AfD und Journalismus

Wie Lanz und Precht sich selbst entzaubern

Markus Lanz und Richard David Precht
Screenshot: Youtube/ZDF

Vielleicht ist die AfD einfach zu schlau für die Mehrheit der deutschen Journalistinnen und Journalisten. Egal, was die Partei macht, es will der Profession nicht gelingen, zu einem Umgang mit ihr zu finden, der sie einerseits nicht offenkundig immer stärker macht, sie andererseits aber als das ernstnimmt, was sie ist: eine Bedrohung für die Demokratie, wie wir sie kennen. Letzteres wird zehn Jahre nach ihrer Gründung zwar immer deutlicher, da die Partei sich in ihrem Personal und ihren Zielen beständig weiter radikalisiert, gleichzeitig aber wächst die Normalisierung und Gewöhnung daran.

Natürlich muss man schon an der Prämisse zweifeln, Medien schwächten oder stärkten eine Partei. Die Medienwirkungsforschung würde sich mit dem Nachweis dieser These vermutlich sehr schwertun. Dennoch glauben viele daran: Nicht nur Ampel-Vertreter:innen murren darüber, dass vermeintliche oder tatsächlich Erfolge der Regierung schlechtgeschrieben würden. Nein, im „Cicero“ äußerten sich kürzlich zwei Bundestags-Referenten der Linkspartei zum Aufstieg der AfD – und gaben dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk, aber auch anderen Medien eine ganz erhebliche Mitschuld: „Der Normalbürger steht allein und verlassen im Parteienspektrum. Da ist die Tendenz zur AfD oft Notwehr und verzweifelter Denkzettel. Auch die Medien haben ihren Anteil. Der Meinungskorridor in Deutschland verengt sich von Krise zu Krise – Flüchtlinge, Corona, Ukraine.“

Manifestierte Medienfeindschaft

Und auch die AfD selbst ist in weiten Teilen überzeugt von der medialen Macht – wenn auch nicht zu ihren Gunsten: So schreibt der frischgekürte Europa-Spitzenkandidat Maximilian Krah in seinem Manifest „Politik von rechts“:

„Die etablierten Medien, egal ob öffentlich-rechtlich oder privatrechtlich organisiert, sind von staatlicher Finanzierung abhängig, personell mit den etablierten linksliberalen politischen Akteuren verflochten, und ihre Redakteure sind selbst nahezu ausschließlich Linke. […] Es kann also nicht darum gehen, in ihnen zu reüssieren, sondern nur darum, ihre Glaubwürdigkeit in Frage zu stellen. Das schließt keineswegs aus, jede sich bietende Gelegenheit zu nutzen, die eigene Position in ihren Formaten darzustellen. Aber das ändert nichts an der strukturellen Feindseligkeit dieser Medien. Diese verliert dann ihre Gefährlichkeit, wenn das Vertrauen in diese Medien sinkt. Von daher ist es Kernbestandteil jeder rechten Medienpolitik, auf die politische Voreingenommenheit der Medien hinzuweisen, die Doppelstandards ihrer Berichterstattung zu problematisieren, ihre Lügen zu benennen und generell davor zu warnen, ihnen zu glauben.“

Das ist – unabhängig vom Wahrheitsgehalt – zumindest eine klare Haltung und Ansage, auf die sich die gemeinten Medien in ihrem Umgang vielleicht einstellen sollten. Nimmt man die Gegnerschaft an? Weist man sie zurück? Gibt es irgendeine systematische Antwort auf diese in der parlamentarischen Parteienlandschaft sicher einmaligen Freund-Feind-Bestimmung à la Carl Schmitt, auf den sich Krah insgesamt acht Mal als elementaren Vordenker bezieht?

Naives Pochen aufs Handwerk

Nein, stattdessen dominieren weitgehend völlig naive Herangehensweisen, die maximal noch die eigene Erfahrung der letzten zehn Jahre einbeziehen. So schreibt „Spiegel“-US-Korrespondent René Pfister:

„Ehrlich gesagt: Ich habe keinen Schimmer, wie man Trump oder die AfD bekämpft. Ich glaube, das ist auch nicht unsere Aufgabe.“

Und wird dafür von Kollegen wie Investigations-Chef Thomas Heise sogar noch beklatscht.

Demgegenüber könnte man meinen, wenn Journalismus in einer liberalen Demokratie, die die Geschäftsgrundlage seiner Arbeit darstellt, nicht weiß, wie oder warum er diese verteidigen sollte, dann können wir den Laden auch gleich dicht machen. Dafür aber müsste man sich vielleicht doch damit befassen, wie man die Rolle des Verteidigers gegenüber feindlich gesonnenen Tendenzen, Parteien und Politikern einnehmen könnte. Andernfalls geht man zumindest implizit davon aus, dass man das, was man so „Journalismus“ nennt, auch unter Trump 2.0 oder einer AfD-Regierung genauso machen könnte.

Auch andere Ansichten halten sich unabhängig von der Radikalisierung der AfD seit Jahren, zum Beispiel der Mythos, diese könne irgendwie „entzaubert“ werden – oder man müsse „sachlich dagegenhalten“ oder es habe ja keinen Sinn, eine Partei, die in Umfragen bei 20 Prozent stehe, samt ihrer Wählerinnen und Wähler dauerhaft zu „ignorieren“ oder „auszugrenzen“.

Mit einigem Recht könnte man behaupten, das Gegenteil sei wahr – und habe mit NPD und Co und deren jeweiligen Erfolgen in Landesparlamenten eigentlich ganz gut funktioniert.

Auch die Corona-Jahre nützten per se keinesfalls der AfD, auch wenn sie selbst – und einige Journalistinnen und Journalisten – wider besseres Wissen mittlerweile das Gegenteil behaupten. Zur Erinnerung: Zwischen 2017 und 2021 verlor die AfD bei der Bundestagswahl 2,3 Prozentpunkte – und rutschte auf 10,3 Prozent ab. Dass ihre ständig wechselnden und weitgehend kruden Ansätze in der Corona-Pandemie medial oder anderweitig viel beachtet worden wären, lässt sich nicht gerade behaupten. Vielleicht war das Ignorieren gar nicht so falsch?

Dampfplauderei statt Analyse

Das Paradebeispiel für die Wiederkehr der immer gleichen journalistischen Mythen lieferten kürzlich Markus Lanz und Richard David Precht in ihrem vom ZDF verbreiteten Podcast. Wer hier abwinkt und sagt, das sei doch nicht der Maßstab des Politikjournalismus in Deutschland, hat einerseits Recht – und irrt andererseits geradezu tragisch. Denn leider versammeln und verdichten sich in den beiden AfD-Folgen von Ende Juni und Anfang Juli nahezu sämtliche Phrasen und Irrtümer zum Umgang mit der in Teilen erwiesenermaßen rechtsextremen Partei. Zum anderen hören den beiden Moderatoren jede Woche Millionen Menschen zu – und gerade der öffentlich-rechtliche Rundfunk hätte jede Pflicht und Schuldigkeit und vor allem auch Möglichkeit, es besser zu machen.

Überhaupt könnte sich der Sender mal die Frage stellen, warum in diesem Podcast, der auf YouTube immerhin unter dem Label der „Heute“-Nachrichten firmiert, andauernd faktisch falscher Unsinn verbreitet werden darf. Was vor allem Precht dort en passant immer wieder von sich gibt, wäre einen eigenen Artikel wert.

Hier nur ein Beispiel: Etwa bei Minute 24 der Folge von Ende Juni führt Precht aus, die SPD habe in der Geschichte der Bunderepublik immer all die Dinge beschlossen, die gegen sie als Opposition nicht durchsetzbar gewesen wären.

Als Beispiele nennt er „Berufsverbote, die Agenda 2010 und den NATO-Doppelbeschluss“. Letzteren aber konnte Helmut Schmidt als SPD-Bundeskanzler eben nicht durchsetzen. Stattdessen zerbrach nicht zuletzt an dieser Frage 1982 die sozialliberale Koalition. Da große Teile der SPD-Fraktion die Stationierung neuer Atomraketen in Westdeutschland nicht mittragen wollten, wechselte die FDP unter Außenminister Hans-Dietrich Genscher unter anderem deswegen die Seiten und koalierte fortan mit der CDU. Und so war es Bundeskanzler Helmut Kohl, der die Stationierung nach dem per konstruktivem Misstrauensvotum und Neuwahl herbeigeführten Machtwechsel ab 1983 durchsetzte.

Von dieser Qualität sind leider auch die meisten Einschätzungen zur AfD und dem medialen Umgang mit ihr: So glaubt Precht basierend auf seinem SPD-Beispiel, nur ein AfD-Landrat könne im thüringischen Sonneberg eine Migrationspolitik machen, die dort dringend benötigte Fachkräfte anwerbe, denn gegen ihn gäbe es in dieser Frage schließlich keine Opposition. Dass Landräte im engeren Sinn gar keine Migrationspolitik machen, war Precht und Lanz wenige Minuten zuvor zwar auch schon eingefallen, nun aber hatten sie es offenbar wieder vergessen.

AfD-Narrative erzählt vom ZDF

Minutenlang geben Lanz und Precht dagegen Erzählungen wieder, die die AfD so oder so ähnlich auch vertritt. Zum Beispiel darüber, dass man „die Menschen im Osten“ nicht pauschal als Nazis oder Rechtsradikale abstempeln dürfe. Die „zwei Wessis“ werfen sich dabei geradezu in den Staub vor bestimmten ostdeutschen Opfer-Narrativen, mit dem der Leipziger Literaturprofessor Dirk Oschmann zuletzt wieder einmal reüssierte. Dass Oschmann dabei genau wie Lanz und Precht nicht in den Blick bekommt, wie sehr seine Thesen und Narrative sich aus denselben Quellen und Ressentiments speisen wie eine tief verwurzelte völkische, xenophobe Tradition in Teilen Ostdeutschlands, ist nur ein Problem. Dieses führt aber seit Jahrzehnten zur Verharmlosung der spezifisch ostdeutschen No-Go-Areas für erkennbare Migrant:innen, Linke und andere „undeutsche“ Menschen.

Doch es gelingt den beiden Podcastern gar nicht, den arroganten Wessi-Blick wirklich abzustellen: Denn sie nehmen weder die AfD noch ihre Wähler:innen ernst. Im Gegenteil: Man findet lauter andere Motive, Erklärungen und Entschuldigungen, warum jemand AfD wählen könnte, aber dass darunter viele Menschen sind, die unter „deutsch“ eben wirklich weiß und christlich (oder wenigstens atheistisch, aber nicht jüdisch und sicher nicht muslimisch) verstehen, die wirklich finden, Staatsbürgerschaft sei mehr als „Passdeutsche“, die Privilegien einfordern, die „Ausländer“ abschieben wollen, die nicht der Meinung sind, dass der Islam zu Deutschland gehöre, die in Orban und Putin Vor- und keine Schreckensbilder sehen, die Frauen in der Mutter- statt in Führungsrollen wollen und so weiter und so fort – all das wird von Lanz und Precht weitgehend ignoriert.

Dabei sagten überhaupt nicht beschämte Wähler:innen auf dem Sonneberger Marktplatz wenige Tage vor der Landratswahl in eine „Spiegel TV“-Kamera unter anderem, „mit den Ausländern müssen wir zuerst anfangen“, während ein anderer sich wünschte, dass „die NSDAP bei Wahlen wieder führt“. Nun sind diese Stimmen nicht umstandslos repräsentativ – und über die Problematik dieser Berichterstattung habe ich hier geschrieben – aber einfach so zu tun, als gäbe es die genuin rechtsextreme Motivation AfD zu wählen gar nicht, ist journalistisches Versagen par excellence.

Dazu gehört auch, sich in keiner Weise politik- oder sozialwissenschaftlich schlau gemacht zu haben, obwohl sowohl Lanz (in Form ständiger Verweise auf seine „überaus klugen“ Gesprächspartner:innen) als auch Precht (der hier eh in Rolle und Gestus des public intellectual spricht) ständig genau so tun, als seien sie äußerst belesene oder durch Dialog bestens informierte Diskursteilnehmer. Doch das Gegenteil ist der Fall: Die These der „Protestwähler“ oder wie Precht noch verharmlosender meint, „Nicht-Angepasste“ (was in Anspielung auf seine eigene Haltung zum Ukraine-Krieg schon fast einen wohlwollenden Klang bekommt) ist erwiesenermaßen schlicht falsch. Die AfD hat eine der stärksten Wählerbindungen überhaupt, Wechselwähler:innen sind vor allem ein Problem der anderen Parteien.

Zauberlehrling Precht

Precht hingegen glaubt immer noch, dass die AfD „entzaubert“ werden könne, käme sie in Regierungsverantwortung. Nichts könnte falscher sein: Sogar sein eigenes Beispiel der FPÖ, bei der man an Haider und Strache genau diese Entzauberung im Amt habe sehen können, ignoriert willfährig die aktuellen Umfrageergebnisse und die Tatsache, dass der nächste Bundeskanzler Österreichs mit großer Wahrscheinlichkeit Herbert Kickl heißt. Nein, die Skandale um Haider oder Strache haben die FPÖ nicht „entzaubert“ oder langfristig beschädigt. Weder in Polen, noch in Ungarn, noch in Italien oder Schweden hat eine Regierungsbeteiligung von (oder die Duldung einer Regierung durch) Rechtspopulisten und Nationalisten diese „entzaubert“. Es gibt schlicht weder Grund noch Beispiel für die ohnehin reichlich absurde Vorstellung, dass es eine kluge Strategie wäre, diesen Parteien die Ressourcen der Macht zur Verfügung zu stellen, um sie zu schwächen.

Im zweiten Teil ihrer „Analyse“ beugen sich die beiden Anfang Juli dann über das AfD-Wahlprogramm. Precht stellt (Minute 28:30) überrascht fest:

„Da steht aber nichts drin von wegen Leute aus dem arabischen Kulturkreis sind rassisch minderwertig und sollen sich hier nicht mit arischem Blut vermischen. So würde es wahrscheinlich klingen, wenn Björn Höcke das Programm geschrieben hätte, der es sicher nicht geschrieben hat, vielleicht noch nie reingeguckt hat.“

Diese an Banalität kaum zu übertreffende Feststellung zeigt das ganze Dilemma dieser Art gefährlichen Halbwissens. Natürlich schreibt die AfD sich keine Dinge in ihr Parteiprogramm, mit denen Lieschen Müller nach Karlsruhe rennen und die Partei verbieten lassen könnte. Dass Precht glaubt, allein das zeige bereits, dass es mit der Radikalität nicht so weit her sei, zeigt nur, wie wenig er überhaupt begriffen hat. Auch die plumpe Vermutung, Höcke, der um jede Formulierung von Anträgen auf Parteitagen ringt und feilscht, habe „vielleicht noch nie“ ins Parteiprogramm geguckt (Lanz: „mmhmm!“), ist an Naivität nicht zu überbieten.

Genau diese bräsige Arroganz, gepaart mit völliger Unterschätzung des Gegenstandes ist es, was der AfD medial so stark in die Karten spielt. Weder Höcke noch Krah noch andere nationalistische Führungsfiguren der Partei sind irgendwie dumm oder faul oder unfähig – und im Gegensatz zu vielen politischen Wettbewerbern haben sie immerhin Ideologie und Glauben. Ein Landrat oder auch ein künftiger Ministerpräsident der AfD wird sich nicht an Realpolitik „entzaubern“ (wie die SPD mit der Agenda 2010), weil er Fachkräfte ins Land holen müsse. So zu tun, als bestünden „Sachzwänge“ jenseits des Politischen („TINA – there is no alternative“), war ja genau die Merkel-Linie, gegen die die AfD antrat – ihr Raison d’être gewissermaßen.

Die AfD meint es ernst – der Journalismus nicht

Statt ins Parteiprogramms sollte man daher dorthin schauen, wo die Höcke-Fraktion, die mittlerweile weite Teile der Partei dominiert, ihre Gedanken weitaus deutlicher formuliert. Auf dem Europa-Parteitag konnte sich kein:e Kandidat:in durchsetzen, die nicht zu diesem Lager gehört, einige gaben entnervt auf und kündigten ihren Austritt an. Keine Forderung war zu radikal, viele Anträge wurden noch auf dem Parteitag weiter radikalisiert. In Krahs Manifest, das im Antaios-Verlag des neurechten Vordenkers Götz Kubitschek erschienen ist, heißt es unter anderem:

„Da viele Eigenschaften, Intelligenz eingeschlossen, überwiegend vererbt werden, ist der Plan, durch Masseneinwanderung die nicht mehr geborenen autochthonen Fachkräfte zu ersetzen, zum Scheitern verurteilt. […] Das bisherige Wohlstands-, Sicherheits- und Ordnungsniveau läßt [sic] sich durch die praktizierte Form der Einwanderung nicht aufrechterhalten. […] Auf zynische Weise verfallen nun Teile der globalistischen Elite darauf, dem Verfall manipulativ entgegenzusteuern.“

Krah will familienpolitische Maßnahmen, die die Geburtenrate erhöhen, mehr Rentenzahlungen für Menschen mit Kindern, die schrittweise „Remigration“ von Millionen hier lebender Menschen mit Migrationshintergrund und „genossenschaftliche Wohnprojekte in niedergehenden, alternden Dörfern und Kleinstädten, wo dreißig, vierzig Familien sich entscheiden, ein gemeinsames Leben aus Tradition und Natur zu führen. Es braucht eine Avantgarde, die in Anspruch und Ästhetik zeigt, daß [sic] ein sauberes Leben möglich und erstrebenswert ist. Kinderreiche, gesunde Familien in einer intakten Natur, die sich regional selbst versorgen und untereinander helfen, dürfen keine Bilder aus vergangenen Zeiten sein, sondern die von der politischen Rechten geförderte und unterstützte Zukunft.“

Man mag darüber müde lächeln und fragen, ob und wo Krah diese Familien wohl finden mag, aber man sollte zumindest anerkennen, dass diese Leute, die heute unzweifelhaft die Mehrheit in der AfD stellen, sehr wohl politische Visionen und Vorstellungen haben – und dass sie auch deswegen gewählt werden.

Hier klingt all das schon deutlich weniger harmlos, als Precht und Lanz es im Parteiprogramm finden, dem sie nolens volens eine demokratische Absolution erteilen, Precht meint sogar, jenes sei nicht mal „wahnsinnig rechts – also Nazi schon mal gar nicht“. Bei Krah hingegen scheint klar durch, was ihm und anderen in der Partei vorschwebt: eine völkische Grundierung der Bevölkerungspolitik mit wenigen auserwählten Migrant:innen, die unter anderem aufgrund angeblich erblicher, minderwertiger Intelligenz beweisen müssen, dass sie würdig sind, in die deutsche Kulturnation aufgenommen zu werden. Für den Rest heißt es zynisch „Anreize zur Remigration“. Der Klimawandel ist eine „Theorie“, Klimapolitik eine Verschwörung globalistischer Eliten, George Soros vorneweg. Der letztlich antisemitische Gehalt dieser Weltsicht ist bekannt.

Wer von einem Netzwerk deutscher Selbstversorgerfamilien auf dem Land, flankiert von einer subventionierten und protektionierten Wirtschaft in einer deglobaliserten Welt träumt, hat möglicherweise gar kein „realpolitisches“ Problem mit „Fachkräftemangel“ – und muss deswegen auch keine Einwanderung managen. Denn die europäische und globale Rechte, die sich hier formiert, glaubt an ganz andere Dinge. Und wenn Frankreich an Le Pens Rassemblement National (RN) fiele und die AfD in Deutschland und Europa massiv an Einfluss gewänne – wer sollte denn garantieren, dass Fidesz, PIS, AfD, FDI, FPÖ und RN nicht gemeinsam dafür sorgen, dass der Brexit tatsächlich nur der Anfang vom Ende der EU war, wie wir sie kennen?

Gleiches gilt für den Klimawandel: Markus Lanz freut sich im Podcast, dass der klimapolitische Sprecher der AfD, Steffen Kotré, bei ihm in der Sendung inhaltlich Widerspruch erfahren habe – und es „sportlich genommen“ habe. Kotré sei dabei (nach Lanz‘ Ansicht) nicht gut weggekommen. Dabei verkennt er völlig das oben zitierte strategische Feind-Verhältnis der AfD zu seiner Sendung und den Medien allgemein. Für Kotré ist es völlig ausreichend, seine Erzählung der „CO2-Theorie“ bei Lanz vor einem Millionenpublikum untergebracht zu haben. Hören wir dazu erneut Krah: „[…] Die politische Rechte [muss] zur Abwehr des dystopischen globalen Klimaregimes auf jeder politischen Ebene die Klimapolitik bekämpfen. […] Denn gleich, wie das Wetter in 100 Jahren aussehen wird: echte Menschen werden damit umgehen können.“

Man mag das zynisch oder schlicht dumm finden, aber man sollte die Augen nicht davor verschließen, dass der klimapolitische Sprecher, der seine vermeintliche rhetorische Niederlage bei Lanz „sportlich“ nimmt, gar keine solche erlitten hat. Die AfD mag von der Realität des realen Klimawandels irgendwann eingeholt werden, bis dahin aber führt sie schlicht eine gänzlich andere Politik ins Feld, beseelt von einem echten Glauben daran, die eigene Ideologie sei die bessere. Wem sein Auto, der eigene Job in einer energieintensiven Branche, der eigene Wohlstand auch näher sind, als die für viele (trotz aller bereits eingetretenen Veränderungen) immer noch abstrakten Gefahren der globalen Erderwärmung, ist für solche Botschaften möglicherweise sehr empfänglich. Und ein Markus Lanz „entzaubert“ daran gar nichts.

Der Politikwissenschaftler Marcel Lewandowsky, der seit langem zu politischem Extremismus und mit AfD-Wähler:innen forscht, hat auf Twitter in einem angeheftetem Tweet Folgendes stehen: „Forscher sollen natürlich neutral sein. Als Politikwissenschaftler bin ich dem Autoritarismus gegenüber so neutral wie der Onkologe gegenüber der Krebserkrankung.“ Der Journalismus wird sich fragen müssen, wie er es mit seiner Art von Neutralität in Zukunft halten will.

15 Kommentare

  1. R.D. Precht, das ist Dunning-Kruger auf so vielen Ebenen.

    Womit haben wir das bloß verdient?

  2. Danke für den Artikel.
    Und ja, der Podcast sollte öfter kritisch beäugt werden.
    Immer wiederkehrender Nerv Faktor: es wird bejammert, dass alle nur noch jammern. Gemeint sind dann Aktivisten, die eben nicht nur jammern, sondern etwas tun.
    Während die beiden Boomer wirklich nur jammern und sich dabei gut finden.
    Schlimm.

  3. @Micha
    Aus der Zeit als Harald Schmidt noch etwas näher am Puls der Zeit war:
    „Ich kann das Gejammer in Deutschland über das Gejammer in Deutschland nicht mehr hören!“

  4. Und durch dieses Gejammere über das angebliche Gejammere beim gleichzeitigen Abwiegeln der tatsächlichen Probleme wird man im deutschen Diskurs meinungsmachend und einflussreich. Es ist so ermüdend und traurig.

  5. @ Andrey Reisin:
    „Überhaupt könnte sich der Sender mal die Frage stellen, warum in diesem Podcast, (…), andauernd faktisch falscher Unsinn verbreitet werden darf. “
    „falscher Unsinn“ – Pleonasmus oder extrem hintersinnige Formulierung, die ich dann allerdings nicht kapiere?

  6. Der Artikel ruft dazu auf, die AFD journalistisch zu ignorieren. Dafür spricht viel nur leider auch einiges dagegen. Tut man es, legitimiert man den Vorwurf einer tendenziösen Presse und stärkt damit diese Partei. Die Gefahr ist groß, dass man noch weitergeht und so wie es schon oft Praxis ist, über Probleme nicht mehr berichtet, weil sie AFD Narrative bedienen könnten. Das führt abermals zu einer Bestätigung der Kritik an der Presse und andererseits verhindert es ein Bewusstsein, dass wir Lösungen brauchen. Dass Migration zu Problemen bei Wohnungen, Kindergärten und Schulen, sowie Sozialausgaben führt ist nunmal unumstritten. Natürlich könnten man viele dieser Probleme lösen, nur tut es die Ampel nicht. Die Investitionen in Integration sind immer noch viel zu gering und die Bürokratie verunmöglicht es vielen Geflüchteten zu arbeiten. Die Kombination von hohen Zuwanderungszahlen und Fahckräftemangel ist auch nur mir rosaroter Brille als Win Win Situation zu interpretieren denn wie wir wissen, scheitert die Arbeitsaufnahme an vielen Dingen. Wenn wir Gewalt durch Geflüchtete totschwiegen, sorgen wir dafür, dass die AFD aus einzelnen Taten generalisieren können.

    Daher kann es meines Erachtens nur Sinn machen, die Probleme zu beschreiben, ungeachtet der Frage, ob ggf. die AFD aufspringt, und politische Lösungen einzufordern. Das ist aus meiner Sicht viel mehr journalistische Aufgabe als die gezielte Agitation gegen rechts, auch wenn sie gut gemeint ist und sich gut anfühlt.

    So lange wir es der AFD ermöglichen, vorhandene Probleme zu adressieren, die wir medial marginalisieren, solange werden Menschen, die mit diesen Problemen konfrontiert sind auf die Idee kommen, die AFD zu wählen. Gehen wir die Probleme offen und ehrlich an und stellen uns der Wahrheit, dass unsere Bilder der Welt oft urban und idealistisch geprägt sind, entziehen wir damit der AFD den Nährboden.

  7. Wie wäre es denn, wenn sich all die selbst ernannten Politik-Spezialisten und viele tatsächliche Politikwissenschaftler von den Theoriediskussionen abwenden und den wissenschaftlich belegten historischen Fakten Raum gäben? Dann würden die zum Teil überdeutlichen Parallelen unserer heutigen Situation mit den frühen 30er Jahren in Deutschland schnell überraschend klar. Und die frech kolportierten Nazisprüche gewisser (Ex-)Journalisten wären leichter als das zu demaskieren, was sie tatsächlich sind.

  8. Danke. Ich bin erleichtert, dass die gefährliche Volksnähe dieser beiden politischen Blindgänger thematisiert wird. Die Inkompetenz von Precht wurde ja schon öfters besprochen, aber besonders bei Lanz wundert mich sehr, dass er trotz seiner Prominenz bislang so unter dem Radar bleibt, wenn er in seiner Talkshow rassistische Ressentiments befördert und Klimafakten leugnet. Höchste Zeit, mal genauer hinzuschauen.

  9. „Der Artikel ruft dazu auf, die AFD journalistisch zu ignorieren. “
    Wo genau steht das?

    „Die Investitionen in Integration sind immer noch viel zu gering und die Bürokratie verunmöglicht es vielen Geflüchteten zu arbeiten. “
    Nichts, worüber man jetzt ausgerechnet mit der AfD reden sollte.

    „Wenn wir Gewalt durch Geflüchtete totschwiegen“
    Wer genau tut das?

    Der Artikel ruft dazu auf, im Umgang mit der AfD endlich professioneller zu agieren. Die politische Öffentlichkeitsarbeit der AfD besteht im wesentlichen nur aus destruktiven Kampagnen unterfüttert mit sog. „alternativen Fakten“. Während die rechtsradikalen Parteien und Bewegungen global mit ausgefeilten Strategien permanent Punkt um Punkt sammeln, versuchen sich bei uns Journalistendarsteller mit an Ignoranz grenzender Naivität im Umgang mit ihnen.

    Das wäre mit fahrlässig nur unzureichend beschrieben.

  10. #11: Zitat „Das ist aus meiner Sicht viel mehr journalistische Aufgabe als die gezielte Agitation gegen rechts, auch wenn sie gut gemeint ist und sich gut anfühlt.“
    Hier wird erneut das Narrativ von Precht wiederholt, der Journalismus sei quasi „selbst gleichgeschaltet“. Und gleich dazu noch unterschwellig behauptet, die aktuelle Berichterstattung wäre eine, die sich moralisch im Recht fühlt und dadurch ein gutes Bauchgefühl erzeugt, sich also gar nicht an Fakten orientiert.
    Der Vertrauensverlust in die Medien wird durch solche Stammtischparolen offenbar, und leider weiter zementiert.
    Wenn ich den Artikel von Herrn Reisin richtig verstanden habe, ruft er u.a. zu einer härteren Gangart gegenüber der AfD auf. Dazu, diese Partei als das zu entlarven, was sie tatsächlich ist, den Finger in die Wunde zu legen. Und solche Möchtegernhistoriker wie Precht in ihre Schranken zu verweisen, weil sie nämlich genau das Gegenteil machen: die Positionen der AfD zu verharmlosen.
    Kritischer und unabhängiger Journalismus ist immer auch eine Gratwanderung. Einerseits darf und möchte man denjenigen, die die Wahrheit verdrehen oder antidemokratische Thesen vertreten, kein Podium bieten. Andererseits müssen diese Punkte offen denunziert und diskutiert werden. In dieser Beziehung sehr hart, ja absolut kompromisslos zu bleiben, ist die Herausforderung für unabhängige Berichterstattung.
    Ich halte den Artikel von Herrn Reisin deshalb für das Paradebeispiel dafür, wie sich guter Journalismus positioniert.

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