Die Kolumne
Podcasts haben es verdient, wie andere Medien besprochen, gelobt und kritisiert zu werden. Alle zwei Wochen machen das Larissa Vassilian und Sandro Schroeder hier abwechselnd: in der Podcast-Kritik.
Foto: Mathias Vietmeier
Eines der ältesten Podcast-Genres überhaupt ist der Labercast. Ein oder zwei, manchmal drei oder vier Menschen schalten das Mikrofon ein – und reden drauflos. Meist ohne Skript und große Vorbereitung. Dieses natürlich, spontan und damit ehrlich wirkende Gequatsche war es auch, weshalb ich mich früh für Podcasts begeistern konnte; eben weil es sich so deutlich vom klassischen Radio abhob.
Mittlerweile sind Podcastformate durchprofessionalisiert und werden stark vermarktet, darunter auch einige Labercasts. Schnell wurde der Branche nämlich klar, dass es vor allem gut funktioniert, zwei Menschen mit großen Namen für solch ein Format zusammenzustecken. „Lanz & Precht“ oder „Bauerfeind + Kuttner“ machen es erfolgreich vor. Und was sich gut verkauft, wird eben kopiert.
Podcasts haben es verdient, wie andere Medien besprochen, gelobt und kritisiert zu werden. Alle zwei Wochen machen das Larissa Vassilian und Sandro Schroeder hier abwechselnd: in der Podcast-Kritik.
Foto: Mathias Vietmeier
Eine gute Nachricht ist, dass es immer noch so ein Mittelding zwischen dem ursprünglich authentischen Gequatsche und den mitunter steril wirkenden Promi-Labercats gibt: Professionell aber herzlich, mit Recherchehintergrund und doch frei von der Leber weg.
Diesen Spagat schaffen Franziska Böhler und Daniel Bröckerhoff mit ihrem Podcast „Böhler & Bröckerhoff“. Böhler wurde als „Stimme der Pflege“ in Deutschland bekannt, sie arbeitete viele Jahre als Intensiv-Pflegerin im Krankenhaus und machte immer wieder in den Medien auf die Missstände in ihrem Beruf aufmerksam. Bröckerhoff ist Journalist und arbeitet als Nachrichtenmann beim NDR. Im Mai 2022 legten sie mit ihrem gemeinsamen Podcast los, schalten sich seither wöchentlich zusammen und allein das ist schon ein Wunder, wenn man ein wenig darüber weiß, welche Leben die beiden führen.
Denn Bröckerhoff hat zwei kleine Kinder – eines mit einer Muskelschwäche, das andere mit Autismus und dadurch in Pflegestufe 5. Dazu die Arbeit als Journalist. Auf Instagram zeigt sich Bröckerhoff schon lange sehr offen in den Storys als oft überforderter, gestresster, vom Gesundheitssystem alleingelassener Familienvater. Und auch in einer der ersten Podcast-Folgen ist zu hören, wie eines seiner Kinder an die Tür hämmert und unbedingt reingelassen werden möchte. Auch Böhler hat zwei Kinder. Sie ist mittlerweile Influencerin, ihr Instagram-Account hat rund 270.000 Follower.
Selten habe ich mich einem Duo so schnell so nahe gefühlt wie Böhler und Bröckerhoff in den Podcast-Folgen, die seit Mai entstanden sind. Beide geben viel von sich preis, sind oft schonungslos ehrlich und versuchen nicht, sich selber im besten Licht dastehen zu lassen. Eine Leistung, die ich bewundere: Schwäche und Imperfektion zu zeigen in einer Zeit der Sternchenbewertungen allerorten.
Auch die Mischung der Themen begeistert mich. „Schämst Du Dich für Deinen Körper“ stand genauso auf auf dem Programm wie „Warum sind Journalisten so, Herr Bröckerhoff?“, „Muss ich Angst vor’m Sterben haben, Frau Böhler“ oder aber auch „Bereust Du es, Kinder bekommen zu haben?“. Themen, die offenbar aus echtem Interesse und Neugier entstehen, und mit der nötigen Plauderbereitschaft und mit Freude daran, Menschen aufzuklären, besprochen werden.
Besonders stark finde ich die Episode, in der es um den Berufsalltag im Journalismus geht. Böhler hat da einige Fragen, Bröckerhoff, der Journalist, die Antworten. So erfährt man, dass die meisten Journalist:innen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk eben nicht fest angestellt sind und viele Menschen eine falsche Vorstellung von Bezahlung und Sicherheit in diesem System haben. Bröckerhoff erzählt auch, wie viele Menschen mitentscheiden und daran mitarbeiten, wenn ein Fernsehbeitrag entsteht und eben auch, wie schwer es ist, diesen Beruf mit der Familie unter einen Hut zu bekommen.
Ein Pendant dazu ist die Episode über das Sterben. Hier ist Franziska Böhler die Expertin, schließlich war sie lange Jahre ganz nah dran im Krankenhaus und vor allem auf der Intensivstation, und daher darf der mitunter erstaunte Daniel Bröckerhoff ihr alle Fragen dazu stellen, die man ja sonst niemandem stellen kann. Etwa, wie Tote aussehen, wie das Sterben selbst vonstatten geht und ob wir Angst davor haben sollten.
Natürlich gibt es auch andere, harmloser wirkende Themen. Etwa, wenn es darum geht, ob Campingplätze schrecklich sind oder nicht. Oder: ob man seine Kinder im Internet zeigen sollte.
Auch hier zeigt sich eine Stärke des Duos Böhler und Bröckerhoff: Beide machen sich über die Frage große Gedanken, kommen zu unterschiedlichen Ergebnissen und bleiben dennoch offen für die Standpunkte des jeweils anderen.
Franziska Böhler zeigt ihre Kinder seit Jahren nicht mehr auf Instagram. Sie habe zu viel Angst um ihre Kinder, weil sie selbst so viel Hass in den sozialen Netzwerken abbekommen hat.
Bröckerhoff dagegen sieht ein Dilemma: er möchte zeigen, wie es ist, Kinder mit Behinderung zu haben und sagt „wie schön das auch ist, also diese ganzen Berührungsängste mit dem Thema Autismus aufzuklären“. Gleichzeitig zeige auch er die Gesichter seiner Kinder nicht.
Bröckerhoff: „Ich hab tatsächlich eher diese Frage, ist es cool für meine Kinder später, wenn sie das im Netz finden. Und auch (…) gibt es tatsächlich ja viele Leute, die gezielt solche Bilder suchen, um sich darauf…“
Böhler: „…um sich einen runterzuholen.“
Bröckerhoff: „Das hast Du jetzt gesagt.“
Böhler: „Ist so.“
Bröckerhoff: „Ich wollte es umschreiben.“
Böhler: „Ich war schneller.“
Ein Dialogfetzen, der zeigt, wie die beiden miteinander umgehen: Böhler nimmt kein Blatt vor den Mund. Bei Bröckerhoff dagegen kommt oft der ausgewogene Journalist durch. Den entwaffnet Böhler aber durch ihre direkte, schnodderige und schonungslose Art schnell und lockt ihren Labercast-Partner so aus der Reserve.
Man hat in solchen Momenten das Gefühl, dass sich die beiden immer wieder gegenseitig (oder auch sich selbst) überraschen, mit dem, das sie da eben von sich gegeben haben. Zwei Menschen, die sich interessant finden, aber nicht in- und auswendig kennen. Diese Gespräche anzuhören ist sehr reizvoll. Bleibt nur zu hoffen, dass Böhler und Bröckerhoff weiterhin Themen finden, die ihre ehrliche Neugier freilegen – und dann einfach drauflosquatschen.
Podcast : „Böhler & Bröckerhoff“ von Daniel Bröckerhoff und Franziska Böhler
Episodenlänge: ca. 55 Minuten
Offizieller Claim: Lass uns drüber reden
Inoffizieller Claim: Starke Realistin trifft auf neugierigen Optimisten
Wer diesen Podcast mag, hört auch: „Bauerfeind + Kuttner“ und „Betreutes Fühlen“
Klingt nach einem netten Podcast mit sympathischen Menschen. Die sind in meinen Augen ja leider rar geworden. Der Text geht ja kurz auf die Gründe ein (mehr oder weniger bekannte Personen unterhalten sich über irgendwas – und fühlen sich in diesem Mittelpunkt viel zu wohl und glauben viel zu sehr, dass auch banaler Quatsch aus ihrem Munde für andere interessant ist. Furchtbar, weshalb ich Podcasts meide, die eine/n bekannte/n Moderator/in haben).
Ich werde mal reinhören. Danke für den Tipp.