Studie zur Ukraine-Berichterstattung

Leitmedien berichteten weder durchgehend einheitlich noch regierungsfreundlich

Richard David Precht und Harald Welzer beim Büchertalk Die 30-Minuten-WG von Stern und Penguin Random House auf der 74. Frankfurter Buchmesse 2022 in der Messe Frankfurt. Frankfurt am Main, 20.10.2022
Richard David Precht und Harald Welzer auf der Frankfurter Buchmesse 2022. Foto: IMAGO / Future Image

Als Anfang Oktober „Die Vierte Gewalt“ von Richard David Precht und Harald Welzer erschien, war die mediale Aufregung groß: Die beiden prominenten Autoren beschuldigten die deutschen Leitmedien vom Ukraine-Krieg ein uniformes, einseitiges und gefährliches Bild zu zeichnen. Eines, das ausschließlich die ukrainische Perspektive einnehme, im Widerspruch zur Mehrheitsmeinung der Deutschen stehe und zudem die Gefahr eines Atomkriegs systematisch herunterspiele. Medien- und Regierungsvertreter:innen agierten zum einen in einmütiger Verdammung aller anderen Positionen – und darüber hinaus dränge der Journalismus in Verkennung seiner Rolle die Regierung mit unerträglichem Aktivismus zu immer gefährlicheren Maßnahmen, vor allem zur Lieferung schwerer Waffen. So der Vorwurf von Precht und Welzer.

Über diese beiden inhaltlich etwas widersprüchlichen Hauptthesen wurde breit diskutiert, unter anderem in der ZDF-Sendung von Markus Lanz, auch Übermedien berichtete mehrfach. Die Debatte soll hier nicht erneut aufgerollt werden, es geht allerdings um ein viel beachtetes Detail: Wenn Precht und Welzer darauf angesprochen wurden, dass ihre Thesen ohne jede Empirie auskämen, wie es etwa der „Welt“-Journalist Robin Alexander und seine „Spiegel“-Kollegin Melanie Amann bei Lanz taten, verwiesen die Autoren stets darauf, eine entsprechende Studie sei in Arbeit und werde demnächst publiziert.

Nun liegt eben diese Studie als Zwischenbericht vor: Der Mainzer Kommunikationswissenschaftler Marcus Maurer hat zusammen mit Pablo Jost, Jörg Haßler (LMU München) und einem Team von Auswerter:innen rund 4.300 Beiträge aus deutschen Leitmedien einer quantitativen Inhaltsanalyse unterzogen. Ausgewertet wurden die „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, die „Süddeutsche Zeitung“, „Bild“, „Spiegel“, „Zeit“ sowie die Hauptnachrichtensendungen der Tagesschau um 20 Uhr, ZDF heute und RTL Aktuell. Es handelt sich also um ein umfassendes Bild der Berichterstattung über den Ukraine-Krieg, zwischen dem Kriegsbeginn am 24. Februar und dem 31. Mai 2022.

Studienergebnisse widersprechen Precht und Welzer

Die Ergebnisse bestätigen Prechts und Welzers Thesen in zentralen Punkten nicht. Die beiden hatten behauptet, die deutschen Leitmedien hätten mehr oder weniger unisono die Perspektive der Ukraine übernommen. Die Studie zeigt aber: Das Kriegsgeschehen selbst, seine „Ursachen, Entwicklungen und möglichen Maßnahmen zur Beendigung des Krieges“ seien „überwiegend aus der Perspektive Deutschlands dargestellt“ worden.

Die deutsche Berichterstattung war der Studie zufolge „von politischen Akteuren und dabei insbesondere von der deutschen Politik dominiert. Dabei waren Regierungsakteure etwa viermal präsenter als Oppositionsakteure.“

Was die Bewertung der Regierung angeht, zeigen sich deutliche Unterschiede: Während die Bundesminister der Grünen sehr (Außenministerin Annalena Baerbock) beziehungsweise eher positiv (Wirtschaftsminister Robert Habeck) wahrgenommen worden seien, wären Bundeskanzler Olaf Scholz und Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) überhaupt nicht gut weggekommen. Die Bewertung von Kanzler Scholz habe darüber hinaus stark geschwankt und sich auch zwischen verschiedenen Medien unterschieden, „wobei Scholz vor allem in Bild und Spiegel außerordentlich negativ bewertet wurde“, so die Studie.

Um zu diesem Ergebnis zu gelangen, codiert die Studie die Bewertung der jeweiligen Akteurinnen und Akteure in den Artikeln auf einer fünfstufigen Skala, die von „eindeutig positiv“ bis „eindeutig negativ“ reicht. Ergebnis: Sowohl Scholz als auch die Bundesregierung seien „überwiegend negativ bewertet“ worden, gleiches habe für Lambrecht gegolten, während Oppositionsführer Friedrich Merz (CDU) „weitgehend ausgeglichen bewertet“ worden sei.

Bewertung der wichtigsten Konfliktakteure
Grafik: „Die Qualität der Medienberichterstattung über den Ukraine-Krieg“

Der gefühlte Befund von Precht und Welzer steht dazu in völligem Kontrast, etwa wenn sie schreiben:

„Nicht nur die politische Klasse hatte sich parteiübergreifend (außer Linke und AfD) auf eine einheitliche Erzählung über den Ukraine-Krieg und die Strategie zu seiner politischen Bearbeitung verständigt. Auch die mediale Deutungselite teilte so gut wie geschlossen die gleiche Interpretation und befürwortete fast unisono dieselben Mittel.“

In der Studie lautet das Fazit dagegen:

„Insgesamt zeigt sich nicht, dass die von uns untersuchten Medien gegenüber der Bundesregierung insgesamt besonders kritiklos waren. Vielmehr bewerteten sie nur die grünen Minister Baerbock und Habeck deutlich positiv, während sie die übrigen Regierungsmitglieder überwiegend kritisierten.“

Bei Waffenlieferungen überraschende Einigkeit

Die Studie bestätigt dagegen zumindest in Teilen einen Vorwurf von Precht und Welzer: In der Frage der Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine hätten die Medien die Regierung mehr oder weniger ausnahmslos vor sich hergetrieben. Auch die Wissenschaftler kommen zu dem Ergebnis, „dass die Lieferung schwerer Waffen von allen untersuchten Medien mit Ausnahme des Spiegel deutlich überwiegend befürwortet wurde.“ Diese Ausnahme allerdings sei bemerkenswert, denn im „Spiegel“ hätten sich „ablehnende und befürwortende Beiträge in etwa die Waage“ gehalten.

Deutlich unterschiedlicher seien die Urteile über diplomatische Maßnahmen ausgefallen: „Diese wurden vom Spiegel mit Abstand als am sinnvollsten bewertet, womit der Spiegel auch das einzige der untersuchten Medien war, das diplomatische Verhandlungen positiver bewertete als die Lieferung schwerer Waffen.“ Bei anderen Themen war die Einheitlichkeit also weit geringer.

Explizit analysiert die Studie neben der Berichterstattung über die Lieferung schwerer Waffen die über die militärische Unterstützung der Ukraine allgemein, über Wirtschaftssanktionen gegen Russland, diplomatische Maßnahmen und die humanitäre Unterstützung der Ukraine. Dabei wurden neben den Waffenlieferungen auch humanitäre Maßnahmen und wirtschaftliche Sanktionen als „mehrheitlich sinnvoll eingeschätzt“, so die Studie, „wobei die Urteile im Spiegel und in der Zeit etwas weniger eindeutig ausfielen als in den übrigen Medien“.

Bewertung der Maßnahmen im Medienvergleich
Grafik: „Die Qualität der Medienberichterstattung über den Ukraine-Krieg“

Weder einheitlich noch regierungsfreundlich

Am Ende ihres Zwischenberichts schreiben die Autoren, ihr Fazit falle „durchaus differenziert“ aus:

„In einigen Fällen haben die von uns untersuchten Medien tatsächlich sehr einheitlich über den Krieg berichtet. Das betrifft insbesondere die Zuschreibung der Kriegsverantwortung an Russland und die Bewertung der beiden Kriegsparteien. Dieses Berichterstattungsmuster ist aber wenig verwunderlich, weil Russland – bei allem möglichen Verständnis für eine dort vielleicht als bedrohlich wahrgenommene Ost-Erweiterung der NATO – einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen die Ukraine führt, der wenig Spielraum für andere Bewertungen lässt.“

In der Frage der „Bewertung der unterschiedlichen Maßnahmen zur Beendigung des Krieges“, insbesondere der „Lieferung schwerer Waffen“ sei das Urteil dagegen „weniger trivial“ zu fällen: „Warum sich die meisten der hier untersuchten Medien in diesem Fall so deutlich für eine militärische Unterstützung der Ukraine ausgesprochen haben, ist eine sehr wichtige Frage, die wir mit unseren Inhaltsanalyse-Daten aber nicht klären können“, so die Autoren.

Die überwiegend gegenteilige Haltung des „Spiegel“ in dieser Frage sei aber „umso bemerkenswerter“. Und sie stützt eben nicht Precht und Welzers These vom „Cursorjournalismus“, der eine „Selbstangleichung“ vollzogen habe – und nur noch darauf schiele, welche Meinung andere Journalist:innen hätten, um sich dieser anzugleichen.

Im Gegenteil, das Fazit der Studie wirkt wie eine direkte Erwiderung auf derartige Thesen:

„Schließlich fiel die Medienberichterstattung in einigen Fällen auch gar nicht einheitlich und schon gar nicht regierungsfreundlich aus. Kanzler Scholz wurde zwar zunächst für seine Entscheidungsfreudigkeit gelobt, dann aber als Zauderer kritisiert, weil er mit der Lieferung schwerer Waffen und einem Besuch in der Ukraine abwartete. […] Alles in allem deutet aber vieles darauf hin, dass die Medienberichterstattung – ähnlich wie in der Corona-Pandemie – nicht regierungsnah war, sondern die Regierung eher für ihre zögerliche Haltung kritisierte.“

Es ist jedoch vorerst nicht zu erwarten, dass diese Ergebnisse Precht und Welzer oder ihre Fans beeindrucken werden. Die beiden dürften die Studie – besonders im Hinblick auf die Waffenlieferungen – eher als Bestätigung ihrer Position werten, wie sie auch schon die vorhergehenden Mainzer Studien zur Berichterstattung über die Flüchtlingskrise und die Corona-Pandemie in ihrem Sinne verwerteten. Wer sich die Ergebnisse des Zwischenberichts allerdings im Detail anschaut, wird diese nur schwerlich mit den Thesen der „Vierten Gewalt“ in Einklang bringen können.

8 Kommentare

  1. Was zu erwarten war.

    Wird Precht/Welzer aber nicht interessieren, die Kohle ist ja schon in deren Tasche. Fakten sind da doch komplett irrelevant.

  2. Danke für dieses Follow-Up.
    Und ich gebe #1 recht, die Bücher sind verkauft, nächstes schreiben! Nach hinten gucken hindert nur das Geldverdienen.

  3. Die einzige Erklärung wird natürlich sein, dass die in der Gleichschaltungsstelle eine Zeitung auswürfeln, die mal was anderes schreibt, damit das nicht auffällt, und dieses Mal fiel das Los auf den Spiegel.
    Verschwörungstheoretiker gonna Verschwörungtheorie, wie der Lateiner sagt.

  4. so langsam finde ich, wird es lustig.

    wenn ich den bericht hier richtig verstehe, dann muss man zwei dinge unterscheiden bei dem vorwurf von precht & welzer:

    1. unterstützung der regierung

    2. unterstützung der grünen

    die studie hat doch, laut diesem artikel, gezeigt, dass es keine unterstützung des regierungskurses gab, wohl aber des kurses den grüne forderten.

    das heißt aber nichts anderes, als das precht und welzer, wenn diese behaupteten, die mainstreammedien hätten den regierungskurs unterstützt, EIGENTLICH meinen, die mainstreammedien hätten den grünen kurs gestützt.

    nur waren die beiden zu feige, dies so offen zu sagen. weil es halt die olle kamelle ist von, der mainstream sei links-grün-versifft.

    beide, precht & welzer, sind offen aufgetreten gegen den kurs, den auf der anderen seite die grünen(wähler:innen) vertraten.

    damit konnten sie sich nicht durchsetzen, trotz dauerpräsenz in den ach so bösen mainstreammedien.

    dann machen sie daraus eine generalkritik an diesen medien. die sich nun offensichtlich doch nicht halten läßt.

    tatsächlich also haben die beiden probleme mit den grünen positionen. hinsichtlich ukraine, klima & gender, ernährung und ökologie. wird kommen…die waren hier nur zu feige, den gegner direkt zu benennen…

  5. Die Erfahrung »weder durchgehend einheitlich noch regierungsfreundlich« machte dieses Jahr jeder Otto Normalleser, der sich ein paar Lesezeichen zu den großen überregionalen Zeitungen in den Browser legte und diese täglich kurz abklapperte. Aber warum sollten sich Geistesgrößen wie Precht und Welzer in die Niederungen des Pragmatismus begeben. Das wäre viel zu einfach.

  6. @das ich
    „die studie hat doch, laut diesem artikel, gezeigt, dass es keine unterstützung des regierungskurses gab, wohl aber des kurses den grüne forderten.“

    so wie ich die Studie verstanden habe wird nur die Berichterstattung über die Akteure bewertet und nicht deren Kurs.
    „Vielmehr bewerteten sie nur die grünen Minister Baerbock und Habeck (19%) deutlich positiv, während sie die übrigen Regierungsmitglieder überwiegend kritisierten.“ (Die Qualität der Medienberichterstattung über den Ukraine-Krieg, S.:6).
    Dies bedeutet jedoch nicht zwangsläufig, dass deren Kurs bzw. Forderungen deutlich postiv bewertet wurden. Es kann ebenfalls bedeuten, dass z.B. die Art und Weise wie jmd auftritt positiv bewertet wird.

  7. Ich bin nicht sicher, ob die Studie selbst nicht gerne auch ein bisschen im Populismus abfischt? Nur anhand der hier vorgestellten Daten empfinde ich das interessant, aber nicht den eigentlich Kern der Sache treffend. Es wird ja nur das ausgewertet, WAS geschrieben wurde, nicht das, WAS NICHT diskutiert wurde.
    Ganz zu Beginn der Invasion gab es vorsichtige Stimmen, die z.B. eine Kapitulation der Ukraine und passiven Widerstand befürworteten, eine Neutralität der BRD, oder auf dem anderen Spektrum eine direkte militärische Interaktion, digitale Angriffe etc.
    Ich glaube, wer heute noch eine Kapitulation vorschlägt, um ein paar Zehntausend Menschenleben oder mehr zu retten, wird direkt ausgeliefert…

Einen Kommentar schreiben

Mit dem Absenden stimmen Sie zu, dass Ihre Angaben gemäß unseren Datenschutzhinweisen gespeichert werden. Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.