat er in die Gosse geworfen. Das ist eine Witzveranstaltung, die man nicht ernst nehmen kann.

    Es gibt aber noch eine andere Instanz, die Gerichte.
    Üble Nachrede ist ein Straftatbestand.
    Der Ehrenschutz des Individuums endet nicht schlagartig nach seinem Ableben.
    Das Delikt wird nur auf Antrag verfolgt. Strafantragsberechtigt sind die verletzten Individuen, ihre Nachkommen, bei Minderjährigen Geschädigten die Erziehungsberechtigten (Details bitte im Netz nachlesen).
    Das alles hat nicht mit dem Presserat zu tun.

    Im Übrigen Danke für den Hinweis unter Pkt. 4. Finde ich gut, das Kriterium „es muss ein Mindestbestand an Beweistatsachen für den Wahrheitsgehalt der Information sprechen“.

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