Aktenaffäre

Ausforschung von Journalisten: Stasi-Unterlagenbehörde widerspricht sich selbst

Durfte die Stasi-Unterlagenbehörde (BStU) über 1000 Seiten mit privaten Unterlagen über Journalisten herausgeben? Ein interner Prüfbericht der Leiterin der Grundsatzabteilung der Behörde kam zu einem klaren Ergebnis: Das war rechtswidrig. Die Behörde ist plötzlich der gegenteiligen Ansicht.

Die BStU widerspricht Recherchen von BuzzFeed News und Übermedien – sowie ihren früheren eigenen Aussagen auf unsere Anfragen. Es geht um Dokumente über Journalisten und Mitglieder des Deutschen Journalistenverbandes DJV, die von mehreren Redaktionen angefordert worden waren. Die interne Prüfung des Vorgangs behandelte konkret Anfragen der „Bild“-Zeitung.

BuzzFeed News und Übermedien sowie die „Berliner Zeitung“ hatten berichtet, dass Mitarbeiter der Stasi-Unterlagenbehörde Redaktionen dabei geholfen hatten, Mitglieder und Funktionäre der größten deutschen Journalisten-Gewerkschaft DJV „auszuforschen“. Zu diesem Ergebnis war eine „fachaufsichtliche Prüfung“ der Stasi-Unterlagenbehörde gekommen. Das Dokument liegt uns vor, wir veröffentlichen es hier in voller Länge.

Nach unserer Veröffentlichung leitete der Bundesdatenschutzbeauftragte ein datenschutzrechtliches Prüfverfahren in die Wege.

Bislang hatte die Stasi-Unterlagenbehörde auch auf mehrfache Nachfragen nicht erkennen lassen, dass man intern inzwischen nicht mehr hinter dem Urteil der fachaufsichtlichen Prüfung stehe – weder auf Fragen von BuzzFeed News und Übermedien, noch auf Fragen, die im Rahmen des Verfahrens durch den Bundesdatenschutzbeauftragten gestellt wurden.

Nur eine „Diskussionsgrundlage“?

Heute nun teilte eine Sprecherin der Behörde mit, jene fachaufsichtliche Prüfung sei 2017 lediglich eine „Diskussionsgrundlage“ gewesen. Der Abteilungsleiter habe sich damals „der Auffassung des Prüfers, dem Antrag fehle der Rechtsgrund für die Herausgabe, nicht angeschlossen“. So sei damals auch Roland Jahn, der Behördenleiter, nicht informiert worden. „Die Presse-Berichte seit Ende April 2021 waren Anlass, den gesamten Vorgang erneut zu prüfen, da er nun auch der Behördenleitung zur Kenntnis gekommen war. Im Ergebnis wurde die Zulässigkeit des Antrags und eine rechtskonforme Herausgabe der Unterlagen zu den 15 Personen festgestellt.“

Damit widerspricht die Behörde ihren eigenen Antworten von Mitte und Ende April. Uns gegenüber hatte sie damals unter anderem mitgeteilt: „Die Prüfung wurde intensiv mit dem damaligen Abteilungsleiter, dem Sachbearbeiter und dem Grundsatzreferat, das diese Prüfung durchgeführt hat, debattiert und ausgewertet. Es wurde festgestellt, dass die Form des Antrags, Einreichung von Namen mit wenig konkreten Umfeld-Informationen, hätte so nicht akzeptiert werden sollen (…).“ Von einer „abschließenden Verhandlung des Sachverhalts“ schrieb die Behörde damals auf unsere Anfrage und davon, dass es sich um eine „hilfreiche Prüfung“ gehandelt habe.

Auf der letzten Seite der Prüfung findet sich zudem ein handschriftlicher Vermerk, wonach „der Vorgang und seine Bearbeitung (…) nochmals“ mit beteiligten Mitarbeitern erörtert und ausgewertet worden sei. „Es bestand in diesen grundsätzlichen Fragen Übereinstimmung zwischen allen Gesprächsteilnehmern“, so die Notiz.

Auf eine „Rückforderung erhaltener Unterlagen“ habe man damals verzichtet, auch wenn diese, so die damalige Prüfung, das Haus unrechtmäßig verlassen hätten. „Zum Zeitpunkt der fachlichen Prüfung (April 2017) war der Medien-Antrag ja bereits abgeschlossen (Anfang 2016) und insofern konnte der Fachbereich an seinen Handlungen nichts mehr ändern“, erklärte die Pressestelle der BStU später auf unsere Fragen.

Plötzlich „rechtskonform“?

Alles spricht in den vorliegenden Dokumenten dafür, dass der Inhalt der fachaufsichtlichen Prüfung intern allen Beteiligten weiterkommuniziert wurde. Auch ein halbes Dutzend Antworten der Pressestelle widersprach bislang diesem Eindruck nicht.

Gegenüber der „Bild“-Zeitung allerdings behauptete die Behörde schon kurz nach unserer Veröffentlichung plötzlich, die Herausgabe der Unterlagen sei „rechtskonform“ gewesen.

Unsere Nachfragen und Bitten, diesen offensichtlichen Widerspruch aufzuklären, liefen drei Wochen lang ins Leere. Es kamen keine Antworten, versprochene Rückrufe blieben aus, die Pressesprecherin war telefonisch nicht erreichbar. Nun, zwei Anwaltsschreiben im Namen der Redaktionen von BuzzFeed News und Übermedien später, deutet sich an, warum: Die Behörde vollzieht in der öffentlichen Bewertung des Vorgangs einen kompletten Kurswechsel – weniger als einen Monat, bevor die Amtszeit von Roland Jahn als Bundesbeauftragter für die Stasi-Unterlagen endet und seine Behörde ins Bundesarchiv überführt wird.

Beim Bundesvorstand des DJV zeigt man sich überrascht: Man sei „sehr gespannt auf die Ergebnisse der angestoßenen Prüfverfahren. Wir erwarten Transparenz von der Stasi-Unterlagenbehörde“, heißt es auf Anfrage.

Nicht minder gespannt sein dürfte man im Bundestag. Am 9. Juni wird Roland Jahn dort vor dem Kulturausschuss sprechen – der Umgang seiner Behörde mit dem Datenschutzbeauftragten und mit Medienanträgen könnte auch dort zur Sprache kommen.


Dokumentation: Der Prüfbericht von 2017

4 Kommentare

  1. Heißt das, aus Sicht der Behörde war auch die Speicherung und anschließende Herausgabe einer nichtöffentlichen Rede von 2015 rechtmäßig?

  2. Da wurde die Olympianorm für geistige Verrenkungen erfolgreich genommen.
    Das ist wirklich ein wirkliches Armutszeugnis für die Transparenz und Rechtsstaatlichkeit in deutschen Behörden.

  3. Die BStU hat sowohl die Speicherung der Rede bestätigt als auch, dass „einige wenige Zitate“ davon verschriftlicht wurden. Nach dem DJV-Verbandstag 2015 habe sich ein Journalist mit Fragen an die Behörde gewandt. „Dazu wurde von einem/r weiteren JournalistIn eine Audioaufnahme (MP3-Datei) übermittelt“, so eine Sprecherin auf unsere Anfrage.

    Weil sich zu der Veranstaltung Journalisten akkreditieren konnten, habe man keinen Anlass gehabt, an der Rechtmäßigkeit der Aufnahme zu zweifeln. Nachdem der Vorgang damals abgeschlossen war, blieb die Datei auf einem Laufwerk in der Behörde gespeichert.

    Nach der Berichterstattung hat man die Datei in der Behörde dann nochmal vervielfältigt, wo ich mir jetzt gar nicht sicher bin, was das juristisch bedeutet. Die Behörde jedenfalls schreibt dazu das: „Aufgrund einer Beschwerde des DJV in Folge der Presse-Berichte von Ende April 2021 hat das Justitiariat des BStU veranlasst, dass eine Sicherungskopie der MP3-Datei auf eine DVD kopiert wird und die Datei im Gruppenlaufwerk gelöscht wird. Die Aufnahme befindet sich jetzt in einem verschlossenen Umschlag im Justitiariat und steht nur für die Einsichtsrechte der durch die Aufnahme betroffenen Personen und Prüfzwecke zur Verfügung.“

  4. Gruppenlaufwerk klingt ja danach, dass vorher mehrere darauf Zugriff und damit Vervielfältigungsmöglichkeiten hatten.

    Ich finde es amüsant wie in all euren Berichten ganz nebenbei die Auflösung der BStU und Überführung ins Bundesarchiv erwähnt wird. Jeder kennt es: bei einem Umzug geht immer etwas verloren oder kaputt…

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