„Machtvolle kleine Elite“

Man muss kein Nazi sein, um antisemitische Klischees zu verbreiten

Anna Schneider ist wütend. Zumindest muss man das annehmen, wenn man ihren Text „Wer nicht links ist, ist ein Nazi – ganz einfach“ in der „Welt“ vom Montag gelesen hat. Die selbsterklärt „brutalliberale“ Autorin wettert darin gegen eine Verunglimpfung, die ihr und anderen wiederfahren sei, wie sie auch twitterte:

Nun wüsste man natürlich gerne, wer den Kabarettisten Dieter Nuhr „Nazi“ genannt hat. Die Antwort bleibt Schneiders Text leider seltsam schuldig. Sie verweist auf einen Beitrag des ARD-Politmagazins „Kontraste“, der unter anderem über die Konferenz „Wokes Deutschland: Identitätspolitik als Bedrohung unserer Freiheit?“ des Netzwerkes „R21“ berichtet hat. Das bezeichnet sich selbst als „Denkfabrik für neue bürgerliche Politik“. In dem Beitrag ging es ebenfalls um „woke“ Politik, wobei er – was Schneider ihren Leser:innen vorenthält – die ersten Minuten damit verbringt, zu kritisieren, dass es auch auf den Herrentoiletten des Stuttgarter Rathauses mittlerweile Tampon-Spender gibt.

R21-Diskussion mit Dieter Nuhr, Kristina Schröder und Anna Schneider (von rechts) Screenshot: Youtube/R21

Stein des Anstoßes ist ein zugegeben drastisch verkürzter Zusammenschnitt der Konferenz, in dem Statements von Dieter Nuhr, der Journalistin Judith Sevinç Basad und der ehemaligen CDU-Familienministerin Kristina Schröder auftauchen, die wie folgt lauten:

  • „Ich glaube, dass die woke Bewegung gerade die größte Gefahr für unsere Gesellschaft darstellt.“ (Basad)
  • „Die, die so ticken, das ist eine Minderheit. Aber die sind im Besitz der kulturellen Produktionsmittel, in den Medien, in den Unis, in den NGOs.“ (Schröder)
  • „Und man hat das Gefühl, dass hier eben eine machtvolle kleine Elite versucht zu steuern gegen einen Großteil der Bevölkerung.“ (Nuhr)

Diese Zusammenstellung nennt „Kontraste“ „verschwörungsideologisch angehauchte Thesen“, von denen „man gern wüsste, ob das der neue Sound der CDU sein soll“.

Die Grüne Bundestagsabgeordnete Marlene Schönberger ging auf Twitter einen Schritt weiter und bezeichnete das Gesagte als „antisemitische Verschwörungserzählungen“ – und trieb damit nicht nur Schneider auf die Nazi-Palme.

Es sei an dieser Stelle daher ausdrücklich vermerkt: Keiner der Genannten ist ein „Nazi“ – und dieser Text erhebt diesen Vorwurf auch nicht. Dennoch wird über antisemitische Codes und Stereotype zu reden sein. Denn schließlich rühmen sich das Haus Springer, die Union und weite Teile des modernen Konservatismus oder allgemeiner der liberalkonservativen Kräfte in diesem Land ihrer entschiedenen Gegnerschaft zum Antisemitismus – als historische Lektion aus dem Nationalsozialismus.

Vielleicht also hätte Schneider einen Blick in die eigene Zeitung werfen sollen: Dort hat Ruben Gerczikow, der in Berlin für das American Jewish Committee (AJC) arbeitet, das Springer in dieser Frage traditionell eher verbunden ist, im Juli 2021 einen Gastkommentar zur Causa des Ex-Verfassungsschutzpräsidenten Hans-Georg Maaßen geschrieben. Über „Chiffren des Antisemitismus“ (so die Überschrift in der Print-Version) heißt es darin unter anderem:

„In der postnazistischen Gesellschaft ist offener Antisemitismus seit der Shoa weitgehend tabuisiert. Deshalb erleben wir es häufig, wie dieser chiffriert und in Form von Umwegkommunikation geäußert wird. Entsprechende Narrative können Wörter wie kosmopolitisch, globalistisch, internationalistisch oder heimatlos nutzen, die auf alten antijüdischen Stereotypen aufbauen, ohne explizit Juden zu nennen. Diese Chiffren transportieren Bilder vermeintlich ‚jüdischer Macht‘.“

Es gibt also offenbar durchaus Stereotype, die auf Jüdinnen und Juden verweisen, auch wenn diejenigen, die sie benutzen, keine antisemitische Intention verfolgen. Im Zuge der aktuellen Debatte machte Gerczikow seine Position in mehreren Tweets deutlich:

„Servicetweet: Man kann antisemitisch sein bzw. strukturell-antisemitische Aussagen treffen und kein Nazi sein. Die Nazis haben den Antisemitismus nicht erfunden. Und wer unbewusst antisemitische Chiffren benutzt, ist nicht per se antisemitisch. Das wir im postnazistischen Deutschland immer wieder über strukturellen Antisemitismus und Chiffren sprechen müssen. ‚Kleine Elite‘, ‚mächtige Minderheit‘, ‚Strippenzieher‘ usw. lassen sich sehr einfach in verschwörungsideologisches Denken einfügen. Aber leugnet das ruhig.“

Letzteres geht mithin direkt an Schneiders Adresse. Ihre überschäumende Rhetorik zur Verteidigung der Äußerungen auf der Konferenz, der dort redenden Personen und letztlich ihrer selbst, benutzt nicht nur den Strohmann „Er hat Nazi gesagt“, sondern auch noch einen anderen rhetorischen Trick, der die Kritik von der Ebene des Gesagten auf die der Person zerrt.

Der amerikanische Videoblogger und Radiomoderator Jay Smooth hat diese Art des Ablenkungsmanövers in seinem ikonischen und hunderttausendfach angeschauten Lehrstück-Video „How to tell someone they sound racist“ wie folgt beschrieben:

„Es beginnt immer als eine ‚Was haben sie gesagt oder getan‘-Konversation. Aber sobald sich eine kritisierte Berühmtheit oder ihre Freunde zu Wort melden, führen sie einen Strohmann ein und machen das Ganze zu einer ‚Was sie sind‘-Debatte.“

Dann werde gesagt, man kenne die Person seit Jahren und man wisse sicher, dass sie kein Rassist sei – und wie könne man es überhaupt wagen, so etwas zu behaupten. Genau derselben Taktik bedient sich Schneider. Jay Smooth hingegen hält davon weder als Angriff noch als Verteidigung viel, da es unmöglich sei, zu entscheiden, was jemand tief im Inneren sei oder fühle:

„Wenn mir ein Taschendieb das Portemonnaie klaut, dann renne ich ihm nicht hinterher, weil ich wissen will, ob er sich im tiefsten Innern seines Herzens für einen Dieb hält, sondern weil ich meine Brieftasche zurückhaben will. Es geht mir nicht darum, ihn dafür verantwortlich zu machen, was er ist, sondern dafür, was er getan hat.“

Und genauso ist es hier auch: Niemand (jenseits von anonymen Twitter-Trollen) hat die Beteiligten Nazis genannt – und auch nicht Antisemit:innen. Aber umgekehrt zu behaupten, das Gerede und Geraune von machtvollen Medien- und anderen Eliten sei per se kein antisemitischer Code, ist schlechterdings lachhaft. Denn diese Stereotype sind dermaßen eindeutig codiert, dass sich von Woody Allen bis zur US-Sitcom „30 Rock“ eine ganze Phalanx von (jüdischen) Komiker:innen darüber lustig gemacht hat.

In „30 Rock“ geht der entsprechende Gag zwischen Fernsehproduzent Jack Donaghy (Alec Baldwin) und Chefautorin Liz Lemon (Tina Fey) so:

Jack: The audience doesn’t want elitist, East coast, alternative, intellectual, left-winged …
Liz: Just say Jewish, this is taking forever.

Es ist ein geradezu sprichwörtliches antisemitisches Stereotyp, das auf dieser Konferenz verbreitet wurde, wobei die Intentionen und Haltungen der beteiligten Personen nicht entscheidend sind. Und weder „Kontraste“ noch die Grünen-Abgeordnete hatten entsprechende Haltungen unterstellt, die ARD-Sendung sprach sogar explizit vom „Sound“ – und nicht von den handelnden Personen.

Es ist natürlich bedauerlich, dass ein Comedian wie Dieter Nuhr offenbar nie „30 Rock“ (oder eben Woody Allen) gesehen hat – und dass „Welt“-Autorinnen mit Wut im Bauch die Texte ihrer eigenen Zeitung nicht kennen. Beides ist aber nicht das Problem der Kritiker:innen.

Ein guter Witz von Dieter Nuhr

Merkwürdig ist hingegen, dass ausgerechnet Nuhr und Schröder die Ironie nicht klar wird, wenn sie von „Minderheiten im Besitz der kulturellen Produktionsmittel in den Medien“ oder einer „machtvolle kleinen Elite“ schwafeln. Denn wer, wenn nicht eine ehemalige Ministerin und ein Medienstar sind denn wohl die Elite? Besonders im Fall Nuhr, den vor allem die öffentlich-rechtlichen Sender des Landes maßgeblich reich und berühmt gemacht haben dürften, ist dieses Gerede einer seiner besseren Witze – leider ein unfreiwilliger.

Insgesamt verhalten sich die liberal-konservativen Kulturkrieger:innen leider genauso, wie sie es ihren als „Schneeflocken“ diffamierten, vermeintlich verzärtelten Gegenübern im Elfenbeinturm gerne unterstellen: wehleidig, weinerlich und um sich selbst kreisend.

Dabei nimmt die Debatte über „Wokeness“ und „Cancel Culture“ und den „Kulturkampf“, den R21 selbst ausgerufen hat, längst andere Formen an: Wie man in den USA beobachten kann, sind diejenigen, die tatsächlich mit politischer Macht und mithilfe staatlicher Gewalt Dinge verbieten und Freiheiten einschränken, dieselben altbekannten rechtsreligiösen Gestalten, die es schon immer waren. In nahezu allen republikanisch regierten Staaten wird derzeit das Recht auf Abtreibung eingeschränkt, werden Bücher aus Bibliotheken und Lehrplänen verbannt, wird LGBT-Lehrer:innen verboten, über ihre geschlechtliche und sexuelle Identität zu reden.

Auch in Thüringen entblödete sich die CDU kürzlich nicht, zusammen mit der AfD für ein Verbot des Genderns in offiziellen Publikationen des Landes und amtlichen Schreiben zu stimmen. Sein Demokratieverständnis brachte der Landesvorsitzende Mario Voigt dabei wie folgt auf den Punkt:

Mit anderen Worten: Jeder und jede soll reden, wie ihm oder ihr der Schnabel gewachsen ist, es sei denn dieser Schnabel will gendern, dann verbieten wir es nämlich. Wer angesichts dieser realen Verbotskultur machtvoller konservativer Kreise immer noch glaubt, die wahre Gefahr für die Freiheit des Individuums gehe von Studierenden in Gender-Studies-Seminaren aus, dem oder der ist nicht zu helfen.

Anna Schneider hingegen sieht es, wie an ihrem Eingangszitat deutlich wird, genau umgekehrt. Womit wir am Ende auch bei einem grundsätzlichen Problem der aktuellen Debatte wären, nämlich dass man sich gegenseitig leider für mindestens ein bisschen meschugge hält – wenn auch nicht für Nazis, was hier noch einmal ausdrücklich betont sei. Doch zumindest meine Freiheit wird erheblich stärker von anderen Dingen bedroht als von woken Gender-Sternchen-Krieger:innen.

26 Kommentare

  1. Danke, hervorragend!

    „Insgesamt verhalten sich die liberal-konservativen Kulturkrieger:innen leider genauso, wie sie es ihren als „Schneeflocken“ diffamierten, vermeintlich verzärtelten Gegenübern im Elfenbeinturm gerne unterstellen: wehleidig, weinerlich und um sich selbst kreisend.“
    Projektion halt. Seit Trump wieder ein sehr beliebtes Stilmittel.

  2. Dass Nuhr eine eeetwas empfindliche Künstlerseele ist, sei unbestritten, aber was genau ist jetzt der Vorwurf?
    Dass er mit „kleinen Eliten“ Juden meint, oder
    dass er mit „kleinen Eliten“ zwar keine Juden meint, aber wissend und billigend in Kauf nimmt, dass er so verstanden wird, oder,
    dass er den Code nicht kennt und daher nicht weiß (weil „unbewusst“), dass Antisemiten das so verstehen und sich bestätigt fühlen werden?

  3. @R.L. nun, ich bin dann leider irritiert:
    „Es ist ein geradezu sprichwörtliches antisemitisches Stereotyp, das auf dieser Konferenz verbreitet wurde, wobei die Intentionen und Haltungen der beteiligten Personen nicht entscheidend sind.“
    Wenn Intention und Haltung egal wären, wäre der Unterschied mehr zwischen Nazi und Verbreiter eines antisemitischen Stereotyps ja auch egal, oder?
    „Und weder „Kontraste“ noch die Grünen-Abgeordnete hatten entsprechende Haltungen unterstellt, die ARD-Sendung sprach sogar explizit vom „Sound“.“
    Wenn die Haltung sowieso nicht egal ist, ist es auch egal, ob man sie _explizit_ unterstellt. Und vllt. ist „antisemitischer Sound“ ja auch eine Art zu sagen, dass man jemanden für einen Antisemiten bzw. Nazi hält.
    Wobei ich Nuhr jetzt sicher nicht vor dergleichen Vorwürfen beschützen will, ich halte Intention und Haltung aber schon für wichtig.

  4. ich bin dann leider irritiert:

    Jep!

    In dem Artikel geht es nicht um Nuhr selbst, sondern darum, wie eine der TeilnehmerInnen dieser Veranstaltung auf die Kritik an dieser Veranstaltung mit weinerlichem „Die haben mich Nazi genannt“ reagiert.
    Und dann wurde erklärt, dass eben diese Reaktion auf die Kritik schlicht und einfach falsch ist, anders gesagt, einfach Quatsch.
    Oder, um zu zitieren “ wehleidig, weinerlich und um sich selbst kreisend“.
    Konnte ich die Irritation etwas aus der Welt schaffen @Mycroft?

  5. Ja, das Wort „Nazi“ wurde nicht verwendet, _so_ irritiert war ich nun doch nicht. ;-)
    Aber welcher Vorwurf wurde denn stattdessen gemacht?
    „Nuhr ist kein Nazi, aber Antisemit“ oder „Nuhr ist kein Antisemit, aber verbreitet antisemitische Vorurteile, ohne es zu merken.“?`

  6. @Mycroft
    Der Vorwurf in Bezug auf „R21“ beinhaltet nur das Faktische: antisemtische Codes wurden verwendet. (siehe Tweet oben)
    Aus welcher Motivation, Irrtum, Überzeugung, Bewusstsein oder was auch immer heraus, hat sich niemand angemaßt zu behaupten. Umso mehr geht ja deswegen der Gegenvorwurf, da wurden welche zu Unrecht als Nazis beschimpft, ins Leere.

  7. Ich bin da ganz bei Forrest Gump: Dumm ist der, der dummes tut. Diese Menschen, die antisemitische Codes verwenden, und auch noch empört tun, wenn man ihnen sagt, dass das Nazi-Sprech ist, sich deshalb als Nazi verunglimpft fühlen, obwohl das keiner gesagt hat, die sind Nazis.

  8. „antisemtische Codes wurden verwendet. (siehe Tweet oben)
    Aus welcher Motivation, Irrtum, Überzeugung, Bewusstsein oder was auch immer heraus, hat sich niemand angemaßt zu behaupten.“
    Das wäre aber wichtig, um das moralisch einzuordnen.

    Oder, um die Titelfrage aufzugreifen: man muss zwar kein Nazi sein, um antisemitische Klischees zu verbreiten, aber kann man sie verbreiten, ohne jedenfalls Antisemit zu sein?

    Also, wenn Nuhr hypothetischerweise mit „kleiner Elite“ mal nicht „die Juden“ meint, sondern russische Oligarchen, würde er zwar antisemitische Klischees verbreiten – weil alle Antisemiten denken, er meinte die Juden – ohne selbst Antisemit zu sein, er hasst ja nur die Russen.
    „Russische Oligarchen“ sind fürs Beispiel beliebig durch andere Gruppen austauschbar.

  9. @SvenR:
    Es ist schon komplizierter: Ein Gruppencode, den außerhalb der Gruppe jeder kennt, ist sinnlos.
    Ergo gibt es drei (theoretisch 4) Möglichkeiten:
    Nuhr ist Antisemit und verwendet den Code „kleine Elite“ entsprechend. Dann hat er jede Kritik verdient.
    Nuhr ist kein Antisemit, kennt den Code aber und verwendet ihn, um zu „provozieren“. Dann sollte er sich nicht beschweren, wenn andere provoziert sind.
    Nuhr ist kein Antisemit und kennt den Code nicht, dann ist die Kritik insofern unfair und überzogen.
    (Nuhr ist Antisemit, weiß aber nicht, dass das ein Code ist und verwendet ihn „falsch“, so dass insgesamt doch zurecht kritisiert wird.)

  10. @Mycroft: Es ist ja nicht so, das Nuhr & Co. das im luftleeren Raum tun, sondern sie bekommen ja ständig Rückmeldungen. Anstatt das zu reflektieren, wird weiter lustvoll in die selbe Kerbe gehauen. Das ist „ein Spiel mit dem Feuer“, Absicht, und natürlich monetisiert sich das auch noch.

    Wir haben in dieser nach unten offenen Kommentarspalte™ vor einiger Zeit die Diskussion über Schaumküsse und Schnitzel. Mir war damals schon klar, dass Schnitzel nichts mit Sinti und Roma zu tun haben und man sie so nicht bezeichnen sollte. Außer in Alexandras Lied habe ich das Z-Wort weder in einem positiven noch wertschätzenden Kontext gehört, und selbst bei Alexandra kann man anderer Meinung sein, als ich.

    Bei den Schaumküssen habe ich das nicht sofort verstanden, weil das N-Wort in meiner Schneeflocken-Welt nicht als Schimpfwort verwendet wurde und wird. Trotzdem muss ich das ja nicht verwenden, vor allem nicht, wenn ich im Internet kommentier oder – Gott bewahre – im Fernsehen sitze und plappere. Deshalb lasse ich das jetzt und trotzdem sind alle Zacken in meiner Krone heil geblieben.

  11. @Mycroft: Nuhr hat Geschichte auf Lehramt studiert. Und er hat solche Formulierungen nicht zum ersten Mal benutzt, inkl. darauf folgender Kritik. Für wie wahrscheinlich halten Sie es, dass er (immer noch) nicht weiß, dass er da antisemitische Codes benutzt?

  12. „Absicht, und natürlich monetisiert sich das auch noch.“ Sehen Sie, die Intention oder Haltung der Beteiligten ist also doch entscheidend.
    Irgendwann war „Ostküsten-Bankiers“ ein Code für „die Juden“. Irgendwann später habe ich erfahren, dass das das heißen heißen soll. Weil der Code „geknackt“ wurde, hieß es irgendwann „Globalisten“, irgendwann habe ich erfahren, dass das der Code war. Im Zuge der aktuellen Diskussion erfuhr ich, dass die „kleine Elite“ der neue Code ist, und vermutlich verabredet das internationale Antisemitentum gerade einen noch neueren Code.
    Ich halte mich nicht gezielt auf dem Laufenden, was Antisemitismus betrifft, und kann daher für mich nicht ausschließen, aus Versehen etwas zu sagen, mit dem Antisemiten Juden meinen, im Unterschied zum anderen Wort für Paprikaschnitzel.

    „Nuhr hat Geschichte auf Lehramt studiert.“ Ich wette mit Ihnen, die aktuellen Antisemiten-Codes kamen dabei nicht vor. Und Lehrer sind generell nicht unfehlbar.

    „Und er hat solche Formulierungen nicht zum ersten Mal benutzt, inkl. darauf folgender Kritik.“ Wenn das so ist, wäre das doch eine Information, die ganz an den Anfang der Argumentation gehört, oder? Aber ja, das ist ein Argument, mit dem man auf die tatsächliche Intention und Haltung Nuhrs Rückschlüsse gewinnen kann.

    „Für wie wahrscheinlich halten Sie es, dass er (immer noch) nicht weiß, dass er da antisemitische Codes benutzt?“ Das war doch meine Frage: macht er das mit Absicht, und wenn ja, welche Absicht ist das? Es ist sicher nicht Nuhrs Pflicht, sich ständig über antisemitische Codes auf dem Laufenden zu halten.
    Aber ich verstehe Sie so, dass der Vorwurf heißt: er ist kein Nazi, aber Antisemit.

  13. @Mycroft: Ich bin mir nicht sicher, ob Sie mit

    „Aber ich verstehe Sie so, dass der Vorwurf heißt: er ist kein Nazi, aber Antisemit.“

    mich meinen. Falls ja: Wenn Dieter Nuhr nicht für einen Nazi gehalten werden will, dann sollte er einfach keine bekannten antisemitischen Chiffren verwenden. Und dieser Schwachsinn, dass ein in Deutschland weltbekannter Star sich über „eine machtvolle kleine Elite“ ereifert und sich als „einen Großteil der Bevölkerung“ sieht – unbezahlbar!

    Dasselbe gilt übrigens auch für Judith Sevinç Basad, Kristina Schröder und Anna Schneider.

    Ich bin auch nicht so sicher, wie Andrej Reisin, dass man Antisemit sein kann, ohne Nazi zu sein.

  14. Was hat der Meinungskampf zwischen einer eher linken Elite und mehr oder weniger rechten Elitären in Deutschland mit Antisemitismus im Sinne von Judenhass zu tun? Beide Seiten werfen gerne der anderen Seite vor, dem Antisemitismus Vorschub zu leisten. Das Ziel ist, die andere Seite aus dem Diskurs auszuschalten. Wer als linker oder rechter Antisemit gebrandmarkt ist, wird in den öffentlich-rechtlichen und seriösen privaten Medien nicht mehr zu Wort kommen. Nicht immer gelingt dies. Beim nicht-linken Herrn Nuhr hat es bisher nicht geklappt, ebenso nicht beim nicht-rechten Herrn Augstein. Auch dieser Artikel wird nichts bewirken. Und das ist gut so.

  15. „einfach keine bekannten antisemitischen Chiffren verwenden“ Naja, Theory of Mind und so: Nur weil die jeweilige Chiffre _Ihnen_ bekannt ist, können Sie nicht ohne weiteres annehmen, dass sie _jedem_ bekannt ist (die Argumente, warum Nuhr die kennen sollte, habe ich schon verstanden), weil sich solche Chiffren öfters ändern, da die schlaueren Antisemiten eben _unbekannte_ Chiffren verwenden.
    (Was, wie gesagt, vllt. einfach nur heißt, dass Nuhr eben nicht nur antisemitisch ist, sondern dümmer, als er sich hält.)

    „Und dieser Schwachsinn, dass ein in Deutschland weltbekannter Star sich über „eine machtvolle kleine Elite“ ereifert und sich als „einen Großteil der Bevölkerung“ sieht – unbezahlbar!“ Ein in „D. weltbekannter Star“ ist sowas wie „Die bäste Bänd där Wält aus Bärlin (aus Bärlin)“, oder?
    Dass die Aussage so oder so Quatsch war, ist meinerseits unstrittig.

    Aber vom Grundsatz her: es gibt Fälle von ansonsten eher bis deutlich links positionierten Menschen, die antisemitisch reden und vor allem handeln, insofern gibt es Antisemiten, die keine Nazis sind.

  16. @Florian Blechschmied:
    „Wer als linker oder rechter Antisemit gebrandmarkt ist, wird in den öffentlich-rechtlichen und seriösen privaten Medien nicht mehr zu Wort kommen. Nicht immer gelingt dies. “

    Opfererzählungen, gekonnt nebulös und
    „as Strohmannig, as Strohmann can be“.
    Selbst bei „manchmal gelingt dies“ müsste ich nach Beispielen erst noch suchen und bin mir nicht sicher, ob das gelänge.

    Herr Blechschmied, wir sind uns schon einig, dass es hier nicht darum geht, dass jemand versucht hat, Nuhr ins Medienaus zu katapultieren, sondern darum, jede Kritik an Nuhr als Nazikeule zu diffarmieren?
    https://twitter.com/TDittkuhn/status/1591915158091485185?s=20&t=AeKtkdon2NMM44kM5n35ng

    Wieder einmal sind die Behauptungen, es würde die Nazikeule gegen jemanden geschwungen, einige tausend mal häufiger zu finden, als die Behauptung, Nuhr sei ein Nazi.

    Und auch die Behauptung, durch versuchte Verunglimpfung als Antisemit würde irgendwer ( wer jetzt eigentlich, die „machtvolle kleine Elite“?) versuchen jemanden aus den Medien zu drängen …?
    Muss ja mächtig blöd sein, diese Elite, so etwas gerade hier versuchen, bei den vielen Erfolg versprechenden Präzedenzen.

    Hilfskonstrukte „rechte-“ oder „linke Eliten“ ändern eigentlich gar nichts am intellektuell unterversorgten Charakter dieser Art zu erklären.
    Aber bei der Gelegenheit mal grundsätzlich:
    Weder Wagenknecht noch Augstein taugen zuverlässig aktuelles Linkssein zu definieren. So wenig wie Schwarzer den aktuellen Feminismus repräsentiert oder Gauland den aktuellen Konservativismus. Es tut mir leid, aber die Realität scheint uns einfach nicht den Gefallen tun zu wollen, in schlichte Schemata zu passen.

  17. Wenn ich Herrn Blechschmied richtig verstanden habe, ist es eine gute Sache, dass antisemitische Codes und Erzählungen weiterhin gebraucht werden und das wahre Problem sind auch nicht diejenigen, die sie nutzen, sondern diejenigen, die deren Nutzung kritisieren. Interessanter Standpunkt.

  18. Ist Nuhr ein Nazi? Offensichtlich nicht. Ist Nuhr ein Antisemit? Eigentlich nicht. Verbreitet er antisemitische Klischees? Hm. Wohl nicht bewusst. Aber unbewusst, denn er spricht von „Elite“. Er müsste wissen, dass das ein antisemitischer Code ist. Damit macht er sich genauso schuldig wie einer, der das absichtlich tut. Wer antisemitische Codes verbreitet, ist ein Antisemit. Nazis sind Antisemiten. Also ist Nuhr ein Nazi. Ist Nuhr ein Nazi? Und so weiter und so fort.

  19. Das Problem wird doch von vielen Befürwortern israelischen Politik mitgeschaffen. Sie differenzieren gezielt nicht zwischen Staatskritik und Antisemitismus um sich politisch du schützen. Die Kritik an dem (menschverachtenden) Verhalten Israels, ist eben nicht mit Kritik am Judentum oder Absprache von israelischem Existenzrecht gleichzusetzen. Wenn man differenzierte Kritik so unterbindet, wird sie indirekt geäußert – das wiederum als Antisemitismus hinzustellen wird dann schwierig, wenn man diese Verhalten selbst mit verstärkt.

  20. Jeder kann ohne Probleme in Twitter, mit Google oder mit einem Tool wie Talkwalker überprüfen, wie oft was genau behauptet wurde und es steht mal wieder fest:
    Die gesamte Nazi-Kampagne wurde begonnen, als rechts-libertäres Rumgeopfer, es wurde am Kochen gehalten durch rechts-libertäres Rumgeopfer und Typen wie Poschardt entblödeten sich nicht im geringsten, die ganze Geschichte auch noch lächerlich zu übertreiben:
    „…beweist vor allem brutalität und gnadenlosigkeit dieses milieus.“

    Es ging immer noch darum, dass jemand darauf hinwies, dass Schröder und Nuhr antisemitische Codes benutzt haben, was wirklich niemand abstreiten kann.
    Und dann läßt Poschardt seine Dobler Nachfolgerin von der Kette, die dann das tut, wozu sie ja schliesslich angeheuert wurde:
    Einen noch riesigeren Strohmann anzuzünden, als schon der Chef selber. Wie hatten die Nazikeule noch gar nicht. Und erst daraufhin gingen die Hashtags #Nuhr und #Nazi in der Nacht vom 13. auf den 14.11. steil.
    Antiwoke labert Stuss und bedient antisemitische Klischees, aber anstatt das zu korrigieren, basteln wir eine Wokisten Kampagne daraus, indem wir die Deppen zu Opfern machen.

    Ich finde es ja gar nicht so schlimm, dass immer dieselben Verdächtigen so einen Müll verzapfen. Aber dass man für so dumm gehalten wird, den Scheiss zu schlucken, das ist schon erniedrigend.

  21. Bei dem öffentlichen Streit zwischen dem linken und dem rechten Milieu in Deutschland geht es gar nicht um Juden oder Judenfeindschaft. Es geht um die Diskurshoheit. Also kritisieren die Linken die Rechten und die Rechten die Linken. Dabei geht es auf beiden Seiten nicht immer fair und sachlich zu. So werden Klimakleber in die Nähe der RAF gerückt. Oder linker oder rechter Antisemitismus beklagt. Wer aber in Deutschland als Antisemit gilt, ist vom öffentlichen Diskurs ausgeschlossen. Die des linken Antisemitismus Beschuldigten sagen, sie seien keine Antisemiten, denn sie kritisierten nur den Staat Israel, nicht aber die Juden als solche. Bei den Rechten, die sich vorgeblich antisemitisch äußern, gibt es tatsächlich echte Antisemiten. Es gibt aber auch den Vorwurf des Antisemitismus, wo es sich lediglich um sachliche oder unsachliche Kritik von Rechten an Linken handelt. Wenn Konservative oder Liberale die deutsche linksgrüne Intelligenz der Dummheit bezichtigen, so mag das richtig oder falsch sein. Es hat aber nichts mit dem Judentum zu tun.

  22. @Florian Blechschmied
    Oh man.
    „Wer aber in Deutschland als Antisemit gilt, ist vom öffentlichen Diskurs ausgeschlossen.“
    Wird ja nicht besser. Also war Günther Grass zuletzt- und ist Augstein jetzt-, „vom Diskurs ausgeschlossen“?
    Was heisst denn dieses ominöse „wer […] in Deutschland als Antisemit gilt“?
    Reicht es, dass das Simon Wiesenthal Zentrum das sagt, oder muss es eine gemeinsame Erklärung des deutschen Bundestages sein?

    Sie wollen auf Biegen und Brechen die moral panic Cancel Culture nachweisen, egal wie sehr da gezerrt und gebogen werden muss, an den Fakten.

    Denn machen se mal. Da kann man nix tun.

  23. @Florian Blechschmied:
    Vielleicht noch das eine: Die Veranstaltung, auf der die Sätze gefallen sind, ist dem WELT Chef und der Blase um Friedrich Merz ganz sicher ein Anliegen. Handelt es sich um ein Anchor Ereignis einer ganzen Kampagne, böse Zungen behaupten nach MAGA/Trump Vorbild.
    Anti-Woke als Revolution ( angeblich von unten, will irgendwie nur mit den Protagonisten so gar nicht matchen ) des armen, intellektuell geknechteten Volkes. Und dann wird ausgerechnet Dieter Nuhr auch noch Zielscheibe der Kritik, Nu(h)r weil er mal wieder nebenbei unterkomplexen Blödsinn abgelassen hat.
    Dieter Nuhr ist ja sowas wie das beste Pferd im Stall der Anti-Wokisten:
    Er hat sich eine „Mega“ Reichweite zusammengecancelt und sogar einen eigenen Slot im ÖRR.
    Nun glaubt Herr Blechschmid hier anscheinend, jemand versuche ernsthaft Herrn Nuhr über die Antisemitismus Karte mundtot zu machen?! What? Ernsthaft, so funktioniert das?
    Ehrlich? I don’t think so.

    Dieter wird präventiv freigeblockt. Kritik an ihm unsachgemäß auf die emotionale Nazikeulenschiene gelenkt, so daß mensch nicht antworten muss. Fall erledigt.

    Auf der Strecke? Die Intelligenz. Aber das ist man bei Poschards eilfertigen Kampagnenschreiber:innen ja gewöhnt.

  24. Der Kommentar und viele Beiträge hier lassen mich ratlos zurück.

    Der Fehler, den Anna Schneider (wohl bewusst) begeht, ist, dass sie das Ganze mit einer Teilmenge vertauscht – also falsch „Jeder Antisemit ist ein Nazi“ statt korrekt „Es gibt Antisemiten, die Nazis sind“ oder auch „Jeder Nazi ist ein Antisemit“ annimmt. Dieser Kommentar tut aber genau das gleiche, er skandiert (vereinfacht) „Jede Eliten-Kritik kodiert (unterschwellig/unbewusst/tatsächlich) Antisemitismus“ statt korrekt „Es gibt Eliten-Kritik, die Antisemitismus kodiert“. Es braucht also ein wenig mehr als die Nutzung eines Trigger-Worts, um mit diesen Vorwurf arbeiten zu können — und hier haben weder Schröder noch Nuhr irgendwelche Anhaltspunkte geliefert.

    Ganz im Gegenteil hat der Kontext die gemeinte Elite sogar genau definiert: nämlich die akademische Elite. Kann man Quatsch finden oder nicht, aber ein Antisemitismus-Vorwurf ist da eine bösartige Verzerrung.

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