Der Autor
Stefan Niggemeier ist Gründer von Übermedien und „BILDblog“. Seit vielen Jahren Autor, Blogger und freier Medienkritiker, früher unter anderem bei der FAS und beim „Spiegel“.
Bei „Multipolar“ weiß man, wie man aus einem Brief einen Skandal macht. „Landesmedienanstalt geht nach Enthüllung der RKI-Protokolle gegen Multipolar vor“, hat das Online-Magazin einen Artikel in eigener Sache überschrieben.
Einerseits ist das „nach“ in diesem Satz unbestreitbar richtig: Im März 2024 hat „Multipolar“ die von ihm freigeklagten Protokolle des Corona-Krisenstabs des Robert Koch-Instituts veröffentlicht; im August 2024 erhielt „Multipolar“ ein mahnendes Schreiben der nordrhein-westfälischen Landesanstalt für Medien (LfM). Andererseits suggeriert das „nach“ aber natürlich auch einen anderen Zusammenhang: dass die lästige Berichterstattung die Motivation für die Anstalt gewesen sein könnte, gegen „Multipolar“ vorzugehen. Das darf man natürlich vermuten, es ist aber eine reine Unterstellung.
Stefan Niggemeier ist Gründer von Übermedien und „BILDblog“. Seit vielen Jahren Autor, Blogger und freier Medienkritiker, früher unter anderem bei der FAS und beim „Spiegel“.
Die LfM sieht in ihrem Brief nicht einmal ein „Vorgehen“ gegen die Redaktion, sondern nur einen „freundlichen Hinweis“. Aber es ist ein freundlicher Hinweis auf „deutliche Anhaltspunkte“ dafür, dass mehrere Behauptungen in Artikeln „nicht ausreichend recherchiert und damit die Anforderungen an die anerkannten journalistischen Grundsätze nicht erfüllt wurden“. Ein freundlicher Hinweis, dass man damit den „zentralen Pflichten“ als „journalistisch-redaktionell gestaltetes Telemedium“ möglicherweise nicht nachgekommen sei, womit man gegen den geltenden Medienstaatsvertrag verstoßen hätte. Ein freundlicher Hinweis, der von einer Behörde mit Sanktionsmöglichkeiten kommt, samt vierwöchiger Frist, innerhalb derer die Redaktion „bitte mitteilen“ möge, ob sie ihre Beiträge geändert hat oder warum nicht.
Da muss man nicht, wie „Multipolar“, ein Magazin sein, das zum Verschwörungsglauben neigt, um etwas unentspannt zu werden.
Die juristische Grundlage für das Vorgehen der LfM ist Paragraph 19 im Medienstaatsvertrag. Unter der Überschrift „Sorgfaltspflichten“ heißt es da, dass Online-Medien, die über Aktuelles berichten, „den anerkannten journalistischen Grundsätzen zu entsprechen“ haben. Nachrichten sind „vor ihrer Verbreitung mit der nach den Umständen gebotenen Sorgfalt auf Inhalt, Herkunft und Wahrheit zu prüfen“.
Diese Vorgabe gibt es erst seit 2020. Verfasst wurde sie mit Angeboten wie der amerikanischen Webseite „Breitbart“ im Sinn, die im Gewand eines seriösen journalistischen Angebotes Lügen und Propaganda verbreiteten. Doch auch wenn man das Ziel richtig findet, kann man an dieser Idee zweifeln: Ein Gesetz, das freie Medien auf die Einhaltung im Zweifel schwammiger journalistischer Grundsätze verpflichtet – und das von Aufsichtsbehörden überprüfen lässt? Paul Schreyer, einer der Herausgeber von „Multipolar“, sagt, er halte die Rechtslage für „klar verfassungswidrig“.
Zuständig für die Durchsetzung des Paragraph 19 sind die Landesmedienanstalten. 14 davon gibt es in Deutschland, für fast jedes Bundesland eine. Sie werden aus den Rundfunkbeiträgen finanziert und sind theoretisch staatsfern organisiert – praktisch aber selten ganz frei von Einflüssen der Parteipolitik.
Dass die Vorgabe aus Paragraph 19 heikel ist, ist auch ihnen bewusst. Es geht bei diesen Fällen nicht um Verstöße gegen Gesetze, sondern um das Themenfeld Desinformation. „Diese Fälle sind deswegen so schwer zu fassen, weil sie das Herzstück der demokratischen Medienlandschaft nutzen, um ihr zu schaden“, sagt Tobias Schmid, Direktor der LfM. „Es ist so schwer, dagegen vorzugehen, weil man bei jeder Maßnahme, die man ergreift, Gefahr läuft, dass man das zerstört, was man schützen will.“
Die konkreten Vorwürfe der LfM gegen „Multipolar“ betreffen vier Artikel:
Welchen journalistischen Ansprüchen diese Beiträge genügen und wie seriös diese Berichterstattung ist, darüber kann man diskutieren. Aber sind die möglichen Defizite so gravierend, dass dafür eine Aufsichtsbehörde einschreiten müsste? Sind das die schlimmsten Auswüchse, die größten Multiplikatoren? Selbst wenn es kein Kalkül sein sollte, dass es hier gegen ein Magazin aus dem Querdenker-Umfeld geht: Wenn der Eindruck entsteht, dass Aufsichtsbehörden vorrangig gegen Berichte vorgehen, die mit der Regierungspolitik hart ins Gericht gehen, ist das extrem problematisch. Steckt hinter dem Vorgehen wirklich die Sorge um die journalistische „Sorgfalt“ – oder doch um die falsche Meinung?
Warum hat sich die LfM von den vielen möglichen Verstößen, die sich auf Medienseiten im Netz sicher finden lassen, ausgerechnet diese ausgesucht? Die Medienanstalten können prinzipiell auf eigene Initiative tätig werden, gehen aber auch Beschwerden aus der Bevölkerung nach. Im konkreten Fall soll es bereits Hinweise von außen auf „Multipolar“ als Medium gegeben haben, bei den vier Beiträgen hat die LfM aber selbst die Initiative ergriffen.
LfM-Chef Tobias Schmid kann sich zu den einzelnen Fällen inhaltlich nicht äußern, klingt aber selbst nicht ganz glücklich darüber, dass man sich diese „Multipolar“-Beiträge ausgesucht hat. „Der Vorgang bei ‚Mutipolar‘ ist relativ unspektakulär“, sagt er. Aber man habe ja auch nur das harmlose Mittel des „Hinweisschreibens“ gewählt. Das sei für ihn Ausdruck des Versuchs, „das Gesetz mit einer gewissen Balance anzuwenden.“
Aber angesichts der Aufmerksamkeit, die „Multipolar“ mit dem Fall für sich geweckt hat, und vieler wütender Protestschreiben, die ihn erreicht haben, fügt er hinzu: „Die Frage, die wir uns selbstkritisch stellen müssen: Erreicht man womöglich auch etwas Kontraproduktives? Ist der Fall gut genug und stabil genug, um dem Medium eine solche Bühne zu geben?“
Er betont, dass mit dem Hinweisschreiben noch kein förmliches Verwaltungsverfahren eingeleitet worden sei. Darüber werde erst nach einer Antwort von „Multipolar“ entschieden.
Der Ablauf ist dann so, dass in einem solchen förmlichen Verfahren das Medium erneut angehört wird und die Möglichkeit hat, Änderungen an den Artikeln vorzunehmen. Wenn die Landesmedienanstalt mit dem Ergebnis nicht zufrieden ist und den Fall weiter eskalieren will, wird er in der Kommission für Zulassung und Aufsicht aller Landesmedienanstalten (ZAK) beraten. Dort wird mehrheitlich entschieden, ob tatsächlich eine Maßnahme ergriffen wird: Möglich sind eine Beanstandung, eine Untersagung der konkreten Inhalte und im extremsten Fall eine Sperrung des ganzen Angebotes.
Die LfM hat nach eigenen Angaben seit 2020 insgesamt 28 Hinweisschreiben verschickt. Sieben Fälle brachte sie in die ZAK, in vier LfM-Fällen gab es eine Mehrheit für eine Maßnahme: drei Beanstandungen wurden ausgesprochen, eine Untersagung.
„Damit die Landesmedienanstalten einen Inhalt untersagen, muss schon ein sehr drastischer Verstoß vorliegen, weil das ein deutlicher Eingriff in die Medienfreiheit ist“, sagt Schmid. Der eine LfM-Fall, in dem ein Inhalt untersagt wurde, betrifft übrigens kein Alternativmedium, sondern RTL Interactive: Der Firma wurde im Januar 2023 untersagt, ein Telefoninterview mit dem Serienmörder Niels Högel in der vierteiligen Doku-Reihe „Der Todespfleger“ weiterzuverbreiten. Bei dem Interview seien unlautere Methoden angewandt worden, weil es keine Genehmigung dafür durch das Gefängnis gab, in dem er saß.
Bei Beanstandungen ohne Untersagung verhängen die Landesmedienanstalten keine Bußgelder, können aber „Verwaltungsgebühren“ geltend machen. Das können mehrere Hundert oder auch Tausend Euro sein. Von Bußgeldern hat der Gesetzgeber bewusst abgesehen, um eine abschreckende Wirkung zu vermeiden.
Schmid lässt keinen Zweifel daran, dass er noch nicht zufrieden damit ist, wie die Landesmedienanstalten mit dem neuen Paragraphen umgehen. Er hat in seiner Organisation eine Arbeitsgruppe eingerichtet, die die Abläufe prüfen soll. „Wir müssen eine größere Aktualität hinbekommen und stärkere Prioritäten setzen, was die Wirkmacht und Reichweite von Angeboten angeht. Wir müssen professioneller werden bei der Anwendung des Paragraph 19. Und wir müssen eigenständiger werden. Wir sind die Medienaufsicht.“
Schmid würde sich am liebsten schwerpunktmäßig auf Fälle konzentrieren, „wo wir es mit objektiven handwerklichen Fehlleistungen zu tun haben. Auch, weil sich das der Wahrheitsdiskussion entzieht. Wir sind nicht dafür da, zu überprüfen, ob Dinge wahr oder unwahr sind. Es ist nicht die Aufgabe einer Institution wie uns, Meinungen zu bewerten.“
Tobias Schmid hofft, dass es durch ein systematischeres Vorgehen auch nicht mehr zu der zumindest wahrgenommenen Schieflage kommt, dass sich die Landesmedienanstalten bevorzugt Angeboten widmen, deren publizistische Haltung der Regierung missfallen könnte. Die Fixierung auf das Corona-Thema zum Beispiel spiegele vor allem wider, worüber sich Menschen bei den Anstalten beschwert haben, sagt Schmidt. Das erkärt allerdings nicht, warum sich seine Behörde entschieden hat, auf eigene Initiative gegen „Multipolar“ tätig zu werden.
Es gibt eine Möglichkeit, der Regulierung durch die Landesmedienanstalten zu entgehen: Wenn man sich als Medium einem anerkannten Gremium der Selbstkontrolle wie dem Presserat anschließt. Dort sind die meisten Verlagsangebote vertreten, auch Übermedien. Mehr dazu hier.
Einerseits wirkt das jetzige Verfahren übergriffig, wenn die Behörde ein Medium in kleinteilige Diskussionen verwickelt, wie irgendwelche Protokolle oder Statistiken richtig interpretiert werden müssen. Andererseits ist aber auch eine förmliche Beanstandung eines Inhaltes, wenn es zu ihr am Ende des mehrstufigen Verfahrens kommt, abgesehen von der Verwaltungsgebühr letztlich folgenlos. Ist die Landesmedienanstalt auch nur ein „zahnloser Tiger“ wie der Presserat, der sich vor allem bei Verlagsmedien um die Einhaltung des Pressekodex kümmert und schlimmstenfalls öffentliche „Rügen“ aussprechen kann?
LfM-Direktor Tobias Schmid sagt dazu:
„Wir sind nicht mehr zahnlos bei den Sachen, die eindeutig sind. Bei dem ganzen Thema Hass, Hetze, Antisemitismus, Volksverhetzung, Verstöße gegen die Menschenwürde, sind wir seit drei Jahren Universen weiter, als wir vorher waren. Wir haben alleine nach dem Überfall der Hamas auf Israel in drei Wochen 1500 Fälle identifiziert und an die Strafverfolgung und an Brüssel weitergegeben. Da werden dann auch Verfahren eingeleitet, da gibt es Verurteilungen, das funktioniert.“
Das sind aber nicht die Fälle nach Paragraph 19. Bei denen gilt für ihn, dass der Schutz der Medienfreiheit im Zweifel vorgeht:
„Deshalb weiß ich nicht, ob wir wirklich zahnlos sind oder nicht nur einen sehr großen Beißschutz tragen. Weil wir eben auch nichts kaputt machen dürfen.“
Trotzdem hält er den Paragraph 19 grundsätzlich für sinnvoll, obwohl es auch das Presserecht gibt, mit dem gegen unzulässige Berichterstattung vorgegangen werden kann. „Der einzelne Betroffene kann sich einen Anwalt nehmen, aber die Gesellschaft kann nicht klagen. Die Gesellschaft hat sozusagen keinen Anwalt. Der Paragraph 19 macht uns zum Anwalt der demokratischen Gesellschaft.“
Unaufgeregt: Unbeholfene Behördenkommunikation.
Hutbürgerbubble: Mindestens 1984.
Mich wundert es nicht.
Corona und die „dringend benötigte gesellschaftliche Aufarbeitung“ (?!) sind ein Quell an Desinformation und Lügen.
Statt einen Feuerwehmann zu fragen … Wie wäre es, einige der >500k KrankenpflegerInnen in DE danach zu befragen? Lieferten die evtl. nicht die Antworten, die man hören / publizieren wollte?
Ich finde es hier eine ganz großartige Sache, dass übermedien hier nicht die Geschäftsführung von dem Magazin herumopfern lässt, sondern den LfM.-Direktor direkt befragt. Da kommt auch direkt durch, wie unwohl sich die Behörde bei der Durchsetzung von „Wahrheitsministerium“-Gesetzen fühlt.
„Erreicht man womöglich auch etwas Kontraproduktives?“
Ich plädiere nach wie vor dafür, diese Frage nicht mehr zu stellen, wenn es um „den Backlash von rechts“ geht. Ich kann es nicht oft genug erwähnen: Die Rechten (Medien) sind immer Opfer und werden sich zur Not etwas zusammenlügen und ausdenken. Dann kann man sie auch genauso gut mit etwas Realem beschäftigen. Kommunikativ macht das in deren ideologischer Zielgruppe eh keinen Unterschied, weil man eh glaubt, was man glauben will. eswegen wirken die Lügen da ja auch so gut.
„Unaufgeregt: Unbeholfene Behördenkommunikation.“
Aka „wie immer“. Das ist der Grund, warum man solche Diskussionen nicht der Behördenkommunikation überlassen sollte.
Oder wenn schon, dann wäre ich anstelle von Multipolar doch etwas angefressen, dass Regenbogenpresse und Drecksblatt offenbar machen durften, was sie wollten.
@#1: „Unbeholfene Behördenkommunikation.“ Mich würde interessieren, wie die Behördenkommunikation aussehen muss, damit sie nicht „unbeholfen“ wirkt. Ohne jetzt irgendwelchen Links hier gefolgt zu sein, kann ich nicht viel erkennen, was da jetzt schlecht kommuniziert worden sein soll.
@#2: „dass Regenbogenpresse und Drecksblatt offenbar machen durften, was sie wollten.“ Vor diesem Hintergrund erstaunt es mich umso mehr, dass seit dem Blauen Boten offenbar niemand mehr versucht hat, gegen den ominösen §19 vorzugehen. Der kann doch in Karlsruhe niemals halten.
Einwände #2 & #3 absolut berechtigt.
28 Hinweise in 4 Jahren.
Interessant, was z. B. der blaue Bote Inhaber aus dem Hinweis, der an ihn ergangen ist, für eine fantasievolle und farbenprächtige Story konstruiert.
Ich habe mir mal den blauen Boten und auch das Mehrpolige angeschaut, da geht es ja nicht um Informationsgehalt oder Neutralität, sondern um Ideologie. Dort wird berichtet, was das eigene Narrativ unterstützt und alle andere wird ignoriert. So offensichtlich macht es ja nicht mal die Bildzeitung.
Das Wodarg-Interview auf der Startseite …
Die Frage ist also:
Muss sich der Staat einmischen, wenn „nicht ausreichend recherchiert und damit die Anforderungen an die anerkannten journalistischen Grundsätze nicht erfüllt wurden“?
Da die Gesellschaft es ja nicht sanktioniert und im Gegenteil ja sogar mangelnde Recherche und maximale Aufregung mit Aufmerksamkeit belohnt, vielleicht ja?
Wegen Meinungsfreiheit vielleicht nein?
Ist bewusstes Lügen von der Meinungsfreiheit gedeckt?
Ich persönlich tu mich da schwer mit einer Einschätzung.
Ich meine aber, dass Hush von Tool nicht so gemeint war. Oder eben doch?
Was auf jeden Fall klar ist: Jeder, der so einen Hinweis erhält, ist natürlich Opfer von unangemessener Staatsgewalt und muss ganz dolle bemitleidet werden.
„Nur weil ich hier ein bisschen ideologisch rumlüge, damit mir auch rechtsradikale Demokratiefeinde ein paar Euronen überweisen, schreibt mir der Staat einen Hinweis, dass ihm aufgefallen ist, dass ich evtl. an der einen oder anderen Stelle gelogen habe! Das ist mindestens 1984-Zensur, schlimmer als Hitler!“ Natürlich.
Das wiederum ist dann die fansievolle Story, die sich natürlich besser verkauft als „ja, da habe ich evtl. über die Stränge geschlagen und die Landesmedienanstalt hat Recht mit der Feststellung und ich möchte mich bei meinen Lesern für die Fehlinformationen entschuldigen“.
Bei Lügen – also eigene oder die, die von Interview-Partnern weitergegeben werden – könnte ich mir schon staatlich Sanktionen vorstellen, aber dann müsste das anders aussehen.
– die Bagatell-Grenze wäre höher als „Feuerwehrmann äußert sich zu Krankenhäusern“, weil ich mir als mündiger Bürger schon denken kann, dass der nicht die beste Quelle ist
– Schwammigkeiten wie „Statistik anders interpretieren“ macht ein Fass Boden auf, weil dann quasi dauernd was wäre, also sollte man sowas aussparen
– wenn das Kriterium die tatsächliche Unwahrheit einer Aussage wäre, kann der Verweis auf korrekte oder fehlerhafte Arbeitsschritte nur das sekundäre Argument sein
In der originalen Geschichte wurde ja auch noch auf die tatsächlichen journalistischen Verfehlungen des blauen Boten eingegangen:
https://uebermedien.de/65515/gefahr-fuer-den-oeffentlichen-meinungsprozess-medienanstalt-untersagt-blog-eintrag/
Wie von mir in den damaligen Kommentaren prophezeit, ist das aber komplett in den Hintergrund getreten und wurde durch ein Narrativ des noblen Kampfs eines mutigen Bürgers gegen die Tyrannei des pösen Staates ersetzt.
Sind das also Lügen? Ich meine ja, das sind Lügen.
@ 2:
„weil ich mir als mündiger Bürger schon denken kann“
Schwierig, oder? Kann sich ein mündiger Bürger nicht auch denken, dass Schäferhunde keine COVID Infektion erschnüffeln können?
Wieviel „Mitdenken“ kann man „dem Leser“ unterstellen? Man darf auch nicht vergessen, dass sich Angebote dieser Medien meist auch nicht an den rechten Teil der IQ-Normalverteilungskurve richten. („Er hat uns dumm genannt – jetzt brauchen wir nicht auf den Inhalt eingehen sondern können uns wieder inder Opferrolle suhlen, yay!“)
Weil man es dem Leser unterstellt, die Lüge zu erkennen, darf der Blogger sie unsanktioniert verbreiten? Puh …
„Weil man es dem Leser unterstellt, die Lüge zu erkennen, darf der Blogger sie unsanktioniert verbreiten? Puh …“
Ich sprach nicht von der Lüge, sondern von der „Feuerwehrmann sieht keine Überbelastung der Krankenhäuser“-Aussage, die offensichtlich ähnlich sinnvoll ist wie „Krankenschwester sieht keinen Mangel an Feuerwehrautos“. Ist technisch gesehen keine Lüge, sondern hier wird jemand zitiert, der nicht allzuviel Ahnung oder Einblicke hat, aber seine ehrliche Meinung sagt. Die Lüge bestünde darin, dass man den Feuerwehrmann bspw. zum Chefarzt umdichtet.
Noch den denkbar dümmsten Leser vor der dämlichsten Aussage beschützen zu wollen, während gleichzeitig viele Leute solche Zeitungen lesen, weil sie deren Inhalte glauben _wollen_, halte ich für sinnlos, weil es ein Fass ohne Boden ist.
Ich könnte nebenbei auch ein journalistisches Medium, dass ich nicht mag, mit Anzeigen nach § 19 auch einfach zupflastern. Und wenn das noch für Blogs geht, yay…
@#4: „Die Frage ist also: Muss sich der Staat einmischen“?
Das sollte sie vielleicht sein, ist sie aber im Moment (noch) nicht. Im Moment mischt sich der Staat ein, ob man das jetzt gut oder schlecht findet.
Daher ist die Frage: Warum mischt sich der Staat nicht bei allen ein? Warum muss neben Reichelt auch der Blogger ums Eck, den der Presserat (wie ich vermute; man korrigiere mich) nicht reinlässt, „Verwaltungsgebühren“ und Sperre fürchten, während die ****-Zeitung _gar nix_ (nicht mal den Abdruck einer Rüge) fürchten muss?
Ich bin da wirklich gespannt, ob darauf jemand eine Antwort parat hat, die die Verfassungsrichter überzeugt. Mir fällt keine ein…
@8:
„Im Moment mischt sich der Staat ein, ob man das jetzt gut oder schlecht findet.“
Gut oder schlecht darf man das ja auch finden. Solange sich „der Staat“ auf Basis der (demokratisch entstandenen) überarbeiteten Vorgabe von 2020 einmischt, besteht ja die Rechtsgrundlage.
https://rundfunkkommission.rlp.de/fileadmin/rundfunkkommission/Dokumente/Medienstaatsvertrag/ModStV_Begru__ndung.pdf
Auf Seite 21 gibt’s die ausführliche Begründung zum Update von §19
Weil es immer so ein bisschen untergeht:
Die können sich natürlich auch einfach freiwillig dem deutschen Pressekodex (selbst)verpflichten. Aber dann kann man so schlecht Opfer sein, wenn man sich nicht an den Kodex hält.
Warum sollte ein Verfassungsrichter überzeugt werden müssen?
Tschulljung, meine letzte Frage war dumm, SN schreibt in einem anderen Artikel:
„Der Vorgang könnte aber tatsächlich nun zur Klarheit beitragen, inwieweit der Paragraph 19 und seine Anwendung rechtskonform sind – bislang gab es keine juristischen Auseinandersetzungen darüber.“
Das war mir so nicht bewusst, Verfassungsrichter müssen also definitiv noch überzeugt werden, was ja auch absolut richtig ist.
Hier auch ein interessanter Vorgang mit Einmischung des Verfassungsschutzes:
https://www.freitag.de/autoren/philip-grassmann/stellungnahme-zum-doppelgaenger-vorwurf-der-freitag-ist-unabhaengig
@#9: „Die können sich natürlich auch einfach freiwillig dem deutschen Pressekodex (selbst)verpflichten.“
Wenns so einfach wäre, dann gäbs tatsächlich kein Problem. §19, Abs. (3) des Landesmedienstaatsvertrags besagt allerdings: „Anbieter nach Absatz 1 Satz 2, die nicht der Selbstregulierung durch den Pressekodex und der
Beschwerdeordnung des Deutschen Presserates unterliegen, können sich einer nach den Absätzen 4
bis 8 anerkannten Einrichtung der Freiwilligen Selbstkontrolle anschließen“
Da Stand heute keine anerkannte Einrichtung der Frewilligen Selbstkontrolle existiert, bleibt nur der Presserat. Und alle, die da nicht mitspielen (dürfen), riskieren „Verwaltungsgebühren“ oder Sperre.
Unter Absatz 4 werden in der Neufassung von §19 nun aber auch konkrete Kriterien für die Etablierung einer „Einrichtung der Freiwilligen Selbstkontrolle“ definiert.
Die wirken mir recht schwach / schwammig und ich wundere mich, dass es noch keine „Alternative Medienselbstkontrolle für Deutschland“ gibt.
Die „Unabhängigkeit und Sachkunde ihrer benannten Prüfer“ (sowie aller anderen Kriterien für eine solche Einrichtung) beurteilt ja die LfM selbst.
Ist eigentlich eine kommunikative low-hanging-fruit für Schwurbler: Fadenscheinige „Einrichtung der (patriotischen) Freiwilligen Selbstkontrolle (für Deutschland)“ gründen und wenn nicht anerkannt wird, einfach Opfer von staatlicher Repression spielen; Julian Reichelt sabbert schon. Step 3: Profit.
Aber die LfM legt den Ball ja auch auf den Elfmeterpunkt:
„nicht ausreichend recherchiert und damit die Anforderungen an die anerkannten journalistischen Grundsätze nicht erfüllt wurden“
Mmmhh … Weiß nich, Digga.
In der von mir geposteten Begründung der Revision steht dann
„Auch ist der Wahrheitsgehalt eines Angebots als solcher nicht selbst Gegenstand einer Beanstandung, sondern vielmehr sind verletzte Handlungspflichten bei der Recherche und Präsentation Gegenstand einer Beanstandung.“
Da hab ja sogar ich Geschmäckle im Mund.
Worauf sollen die „verletzten Handlungspflichten“ denn bitte anspielen, wen nicht auf den Wahrheitsgehalt bzw. die Prüfung einer Redaktion auf eben diesen Wahrheitsgehalt? Was ist die „verletzte Handlungspflicht“, wenn nicht die Prüfung einer Redaktion auf den Wahrheitsgehalt einer Nachricht?
Wirkt schon ein wenig wie „Wenn die Hexe absäuft, war sie keine.“.
@#12: „Fadenscheinige „Einrichtung der (patriotischen) Freiwilligen Selbstkontrolle (für Deutschland)“ gründen“
Die ersten beiden Kriterien für die Anerkennung lauten:
„1. die Unabhängigkeit und Sachkunde ihrer benannten Prüfer gewährleistet ist und dabei auch Vertreter aus gesellschaftlichen Gruppen berücksichtigt sind, die sich in besonderer Weise mit Fragen des Journalismus befassen,
2. eine sachgerechte Ausstattung sichergestellt ist“
Die 6. sieht vor, dass „eine Beschwerdestelle eingerichtet ist“.
Wie die Blogger Lieschen-Friedel aus Buxtehude und Hans-Dieter aus Castrop-Rauxel die dafür nötige Kohle und das dafür nötige Personal auftreiben und anschließend noch die LfM überzeugen sollen, dass „Unabhängigkeit und Sachkunde“ der Prüfer gewährleistet sind, hätte ich gerne erläutert. (An Letzterem würde wohl auch Reichelt scheitern.) Die Vorbilder FSK und USK haben jeweils ganze Industriezweige hinter sich stehen, die das bezahlen und gegenüber Behörden auf Augenhöhe agieren können, sonst würde das alles so nicht funktionieren.
Du stellst dir das alles ein bisschen gar einfach vor.
Das ist (bewusst oder unbewusst) so konstruiert, dass es sich finanzkräftige und etablierte Unternehmen nett einrichten können, Einzelpersonen aber von der Gnade des Presserats bzw. der LfM abhängen. Das mag einem gefallen, wenn der „richtige“ sanktioniert wird, kann aber jederzeit auch die „falschen“ treffen.
Wollen wir das wirklich so haben?
Wenn der fragliche Feuerwehrmann anonym bleiben wollte, hätte der Staat einen Hebel, dessen Identität von Multipolar zu erfahren?
Wenn der Feuerwehrmann seine Geschichte einfach in einem privaten, nicht als Medium für Nachrichten auftretenden Blog schreiben würde, hätte der Staat dann einen Grund, die Überarbeitung oder Löschung der Geschichte zu verlangen?
Und wenn das so wäre, sollte das so sein?
Oder einigen *wir* *uns* als die Gesellschaft voller mündiger, geschäftsfähiger und vor allem wahlberechtigter Menschen, die wir behaupten zu sein, darauf, dass der Feuerwehrmann zwar keine allzu verlässliche Quelle ist, dass er aber trotzdem seine Meinung sagen darf, weil der Rest von uns stabil genug ist, mit ihr klarzukommen?
Was wäre _Ihnen_ lieber? (Ich hasse es eigentlich, mit „wir“ und „uns“ zu argumentieren, aber hier muss das so sein.)