Die „Zeit“ hilft Til Schweiger bei der Imagereparatur
Es ist nichts Neues: Personen, denen Machtmissbrauch vorgeworfen wird und deren mutmaßliche Taten und Verfehlungen durch Recherchen von Journalistinnen in die Öffentlichkeit gelangt sind, versuchen früher oder später, ihr Image wieder so zurechtzurücken, wie sie es gerne hätten. In einem Podcast, einem Interview oder einem Buch. Man kann das mittlerweile bei diesen Fällen als festen Bestandteil des öffentlichen Aufmerksamkeitszyklus bezeichnen, im Kampf um die sogenannte Deutungshoheit.
Vor einem Jahr flanierte das „Zeit“-Magazin mit dem gefallenen Schauspieler Kevin Spacey durch den Hafen von Baltimore (durfte mit ihm aber nicht über die Vorwürfe gegen ihn sprechen). Vor wenigen Wochen erzählte der Comedian Luke Mockridge dem „Stern“, wie er nach dem „Säureangriff“ des „Spiegel“ auf sein Image weiterlebt. Nun ist also Til Schweiger an der Reihe.
Reingewaschen mit mallorquinischem Wasser
Am Mittwoch erschien in der „Zeit“ ein großes Interview mit ihm, das mit dem infantilen Ekel-Ausruf „Bäh!“ überschrieben ist. Bebildert ist der Text mit einem ikonischen Foto in Sepia: Es zeigt Schweiger in der Halbtotalen vor Palmen auf seiner Finca in Mallorca, er trägt ein etwas ausgebeultes Baumwoll-Shirt und trinkt aus einer Wasserflasche, als wäre es eine Pulle Bier. Aussage: Ach, guck an, der Haudegen ist jetzt vernünftig, reingewaschen mit mallorquinischem Wasser.
Dem bekannten Schauspieler und Regisseur war vor ziemlich genau einem Jahr in einem „Spiegel“-Artikel „mutmaßliche Schikane und Gewalt“ am Set vorgeworfen worden. Schweiger bestreitet nicht gänzlich, dass er sich problematisch verhalten hat. Aber aus seiner Sicht ist übertrieben, was der „Spiegel“ daraus gemacht hat. Seine Strategie, mit den Vorwürfen umzugehen, ist eine andere: Er stilisiert sich als das perfektionistische, arbeitssüchtige, schlaflose Genie, das manchmal zu viel Alkohol intus hatte, und redet einen konkreten Vorfall, der sich nicht bestreiten lässt, klein.
Seine Kinder und Freunde hätten es schon gewusst, jetzt sollen es auch die „Zeit“-Leser erfahren: Er habe sich in der Vergangenheit im betrunkenen Zustand „in eine Person verwandelt hatte, die ich nicht bin“. Der Dr. Jekyll der deutschen Filmbranche also. Dass er als Drehbuchautor, Produzent, Regisseur in Personalunion in einer Machtposition war, in der er sich manches scheinbar einfach erlauben konnte, ohne dass jemand dagegen vorging, scheint er nicht zu sehen. Mit den Auswirkungen seines Handelns auf andere wird er kaum konfrontiert.
Ein harter Kerl mit viel Gefühl
Das „Zeit“-Interview hat viele Elemente, die ein typischer Til-Schweiger-Film auch hat: einen markigen Ton („Ich sag’ Ihnen mal was: Das geht mir voll am Arsch vorbei.“); eine Prise Macho („Ich habe sie vielleicht nicht immer ernst genommen, aber ich fand die Roth nett.“ Gemeint ist die Kulturstaatsministerin Claudia Roth.); eine Schippe harter Kerl (Schweiger kämpft gerade mit einer fiesen Wunde am Bein und spricht ausführlich darüber); ein Hauch ganz großes Kino („Guy fucking Ritchie“ hat ihn für dessen neuen Film gebucht); ganz viel Zucker (in der Privatklinik, in der er behandelt wird, „lieben“ sie ihn und werden ihn „nie vergessen“); und ganz viel Gefühl: Schweiger erzählt, dass er sich jetzt um einen in Afghanistan verwundeten Soldaten kümmert, der sich wiederum um einen autistischen Jungen kümmert, der wiederum unter Mobbing leidet, worüber er jetzt ein Drehbuch schreibt.
Der kann doch nicht so schlimm sein, wie die bösen Medien das von ihm behaupten.
Bis zu der Stelle, an der es um die im „Spiegel“ erhobenen Vorwürfe geht, ist der Schweiger-Text mehr oder weniger ein Celebrity-Interview mit vielen medizinischen Details. Eine neue Rolle, die Kinder, die Kühe auf der Finca, Krankenhauskeime, ein Problem an der Wirbelsäule …
Falsches Format für ein heikles Thema
Doch in der zweiten Hälfte offenbart der Text ein Problem, das sich beim heiklen Thema Machtmissbrauch immer wieder zeigt. Vor allem im Format Interview, wenn eben nur die Seite des Beschuldigten zu Wort kommt. Und vor allem, wenn Journalisten nicht wirklich nachfragen und bestimmte Fakten nicht parat haben bzw. diese im Nachhinein nicht prüfen.
Schweiger behauptet zum Beispiel, er habe nach dem Erscheinen des „Spiegel“-Artikels „quasi ein Berufsverbot“ gehabt. Wobei er kurz zuvor von seiner Rolle im neuen Guy-Ritchie-Film erzählt, den er offenbar schon noch in Ruhe zu Ende drehen durfte (Drehstart war im Februar 2023 gewesen). Und dass man ihn davon abhalten müsse, nachts zu arbeiten. Den „Zeit“-Journalisten kommt es nicht in den Sinn, da etwas genauer nachzuhaken.
Schweiger gelingt im Interview dasselbe wie anderen, denen Missbrauch in irgendeiner Form vorgeworfen wird: In solchen Formaten den Fokus zu lenken. Weg von den sich ähnelnden Aussagen vieler, die möglicherweise ein Muster, ein System zeichnen, hin zum Einzelfall, der sich erklären und verharmlosen lässt. Zentral ist ein Vorfall mit einem Kollegen am Set von „Manta Manta 2“. Es sei „noch nicht mal eine Schelle“ gewesen, die er dem Kollegen gegeben habe: „Es war ein Klaps.“ Er habe nicht am Set getrunken, sondern „hatte noch Standgas von der vorherigen Nacht“.
Ach, wenn das so ist.
Immer wieder nur Einzelfälle
Ähnlich läuft das bei Luke Mockridge. Wann immer sein Fall von Medien noch einmal aufgewärmt wird, konzentrieren die Berichte sich auf die angeblich toxische Beziehung zu seiner Ex-Partnerin Ines Anioli und das eingestellte Ermittlungsverfahren. Dass es mehrere Frauen gibt, die ihm übergriffiges Verhalten vorwerfen, wird oft nur am Rande erwähnt oder gerät ganz aus dem Blick.
Für Schweiger ist klar: Dass er es künftig möglicherweise schwerer haben wird, Filmfördermittel zu bekommen, liege nicht an ihm und seinem Verhalten in der Vergangenheit. Sondern an Leuten wie Staatsministerin Claudia Roth, die nach den Enthüllungen des „Spiegels“ sagte, dass die Zeiten „patriarchalischer Macker, die ihre Machtposition in übelster Form ausnutzen“, vorbei sein sollten. Und es liegt natürlich am „Spiegel“ selbst. Der habe sein hit piece „mit der vollen Absicht geschrieben“, seine „Karriere für immer zu beenden“.
Wie er darauf kommt, dass das Nachrichtenmagazin eine solche „Absicht“ hat? Ob seine Karriere tatsächlich beendet ist? Auch dazu keine Nachfragen.
Erste Korrektur kurz nach Veröffentlichung
Sie lassen Schweiger erzählen. Auch, dass die „Süddeutsche“, die die Vorwürfe zuerst recherchiert hatte, ihm „knapp hundert“ Konfrontationsfragen geschickt habe, „mit Un- und ein paar Teilwahrheiten“. Die SZ habe ihm für eine Stellungnahme nur bis „morgen Abend“ Zeit gegeben, also einen Tag.
So steht es am Donnerstag in der gedruckten Ausgabe der „Zeit“. Online musste diese Angabe bereits am Mittwochabend korrigiert werden. Die Redaktion der „Süddeutschen Zeitung“ bestreite diese Darstellung, heißt es in einem nachträglich ergänzten Hinweis unter dem Text. Und auch Til Schweiger habe bestätigt, „dass er vier Tage Zeit zur Beantwortung der Fragen hatte und bittet für die fehlerhafte Darstellung um Entschuldigung“. Wobei es Aufgabe der Redaktion gewesen wäre, solche Vorwürfe gegenüber der SZ zu prüfen. Zumal erfahrene Journalist:innen schon hätten stutzig werden müssen: Bei einer Konfrontation dieses Umfangs wäre es ungewöhnlich und unprofessionell, eine Frist von nur einem Tag zu setzen.
Über Böhmermann und die „fette Schelle“ schreiben alle
Die „Zeit“ hat es jedenfalls geschafft, dass seit Mittwoch viel über das Schweiger-Interview berichtet wird. Es geht dabei vor allem um den ZDF-Satiriker Jan Böhmermann, den Schweiger im Interview als „größtes Brechmittel in der deutschen Medienlandschaft“ bezeichnet. Darauf bezieht sich auch das Zitat in der Überschrift: „Bäh!“. Schweiger habe sich mal geschworen, wenn er Böhmermann treffe, kriege der eine „fette Schelle“. (Er habe dann doch nicht zugeschlagen, sondern Böhmermann „verschont“.)
Welche Wellen das medial schlägt, konnte man ahnen. Kaum ein Medium, das darüber nicht berichtet. Böhmermann, das „Brechmittel“, in sämtlichen Überschriften.
Viel Einfallsreichtum bei den Headline-Redakteuren Screenshots: Bild.de, Musikexpress, ntv, Tagesspiegel, Stern
Es ist üblich, dass Interviews nicht genau so erscheinen, wie sie aufgezeichnet wurden. Sie werden gekürzt, umgestellt, redigiert. Daher ist es auch keine Zensur oder Verfälschung, wenn eine Redaktion sich dafür entscheidet, Aussagen wie diese, die man mehr oder weniger als Androhung von Gewalt verstehen kann, nicht abdruckt. Man kann es, im Gegenteil, sogar als Verantwortung einer Redaktion ansehen, einer Drohung keine Plattform zu bieten. Schweigers Kritik an Böhmermann wäre auch ohne die „fette Schelle“ und das „Brechmittel“ deutlich geworden. Indem die „Zeit“ beides stehen lässt, trägt sie zur Normalisierung einer solchen Sprache bei. Nach dem Motto: So ist er halt, der Til, dieser Haudegen.
„Zeit“ hilft bei der Imagereparatur
Sicher ist es ein nachvollziehbares Bedürfnis von Personen wie Til Schweiger, nach Vorwürfen ihr Image wieder selbst in die Hand zu nehmen und dafür gezielt die Öffentlichkeit zu suchen. Bemerkenswert ist allerdings, wie schnell Medien sich für solche Imagereparaturen einspannen lassen und wie leicht sie es den betreffenden Personen machen. Fraglich ist auch, was größer ist: das tatsächliche Interesse des Publikums oder die Hoffnung der jeweiligen Redaktion, ein großes sozial-mediales Popcorn-Event zu kreieren, bei dem alle mitreden wollen.
In ein paar Wochen, am 2. Juni, jährt sich die Veröffentlichung der SZ zu den Vorwürfen gegen Rammstein-Frontsänger Till Lindemann. Wetten, dass schon irgendwo ein großes Interview in Planung ist?
Die Autorin
Lisa Kräher ist Redakteurin bei Übermedien. Sie hat bei der „Mittelbayerischen Zeitung“ volontiert und von 2013 an als freie Journalistin und Filmautorin gearbeitet, unter anderem für epd. Sie ist Autorin für die „Carolin Kebekus Show“ und Mitglied der Grimme-Preis-Jury.
Der Spruch mit dem „Brechmittel“ und der „Schelle“, und dass die Zeit das so abgedruckt hat, steht der Reinwaschung aus meiner Sicht aber eher entgegen. Das ist genau die Proll-Attitüde, die Schweiger vorgeworfen wird. Wenn er das selbst im redigierten Interview stehen lässt, sagt das viel über ihn aus. Aber wahrscheinlich ist das auf meiner Seite auch nicht unwesentlicher Confirmation Bias.
Trotz aller journalistischer Verfehlungen ist die ZEIT dennoch hoch zu loben. Sie hat das Proll-Interview gedruckt und nicht als Podcast veröffentlicht. Mn htte schonscht nschts vrschtndn.
Ich sag mal so: auch nach dem Interview kommt mir der Mann nicht sympathischer vor, denn z.B. solche Haarspaltereien wie die, dass er nicht auf der Arbeit getrunken hätte, sondern noch vom Vorabend betrunken war, würden niemanden interessieren, wenn sie von irgendeinem Mitarbeiter kämen. Und eine Einteilung von Schlägen nach Stärke ist jetzt typisches Schläger-Rechtfertigungsgelaber.
Andererseits ist das jetzt vermutlich das die höchste Kritik-Stärke, bei der Schweiger das Interview nicht abgebrochen hätte, weil er vermutlich sonst die Zeit verdächtigen würde, seine Karriere abbrechen zu wollen, zu Recht oder Unrecht.
Die ZEIT konnte es schon mal besser.
‚Er habe nicht am Set getrunken, sondern „hatte noch Standgas von der vorherigen Nacht“‘
Wenn man am nächsten Tag noch so einen Sitzen hat, dass man ausfällig wird, dann sollte man über einen Entzug oder Therapie nachdenken. Therapie scheint er aber nur aus extrinsischer Motivation heraus zu machen. Ob das längerfristig was wird?
Der Ton im Zeit-Interview ist nett und oberflächlich betrachtet könnte man von Reinwaschung sprechen. Ich finde ihn darin jedoch sehr selbstentlavernd und gewinne den Eindruck, dass er nix aus der Sache gelernt hat. Er haut weiterhin massenhaft Macho-Sprüche raus. Teilt kräftig aus und stellt sich selbst als Opfer dar. Seine Taten redet er selbstgefällig klein. Er kann wohl nicht anders…
Ob man das jetzt als Zeit so bringen muss? da bin ich dann schon sehr nah bei der Autorin hier.
Ich habe das Interview in der Zeit eigentlich nicht als sonderlich positiv für Schweiger wahrgenommen. Die Kommentare unter dem Artikel sehen das mehrheitlich auch so. Gerade mit der Gewaltandrohung gegenüber Böhmermann und auch seinen eher verharmlosenden Aussagen zu den bestehenden Vorwürfen bestätigt er doch eher das Bild, das der Spiegel von ihm gemalt hat. Ich würde der Zeit hier eigentlich atestieren, dass sie schon genau wusste wie das Interview rüber kommt und es bewusst so abgedruckt hat.
Och, Proll hin, Proll her: die Stelle wie Frau Roth sich ins Foto drängelt fand ich ganz amüsant.
Die Forderung der Autorin, die Böhmermannpassage so nicht zu bringen, ist mir zu moralisch. Unabhängig von seiner Bewertung, beinhaltet sie mehrere starke Zitate. Natürlich gehören die abgedruckt. Das Argument, es könnte jemand nachmachen, ist mir zu theoretisch. Die Zeit will das Stück verkaufen, das ist Sinn des Journalismus und Ok.
Die inhaltlichen Fehler, nachträglichen Korrekturen, fehlenden Nachfragen der Zeit-Interviewer gehen gar nicht, da teile ich die Kritik.