Die Podcast-Kritik (25)

Noch ein True-Crime-Podcast, noch eine küchenpsychologische Zeitreise ins Archiv

Ich will vorausschicken: Womit ich bei „Sprechen wir über Mord?!“ hadere, sind nicht allein Schwächen dieses SWR-True-Crime-Podcasts. Es sind für mich die Schwächen mittlerweile vieler True-Crime-Podcasts.

Gerade in solchen viel strapazierten Genres möchte ich Podcasts kaum noch als Einzelproduktionen für sich betrachten. Wer heute – vor allem als Medienhaus – einen True-Crime-Podcast startet, der kennt Angebot und Nachfrage. Und weiß damit zwangsläufig auch um die Schwächen des Genres. Die Unschuldsvermutung gilt für mich im Jahr 2020, sechs Jahre nach der ersten Staffel von „Serial“, nicht mehr.

Das Problem fängt für mich mit der Zielsetzung an: Wir wollen verstehen, was Menschen dazu bringt, andere umzubringen. Aber das ist oft ein Anlass, Küchenpsychologie zu bemühen. Hinzu kommt – sowohl beim SWR-Podcast als auch anderswo – die ständige Reise in die Vergangenheit, das Wiederkäuen von Altem, ohne wirklich Neues beizutragen außer Spekulation. Das Tragische an „Sprechen wir über Mord?!“: Der Podcast hätte eine eine andere Ausrichtung haben können, die er aber nicht nutzt.

Schon das Intro ist verboten klischeebeladen: Im Jingle krächzen Krähen, heult eine Polizeisirene, eine Schusswaffe wird geladen, eine Frau schreit im Hintergrund, während ich freundlichst begrüßt werde. SWR-Journalistin Viktoria Merkulova und ARD-Terrorismusexperte Holger Schmidt führen durch den Podcast, ergänzt durch Thomas Fischer, Bundesrichter a.D. In der ersten Episode ist der Heidelberger Kriminalbeamte Bernd Fuchs zu Gast. Der Podcast klingt an vielen Stellen nicht gerade hochprofessionell, Schnitte sind hörbar, die Stimmen sind mitunter nicht nah genug am Mikrofon, Raumhall hinterlässt eher den Eindruck einer Hobbypodcast-Wohnzimmer-Aufnahme als eines professionellen Studios.

Episode 1. „Der Weihnachtswürger“. Aus Heidelberg. Ein mehr als 15 Jahre alter Fall, zumindest regional halbwegs bekannt. Umso merkwürdiger mutet es für mich an, dass der Podcast großen Wert darauf legt, das Geschehen möglichst originalgetreu nochmal nachzuerzählen. Ich wohne nicht im SWR-Gebiet, aber der Podcast vermittelt mir den dringenden Eindruck: Das ist ein sehr bekannter Fall. Warum ackern wir dann alles nochmal so kleinteilig nach? Warum bemüht man sich überhaupt so stark um die Illusion, dass alle Beteiligten nicht wissen, wie die Ermittlungen ausgehen?

Keine Spoiler, bitte: Drama statt Diskussion

Das gipfelt nach zehn Minuten in der absurden Situation, dass der eingeladene und damals leitende Kriminalbeamte im Gespräch forsch abgewürgt wird. Er will – anscheinend zur falschen Zeit – über das Motiv des Weihnachtswürgers und den Tatzeitpunkt sprechen: „Nicht ssssschpoilern, Herr Fuchs!“, unterbricht Co-Host Holger Schmidt. Der Kriminalbeamte fragt leise, halb irritiert, halb amüsiert zurück: „Okay?!“ Der Podcast hält unbeirrt seinen Erzählkurs bei.

„Sprechen wir über Mord?!“ ist die Erzählung des Verbrechens eindeutiger wichtiger als das Gespräch. Auf mich wirkt es, als hätte der Podcast ein klar durchgetaktetes Drehbuch für die Fall-Erzählung – mit fest eingeplanten, aber sehr begrenzten Freiräumen für die Improvisationen des Polizisten und des ehemaligen Bundesrichters. Ausbruchversuche aus diesem Erzählgefängnis sind zwecklos.

Es wirkt an vielen Stellen nicht nur hektisch, wenn sich die beiden Podcast-Hosts gegenseitig ins Wort fallen, um die Erzählung voranzutreiben. Es wirkt auch unharmonisch. Da hilft auch das ständige Ansprechen mit Vornamen nicht: Du, Holger. Du, Viktoria. Ich habe das Gefühl, hier konkurrieren zwei Hosts um die Gesprächsleitung und haben keine gemeinsame Chemie gefunden.

Reale Verbrechen mit Mitteln der Fiktion erzählen

Sie wollen auf vorbereitete O-Töne aus dem SWR-Archiv zusteuern, Dinge vorwegnehmen, Wendepunkte erreichen. Sie sind die allwissenden Erzähler. Einerseits wollen sie absurderweise die Ermittlungen der Polizei Schritt für Schritt durcharbeiten. Andererseits kennen sie die Fälle bereits sehr gut und leiten das Gespräch mit manchmal sehr wissenden Fragen. Das wirkt unnatürlich, und ich fühle mich schuldig. Als ob das alles nur nochmal durchgekaut werden muss, damit ich bald zwanzig Jahre später nochmal die selbe emotionale Achterbahnfahrt der Mordermittlung durchleben kann. Ein zweifelhaftes Vergnügen.

Ich fühle mich als Hörer vorgeführt und nicht ernstgenommen, als Holger Schmidt vom Polizisten Fuchs unbedingt die „Stelle mit den Handschellen“ hören will. Damals eine heiße Spur zum Täter, die sich schnell als falsch entpuppte. Es ist ein Ausflug, ein Cliffhanger im Podcast, der nur enttäuscht. Die Stelle mit den Handschellen ist nur da, weil ich sie nicht kenne. Meine Podcasts-Hosts und ihre Gäste hätten die Stelle mit den Handschellen nicht gebraucht. Der Dramaturgie wird bei „Sprechen wir über Mord?!“ alles geopfert, und obwohl Spannung kein Verbrechen ist, fühlt es sich trotzdem falsch an.

Seit der ersten Staffel von „Serial“ werden kaltblütig eigene oder fremde Archive ausgeweidet, nur um nochmal einen Kriminalfall ganz toll, ganz spannend, ganz aufregend nacherzählen zu können. Dafür werden gerne Erzählwerkzeuge der Fiktion für reale Geschichten genutzt. True-Crime-Podcasts liefern deshalb selten neue Informationen. Die Krimi-Erzählhaltung lässt wenig Raum für alles, was nicht Detektiv- oder Tätergeschichte ist.

Was die „Whodunit“-Detektivgeschichte für das Fernsehen ist, das ist die „Why did he do it, though?“-Spekulation für den Podcast. Für mich ein wirklich vollkommen ausgereiztes, formelhaftes Genre, in dem sich nur noch ein paar Variablen, Namen, Orte, Details ändern. Genre-Fans lieben diese Verlässlichkeit, mich stört diese Schablone.

Der True-Crime-Dreiklang: Scheint, könnte, hätte

Das langweilt und stört mich auch beim sehr beliebten und vielgelobten „Zeit“-Podcast „Verbrechen“: Es wird viel zurückgeschaut, viel Altes nochmal neu erzählt, teilweise sogar mit dem alten Stand. Keine Ahnung, wo der Täter jetzt ist, habe ich nicht mehr verfolgt. Gerne auch mit der galanten Einleitung, dass die „Zeit“-Hörerinnen und -Hörer ja so jung seien, dass sie im Gegensatz zu den „Zeit“-Leserinnen ja vieles nicht miterlebt hätten.

Der „Verbrechen“-Podcast war über lange Strecken ein großer Rückblick in das Sabine-Rückert-Gerichtsreporterin-Archiv. Mittlerweile scheint auch das reichlich abgegrast, weswegen der Podcast jetzt zunehmend auf Gäste mit neuen Recherchen und Fällen angewiesen scheint.

Die Blickrichtung bleibt aber immer dieselbe. Wie viele andere True-Crime-Podcasts ist auch der erfolgreichste deutsche Vertreter ein Projekt der Vergangenheitsbewältigung, recherchierte Fakten und echtes Wissen zu den Kriminalfällen aus der Vergangenheit werden versetzt mit gefühlten Eindrücken und Thesen aus dem Podcast-Studio in der Gegenwart. Das Vokabular ist auch fast immer das selbe: „Was will der Täter?“, „Da kann man nur spekulieren“, „Ferndiagnose“, „wahrscheinlich“, und natürlich darf der heilige True-Crime-Dreiklang aus „scheint“, „könnte“ und „hätte“ nicht fehlen.

Diese Perspektive nimmt auch „Sprechen wir über Mord?!“ ein. Die zweite Episode „Der Kofferbomber“ widmet sich den gescheiterten Kofferbomben-Anschlägen zweier Islamisten während der Sommermärchen-Fußball-WM-2006. Der Einsatz von O-Tönen aus dem Archiv ist in beiden Episoden keine schlechte Idee, erweitert es die Gesprächsrunde doch um Stimmen und Eindrücke aus der damaligen Situation. Besonders in der zweiten Episode wirken aber die Zitat-Schnipsel aus einem klassischen Radiofeature, in dem Gerichtsprotokolle von Schauspielern vorgelesen werden, wie ein Fremdkörper. Das thematisiert der Podcast selber und fragt den Experten: Warum sind keine Aufnahmen in Gerichtsverhandlungen erlaubt?

Einsatz Thomas Fischer: Es sei nicht die Aufgabe von Gerichtsverfahren, der Öffentlichkeit ein spannendes Bild, eine spannende Geschichte zu liefern. Es werde darüber gestritten, inwiefern Aufnahmen dem Interesse des Verfahrens oder dem Interesse der Darstellung in der Öffentlichkeit dienen könnten. Mikrofone könnten aber den Prozess beeinflussen.

Mehr Nüchternheit statt Grusel wagen

Fischer thematisiert hier und da – absichtlich oder unabsichtlich, mal mehr oder weniger explizit – dass natürlich auch dieser Podcast ein Teil der Maschinerie ist, die auf Einzelfälle schaut und das Subjektive in den Vordergrund stellt. Ich bin wirklich, wirklich kein Fan von Thomas Fischer. Aber in beiden Episoden ist er es, der mich vom Abbrechen abhält. Er scheint der Einzige im Podcast-Trio zu sein, der kein minutiös vorbereitetes Skript hat. Er klingt natürlich, lockert die Runde auf und rettet die Dynamik und den Höreindruck.

Er ist so herrlich wenig eingeweiht in die True-Crime-Podcast-Erwartungshaltung, dass er sie bricht. Er wehrt sich gegen Emotionalität, will Dinge auf der Sachebene diskutieren, kritisiert das Psychologisieren von Tätern in der Öffentlichkeit und in den Medien. Es hat fast eine unfreiwillige Komik, wie der Podcast-Gast kritisiert, was mich an diesem Podcast mitunter stört.

„Sprechen wir über Mord?!“ ist für mich immer dann am stärksten, wenn er nicht über Täter und Opfer redet. Und hier sehe ich das Potenzial, dass der Podcast nicht hebt: Statt über die Einzelfälle, die Täter und menschliche Dramen zu sprechen, könnte der Podcast eine nüchterne Perspektive einnehmen. Er könnte auf die Realität von Ermittlern und Richterinnen schauen, Justiz erklären, über Recht und Strafe philosophieren – von mir aus auch mit denselben Fällen als Basis. Nur eben mit einem anderen Fokus.

Ich wünsche mir für „Sprechen wir über Mord?!“ den selben Dreh, den „Serial“ mit seiner dritten Staffel gemacht hat: Weg von den spektakulären, spannenden, aufregenden Ausnahmefällen, hin zum Blick auf das System. Denn fast jeder True-Crime-Podcast stößt irgendwann auf das Problem, dass wir Laien zwar sehr gerne urteilen – aber oft wenig darüber wissen, wie unser Rechtsstaat oder andere Justizsysteme von Ermittlung über Urteil bis Strafvollzug funktionieren. Geschweige denn, wo unser System möglicherweise Fehler hat, kaputt ist. Der nächste True-Crime-Podcast, den ich höre, ist hoffentlich der investigative True-Crime-Podcast zu den NSU-Morden. Den haben wir jedenfalls nötiger als noch einen Podcast über verstorbene Weihnachtswürger.


Podcast: „Sprechen wir über Mord?! Der SWR2 True Crime Podcast“
Episodenlänge: circa 45 Minuten

Offizieller Claim: Ein Podcast auf den Spuren wahrer Verbrechen
Inoffizieller Claim: Thomas Fischer hört anscheinend keine True-Crime-Podcasts

4 Kommentare

  1. Ich schätze ja den Herrn Fischer sehr, auch wenn ich nicht jede seiner Auffassungen teile. Seine Texte zum Themenfeld Verbrechen, Strafe und öffentliche Erregung sind fast immer Aufklärung im besten Sinne. Dass er einem auf Sensation und Spannung gebürsteten Podcast-Format ein wenig die Luft ablässt, passt sehr gut zu ihm.

    Überhaupt „True crime“ – habe nie verstanden, was so viele Leute daran finden. Mich erinnert das ganze Genre immer an Aktzeichen XY, nur ohne Aufruf zur Massenfahndung. Immerhin den „Weihnachtswürger“ werde ich mir merken. Schade, dass er nicht aus Wuppertal oder Wolfsburg kam. Hätte einen schwer zu schlagenden Alliterationssalat ergeben.

  2. @Mycroft/#1
    NSU war eine Sache für das ARD-Radiofeature, einmal davor und einmal nach Bekanntwerden, dass hinter den Morden der NSU steckte.

  3. Eine tolle Kritik. Allein fehlt mir die Bemerkung zum Überheblichen Umgang der beiden männlichen Akteure mit der jungen und auch ein bisschen naiven Fragestellerin Viktoria Merkulova. Während sich Holger Schmidt und Thomas Fischer vertraut ins Wort fallen, kann man das Lächeln Herrn Fischers richtig sehen, der sich eher unfreundlich über die versuchten Einwürfe von Frau Merkulova hinwegsetzt. Durch diese indirekte Zurechtweisung gelingt es Frau Merkulova anfangs erst recht nicht, über erstaunte fachfremde Bemerkungen über die Menge der zu lesenden Seiten und Ähnliches hinwegzukommen und sich immer weiter wenigstens mit diesen Einwürfen Gehör zu verschaffen. Wäre Herr Fischer nur einmal ohne Häme auf diese Sicht uneingeweihter Außenstehender eingegangen, könnte sie sich freischwimmen und bessere Fragen in einem interessanteren Kontext stellen. So merkt man ihr ihre Hilflosigkeit immer mehr an und es tut weh, zuzuhören. Wahrscheinlich kann sich Herr Fischer nicht mehr an seine Anfangszeit erinnern und, ach ja, er konnte ja sowieso von Anfang an alles sehr gut… Interessant wäre es zu erfahren, warum er sich auf ein solches Format einlässt… Ich bin entgegen der Meinung Herrn Schroeders nicht davon irritiert, dass die Moderatoren am Anfang noch nicht so eingespielt sind, dafür war die Zeit damals mit den ganzen ersten Coronamaßnahmen zu angespannt… Aber ich empfinde diese männliche Herablassung als unterträglich…

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