Info-Offensive

Die hemdsärmliche neue Nachrichten-„Primetime“ von RTL

RTL-Nachrichtenmoderator*innen sprechen über Nachrichten Screenshot: RTL

„Die Primetime beginnt bei RTL demnächst schon um 16:45 Uhr.“ Mit diesem Teaser fütterte der Sender im April das hungrige Fernsehpublikum an. Wer aber daraufhin plante, es sich fortan schon um kurz vor fünf mit einer Tüte Popcorn auf der Couch bei einem Blockbuster gemütlich zu machen, lag falsch: „RTL baut sein Newsangebot weiter konsequent aus und bringt demnächst eine zweite Ausgabe von ‚RTL Aktuell‘ an den Start.“

Also kein Popcorn. Aber dafür extra viele, extra frühe, extra konsequent ausgebaute Information!

Glaubt man den vielen Ankündigungen, die RTL über die vergangenen Monate gebracht hat, ist der Sender auf dem Weg, ein einziges Informationsprogramm zu werden. Einer der wichtigsten Bausteine dafür soll eine Sendung namens „RTL direkt“ werden, die in Konkurrenz zu den „Tagesthemen“ läuft und von Pinar Atalay und Jan Hofer moderiert wird.

Die beginnt erst nächste Woche. Aber tagsüber werden jetzt schon größere Teile des Programms mit irgendwie Informativem austapeziert. Das soll auch gegen die schlechten Zuschauerzahlen helfen.

Erst Ende vergangenen Jahres war das Nachmittagsprogramm bei RTL umgekrempelt worden. Doch sogenannte „Doku-Fiction“-Formate wie „110 – Echte Fälle der Polizei“ oder „Tatort Deutschland – Aus den Akten der Justiz“ hatten schlechte Quoten, auch der Ersatz „Im Einsatz – Jede Sekunde zählt“ funktionierte nicht, verschiedene Haustiersendungen brachten ebenfalls keinen Erfolg.

Stattdessen gibt es nun also extended versions der etablierten, im weitesten Sinne informativen Formate. Das Mittagsjournal „Punkt 12“ ist seit einiger Zeit statt zwei satte drei Stunden lang. Seit vergangener Woche läuft um 16:45 Uhr die neue Nachmittags-Ausgabe „RTL aktuell“, gefolgt von einer halben Stunde „Explosiv Stories“. Nach einer kurzen Seifenoper-Unterbrechung kommt die „Explosiv Stories“-Mutter „Explosiv“, dann der „Explosiv“-Ableger „Exclusiv“, schließlich um 18:45 Uhr die zweite Charge „RTL aktuell“.

Ich habe mir eine Woche angesehen, um schon mal vorab ein Gefühl dafür zu bekommen, wie informativ das RTL-Programm werden könnte, wenn der Sender seine Informationsoffensive weiter so durchzieht.

Süßes breit gekaut

„Punkt 12“ hat sich thematisch nicht verändert. Zwischen Tipps und Tricks zum Sparen werden die Instagram-Posts der Stars und Sternchen interpretiert. Danach erfahren wir, dass Gewürze jedes Gericht aufpeppen und Cellulite haben okay ist.

Was nicht okay ist, sind verpfuschte Schönheits-OPs. Die sind „Punkt 12“ eine „Wochenstory“ wert. Jeden Tag erfahren wir, warum das Gesicht einer Frau hängt, die Nasenflügel der anderen an der Nasenscheidewand kleben und der Chirurg ihre letzte Hoffnung ist.

Das ist schlimm für die Betroffenen. Wie schlimm, erklärt RTL jeden Tag aufs Neue. Denn jeden Tag fasst der Sender die Geschehnisse des Vortages zusammen und ergänzt sie um eine weitere Anästhesie. Das ganze Material würde in fünf Minuten passen. Doch drei Stunden Sendezeit müssen gefüllt werden. Deshalb werden fünf Minuten Doku-Material jeden Tag auf volle zehn Minuten gestreckt.

Dieses Strecken von sehr wenig Material hat Methode. Egal ob Eiswürfel-Tricks, die „Fotos richtig machen“-Serie oder das süße „Tinder für Tiere“: alles zieht sich wie Kaugummi. Wenn das besonders klebrig süß ist, wie die Tiervermittlung, bringt „Punkt 12“ es sogar zwei Mal in einer Sendung unter – einmal in einer Art „Tipps und Tricks“-Rubrik und einmal bei den „Meldungen des Tages“.

Ich möchte so gerne wissen, nach welchen Kriterien die Redakteur*innen die Beiträge auswählen. Wann lohnt es sich, Material gleich mehrmals zu verwursten? Welche Instagram-Story gibt genügend Stoff her, um ihr in einem Mittagsjournal den roten Teppich auszurollen? Auf jeden Fall eine, in der die Katze von Kate Beckinsale ein Yoda-Kostüm trägt, während ihre Besitzerin auf dem Zahnarztstuhl liegt. Dieser kurze, lang gemachte Clip hat sich bei mir eingebrannt. Vielleicht weil er auch zweimal ausgestrahlt wurde: einmal bei „Punkt 12“ und einmal bei „Explosiv Stories“.

Das passiert mit vielen „Punkt 12“-Beiträgen. Die „Explosiv Stories“ sind so ein Service für alle, die mittags noch nicht eingeschaltet haben. Oder die, die eingeschlafen sind. Oder für solche, die gerne mehrmals dieselbe Geschichte sehen. Wir schauen ja auch unsere Lieblingsfilme mehr als ein Mal.

Als kleines Gastspiel zwischen all den Informationsprogrammen laufen nach „Punkt 12“ die „Superhändler“. Was die da verloren haben, weiß ich nicht. Sie wirken wie ein Puzzlestück, das mit aller Kraft in den Nachmittag gepresst wurde, aber einfach nicht richtig passen will.

Der positive Effekt der schleppenden Dramaturgie: Wenn es endlich 16:45 Uhr ist, kann der Sender mit „RTL aktuell“ niveautechnisch nur punkten.

Dazu später mehr

Die 16:45-Uhr-Version von Peter Kloeppel Screenshots: RTL

Also: Primetime! Die bekannte Musik von „RTL aktuell“ wird eingespielt. Kamerafahrt ins Nachrichtenstudio – nein stopp! Es kommt nämlich nur eine winzigkurze Kamerafahrt ins Redaktions-Büro. Ins Hauptquartier von „RTL aktuell“. Hinter die Kulissen. Direkt ins journalistische Gewusel.

Oder, genauer, in einen Flur neben einem ziemlich leeren Großraumbüro mit Schreibtischen, ein paar Grünpflanzen und zwei Bildschirmen, die schräg ins Bild hängen. „Nachrichten sind Vertrauenssache und wir wollen transparent zeigen, wer unsere Journalisten sind und wie und wo sie arbeiten“, hat Nachrichten-Chefredakteur Gerhard Kohlenbach den Wechsel vom Studio in die Redaktion erklärt. Dafür sieht man erstaunlich wenig von ihnen.

Aber Peter Kloeppel steht da. Leger im Hemd und ohne Anzugjacke hinter einem Schreibtisch. „Willkommen zu RTL aktuell. Ihrem ersten Update des Tages. Alles für Sie, was jetzt gerade wichtig ist.“

Danach gibt es Infos aus Gerichtsprozessen, zur Hochwasserlage, zu Impf-Bratwürsten und den Bränden in Griechenland. Manchmal wird live zu Kolleg*innen vor Ort geschaltet. Die fassen dann das bereits Gesagte kurz zusammen. Ist das abgehandelt, folgt ein Test übers Einkaufen per App oder ein Bericht über alte japanische Damen, die Cheerleading für sich entdeckt haben. Zum Schluss das Wetter.

Wetter!

Diese 15 Minuten Informationsdarreichungen sind meist vor allem ein Vorgeschmack auf die 18:45-Uhr-Ausgabe von „RTL aktuell“. Ähnlich wie „Explosiv Stories“ nochmal zeigt, was bei „Punkt 12“ lief, läuft um 18:45 Uhr eine längere Version der Beiträge von 16:45 Uhr. Immer wieder heißt es in der Frühsendung: „Alles zu diesem Thema nachher bei ,RTL aktuell‘ um 18:45 Uhr“. Eigentlich hatte RTL eine „weitere, vollwertige Ausgabe unseres Nachrichten-Flaggschiffs“ angekündigt. An manchen Tagen wirkt es eher wie eine ausführliche Vorschau.

Besonders ausufernd: der Wetter-Bericht. Der nimmt von den 15 Minuten allein schon mehrere in Anspruch, dient aber auch als Teaser mit Cliffhanger für den Wetterbericht am Abend. „An der Ostsee trocken. In Bayern Schauer. Ob der Sommer noch zu uns kommt, dazu später mehr bei ‚RTL aktuell‘ um 18:45 Uhr. Nicht verpassen!“

Und schwupps – war es das auch schon. Wir sind wieder raus aus dem Büro, zurück in der Realität. Oder jedenfalls der Version, die wir bei „Explosiv Stories“ zu sehen bekommen. Da ist wieder die Nasenscheidewand von heute Mittag. Und die Instagram-Story mit der Yoda-Katze.

Es sind unwichtige Geschichtchen aneinandergereiht. Alles wirkt wie Laientheater. Es ist weder neu, noch anders, noch gut. Und durch ein dreistündiges „Punkt 12“ sehr redundant.

Verwirrende Redundanz

Wir nähern uns nun dem Höhepunkt. 18:45 Uhr. Wieder die Musik. Wieder Peter Kloeppel. Aber diesmal im Studio. Diesmal mit Anzugjacke. Und mit der gewohnten Anmoderation.

Hier hat sich eigentlich nichts verändert. Außer dass das Publikum nun schon weiß, was die wichtigsten Informationen des Tages sind. In den vergangenen zwei Stunden hat sich wohl einfach nicht viel getan. Die Berichte zu Griechenland und dem Prozess werden jetzt in voller Länge gezeigt. Viel mehr Informationsgehalt haben sie dadurch nicht. Aber es gibt noch Sport. Oh … Lionel Messi geht beim FC Barcelona. Unter Tränen. Auch diesen Clip habe ich schon einmal gesehen. War es bei „Explosiv“, „Exclusiv“ oder „Punkt 12“? Ich weiß es nicht mehr.

Das ganze angebliche „Primetime“-Programm von RTL am Nachmittag ist eher verwirrende Redundanz als offensive Information. Ich fühle mich auch nach einem zweiten „RTL aktuell“ nicht informierter, und nach dem dritten Clip eines witzigen Hundevideos aus dem Netz einfach sehr satt.

Ach, und bevor ich es vergesse: Nein! Nein, der Sommer kommt laut RTL dieses Jahr nicht mehr nach Deutschland.

8 Kommentare

  1. Schöner Text. Noch schöner, wenn sich die Autorin in einer Woche noch einmal meldet und erzählt, wie sich die Redundanz noch weiter steigern lässt, indem man während der Infopausen im RTL-Hauptprogramm zu ntv schaltet oder stern.de anklickt.

  2. Bin mir nicht sicher, ob das beschriebene Verhältnis der RTL-aktuell-Ausgaben wirklich so verschieden ist von sagen wir der 17-Uhr Ausgabe der Tagesschau zur 20-Uhr Ausgsbe der Tagesschau. Oder diese zu den Tagesthemen.

  3. Mich erinnern diese Wiederholschleifen sehr ans Radio. Da muss man sich gerade auf RTL-Sendern dann den ganzen Tag anhören, wie „J. aus B.“ sich über ne vom Sender bezahlte Rechnung freut. Und die Nachrichten alle 30-60 Minuten extrem redundant. (Wiederholung Comedy-Show auf NDR 2 und Hot Rotation der Musik andere Beispiele…)
    Vielleicht hofft RTL ja und möchte es gar nicht, dass sein Publikum nicht den ganzen Tag vorm Fernseher hockt :-)

  4. Der Text von Frau Menschner beruht auf guten Beobachtungen und hat schöne rhetorische Punchlines. Ingesamt wirkt der Text aber gleichwohl nicht souverän geschrieben, ja teilweise sprachlich etwas unbeholfen. Die einzelnen Sätze und Absätze gehören zwar durch einen roten Faden zusammen. Der Fluss und die erzählerische Verbindung fehlt leider teilweise. Es kann auch daran liegen, dass manche Sätze mich an einen — sorry — Schulaufsatz erinnerten. Ich habe den Text aber gerne und mit Gewinn gelesen. Nicht jede*r kann wie Frau El—Quassil oder Herr Niggemeier hier schreiben (ich sowieso nicht) und ich freue mich auf den nächsten Menschner—Text.

  5. Manchmal ist es doch einfach angenehm, dass man sich bestimmte Dinge nicht ansehen muss, bzw dass jemand anders dieses übernimmt und dann mit amüsanten Texten darüber berichtet.

    Danke dafür :-)

  6. @2 Die Tagesthemen sind schon anders als die Tagesschauen davor. Von der 17-Uhr- zur 20-Uhr-Tagesschau ändert sich schlicht nicht viel. Wieso sollte es auch. Wer mag, kann ja mal alle Tagesschauen eines Tages hintereinander schauen und so sehen, wie sich Nachrichten entwickeln, Schwerpunkte verschieben und sich der Schichtwechsel auswirkt ;) Ist bestimmt interessanter als 3 Stunden Punkt 12.

  7. Auch von mir: Vielen Dank, Frau Menschner, fürs Angucken der RTL-„Nachrichten“. Damit habe ich ein Gefühl dafür, was es da gibt, ohne mir den Quatsch selbst antun zu müssen.

  8. Die Wiederholung von Beitragsinhalten oder ganzen Beiträgen innerhalb einer Sendung ist ja kein RTL-Spezifikum. Das ist eine senderübergreifende Praxis dann, wenn Sendungen länger dauern als zwei Stunden. Öffentlich-rechtliche Anbieter machen das ebenso – weil sie alle davon ausgehen, dass ein Großteil des Publikums zwischendurch rein- oder rausschaltet.

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