„Nordkurier“ jubelt dpa-Autorin politische Aussage unter
Einen Text der Deutschen Presseagentur verändern, ohne das offenzulegen? Macht man nicht. Der Presserat hat das nun gerügt. Der Zusatz, den der „Nordkurier“ einfügte, dürfte der AfD gefallen haben.
Die AfD findet bekanntlich immer Wege, sich als Opfer darzustellen. Nach einer AfD-kritischen Entscheidung des Thüringer Verfassungsgerichtshofs im Herbst 2024 sagte Stefan Möller, einer der beiden Landessprecher der AfD Thüringen, er habe „mittlerweile erhebliche Zweifel an der politischen Neutralität und Unbefangenheit von einigen Richtern“. Schuld waren also mal wieder die anderen.
Die Richter waren damals auf Antrag der CDU tätig geworden, nachdem der Alterspräsident des Landtags, Jürgen Treutler (AfD), in der konstituierenden Sitzung „vier Stunden Institutionenmissbrauch“ („Verfassungsblog“) betrieben hatte. Treutler hatte unter anderem Abgeordneten das Wort entzogen und Abstimmungen nicht zugelassen.
Beschwerde: „massive Meinungsmache“
„Nordkurier“-Artikel vom 30.9.2024 Ausriss: „Nordkurier“
Zu den Medien, die alles andere als AfD-fern sind, gehört der „Nordkurier“ aus Neubrandenburg. Es war also keine Überraschung, dass in der Ausgabe vom 30. September 2024 (unter dem Autorinnenname Simone Rothe) ein Artikel über die Vorgänge in Thüringen erschien, dessen Sound der AfD wohl teilweise gefallen haben dürfte. Dort stand:
„Es gehörte bisher überwiegend zu den politischen Gepflogenheiten, dass jeweils die stärkste Fraktion auch den Landtagspräsidenten stellt. Der Verfassungsgerichtshof in Weimar – größtenteils besetzt von Parteigängern und Parteisympathisanten der etablierten Parteien – zeigte allerdings der AfD und ihrem Alterspräsidenten Jürgen Treutler ein Stopp-Schild.“
Dass der „Nordkurier“ das so sieht, ist natürlich legitim. Die Formulierung „größtenteils besetzt von Parteigängern und Parteisympathisanten der etablierten Parteien“ zog dennoch eine Beschwerde beim Presserat nach sich. Ein Leser oder eine Leserin kritisierte, es zeuge von massiver Meinungsmache, das Verfassungsgericht als ein willfähriges Organ der „etablierten“ Parteien darzustellen.
Über Rügen
Die Entscheidungen des Presserats finden, von wenigen spektakulären Ausnahmen abgesehen, selten große Aufmerksamkeit. Dabei wäre das eine der besten Wirkungen, die sie auslösen können: eine breite öffentliche Debatte. Wir befassen uns daher in dieser Rubrik mit interessanten Fällen.
Mit dem Presserat kontrolliert die deutsche Presse sich selbst. Getragen wird der Presserat von Journalisten- und Verlagsverbänden. Das Gremium prüft nach Beschwerden, ob Beiträge gegen den Pressekodex verstoßen. Es hat aber keine Sanktionsmöglichkeiten, sondern kann nur Hinweise, Missbilligungen oder Rügen aussprechen. Rügen sollte das betroffene Medium selbst veröffentlichen.
Als der Presserat dem Chefredakteur des „Nordkuriers“, Philippe Debionne, Gelegenheit zur Stellungnahme gab, teilte er zunächst mit, er könne „den Gedankengang des Beschwerdeführers nicht nachvollziehen“. Und er sei sich auch nicht sicher, ob die Redaktion des „Nordkuriers“ der richtige Ansprechpartner sei, denn der Text stamme ja von der Nachrichtenagentur dpa. Dieser Hinweis bzw. der Hinweis, dass Autorin Simone Rothe Redakteurin der Deutschen Presseagentur ist, hatte im „Nordkurier“ gefehlt. Dort stand nur ihr Name.
Presserat: „Starke politische Einfärbung“
Mit seinem Ablenkungsversuch brachte Debionne den Presserat möglicherweise erst auf die richtige Fährte. Der stellte nämlich daraufhin fest, dass der „Nordkurier“ der dpa-Autorin die beanstandete Passage untergejubelt hatte. In der dpa-Meldung stand der Zusatz nicht.
Der Presserat hat dem „Nordkurier“ daher kürzlich eine Rüge erteilt, „wegen der nicht gekennzeichneten Änderung eines Beitrags einer Nachrichtenagentur“. Durch die eingefügte Passage habe der Beitrag „eine starke politische Einfärbung“ bekommen, die der Original-Beitrag nicht enthalte, schreibt der Presserat (Az. 0914/24/1). Indem der „Nordkurier“ die dpa-Autorin als Verfasserin des Beitrags nenne, schreibe er ihr die „politische Aussage“ zu. Der Beschwerdeausschuss sah darin „eine massive Verletzung der Wahrhaftigkeit“ (Pressekodex, Ziffer 1) und der Sorgfalt (Ziffer 2). Die Rüge hat der „Nordkurier“ bisher nicht veröffentlicht. Und im Pressearchiv von Genios ist der Text weiterhin in der gerügten Version verfügbar.
Wir haben dpa gefragt, ob es vergleichbare Fälle gibt – und ob die Nachrichtenagentur dann bei den Redaktionen interveniert. Ein Sprecher antwortet:
„Bei erheblichen Veränderungen eines Textes mit dpa-Autorenzeile ist es natürlich in unserem Sinne, wenn dies in irgendeiner Weise transparent gemacht wird. Falls das nicht geschieht und geänderte oder neue Formulierungen zu Kritik an dpa führen, weisen wir gegebenenfalls darauf hin, dass die kritisierte Passage nicht von dpa stammt.“
Im aktuellen Fall habe es „Gespräche“ mit dem Nordkurier gegeben. Zu den Inhalten äußere man sich aber öffentlich nicht. Dass die dpa reserviert reagiert, ist nachvollziehbar. Will sie Redaktionen für den Umgang mit den Beiträgen der Agentur kritisieren, gerät sie in eine Zwickmühle. So auch in diesem Fall: Die Ravensburger SV-Gruppe (Schwäbischer Verlag), zu der der „Nordkurier“ gehört, ist nicht nur Kunde der Agentur, sondern auch einer der 170 Gesellschafter.
Die Gespräche begannen jedenfalls erst mehr ein halbes Jahr nach Erscheinen des Artikels. Dass der „Nordkurier“ das dpa-Original verändert hatte, war bei der Agentur erst durch die Rüge des Presserats aufgefallen.
Weitere Änderungen im „Nordkurier“
Und der „Nordkurier“ hatte den Beitrag noch an weiteren Stellen verändert. Zum einen hat er Simone Rothe zur Alleinautorin gemacht, obwohl sie den Beitrag mit einem dpa-Kollegen geschrieben hatte, wie es bei anderen Medien korrekt angegeben ist. Und ein anderer Eingriff des „Nordkuriers“ dürfte ebenfalls politisch motiviert gewesen sein.
Im dpa-Original-Beitrag findet sich der Satz:
„Der CDU-Politiker Thadäus König steht nun an der Spitze des Verfassungsorgans, nachdem die AfD in einem turbulenten ersten Sitzungsteil vor zwei Tagen versucht hatte, ihren Anspruch als stärkste Fraktion auf das Amt durchzudrücken.“
In der gedruckten Fassung des „Nordkurier“-Artikels steht allerdings „durchzusetzen“ statt „durchzudrücken“. Dabei ist die dpa-Formulierung angesichts der Regelverletzungen der AfD durchaus angemessen. Die „Nordkurier“-Formulierung hingegen deutet an, es sei mindestens legitim gewesen.
Die Person, die sich beim Presserat über den „Nordkurier“ beschwert hatte, griff diese Passage ebenfalls auf – aber wegen der Formulierung „Anspruch“. Auch hier handle sich um einen „nahezu perfekten Versuch der Indoktrination der Leser“. Denn die AfD hatte (und hat) keinen „Anspruch“ auf das Amt. Zum Zeitpunkt der vom Alterspräsidenten der AfD ins Chaos manövrierten Landtags-Sitzung war in der Geschäftsordnung (über deren Änderung die anderen Parteien an jenem Tag abstimmen wollten) bloß festgelegt, die stärkste Fraktion habe ein Vorschlagsrecht für das Amt.
Sanktionen des Presserats
Der Presserat kann drei Arten von Sanktionen erteilen:
Einen Hinweis an die Redaktion bei geringeren Verstößen.
Eine Missbilligung bei schwereren Verstößen, die die Redaktion veröffentlichen kann.
Eine Rüge als härteste Sanktion, die veröffentlicht werden muss.
Der Presserat schreibt in seiner Entscheidung, der Beschwerdeausschusses habe diskutiert, ob die Formulierung „Anspruch“ gegen den Pressekodex verstoße. Die Frage könne aber „offenbleiben“, heißt es – mit einer merkwürdigen Begründung: Denn schließlich habe ja bereits festgestanden, dass der Artikel wegen der vom „Nordkurier“ eingefügten Passage rügenswert sei.In dieser Detailfrage nicht zu entscheiden, damit macht sich der Presserat einen schlanken Fuß. Wäre er dem Beschwerdeführer gefolgt und hätte auch gerügt, dass es für die Formulierung „Anspruch“ keine Grundlage gibt, wäre ein Kuddelmuddel entstanden: Der Presserat hätte nicht nur den „Nordkurier“ rügen müssen, sondern auch dpa. Aber was spräche dagegen, wenn es eben so wäre?
Andere Titel nicht gerügt
Die Sanktion des Presserats greift auch noch in anderer Hinsicht zu kurz. Der gerügte Text erschien nämlich nicht nur im „Nordkurier“, sondern ebenfalls in der „Schweriner Volkszeitung“, den „Norddeutschen Neuesten Nachrichten“ und der brandenburgischen Tageszeitung „Der Prignitzer“. Diese Titel des Zeitungsverlags Schwerin gehören wie der „Nordkurier“ zur SV-Gruppe. Seit rund einem Jahr bilden die vier Zeitungen eine sogenannte publizistische Einheit und unterscheiden sich nur noch in ihren Lokalteilen.
Verletzt ein Artikel in der veröffentlichten Form „massiv“ die „Wahrhaftigkeit“, wie der Presserat in diesem Fall feststellt, wird das Ganze ja nicht besser, wenn er gleich in mehreren Zeitungen erscheint. Hier erweist sich die Arbeitsweise des Presserats mal wieder als Nachteil. Er prüft jeweils nur den Artikel, gegen den sich die Beschwerde richtet, schaut aber in der Regel nicht nach links, nicht nach rechts – obwohl es in der Beschwerdeordnung heißt: „Der Deutsche Presserat kann auch von sich aus ein Beschwerdeverfahren einleiten.“
Wir haben bei Übermedien auf dieses strukturelle Defizit des Presserats bereits hingewiesen. Zum Beispiel, als er einen Schleichwerbebeitrag in Klambts Zeitschrift „Die 2“ rügte, aber nicht die fast identischen Fassungen, die in acht weiteren Titeln der Verlagsgruppe erschienen waren. Oder als ein online erschienener Artikel des „Münchener Merkur“ des Ippen-Verlags über herbeifantasierten Bürgergeld-Betrug eine Missbilligung kassierte – die rund 30 Zeitungen und Anzeigenblätter des Verlags, die den Beitrag ebenfalls veröffentlicht hatten, kamen aber sanktionsfrei davon.
Der Presserat reagiert auf solche Kritik damit, er wolle und könne keine Aufsichtsinstanz für die gesamte Presse sein und nicht jeden Tag überprüfen, was Zeitungen online und gedruckt veröffentlichen. Dass er recherchiert, ob ein Artikel öfter als einmal erschienen ist, kann man aber verlangen. Von einem Leser, der in einer, vielleicht sogar „seiner“ Zeitung einen beschwerdereifen Beitrag entdeckt und sich daraufhin an den Presserat wendet, kann man es nicht.
Der Autor
Foto: Dennis Weißflog/MDR
René Martens ist seit vielen Jahren Medienjournalist, er berichtet für verschiedene Verlage und ist Mitautor der MDR-Medienkolumne „Altpapier“. Er gehört außerdem regelmäßig der Nominierungskommission des Grimme-Preises in der Kategorie Information & Kultur an und hat diverse Bücher über den FC St. Pauli verfasst.
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