Seit sechs Wochen ist „Bild“-TV auf Sendung. Das Grundprinzip ist Empörung. Wie weit lässt sich das treiben und um welchen Preis? Darüber spricht Holger Klein mit Stefan Niggemeier.
Es ist vielleicht der erste Fall, bei dem eine Radikalisierung im Umfeld von Corona-Verschwörungsideologen zu einem Mord geführt hat. Aber für die „Bild“-Zeitung ist er kein großes Thema. Dabei gäbe er Anlass, die eigene Berichterstattung zu hinterfragen.
„Bild“-Chefredakteur Julian Reichelt war zu Gast bei der Jungen Union, mitten im Wahlkampf. Er lieferte eine Propagandashow ab – für sich, nicht die CDU.
Kritiker sehen im neuen „Bild“-Fernsehprogramm eine deutsche Version des rechten US-Krawallsenders. Der Vergleich liegt nahe, aber er trifft nicht ganz, auch wenn „Bild“ gerade außerordentlich schrill ist. Vor allem ist das gesellschaftliche Umfeld ein anderes.
Am Sonntag geht der neue „Bild“-Sender auf Sendung. Wie der funktionieren wird – und was an ihm zu fürchten ist – konnte man schon in den vergangenen Monaten im Internet sehen.
In einer internen Videokonferenz erläutert der Springer-Chef der „Bild“-Belegschaft, wie das Compliance-Verfahren gegen Chefredakteur Julian Reichelt ausgegangen ist. Der bittet seine Kolleginnen und Kollegen um Entschuldigung und beklagt, „vernichtenden Hass“ zu spüren bekommen zu haben.
Julian Reichelt werden Machtmissbrauch und Mobbing vorgeworfen. Eine Untersuchung läuft. Er ist beurlaubt. Holger Klein spricht mit Stefan Niggemeier über den „Bild“-Chefredakteur, wie und was man überhaupt berichten kann und darf – und was der Fall für Axel Springer bedeutet.
Der „Bild“-Chefredakteur kündigt an, sich gegen die zu wehren, „die mich vernichten wollen, weil ihnen ‚Bild‘ und alles, wofür wir stehen, nicht gefällt“. Was bedeutet seine vorübergehende Freistellung?
Julian Reichelt wird beschuldigt, mit jungen Mitarbeiterinnen intime Beziehungen gehabt und sie begünstigt zu haben. Verschiedene Vorwürfe von Machtmissbrauch werden jetzt vom Springer-Konzern untersucht; Reichelt bestreitet sie. Aber auch andere haarsträubende Geschichten aus der „Bild“-Welt werden jetzt kolportiert – teils auf zweifelhaften Umwegen.
Nach den Vorwürfen gegen „Bild“-Chef Julian Reichelt versucht der Vorstand von Axel Springer, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu beruhigen: „Wir wollen, dass jeder ohne Angst auf mögliche Missstände und Fehlverhalten hinweisen kann. Wir werden aber keine Form der Vorverurteilung zulassen.“
Der Deutsche Presserat der Verlage und Journalistenverbände hat keine echten Sanktionsmöglichkeiten. Wenn Medien sich nicht an medienethische Grundsätze halten, kann er sie rügen, aber nicht einmal den Abdruck dieser Rügen erzwingen. Das macht ihn zu einer attraktiven Alternative zu den Landesmedienanstalten, die neuerdings für die Aufsicht über andere redaktionelle Online-Medien zuständig sind.
Eigentlich müssen öffentliche Rügen durch den Presserat zeitnah im betroffenen Medium abgedruckt werden. Die „Bild“-Redaktion aber sagt, sie entscheide selbst, „wann, wo und wie“ sie die Beanstandungen veröffentlicht. Konkret heißt das anscheinend: wenn überhaupt, nur noch online.