Über Rügen (9)

„Bild“-Geschichte über „Popel-Prinzessin“ verletzt Kinderrechte

„Bild“ zeigt ein Mädchen beim Nasebohren und kassiert dafür eine Rüge vom Presserat. Es reicht nicht, dass Eltern mit Pressefotos von ihrem Kind einverstanden sind – entscheidend ist, was darauf zu sehen ist.

Kunstprojekte, die die sozialen und emotionalen Fähigkeiten von Vorschulkindern stärken sollen, gehören nicht zu den Kernthemen der Boulevardmedien. Trotzdem war das Interesse groß, als im Februar in London das vom Royal Foundation Centre for Early Childhood entwickelte „Bobeam Trail Project“ startete. Der Grund: Zum Auftakt der Aktion besuchte Kate Middleton, Princess of Wales, gemeinsam mit Vorschulkindern die National Portrait Gallery.

Auch bild.de berichtete. Dort stand allerdings nicht der pädagogische Nutzen des Projekts im Vordergrund. Ins Zentrum ihrer Museumsausflugsberichterstattung rückte die Redaktion ein Foto, das die Agentur Bestimage geliefert hatte. Es zeigt, wie ein fünfjähriges Mädchen, das neben der Princess steht, in der Nase bohrt.

Voller Fokus auf ein nasebohrendes Kind

Angesichts dieser bei Kindern alltäglichen Geste gerieten Redaktion und Autor geradezu aus dem Häuschen:

„Lustiges Foto mit Kate“ (Dachzeile)

„Wenn ich groß bin, werde ich Popel-Prinzessin“ (Haupt-Headline)

„Was wohl der Palast zu diesem Popel sagt?“ (Zwischenüberschrift)

Zwei Personen richteten daraufhin Beschwerden an den Presserat. Sie argumentierten, das Foto könnte dem abgebildeten Mädchen bereits in wenigen Jahren unangenehm sein. Außerdem könnte die Fünfjährige später gemobbt werden, wenn Mitschüler*innen das Bild im Internet entdecken.

Bild-Schlagzeile: "Wenn ich groß bin, werde ich Popel-Prinzessin"
Die Redaktion hat das Foto eines popelnden Kindergartenkindes inzwischen gelöschtScreenshot: bild.de

Rüge wegen Verletzung der Menschenwürde

Anfang September veröffentlichte der Presserat seine Entscheidung in der Angelegenheit. Er erteilte bild.de eine Rüge. Der zuständige Beschwerdeausschuss sah in der Berichterstattung einen dreifachen Verstoß gegen den Pressekodex: eine Verletzung der Menschenwürde (Ziffer 1), eine Verletzung des Persönlichkeitsschutzes (Ziffer 8) und eine Verletzung der Ehre (Ziffer 9). Der Presserat betonte zudem, dass eine solche Veröffentlichung auch dann nicht gerechtfertigt sei, wenn die Eltern Pressefotos bei dem Ausflug generell zugestimmt haben.

Im Pressekodex ist ein Passus, die Richtlinie 8.3, explizit dem Schutz von Kindern und Jugendlichen gewidmet: Sie dürfen demnach „insbesondere in der Berichterstattung über Straftaten und Unglücksfälle“ nicht identifizierbar sein. Wenn der Presserat Beiträge über Kinder sanktioniert, dann häufig, weil eine Redaktion dagegen verstößt.

Auch hierfür finden sich Beispiele in den Rügen, die der Presserat Anfang September veröffentlichte. In beiden Fällen waren ebenfalls Medien der „Bild“-Gruppe der Adressat der Rüge: „Bild“ und Bild.de, weil sie das zweijährige Opfer des Messerangriffs von Aschaffenburg unverpixelt abbildeten, und die „Bild am Sonntag“, weil sie im Kontext des Anschlags Opfer früherer Verbrechen zeigte, darunter auch Minderjährige.

Britischer Boulevard verzichtete auf das Foto

Im Fall des Mädchens im Museum ging es aber nicht einmal um einen zeitgeschichtlich relevanten Vorgang. Die Veröffentlichung diente allein dazu, das Publikum auf Kosten einer Fünfjährigen zu belustigen. Passenderweise erschien der Beitrag im Ressort Unterhaltung. Die britischen Boulevardblätter „Daily Mail“ und „Daily Mirror“, moralischen Grenzüberschreitungen gewiss nicht abgeneigt, verwendeten das Bild mit dem in der Nase bohrenden Mädchen in ihrer fotointensiven Berichterstattung übrigens nicht.

Eine Stellungnahme zu den Beschwerden gab die Redaktion gegenüber dem Presserat nicht ab. Auf eine Anfrage von Übermedien, ob „Bild“ die Rüge für gerechtfertigt halte und sie veröffentlichen werde, antwortete ein „Bild“-Sprecher nur indirekt:

„Wir sind selbst Mitglied im Presserat und kommentieren dessen Entscheidungen nicht. Rügen werden veröffentlicht.“

Bisher hat „Bild“ die Rüge laut Presserat allerdings nicht veröffentlicht. In einer Hinsicht haben Springers Fachleute für „lustige Fotos“ immerhin darauf reagiert: Der beanstandete Beitrag ist inzwischen nur noch ohne Bilder abrufbar. Die Bildunterschriften hat die Redaktion allerdings nicht gelöscht.

Kinderschutzbund kritisiert Umgang mit Kinderfotos

Die mehrfache Missachtung der Rechte einer britischen Vorschülerin ist zwar ein besonders krasser Fall. Der Umgang von Journalist*innen mit Kinderfotos ist aber auch sonst verbesserungswürdig.

„Erwachsene sollten sich vor der Verbreitung oder Veröffentlichung eines Kinderfotos immer fragen: Möchte ich mich in der Situation, in der das Kind auf dem Bild zu sehen ist, selbst in der Zeitung sehen?“

Das sagt Juliane Wlodarczak, Sprecherin des Kinderschutzbunds im Gespräch mit Übermedien. Laute die Antwort Nein, könne man davon ausgehen, dass auch das Kind das nicht wolle. Journalist*innen, die etwa Agentur-Fotos von Kindern in der Badewanne oder auf der Toilette veröffentlichen, haben sich diese Frage offensichtlich nicht gestellt.

„Uns fehlen leider die Kapazitäten, um Medien und den Presserat auf problematische Abbildungen aufmerksam zu machen“, sagt Wlodarczak. Dabei ist die Rechtslage klar: Der Schutz der Kinder ist in internationalen Abkommen – etwa Artikel 16 der UN-Kinderrechtskonvention („Schutz der Privatsphäre und Ehre“) – und zahlreichen Gesetzen festgelegt. Hier greifen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, die unter anderem durch die Datenschutz-Grundverordnung garantiert ist, und das Recht am eigenen Bild nach § 22 des Kunsturhebergesetzes.

Sorgeberechtigte müssen immer zustimmen

Der Veröffentlichung eines Fotos müssen bei Kindern unter 14 Jahren die Sorgeberechtigten zustimmen. Kinder ab 14 müssen in die Entscheidung einbezogen werden, weil man ihnen zutraut, die möglichen Konsequenzen einschätzen zu können. Dann ist eine sogenannte doppelte Einwilligung erforderlich.

Diese rechtlichen Rahmenbedingungen sind längst nicht allen Journalist*innen bekannt, die über Veranstaltungen mit Kindern berichten. Reporter*innen, die bei Terminen in Kindergärten oder Schulen süße Kinderfotos machen wollen, wundern sich schon mal, dass ihnen die Verantwortlichen vor Ort einen Strich durch die Rechnung machen – und sich auch nicht durch Beteuerungen umstimmen lassen, dass man eine „positive“ Geschichte plane. Ohne Einverständnis der Sorgeberechtigten sind solche Aufnahmen schlicht nicht erlaubt.

Kinderschutzbund-Sprecherin Wlodarczak zufolge sollten Medien Kinderfotos idealerweise so wenig wie möglich verwenden, am besten gar nicht. Der Verband selbst beherzigt das: In seiner öffentlichen Kommunikation verzichtet er fast vollständig auf Fotos von Kindern, auf seinem Instagram-Account nutzt er unter anderem Illustrationen und Zeichnungen. Mit dieser Haltung vermeidet der Verband die Risiken von Fotos, auf denen Kinder eindeutig zu erkennen sind.

„Wir wissen aber natürlich, wie Medien funktionieren. Uns ist bewusst, dass Journalisten Fotos brauchen, um Geschichten zu erzählen“, sagt Wlodarczak. Viele Einrichtungen, die mit Kindern arbeiten, sind bei bestimmten Projekten auf Spenden angewiesen. Ohne Fotos die Öffentlichkeit zu mobilisieren, ist nicht einfach.

Keine Kinder mit Lippenstift zeigen

Deshalb hat der Dachverband für Personen, die in den Landesverbänden und Ortsvereinen für Öffentlichkeitsarbeit zuständig sind, einen Leitfaden erstellt, der Übermedien vorliegt. Der kann auch Redaktionen als Orientierungshilfe dienen. Die Verfasser*innen des Leitfadens raten zum Beispiel, auf die „plakative Dokumentation“ von Sachverhalten oder Umständen zu verzichten, „die wir kritisieren, ablehnen oder verändern wollen“. Verwahrloste Kinder oder sexualisierte Gewalt sollen also nicht direkt abgebildet werden.

Dieser Ratschlag ist auch auf andere Situationen übertragbar. Klischeehafte oder diskriminierende Bilder konterkarieren häufig den kritischen Anspruch journalistischer Texte – das betrifft längst nicht nur die Berichterstattung über Kinder.

Die Autor*innen des Leitfadens empfehlen darüber hinaus, Bilder zu vermeiden, in denen „leicht bekleidete“ oder mit Lippenstift geschminkte Kinder zu sehen sind. Wichtig auch: der Verzicht auf Aufnahmen, die Rückschlüsse auf den Wohn- oder Schulort zulassen. Zum einen, weil die Informationen von (potenziellen) Straftätern missbraucht werden können, zum anderen, weil Bilder, die möglicherweise „schwierige“ Wohnverhältnisse zeigen, zur weiteren Stigmatisierung von Kindern beitragen.

Wie man es besser macht, zeigt der Leitfaden auch: „Wir zeigen Kinder gemeinsam mit Erwachsenen und auf eine Weise, dass letztere schwer herausgeschnitten werden können.“ Das ist ebenfalls eine Reaktion darauf, dass in pädokriminellen Foren selbst scheinbar harmlose Aufnahmen häufig in sexualisierte Kontexte gestellt werden, auch mithilfe von KI.

Dieses Risiko, so die Organisation Save the Children, sei dann „besonders hoch, wenn die Abgebildeten gut erkennbar sind“. Save the Children warnt zum Beispiel vor „Deep Nudes“. Hier handelt es sich um eine Unterkategorie von Deep Fakes. Dabei werden mithilfe von KI Alltagsaufnahmen so bearbeitet, dass ein realistisch wirkendes Nacktfoto einer Person entsteht.

Statt Fotos zu verwenden, die reale Personen zeigen und in Gefahr bringen können, rät der Kinderschutzbund daher unter anderem dazu, selbst KI-generiertes Bildmaterial zu verwenden. Journalist*innen hilft dieser Vorschlag wenig weiter. Mit KI-Fotos lassen sich höchstens Symbolbilder ersetzen, nicht aber Pressefotos, die Wirklichkeit dokumentieren. Umso wichtiger ist es, diese verantwortungsvoll auszuwählen. Aus Bildern von einem popelnden Kind eine ganze Geschichte zu stricken, ist das Gegenteil.

Korrektur am 28. Oktober 2025: Wir hatten Kate Middleton im Text als „Prinzessin“ bezeichnet, sie ist allerdings lediglich „Princess of Wales“ – das haben wir nach einem Leserhinweis korrigiert.

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