In eigener Sache

Die Fehler der anderen – und unsere eigenen

Am Freitag waren wir so sehr damit beschäftigt, Kollegen zu erzählen, wie wichtig ein guter Umgang mit Fehlern ist, dass wir es leider nicht geschafft haben, gut mit Fehlern umzugehen.

Es geht um den Artikel über den vermeintlichen „Bamf-Skandal“, den wir am Donnerstag veröffentlicht haben. Er enthält mehrere Fehler und einer ärgert mich am meisten. Nicht, weil es ein besonders weitreichender Fehler war – es geht da um die zeitliche Abfolge, in der erst der „Spiegel“ und deutlich später mehrere andere Medien über eine angebliche persönliche Beziehung zwischen der Amtsleiterin und einem Anwalt berichtet haben. Sondern weil ich selbst dem Autor diesen Fehler in seinen Text redigiert habe.

Ich habe beim Hin- und Hermailen von Ergänzungen etwas falsch verstanden und aus einer richtigen Formulierung eine falsche gemacht. Das ist wirklich ärgerlich: Fehler in einem Text, den man redigiert, nicht zu übersehen, sondern überhaupt erst selbst zu produzieren.

Das war aber schnell korrigiert und nicht das eigentliche Problem. Das eigentliche Problem war, dass uns mehrere Kollegen vorwarfen, Dinge falsch dargestellt zu haben. So ein Vorwurf ist natürlich besonders heikel bei einem Text, der mit großer Wucht anderen Fehler in ihrer Berichterstattung vorwirft. Und in diesem Fall kam hinzu, dass die Kollegen zeitnah keine oder keine guten Antworten bekamen, weil wir eben damit beschäftigt waren, bei der Jahrestagung des „Netzwerks Recherche“ über gute Fehlerkultur zu reden.

Ich habe dort den Fehler-Experten Craig Silverman zitiert, der sagt, dass Fehler – so paradox das scheinen mag – ein mächtiges Mittel sind, um Vertrauen zu gewinnen: Durch den Umgang mit ihnen demonstriert man dem Publikum, wie aufrichtig und vertrauenswürdig man ist.

Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass das stimmt. Und dass es zu einem ehrlichen, transparenten Umgang mit Fehlern in seriösen Redaktionen gar keine Alternative gibt. Trotzdem erlebt man natürlich, sobald es einen selbst betrifft, wie groß die Versuchung ist, die Sache kleinzureden.

Der eigene Beschwichtigungs-Reflex

Ich habe beim Bloggen gelernt, wie befreiend es ist, wenn man in solchen Fällen irgendwann aufhört, sich selbst etwas vorzumachen (so schlimm ist die Sache ja nicht / das ist doch nur ungenau und nicht falsch / da ist eine Korrektur jetzt echt unnötig / etc. pp.) – und einfach klar den Fehler zugibt. Trotzdem ist dieser erste Beschwichtigungs-Reflex immer wieder da.

Und er wird natürlich größer, je peinlicher die Sache ist. Unter dem Bamf-Artikel sind jetzt schon mehrere einzelne Punkte korrigiert. Ab wie vielen Korrekturen unter einem Artikel ist der überwiegende Effekt beim Publikum nicht mehr: „Schön, dass die sich so transparent korrigieren“, sondern: „Sagt mal, was stimmte denn da überhaupt?“ So eine Kosten-Nutzen-Rechnung darf keinerlei Rolle spielen bei der Korrektur, aber natürlich wächst der innere Widerstand mit zunehmender Peinlichkeit des Fehlers. Um so wichtiger ist es, dass die Pflicht, sich offen zu korrigieren, gar nicht zur Disposition steht.

Unsere Bremer Bamf-Geschichte löste unter anderem bei Radio Bremen Empörung aus. Vor allem wegen einer Passage, in der es um die Doppelrolle geht, die der Sender bei den Ermittlungen zu spielen scheint: Einerseits ist er Teil des Recherche-Netzwerkes, das die Ermittlungen öffentlich gemacht hat. Andererseits spielte ein Mitarbeiter des Senders selbst eine „erhebliche Rolle“ bei diesen Ermittlungen: Er hatte sich 2016, wegen Hinweisen auf angebliche „kriminelle Machenschaften“ beim Bamf „in einem vertraulichen Kontakt mit der Justizbehörde“ geäußert. Die Staatsanwaltschaft griff unter anderem auf diese Informationen zurück, um zwei Jahre später eine umfangreiche Durchsuchungsaktion zu begründen. So haben es NDR und SZ, die mit Radio Bremen recherchiert hatten, selbst öffentlich gemacht.

Unser Autor hat sein „ungutes Gefühl“ angesichts dieser Gemengelage formuliert. Bei Radio Bremen liest man daraus den Vorwurf, mit der Staatsanwaltschaft irgendwie gedealt zu haben und, vielleicht als Dank für die gute Zusammenarbeit 2016, zwei Jahre später „privilegierten Zugang zu Durchsuchungsbeschlüssen“ bekommen zu haben. Diesen Vorwurf weist man empört zurück.

Audiatur et altera pars

Der Leiter des Rechercheteams von Radio Bremen sagt, er sei auch deshalb besonders empört, weil wir ihn nicht vorher mit diesem Vorwurf konfrontiert hatten: So hatte er keine Gelegenheit, dazu Stellung zu nehmen. Das ist ein Vorwurf, den uns auch ein „Spiegel“-Kollege macht.

Und der uns, ehrlich gesagt, häufiger gemacht wird. Einerseits ist die Sache klar: Aus gutem Grund gibt es im Journalismus die Regel, Leute mit Vorwürfen vor der Veröffentlichung zu konfrontieren. Um ihnen Gelegenheit zu geben, sich dazu zu äußern. Das ist Ausdruck von Fairness, auch weil so der Beschuldigte wenigstens sein Dementi loswerden kann. Es bringt außerdem oft auch eine wichtige andere Perspektive in die Geschichte – mit Informationen, die dazu gehören, um sich ein ganzes Bild verschaffen zu können.

Andererseits ist das, was wir machen, oft auch einfach Medienkritik. So wenig, wie ich Fernsehmacher um eine Stellungnahme bitten muss, bevor ich seine Sendung verreiße, muss ich Print-Journalisten konfrontieren, bevor ich mich an einem Artikel von ihnen abarbeite. Es ist eine Auseinandersetzung mit dem, was ohnehin öffentlich ist.

Nach meiner Erfahrung reagieren manche Journalisten schon empfindlich, wenn man sich mit dem kritisch beschäftigt, was sie veröffentlicht haben und reklamieren dann ein nicht vorhandenes Recht, vorher gefragt zu werden. Auch unsere Auseinandersetzung mit der Bamf-Berichterstattung beruht eben auf der öffentlichen Bamf-Berichterstattung. Andererseits ist der Vorwurf, den man zumindest implizit aus unserem Text lesen kann, dass es eine Art Deal zwischen Radio Bremen und der Staatsanwaltschaft gab, schon so, dass wir den Sender damit hätten konfrontieren sollen.

Abgesehen davon zeigt natürlich die Erfahrung, dass es sich ohnehin oft lohnt, die „Gegenseite“ zu hören (wenn diese „Gegenseite“ nicht gerade der Springer-Verlag ist, bei dem man Glück hat, wenn einem Pressesprecher wenigstens sagt, dass er dazu nichts sagt). Wir haben uns vorgenommen, das in Zukunft häufiger zu tun – ganz unabhängig von der Frage, ob wir es „müssen“. Und wir wollen, für uns und für die Menschen, über die wir berichten, in den nächsten Wochen klar definieren, was unsere Regeln sind, in welchen Fällen wir auf eine solche Konfrontation verzichten können – und in welchen nicht.

In diesem Fall hätte eine solche Nachfrage geholfen. Und es hätte auch geholfen, wenn wir dem Kollegen von Radio Bremen am Freitag geantwortet hätten, anstatt auf einer Tagung über Fehlerkultur zu reden. Wir bitten um Entschuldigung und wollen das in Zukunft besser machen.

17 Kommentare

  1. Abgesehen davon zeigt natürlich die Erfahrung, dass es sich ohnehin oft lohnt, die „Gegenseite“ zu hören […]. Wir haben uns vorgenommen, das in Zukunft häufiger zu tun – ganz unabhängig von der Frage, ob wir es „müssen“.

    Kluge Entscheidung. So lobens- wie lesenswert der Bamf-Text auch ist, er enthält einige raunende Sätze („Wir hoffen inständig, dass es sich bei dem anonymen Mitarbeiter nicht um Hinrich Lührssen handelt…“). Hier wird das Manko der unfertigen Recherche genutzt, um einen Verdacht in die Welt zu setzen, ohne ihn bestätigen zu können (in diesem Fall den der AfD-Manipulation). Da liegt es dann nahe, dass die Medienkritik als Medium selbst zum Gegenstand von Medienkritik wird.

    Medienkritik gibt es auf abstrakter Ebene, auf der eine ideologiekritische Auseinandersetzung mit bestimmten Formen der Berichterstattung angezeigt ist. Da muss man in der Tat nicht bei einem konkreten Autor nachhaken, warum und auf welcher Grundlage er was geschrieben hat. Es gibt sie aber auch in der konkreten Form – wenn man etwa die Berichterstattung zum vermeintlichen Bamf-Skandal kritisiert.

    Hier solltet Ihr, finde ich, den gleichen Maßstab an Euch selbst anlegen, den Ihr an journalistische Berichten über andere Skandale anlegt. Also diejenigen fragen, die im Bericht kritisiert werden, und deren Antworten dann (gerne wertend) in Eure Texte einfließen lassen.

  2. Guten Abend,

    ein schöner, ehrlicher Text. Ich würde Euch allerdings bitten, den Text einfach nochmal durchzulesen. Es fehlen einige Wörter, manche sind doppelt und auch sonst gibt es das ein oder andere Hoppala.

    Lukas

  3. @ Stefan Niggemeier (#3):

    Öhm, bin mir jetzt nicht ganz sicher, wie ich den Einwand verstehen soll. Ist der Typ an sich eine Witzfigur? Oder war seine Erwähnung ein Insider-Witz, dessen Pointe ich verpasst habe?

    Raunend an dem Absatz, in dem Lührssen vorkommt, ist ja auch der Hinweis auf „ungute Gefühle“, die sich aus einem „privilegierten Zugang“ ergäben, womit aber kein Deal gemeint sei – denn den lese, laut Nachtrag vom 16. Juni, Radio Bremen in den Text ja nur hinein. Oder doch nicht?

    Egal. Es geht hier um ziemlich handfeste Vorwürfe. Nämlich um eine Kumpanei von Journalisten und Staatsanwaltschaft, angelegt auf die Denunziation einer Behörde im Kontext der vermeintlich rechtsbrüchigen merkel’schen Flüchtlingspolitik. Mag sein, dass an dem Vorwurf einiges dran ist – aber gerade deshalb finde ich, dass sich so ein Text auf gut recherchierte Tatsachen beschränken sollte. Auf „ungute Gefühle“ und „inständiges Hoffen“ sollte er verzichten.

  4. Erster Satz:
    „dass wir es leider nicht geschafft habe,“ -> haben müsste das heißen. Im ersten Satz und das in einem Artikel über Fehler. Wie war das mit der Peinlichkeit? ;-)

  5. @Toby: Sprache ist immer im Fluss und gerade im Fall von Autor kommen beide Versionen mittlerweile so häufig vor, dass auch beide als „regelkonform“ angesehen werden können. Aus linguistischer Perspektive sollten wir nur beobachten, wie Menschen tatsächlich Sprache gebrauchen und daraus Regeln ableiten (deskriptiv), statt in die Vergangenheit zu schauen und alle späteren Abweichungen als Fehler zu klassifizieren (präskriptiv). Dem Autoren und den Autoren ist mittlerweile Usus. Wir sagen heutzutage kaum mehr die Generals oder die Generale, sondern die Generäle. Beides waren aber zu einer gewissen Zeit die gängige Form. Sagen Sie heute die Generals, wird man Sie seltsam anschauen.

  6. Übermedien macht viel Gutes, und den Text hier mag ich auch. Aber (mit der Erfahrung, mal Adressat ihrer Kritik gewesen zu sein) freut mich der Absatz besonders, der ein mehr an Konfrontation mit dem Objekt der Kritik erhoffen lässt. Das muss ja nicht immer in Worthülsen münden, sondern mag sogar Erkenntnis oder neuerlichen Grund zur Kritik geben. In dem Sinne, weiter so.

  7. „@Kritischer Kritiker: Der Lührssen ist allerdings eher ein Witz als ein Raunen.“

    Ganz subjektiv: bei mir kam es als beides an. Mit dem unguten Gefühl, dass da jemand evtl. zu Unrecht geframed wird.

  8. In den Jahren seit Entwicklung einer „Netzpresse“ frage ich mich oft, was ich als Konsument von Presseprodukten „im Netz“ gerne haben möchte. Alles natürlich vor dem Hintergrund des Unterschiedes zwischen Deadline-Print (und damit Abschluss eines Aktes) und eines netzaffinen Produkts – also etwas wie ein „Blog“ / „Forum“…, bei dem jeweils eine Aktualisierung/Fortschreibung/Erweiterung möglich ist oder zumindest wäre.

    Klar ist natürlich, dass jedes Presseprodukt den basalen journalistischen Standards entsprechen sollte – also etwa Recherche-Standards, Nachrichten- und Informationsgehalt, der auf prüfbaren und geprüften Tatsachen beruht, geprüfte/gegengelesene/redigierte Inhalte und so weiter. Dadurch wird das Presseprodukt für mich zu einer Nachricht, die ich aus welchen Gründen auch immer konsumiere. In der „alten“ Presselandschaft war immer klar, dass ich pro Produkt nie so etwas wie das „vollständige Bild“ bekommen kann – ich bin es also von alters her gewohnt, eine sich in Zeitabständen erweiternde oder verkürzende Nachrichtenlage im Kopf zu behalten, die dann eben im eigenen Schädel zu irgendwas wie ein Gesamtbild zum jeweiligen Produkt amalgamiert wird (aufgrund von Verständnisfehlern oder fehlendem Informationsgehalt natürlich auch unvollständig oder gar „falsch“). Bei den „Zeitabständen“ ging und geht es außerdem auch noch um möglicherweise sehr, sehr „lange“ Zeiträume – hier etwa über mehrere Jahre mit unterschiedlichsten Meldungen, die es im Kopf zu behalten gilt.

    Meine Hoffnung hinsichtlich der Netzprodukte war es immer, aufgrund der (transparenten) Änderungs- und Ergänzbarkeit des Netzprodukts zu einem besseren Informations- und Nachrichtenwert zu gelangen (als Konsument). Was, zum Beispiel, spräche dagegen, dem „Bamf“-Artikel hier neben der Fehlerbereinigung mit Stellungnahmen aus den Häusern zu erweitern, die sich zu Stellungnahmen bemüßigt fühlen? „Klassisch“ würde das in den Print-Medien eigene Produkte Tage oder Wochen (oder Monate…) später erfordern – in Netzartikeln wäre das Produkt selbst ergänzbar. An sich könnte sogar die simple Nutzung der Kommentarfunktionen genau diese Erweiterung schon liefern (etwas, was ich mir von Anfang an von Kommentierbarkeiten erhoffte und was stattdessen in einem allgemeinen Grauen endete – bislang).

    Mehr *vollständige* Nachrichtengehalte. Das ist es, was ich mir von Netzprodukten als Konsument wohl maßgeblich erhoffe.

  9. Ich finde, das hier ist ein vorbildlicher, offener und ehrlicher Umgang mit Fehlern. Sehr gut und bitte weiter so. Ich finde das super, Danke!

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