„Blauer Bote“

Gefahr für den „öffentlichen Meinungsprozess“? Medienanstalt untersagt Blog-Eintrag

Screenshot „Blauer Bote“: „Nazis gehen mit Hunden auf Schüler los“
Screenshot: „Blauer Bote“

Der Text, um den es geht, trägt die Überschrift: „Nazis gehen mit Hunden auf Schüler los“, und man muss dazu wissen, dass in der ganzen Sache weder Nazis vorkommen, noch irgendjemand mit Hunden auf Schüler losgeht.

Auslöser war eine Meldung aus Italien von Anfang des Jahres. Mehrere Hunde waren ausgebildet worden, eine Corona-Infektion am Schweißgeruch erkennen zu können, und nun wurden sie in Bozen erstmals an Schulen eingesetzt: Sie beschnüffelten Behälter mit den Masken, die die Jugendlichen getragen hatten.

Ein Video, in dem das Projekt vorgestellt wurde, brachte den Blogger Jens Bernert so in Rage, dass er dazu auf seiner Seite „Blauer Bote“ unter der „Nazis“-Überschrift schrieb:

Schaut Euch dieses kranke, perverse Schwein an. Die lassen Hunde auf Schulkinder los! Kinder werden gezwungen, sich von Hunden beschnüffeln zu lassen und „wenn der Hund entscheidet“ gibt es brutale Zwangsmaßnahmen gegen das Kind und seine Familie. Das ist so bestialisch, kleine Kinder morgens mit Behördenhunden zu traumatisieren. Und das Tier entscheidet dann auch noch, ob man misshandelt wird.

Er fügte sogar einen Hinweis auf den Gestapo-Chef Klaus Barbie hinzu, der in Frankreich Widerstandskämpferinnen mit Hilfe von Hunden vergewaltigen ließ.

„Erwiesen wahrheitswidrig“

Die Baden-Württembergische Landesanstalt für Kommunikation (LFK) hat Bernert den oben zitierten Absatz untersagt: Er verstoße gegen die „anerkannten journalistischen Grundsätze“ und enthalte „erwiesen wahrheitswidrige Tatsachenbehauptungen“. Bernert soll außerdem 800 Euro Verwaltungskosten zahlen.

Man könnte das feiern als winzigen Mosaikstein im großen Kampf gegen „Fake News“: Eine Entscheidung vielleicht mit abschreckender Wirkung für alle, die im Netz mit Unwahrheiten Stimmung machen.

Aber die Sache wirft Fragen auf: Muss sich ein privates, nichtkommerzielles Blog wie der „Blaue Bote“ wirklich an journalistische Grundsätze halten? Warum drohen solchen Angeboten Sanktionen für das Verbreiten von Unwahrheiten – etablierten Presseorganen aber zum Beispiel nicht? Und ist es wirklich eine gute Idee, dass eine öffentlich-rechtliche Behörde wie die Landesmedienanstalt zu einer Art Wahrheitsprüfer im Netz wird?

„Mit der nach Umständen gebotenen Sorgfalt“

Von der LFK ist, um das gleich vorweg zunehmen, keine Hilfe bei der Beantwortung zu erwarten. Sie reagierte auf einen detaillierten Fragenkatalog von Übermedien mit kaum mehr als dem pauschalen Hinweis darauf, dass sie sich zu dem laufenden Verfahren nicht äußern könne und möchte. Sie wollte nicht einmal sagen, ob sie sich aus eigenem Antrieb den „Blauen Boten“ vorgenommen hat oder weil sich jemand beschwert hat – beide Varianten seien grundsätzlich möglich, betonte sie. Der „Blaue Bote“ sei das einzige Angebot, gegen das sie derzeit ein Verfahren auf der Grundlage des Paragraph 19 des neuen Medienstaatsvertrags führe, der im vergangenen Jahr in Kraft trat.

In diesem Paragraph wurde eine neue Sorgfaltspflicht für Nachrichtenseiten im Netz festgelegt. „Journalistisch-redaktionelle“ Online-Medien, die „geschäftsmäßig angeboten“ werden und „regelmäßig Nachrichten oder politische Informationen“ enthalten, müssen danach „Nachrichten mit der nach den Umständen gebotenen Sorgfalt auf Inhalt, Herkunft und Wahrheit“ prüfen. Das gilt für alle, die sich nicht einer freiwilligen Selbstkontrolle wie dem Presserat angeschlossen haben. Zuständig für die Aufsicht sind die Landesmedienanstalten.

Bernert, der in Mannheim lebt, bekam am 28. April zum ersten Mal Post von der baden-württembergischen Behörde. Sie informierte ihn, dass sie sein Blog als „geschäftsmäßig“ betriebenes Angebot betrachte – dafür müsse er damit nicht Geld verdienen wollen; es genüge die „Nachhaltigkeit der Diensterbringung“. Sie wies ihn darauf hin, das es zu seinen „zentralen Pflichten“ gehöre, „ordnungsgemäß zu recherchieren“. Und zählte dann drei Blog-Einträge von ihm auf, auf die sie „in diesem Zusammenhang (…) aufmerksam geworden“ sei. (Neben dem Corona-Hunde-Artikel sind es noch diese beiden.)

Bei allen dreien komme ein Verstoß gegen den journalistischen Grundsatz der Sorgfalt „in Betracht“, formulierte die Behörde, ohne das genauer auszuführen. Im Fall des „Nazis gehen mit Hunden auf Schüler los“-Artikels komme auch ein Verstoß gegen den journalistischen Grundsatz der Ehre in Betracht, wie er im Pressekodex definiert sei.

Die LFK forderte Bernert auf, ihr mitzuteilen, „ob die genannten Beiträge angepasst wurden oder aus welchem Grund eine Anpassung unterbleibt“. Er solle außerdem sein gesamtes Angebot überprüfen, ob es journalistisch sorgfältig sei.

„Erfüllung der Wahrheitspflicht“

Am 9. Juni teilte die LFK Bernert mit, ein förmliches Verfahren eingeleitet zu haben. Am 3. November schickte sie ihm dessen Ergebnis zu. Sie erläuterte unter anderem allgemein, wie wichtig die „Erfüllung der Wahrheitspflicht“ sei, die „unter anderem in der Bedeutung der öffentlichen Meinungsbildung im Gesamtorganismus einer freiheitlichen Demokratie begründet“ sei. Es sei „unzulässig, leichtfertig unwahre Nachrichten weiterzugeben“. Unwahre Tatsachenbehauptungen seien von der Meinungsfreiheit nicht gedeckt.

Auf seinen Blog-Eintrag bezogen, erklärt sie Bernert, dass er „ohne Weiteres“ die offizielle Pressemitteilung der Südtiroler Gesundheitsbehörde hätte finden können, die zu dem von ihm eingebundenen Video gehöre. Daraus hätte sich eindeutig ergeben, dass der Einsatz der Hunde

nicht an Schülerinnen und Schülern selbst, sondern an vorab in einem Behälter abgelegten Masken erfolgen solle. Anhaltspunkte, die auf eine Belastung oder gar Traumatisierung von Kindern durch die Erprobung des Hundeeinsatzes schließen lassen, sind nicht ersichtlich.

Insbesondere, wenn er die der Verantwortlichen als „Nazis“ und als „krankes, perverses Schwein“ verunglimpfe, hätte er die Tatsachen gründlicher recherchieren müssen.

(…) der Anbieter hat eine Unwahrheit veröffentlicht, die geeignet ist, den öffentlichen Meinungsprozess (…) nicht unerheblich zu gefährden.

Sie erklärt die Beanstandung des Beitrages auch pädagogisch. Sie diene dazu,

ihm den Rechtsverstoß nachdrücklich vor Augen zu führen und auf die Bedeutung der journalistischen Sorgfaltspflicht aufmerksam zu machen.

Dass sie die „unzutreffende Tatsachenbehauptung“ außerdem untersagt hat, erklärt die Anstalt vor allem damit, dass Bernert sie nicht schon nach ihren früheren Schreiben entfernt habe. Sie betont, dass Bernert „in keiner Weise bei der Kundgabe einer Ablehnung des Einsatzes von Hunden an Schulen“ eingeschränkt sei, „soweit diese unter Wahrung der journalistischen Sorgfaltspflicht“ erfolge.

Die Gebühr von 800 Euro, die er zahlen solle, spiegele den „erhöhte[n] Verwaltungsaufwand“ wider: Die Anstalt habe das Angebot intensiv sichten und auswerten sowie die angegebene Quelle überprüfen müssen.

„Nicht zuständig“

Der Medienanwalt Markus Kompa, der Bernert vertritt, hat Widerspruch gegen den Bescheid der Landesmedienanstalt eingelegt. Er bestreitet darin unter anderem, dass der „Blaue Bote“ ein „journalistisch-redaktionell gestaltetes Telemedium“ sei, geschweige denn ein geschäftsmäßig betriebenes, oder dass es sich bei den angegriffenen Äußerungen um „Nachrichten“ im Sinne des Medienstaatsvertrages handele. Meinungsäußerungen seien vom Grundgesetz geschützt; „für Beschimpfungen und Schmähkritik wären die Staatsanwaltschaft oder ein von Betroffenen angerufenes Gericht zuständig, nicht jedoch eine Landesmedienanstalt“.

Kompa verweist auf die amtliche Begründung des Medienstaatsvertrages, in dem Angebote, „die ausschließlich privaten oder familiären Zwecken dienen“ von der Sorgfalts-Pflicht ausgenommen werden:

Ein privates Weblog, in dem ein Familienvater in seiner Freizeit zu politischen Themen schreibt und meinungsstark kommentiert und insbesondere keiner Partei oder sonstiger Organisation das Wort redet, ist ein solcher privater Zweck. Jeder Bürger darf frei seine Meinung insbesondere zu politischen Themen äußern.

Kein „zurechnungsfähriger Leser“ werde beim „Blauen Boten“ den Eindruck gewinnen, dass es sich um eine „konventionelle journalistische Website“ handeln. „Insbesondere wird kein Anschein von professionellem Journalismus angestrebt oder erweckt.“

Die Landesmedienanstalt wirft Bernert vor, mit seinem Blogeintrag einen falschen „Eindruck“ erweckt zu haben – doch das sei etwas anders als eine falsche Tatsachenbehauptung, argumentiert Kompa, und erst recht nicht justiziabel. Außerdem habe Bernert das Video, auf das sich seine Wertung beziehe, direkt eingebunden, so dass sich jeder ein eigenes Bild machen könne.

„Asymmetrische Maßstäbe“

Jenseits der Details in der konkreten Auseinandersetzung weist Kompa auf ein grundsätzliches Problem mit der neuen Regulierung hin: Für Medienunternehmen ist nämlich in den Landespressegesetzen keine Sanktion für eine unwahre Berichterstattung vorgesehen. Auch der Presserat kann gegen falsche Berichte in Zeitungen, Zeitschriften und ihren Ablegern nur eine öffentliche Rüge aussprechen, hat aber keinerlei Sanktionsmöglichkeiten.

Ausgerechnet Privatpersonen, die ein Blog betreiben, müssen aber konkrete Konsequenzen fürchten für angeblich unwahre Äußerungen: Sie können untersagt werden, dafür können auch erhebliche Verwaltungsgebühren fällig werden. Kompa spricht von „asymmetrischen Maßstäben ausgerechnet zulasten von nicht notwendig professionellen Anbietern“.

Die „taz“ hat vor ein paar Wochen ausführlich über die neue Regulierung von Internetangeboten in der Praxis berichtet und dabei auch problematisiert, dass die neue Medienaufsicht für manche Betroffene wirkt wie ein „Ministerium für Wahrheit“ aus Orwells „1984“. Sie zitiert Marco Holtz, den Justiziar der Medienanstalt Berlin-Brandenburg (MABB), dass entscheidend allein das Kriterium der „journalistischen Sorgfaltspflicht“ sei. Ob etwas richtig oder falsch sei, spiele keine Rolle: „Wir sind keine Wahrheitspolizei.“

Konkret bedeutete das zum Beispiel, dass das Internetportal „KenFM“ für einige von der MABB beanstandete Formulierungen nur Links mit Belegen nachliefern musste – obwohl die aus zweifelhaften Quellen stammten. „Wenn jemand zweifelhafte Experten für Behauptungen findet, muss man das so hinnehmen“, zitiert die „taz“ den MABB-Justiziar.

„Zur Feststellung von Wahrheit zuständig“

Seine Kolleginnen und Kollegen aus Baden-Württemberg scheinen weniger Probleme damit zu haben, für eine Wahrheitspolizei gehalten zu werden, jedenfalls moniert sie in ihrem Bescheid unter anderem „erwiesen wahrheitswidrige Tatsachenbehauptungen“. Unsere Frage dazu hat die Anstalt nicht beantwortet.

Anwalt Kompa hielt ihr lustvoll krawallig schon in einem ersten Antwortschreiben im Mai vor:

Ich bitte um Erläuterung, wer vorliegend zur Feststellung von Wahrheit zuständig sein soll und wie Landesmedienanstalten den Begriff „Wahrheit“ definieren und welche fachliche Kompetenz der von Ihnen befasste Mitarbeiter vorweisen [kann], welche ihn zur Beurteilung der von Ihnen beanstandeten Themen qualifiziert.

Bernert hat die beanstandeten Passagen in seinem Blogeintrag inzwischen zwar nicht gelöscht, wie gefordert, aber eine „Klarstellung“ hinzugefügt. In einem weiteren Text behauptet er, er sei „der erste Privatmann in Deutschland, der dazu gezwungen werden soll, den Wortlaut eines veröffentlichten Blog-Artikels zu ändern, der keinen strafbaren Inhalt hat“. Als Überschrift hat er formuliert: „Ich soll 800 Euro zahlen für einen Blogbeitrag, der der Landesmedienanstalt Baden-Württemberg leicht missfällt“.

Wenigstens nichts mit Nazis.

21 Kommentare

  1. Also kann der Blaue Bote einfach den Kodex des Presserats anerkennen und alles was der Blogger befürchten müsste ist eine Rüge? Was übersehe ich bei dieser scheinbar komplett hirnrissigen Rechtslage?

  2. Die entsprechenden Regelungen im Medienstaatsvertrag verstoßen offensichtlich gegen das Grundgesetz. Man muss sich schon sehr fragen, welches Grundrechtsverständnis die Politiker, die sowas beschließen, haben. Da sind ja fast alle im Bundestag vertretenen Parteien beteiligt. Und niemand sieht hier ein Problem? Gruselig.

  3. »Nazis gehen mit Hunden auf Schüler los.« Und darüber: »Wissenschaft statt Propaganda.« Ich habe so gelacht.

  4. Da kann man ja nur hoffen dass da möglichst bald eine Grundsatzentscheidung gefällt, und dieses Gesetz angepast wird.
    Der Verweis auf das orwellsche Wahrheitsministerium war selten so treffend wie hier.
    Wenn ich so etwas lese bekomme ich tatsächlich eine Gänsehaut.

    Vielen Dank für diesen Artikel!

  5. Wie krass ist das denn? Die BILD verdient Milliarden an ihrer Wahrheit und ignoriert einfach den Presserat und die Rügen/Missbilligungen aber der, ähm, Blogger muss für seine Wahrheit € 800 zahlen? Die Überschrift und der Artikel gehen gar nicht, aber der Bußgeldbescheid noch viel weniger. Ich würde mich an seiner Stelle nicht soweit aus dem Fenster lehnen, dass der Inhalt nicht strafbar/abmahnbar ist, aber im aus dem Fenster lehnen scheint er ja Champions League zu spielen.

  6. @Bermhard
    Das viele Medien bewusst Lügen verbreiten und ob des machtlosen Presserates nur müde schmunzeln können, ist dabei aber die andere Seite der Medaille. Ich bin kein Jurist und kein Journalist und finde den Gedanken der Selbstkontrolle unter Journalisten nicht gut. Ernstfhafte Frage: Warum sollte es gegen das Grundgesetz verstoßen, als reichweitenstarkes Medium nicht lügen zu dürfen?

  7. @#5 Peter Sievert: Dass Medienkontrolle durch den Stast schlecht ist, heißt nicht, dass der Presserat nicht auch höchst problematisch sein kann. Im Gegenteil: dass der zahnlose Presserat der billige Ausweg für Axel Springer und co (im Gegensatz zum Blogger, der sich die Mitgliedschaft im Presserat vielleicht nicht leisten kann oder vom Presserat als Mitglied abgelehnt werden kann) raus aus der Kontrolle ist, ist ein zusätzlicher Punkt, warum der Staatsvertrag in dieser Form einfach nicht geht.

    Und um die Frage zu beantworten: wenn medien nicht „lügen“ dürfen, dann braucht es eine stelle, die entscheidet, was wahrheit und was „lüge“ ist. Und ganz egal, wie man diese stelle nennt, faktisch ist die dann das wahrheitsministerium. Aus dem Dilemma gibts leider keinen ausweg und daher müssen wir mit den „lügen“ leben, auch wenn das bisweilen ziemlich unschön ist.

    Im übrigen gelten ja die Einschränkungen der Meiningsfreiheit aus dem StGB (Verleumdung, Verhetzung usw.) auch für Journalisten. So, dass ein Journalist _alles_ rausposaunen darf, ist es also auch wieder nicht.

  8. Bin ganz bei Herrn Niggemeier. Bernert scheint zwar ein Corona-Schwurbler vor dem Herrn zu sein, und der Beitrag ist eine Frechheit – mein Mitleid hält sich also in Grenzen.

    Unabhängig davon scheint mir das aber eine gefährliche Entwicklung zu sein: Selbst wenn ein Text unwahre Tatsachen behauptet, ist immer noch ein Gericht dafür zuständig, das festzustellen – und die Justiz wird in solchen Fällen nur nach einer Anzeige aktiv, denn Beleidigung und Verleumdung sind Antragsdelikte.

    Eine Landesmedienanstalt ist keine übergeordnete Instanz zur Festlegung der Wahrheit – da hat der Anwalt leider recht. Nicht für die Presse und schon gar nicht für private Blogger (und mögen sie noch so schlimm sein).

    P.S.: Witzig, dass inzwischen selbst Corona-Schwurbler den Pseudo-Psycho-Betroffenheitsjargon adaptieren: Die Hunde haben den Kindern nicht etwa einen Schrecken eingejagt – nein, sie haben sie „traumatisiert“! Aber mindestens…

  9. @Bermhard (#6):

    Aus dem Dilemma gibts leider keinen ausweg und daher müssen wir mit den „lügen“ leben, auch wenn das bisweilen ziemlich unschön ist.

    Nicht unbedingt. Presserechtlich kann (und sollte) man da tatsächlich nichts tun. Strafrechtlich vielleicht schon, denn „unwahre Tatsachenbehauptungen“ sind als Verleumdung, üble Nachrede, etc. nicht von der Meinungsfreiheit gedeckt.

    Problem: Zur Zeit können nur die Betroffenen selbst klagen, hier also der als „Nazi“ bzw. „krankes, perverses Schwein“ titulierte Mann, der angeblich (aber eben nicht tatsächlich) Hunde auf Kinder losgelassen hat. Die wissen oft aber gar nichts von der Sache, also kommt der Blogger mit seiner Verleumdung davon.

    Könnte man nicht den Medienanstalten so etwas wie ein Verbandsklagerecht für diese Delikte einräumen? Dann könnten sie solche Fälle vor Gericht bringen. Dort würde entschieden, ob sich eine Äußerung in den Grenzen der Meinungsfreiheit bewegt oder diese überschreitet. Das Presserecht wäre raus aus der Sache.

    Nachteil: Theoretisch könnten besonders eifrige Anstalten dann alle möglichen, missliebigen Äußerungen mit Strafanzeigen überziehen. Angesichts der liberalen Rechtsprechung des BVerfG in Sachen Meinungsfreiheit glaube ich aber kaum, dass sich eine solche Praxis etabliert.

  10. @#8 Kritischer Kritiker: ich weiß nicht. Der Gedanke ist ziemlich originell, aber ich sehe da 2 Probleme:

    Erstens hätte so ein klagerecht mMn nix mehr mit „medien“ zu tun. Wieso sollten dafür diese merkwürdigen anstalten zuständig sein? Das wäre sinnvollerweisw eher bei der staatsanwaltschaft angesiedelt. Beleidigung etc wären dann halt keine Antragsdelikte mehr. Das spricht jetzt weder für noch gegen den vorschlag.

    Zweitens: Was mMn nach aber gegen den vorschlag spricht ist, dass der staat nicht immer aber in einer nicht unerheblichen anzahl von fällen irrational und mit großer härte gegen den einzelnen vorgeht. Die Gefahr, dass solche Klagen zu oft erhoben und zu hart geführt werden, besteht für mich durchaus. Nicht jeder kann es sich leisten, alles bis nach Karlsruhe durchzufechten. Und allein schon die Tatsache überhaupt angeklagt zu werden, ist eine _sehr_ unangenehme erfahrung.

  11. @erwinzk: Ja, er müsste sich nur dem Presserat anschließen und die Sanktionen der Landesmedienanstalten nicht mehr fürchten. Einerseits.

    Andererseits will er sich aber aus verschiedenen Gründen nicht diesem Verein anschließen. Es ist ja auch so, dass der für ihn nicht einmal ein Gremium der Selbstkontrolle ist, weil er ja kein Journalist ist. Und vor allem will er sich nicht einem solchen Gremium anschließen müssen.

    Unklar ist übrigens auch, ob der Presserat sich überhaupt für ihn zuständig fühlen würde, denn er versteht sich gerade nicht als Journalist oder gar als Redaktion/Verlag.

  12. @Bermhard
    Ich würde solche Stellen, die über Wahrheit entscheiden, nicht „Wahrheitsministerium“, sondern Gerichte nennen. Die Angst, dass ein Staat auf dem Weg in die Autorität solche Befugnisse ausnutzen kann, halte ich für naiv in dem Sinne, dass sollte sich eine solche Entwicklung in Deutschland wirklich ergeben, hilft den regierungskritischen Medien auch offenbar kein geltendes Recht mehr.
    Und wenn dem Rechtsstaat zu trauen ist – wo, wenn nicht hier – dann ist es dort gut aufgehoben.

  13. @#13: Schöne Replik, Herr Sievert.

    Ich war übrigens eben erst- und sicherlich auch letztmalig auf der Seite des Boten, da mir das bisher gar nichts gesagt hat. Ganz kurzer Auszug:

    „Die Ampel-Hölle nimmt Gestalt an – Diktatur und Massenmord“

    Puh. Ja, soweit dazu. Übrigens habe ich dort auf der Kommentarseite einen gewissen Andreas Müller entdeckt und musste kurz Schmunzeln. Die Älteren unter uns werden sich erinnern. Schönen Sonntag in die Runde!

  14. @Bernhard
    D’accord. Auf Gewaltenteilung bzw. Unabhängigkeit des jeweilig verantwortlichen Organs muss natürlich geachtet werden.

  15. »0 Covid-Tote in Bangladesch. Impfquote: 25 % – Bill Gates als Brandstifter, der jetzt das Löschen sponsert« – »2.620 tote Babys nach Impfung und Berichte schrecklicher Nebenwirkungen«.

    Also ich hätte in diesem Fall nichts gegen ein Wahrheitsministerium, das Internet-Unfug gegen eine kleine Verwaltungsgebühr von 10.000 € pro Bullshit-Beitrag entsprechend einordnet. Vielleicht darf in der Redaktion des Blauen Boten aber auch erst ab einem Pegel von 2,5 Promille getippt werden. In dem Fall wäre das Gesundheitsministerium mit einem angemessenen Reha-Vorschlag gefordert.

  16. Auf sowas warten die doch nur. Jahrelang in einen leeren Raum gepredigt, endlich ’nen Bußgeld kassiert! Jetzt geht es erst so richtig los! Wart mal ab, der Autor ist bald Kanzlerkandidat der aFd. Über die Lügengeschichte redet bald keiner mehr, nur noch über das Bußgeld. Opferinszenierung, das ganz dicke Brett.
    Die Begründung der Landesmedienanstalt ist aber auch echt schwammig. Wieso lässt man solche Leute nicht einfach im eigenen Saft verdampfen? Das ist wie in der Telepolis Kommentarspalte: Die sind in ihrer wohligen Blase, lasst sie doch einfach dort?! Die bestätigen sich den ganzen Tag lang gegenseitig, dass sie es alle eh immer schon gewusst haben und dass alle anderen doof (oder böööse) sind. Lasst sie doch einfach dort, am virtuellen Stammtisch und zerrt sie nicht noch auf den Karneval.

  17. @Bermhard (#11):

    Erstens hätte so ein klagerecht mMn nix mehr mit „medien“ zu tun. … Das wäre sinnvollerweisw eher bei der staatsanwaltschaft angesiedelt. Beleidigung etc wären dann halt keine Antragsdelikte mehr.

    Keine Frage, meine Idee ist nicht ausgegoren. So eine Aufgabe wäre aber bei den öffentlich-rechtlichen Medienanstalten m.E. besser aufgehoben. Erstens beschäftigen sie sich ohnehin mit Medienbeobachtung, und zweitens sollten die genannten Tatbestände insgesamt Antragsdelikte bleiben – den Grund nennen sie selbst:

    Was mMn nach aber gegen den vorschlag spricht ist, dass der staat nicht immer aber in einer nicht unerheblichen anzahl von fällen irrational und mit großer härte gegen den einzelnen vorgeht.

    Wenn die Staatsanwaltschaft von sich aus gegen Blogger vorgehen könnte, würde das Einschränkungen der Meinungsfreiheit tatsächlich Tür und Tor öffnen. Wenn die Initiative aber von den Medienanstalten ausgehen muss und für die Entscheidung Gerichte zuständig sind, dann wäre die Exekutive aus dem Spiel (und mit ihr auch eine mögliche Einflussnahme der Regierenden).

  18. Die Ausführungen der Anstalt sind zwar etwas merkwürdig. Sie bezieht sich auf „erwiesen unwahre Tatsachenbehauptungen“, zitiert dann aber ehrenrührige und justiziable („Nazis“; „krankes, perverses Schwein“) Aussagen, zu denen der Betroffene besser hätte recherchieren sollen. Dabei handelt es sich aber erkennbar nicht um Tatsachenbehauptungen, sondern wertende Äußerungen verunglimpfenden Charakters. Insoweit ist aber trotzdem denkbar, dass nicht nur Betroffene, sondern auch Behörden dagegen vorgehen. Und die Behauptung, es würden Hunde auf Schüler gehetzt, ist offensichtlich wahrheitswidrig. Auch hier besteht daher ein Anlass, die weitere Verbreitung von fake news zu verhindern. Auf die Meinungsfreiheit kann der Rechtsschwurbler sich nicht berufen, da diese weder Beleidigungen noch unwahre Tatsachenbehauptungen auch nur tatbestandlich erfasst. Dieses Grundrecht ist daher nicht einmal einschlägig.
    Ein selten deutlicher Fall. Die Behörde hat alles richtig gemacht.

  19. @#20: „Auf die Meinungsfreiheit kann der Rechtsschwurbler sich nicht berufen, da diese weder Beleidigungen noch unwahre Tatsachenbehauptungen auch nur tatbestandlich erfasst.“ Es sei denn, man ist Mitglied im Presserat, dann darf man unwahre Tatsachen verbreiten, soviel man will, ohne irgendwelche Konsequenzen durch die Behörde fürchten zu müssen.

    Mathias Döpfner gefällt das.

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