Hilfe, mein Nebenbuhler ist eine Frau!
Achtung, Spoiler: Dieser Text verrät gleich im ersten Abschnitt, für wen sich die „Bachelorette“ diese Woche entschieden hat.
Auf RTL+ spielte sich am Montagabend das ganz große Drama ab. Die Influencerin und Professorentochter Stella Stegmann vergab beim „Bachelorette“-Finale im romantisch angestrahlten Mülheimer Luftschiffhangar die letzte Rose an die Liebe ihres Lebens den Staffelgewinner Devin Dayan, einen Sales Manager aus Niedersachsen.
Minuten vorher hatte das Ex-„Playboy“-Bunny noch schluchzend gezweifelt, ob es die richtige Entscheidung war, den konkurrierenden Finalisten und Rapper Ferry hinaus in den Regen und damit aus der Sendung zu schicken.
Also alles wie immer, könnte man meinen: Am Schmonzetten-Höhepunkt ringen zwei Männer um das Herz einer Frau im Glitzerkleid, und inzwischen ist auch schon bekannt, dass die daraus resultierende Beziehung nicht einmal bis zur Ausstrahlung des Finales gehalten hat (keine große Überraschung, wenn man diese RTL-Auflistung bisheriger Finalistenpaare kennt).
Klassische Hetero-Beziehung? Nichts für Stella
Und doch hätte Staffel 11 diesmal ganz anders ausgehen können. Stella Stegmann war RTL zufolge die erste offen bisexuelle Kandidatin (sie selbst bezeichnet sich als pansexuell, was einem größeren Publikum aber womöglich nicht zu vermitteln war). Folglich durfte sie in der Show-Villa in Thailand Männer und Frauen gleichermaßen kennenlernen. Und als ob das noch nicht aufregend genug wäre, war sie keineswegs nur an einer monogamen Beziehung interessiert, sondern erklärtermaßen äußerst offen für Poly-Beziehungen, Dreier und ähnliche zwischenmenschliche Erkundungen.
Ganz schön progressiv für ein Format, das konservative Dating-Vorstellungen geradezu verkultet: Muskelbepackte Männer. Makellose Frauen. Die große Liebe.
Natürlich ist die „Bachelorette“ erst einmal Unterhaltung und damit so authentisch wie Milchkühe in Frischkäse-Werbung. Gewinner Devin sagt im After-Show-Podcast, er hätte niemals gedacht, dass er als Teilnehmer Gefühle entwickeln würde. Die Teilnehmenden wollen in erster Linie keine Beziehung, sondern einen Push für die eigene Social-Media-Präsenz (Stella hat inzwischen 444.000 Insta-Follower). Nichts ist echt in diesem Format, weder die spicy Pool-Partys noch die von Kameraleuten umringte Zweisamkeit. Eine von vielen Absurditäten war ein wortwörtliches Blind Date in der zweiten Folge, bei dem Bachelorette Stella mit verbundenen Augen unter vier Kandidaten einen allein anhand seines Geruchs auswählen musste – ohne mit ihm auch nur ein Wort gewechselt zu haben.
Und dennoch: Trash kann auch gesellschaftspolitisch sein. Das hat RTL mit den queeren Dating-Formaten „Prince Charming“ und „Princess Charming“ bewiesen, die mit dem Grimme-Preis und dem Deutschen Fernsehpreis ausgezeichnet wurden, weil sie queere Themen ins Mainstream-Fernsehen katapultiert haben. Mitten im Geflirte um die erste „Princess“ Irina Schlauch ging es um jede Menge Tiefgründiges: zum Beispiel wenn die Frage diskutiert wurde, wann Lesben transphob sind. In der zweiten Staffel wurden unter anderem Vulven aus Blumen gesteckt, um dabei über weibliche Sexualität und Bodyshaming zu sprechen. Nicht zu vergessen die Solidarität, mit der die Hausbewohnerinnen alle Vorurteile über Stutenbissigkeit hinter sich ließen (was auch dazu führte, dass die eine oder andere das Haus dann lieber mit einer Mitkandidatin verließ als mit der eigentlichen „Princess“).
Gefühle, Gefühle, Gefühle
Auch die „Bachelorette“ erzählt nun Geschichten gegen Geschlechterstereotype – in einer Show, in der es eigentlich vor allem um Geschlechterstereotype geht. Man sieht nicht nur weinende Männer, sondern bekommt auch freimütig geschildert, wie eine erste Liebesnacht von einer Erektionsstörung getrübt wurde. Ständig ist bei Frauen wie Männern die Rede davon, „sich zu öffnen“, es werden Theaterszenen gespielt und alte Verletzungen bearbeitet – mit der Maximalsymbolik losgelassener Ballons, zerschmetterter Spiegel und verbrannter Zettel.
Stella wiederum stellt bei allen möglichen Gelegenheiten klar, was genau eine „offene Beziehung“ für sie bedeutet, dass dabei Kommunikation eine wichtige Rolle spielt, dass ihr Sex wichtig und ihre Lust kein Tabu ist. Man nimmt ihr ab, dass sie das ernst meint. Das ist mutig.
Leider ist es bei manchen Kandidaten weniger gut, wenn zwischen all der inszenierten Romantik das „Echte“ durchschimmert. Da werden balzbereite Männer ohne jegliche Vorwarnung damit konfrontiert, in einem Dating-Format gegen Frauen konkurrieren zu müssen. Und dann werden ihre Reaktionen auf genau diese Situation genüsslich gefilmt. Das führt zu maximaler Vorsicht in den Äußerungen, weil niemand gleich zu Beginn rausfliegen will. Aber doch bei einigen auch zu sichtlicher Verwirrung, wie das denn gehen soll: gegen Frauen antreten.
Ihre Erwartungshaltung ist klar: Die „Hühner“ und „Woo-Girls“ bringen vor allem „Trouble“. Mit Frauen gleichzeitig auf Gruppendates zu gehen, wäre „asozial“, findet zum Beispiel der 27-jährige Kandidat Bennett. Und sagt später: „Das ist hier auch die Staffel mit der Political Correctness, dafür habe ich mich nicht beworben.“ Was von einigen der Männer natürlich auch als erstes zu klären ist: Sind die nun lesbisch oder doch vielleicht auch an den Kerlen in der Villa interessiert?
Mobbende Männer
Schon zu Beginn sind die fünf Frauen gegenüber 15 Männern deutlich in der Unterzahl. Im Verlauf der Staffel wird Kandidatin Luna von Männern massiv gemobbt, an einer Stelle mit einer so unterirdischen Beleidigung, dass RTL das Wort mit einem Piepen ersetzte. In Folge 7 wird eine andere Kandidatin um ihre Chance auf ein Einzeldate gebracht, weil sich drei Männer gegen sie verbünden (Kommentar von Bachelorette Stella: „Schon fies!“ Kommentar von Kandidat Martin: „Ich sag ja, Emanzipation – die wollten das immer so!“) Zwischendurch wird auch mal verwechselt, dass die Kandidatinnen nicht zum Anflirten, sondern als Konkurrentinnen in der Villa dabei sind – und es ihnen somit ziemlich egal sein könnte, ob ihre Mitbewohner sie als hot einstufen oder nicht.
Die sexistischen Nadelstiche sind Alltagserfahrungen von Frauen – inklusive der Herausforderung, diese Demütigungen mit einem Lächeln hinnehmen zu müssen, um nicht als „Zicke“ gebranntmarkt zu werden. Romantisch ist das nicht. Gleich zwei Kandidatinnen steigen freiwillig aus der Sendung aus, weil sich keine Gefühle entwickeln wollen, und im Finale bleiben wenig überraschend zwei Männer übrig.
Klar, nicht alle Männer in der Show sind so. Aber es fällt auch keiner dadurch auf, dass er sich sonderlich für die Frauen einsetzt. Und wenn man bedenkt, dass die Männer alle diese Äußerungen in dem Bewusstsein tätigten, gefilmt zu werden: Wie hätten sie sich wohl verhalten, wenn keine Kameras dabei gewesen wären?
Viel Drama, wenig Kontext
Für die Produktion war diese Gemengelage bei der gewählten Konstellation erwartbar. Dramen sind garantiert und werden bis zur letzten spitzen Bemerkung ausgeschlachtet. Das ist billig und eine verpasste Chance: Denn die Macher hätten all die kleinen und großen Angriffe und Feindlichkeiten auch ganz anders aufgreifen können. Indem sie zum Beispiel Stella damit konfrontieren, die mit dieser Art Männlichkeit erklärtermaßen wenig anfangen kann, in ihrer eigenen Villa aber kaum etwas davon mitbekommt. Oder indem sie mehr Raum für Reflektion schaffen, um klarzustellen, dass viele Kommentare sich direkt aus männlichen Allmachtsfantasien speisen.
An sehr wenigen Stellen sind Frauenfeindlichkeit und Queerfeindlichkeit tatsächlich Thema – aber eher nach dem Schema: Eine beschwert sich, ein anderer tut das ab, Drama abgeschlossen. Bei „Princess Charming“ hingegen gehört die Aufarbeitung von allem Möglichen in inszenierten Gruppengesprächen ganz selbstverständlich dazu. Auch bei der „Bachelorette“ hätten die äußerst selbstbewusste Titelheldin und ihre feministisch engagierten Kandidatinnen zu vielen Geschehnissen sicherlich mehr Einordnung liefern können, als das Publikum zu sehen bekommt.
In vielen Situationen geht es genau um die Art Alltagsmisogynie, die aus Sicht vieler schon irgendwie noch okay ist, Frauen aber trotzdem zu Tode nervt. Die zuständige Landesanstalt für Medien in NRW prüft die aktuelle Staffel der „Bachelorette“ inzwischen, vor allem darauf, ob die vom Anbieter vorgesehene Alterskennzeichnung wegen frauenverachtender oder sexualisierter Inhalte angepasst werden sollte – bis auf eine besonders sexfixierte Folge tragen alle Episoden die Alterskennzeichnung „ab 12“. Die Prüfung der Staffel sei noch nicht endgültig abgeschlossen, sagte ein Sprecher auf Anfrage von Übermedien. Zum jetzigen Zeitpunkt sei ihm aber kein Verstoß bekannt, der Maßnahmen der Medienaufsicht erfordern würde.
Vor allem einer fällt als Frauenfeind auf, ein Kandidat namens Martin, der es immerhin bis in die vorletzte Folge schafft. Er selbst wehrte sich gegen dieses Label nach der Sendung mit dem Nicht-Argument: „Ich bin nicht frauenfeindlich, ich hatte selbst Freundinnen, habe schwule Freunde, also von daher bin ich offen.“ Die Bachelorette scheint er aber weniger als mögliche Partnerin, denn als Trophäe wahrzunehmen – eine Objektifizierung, für die er in sozialen Medien heftig kritisiert wurde.
Stella, ganz fürsorglich, erzählt im After-Show-Podcast, dass sie bei Martin daraufhin nachgefragt habe, wie es ihm mit der Kritik gehe. Die meisten würden ihm schreiben, er sei unter all den Kandidaten „der normalste“, habe Martin ihr geantwortet.
Was der Sendung fehlt
Ein guter Teil des Publikums schaltet vermutlich nicht aus queerpolitischer Überzeugung ein. Viele waren wohl doch mehr an dem gemeinsamen Date von Stella mit Kandidatin Emma interessiert, das in Teilen im Bikini unter einer Gartendusche stattfand, oder an den äußerst stoffsparenden Outfits der „Bachelorette“, deren Hobbys neben Skat auch Pole-Dancing umfasst.
Diese Zielgruppe ist für Themen wie Misogynie und Queerfeindlichkeit vermutlich nicht besonders sensibilisiert. Wie toll wäre es also gewesen, wenn RTL nicht nur gezeigt hätte, wie sexistisch, homophob und frauenfeindlich Dating viel zu oft ist, sondern auch, warum das (vor allem für Frauen) problematisch ist! Stattdessen präsentiert die Reality-Show die ganz normale, ernüchternde Realität: Wie Frauen lieben, Sex haben und Beziehungen führen, kommentieren, bewerten und entscheiden immer noch viel zu oft Männer.
Die Autorin
Annika Schneider ist Redakteurin bei Übermedien. Sie hat als freie Autorin, Moderatorin und Redakteurin unter anderem für „Mediasres“ (Deutschlandfunk) und das „Altpapier“ (MDR) gearbeitet, außerdem für das Medienmagazin des WDR. Sie hat Journalistik und Politikwissenschaft in Eichstätt und Erlangen studiert und ihr journalistisches Handwerk im Lokalen gelernt.
Ich mag ja diese Zusammenfassungen von Sendungen, die ich wegen Fremdschämfaktor nicht selber sehen könnte, aber:
„Zwischendurch wird auch mal verwechselt, dass die Kandidatinnen nicht zum Anflirten, sondern als Konkurrentinnen in der Villa dabei sind“
Ja, da muss man schon sagen: „Fokus, Leute!“, andererseits gibt es wohl auch dafür Präzedenzfälle, weil:
„…die eine oder andere das Haus dann lieber mit einer Mitkandidatin verließ als mit der eigentlichen „Princess“.“