Redaktionen müssen dafür geradestehen, was ihre Leser schreiben
Der Deutsche Presserat hat in seiner jüngsten Entscheidung zwei Zeitungen wegen ihres Umgangs mit Leserbriefen gerügt. Was müssen Redaktionen beachten, wenn sie Zuschriften aus der Leserschaft veröffentlichen und welche Verantwortung tragen sie für deren Inhalt?
Wenn der deutsche Presserat kontrolliert, ob Printmedien und deren Online-Auftritte ihrer journalistischen Verantwortung nachkommen, gilt das nicht nur für redaktionelle Beiträge, sondern auch für Leserbriefe. In Absatz 1 der Richtlinie 2.6 des Pressekodexes heißt es dazu:
„Bei der Veröffentlichung von Leserbriefen sind die Publizistischen Grundsätze zu beachten. Es dient der wahrhaftigen Unterrichtung der Öffentlichkeit, im Leserbriefteil auch Meinungen zu Wort kommen zu lassen, die die Redaktion nicht teilt.“
Was aber, wenn Leserbriefe diskriminierende Inhalte haben? Oder sich die Redaktion nicht sicher sein kann, ob stimmt, was in einem Leserbrief steht – und bei der Überprüfung persönliche Daten eines Leserbriefschreibers an andere weiterleitet? Mit diesen Fragen beschäftigte sich der Presserat in seiner jüngsten Sitzung. In zwei Fällen sprach er eine Rüge aus.
Worum geht es konkret?
Im ersten Fall geht es um einen in der „Schweriner Volkszeitung“ (SVZ) veröffentlichten Leserbrief, der rassistische Äußerungen eines Dachdeckers verteidigte. Die in der SVZ veröffentlichte Zuschrift bezog sich auf einen Bericht über den Handwerker, der per Inserat einen Auszubildenden gesucht hatte. Darin machte er mit abfälligen Formulierungen klar, dass er keine Schwarzen oder Juden einstellen werde. Der Dachdecker gelangte damit im April zu fragwürdiger bundesweiter Berühmtheit.
Leserbriefseite in der SVZ vom 5.5.25Ausriss: Schweriner Volkszeitung
Der Verfasser des gerügten Leserbriefs in der SVZ schrieb unter anderem: „Niemand mag vorbehaltlos alle seine Mitmenschen, jeder von uns kennt Menschen, auch Menschengruppen, die er ablehnt. Manchmal gibt es dafür triftige Gründe, manchmal ist es nur ein Gefühl.“ Zudem vertrat er die Ansicht, dass niemand gezwungen werden solle, aus seiner „ablehnenden Haltung“ ein „Geheimnis“ zu machen. „Offenbar möchte Herr W. [der Dachdecker, Anm. d. Red.] mit Juden und Farbigen nichts zu tun haben, warum auch immer. So ist es nun mal. Diese Tatsache hat die Gesellschaft hinzunehmen.“
Der zuständige Beschwerdeausschuss sieht in der Veröffentlichung dieses Leserbriefs einen schweren Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot. In Ziffer 12 des Pressekodex heißt es dazu:
„Niemand darf wegen seines Geschlechts, einer Behinderung oder seiner Zugehörigkeit zu einer ethnischen, religiösen, sozialen oder nationalen Gruppe diskriminiert werden.“
Im Fall der „Elbe-Jeetzel-Zeitung“ hatte ein Leser in einem Leserbrief Kritik an einem Bürgermeister geäußert. Die Redaktion wollte vor Abdruck die Tatsachenbehauptungen des Lesers überprüfen, die den Politiker betreffen. Im Zuge des Faktenchecks leitete ein Redakteur die Zuschrift des Lesers versehentlich per E-Mail an den Bürgermeister weiter.
Der Presserat sprach gegen die Zeitung eine Rüge wegen der „Verletzung des Redaktionsgeheimnisses“ aus. Hintergrund: Laut Ziffer 2.6.5 des Pressekodex dürfen Leserbriefe „in keinem Fall an Dritte weitergegeben werden“.
Über Rügen
Der Presserat rügt Medien, wenn sie unsauber arbeiten – aber fast niemand bekommt das mit. Wir berichten deshalb über besonders aufschlussreiche Presserats-Entscheidungen und zeigen, was sich daraus lernen lässt. Alle Folgen unserer Serie finden Sie hier.
Warum ist das wichtig?
Der Presserat wendet in Sachen „Schweriner Volkszeitung“ jenen Passus aus dem Pressekodex an, mit dem die Gleichheitsgrundsätze aus Artikel 3 des Grundgesetzes auf die journalistische Ethik übertragen werden. Indem der Presserat einen Leserbrief rügt, in dem der Verfasser seinen eigenen Rassismus und Antisemitismus hinter einem Harmlosigkeit vorgaukelnden Plauder-Ton zu verbergen versucht, setzt er ein Zeichen, das über den Einzelfall hinausweist.
Bezeichnend ist, dass mit der „Schweriner Volkszeitung“ erneut eine Zeitung aus der SV-Gruppe (Schwäbischer Verlag) durch eine presseethische Grenzüberschreitung auffällt, die erkennbar auf Beifall aus dem rechten Lager abzielt. In der jüngeren Vergangenheit hatten dies bereits zwei andere Titel der Gruppe getan: die „Schwäbische Zeitung“ und der „Nordkurier“.
Die beiden aktuellen Rügen in Sachen Leserbriefe sind Ausnahmeentscheidungen. Seit 1986 – so weit reicht die Datenbank des Presserats zurück – wurden lediglich drei Rügen wegen Verstößen gegen das Diskriminierungsverbot in Leserbriefen ausgesprochen. Eine Rüge wegen der Weiterleitung einer Zuschrift wurde bisher nur einmal erteilt.
Was sagen die Gerügten?
Gabriel Kords, Vorsitzender des Editorial Boards der SV-Gruppe, sagt auf Übermedien-Anfrage, er könne zur Rüge in Sachen Leserbrief „gegenwärtig noch nichts sagen, da uns bislang keine Begründung der Entscheidung zugegangen ist“.
Daniela Muchow, verantwortliche Redakteurin für den Lokalteil der „Elbe-Jeetzel-Zeitung“, bezieht dagegen Stellung. Sie könne die Rüge „sehr wohl nachvollziehen“, der Redaktion sei ein Fehler unterlaufen. Man werde die Rüge auf jeden Fall veröffentlichen.
Muchow erklärt im Gespräch mit Übermedien, dass die Redaktion eingegangene Leserbriefe generell auf die Richtigkeit von Tatsachenbehauptungen über Behörden oder Amtsträger überprüfe. Die Rüge im Fall der „Elbe-Jeetzel-Zeitung“ entbehrt nicht einer tragischen Ironie. Die Redaktion kam ihrer Sorgfaltspflicht nach, als sie den Leserbrief auf Richtigkeit prüfte – und genau dabei unterlief ihr ein Fehler.
Der Schweriner Fall ist ein gutes Beispiel, um Presserecht und Presseethik zu vergleichen. In diesem Kontext ist ein kurzer Seitenblick auf das Ermittlungsverfahren hilfreich, das die Staatsanwaltschaft Dresden nach mehreren Anzeigen wegen des Verdachts der Volksverhetzung gegen den Dachdecker aufgrund seiner rassistischen Äußerungen eingeleitet, und dann wieder eingestellt hatte. Die Behörde hielt sie strafrechtlich nicht für relevant und wertete sie als von der Meinungsfreiheit gedeckt. Rein rechtlich dürfte der Leserbrief, der dem Dachdecker beispringt, also kaum angreifbar sein.
Die Regeln des Pressekodexes sind allerdings schärfer. Ein Unterschied, den Redaktionen manchen Leserbriefschreibern, die auf ihre Meinungsfreiheit pochen, immer wieder erläutern müssen. Das weiß auch Daniela Muchow von der „Elbe-Jeetzel-Zeitung“:„Wir investieren viel Zeit darin, Lesern zu erklären, warum wir bestimmte Briefe nicht veröffentlichen.“
Was der Presserat in seiner Entscheidung zum Fall „Elbe-Jeetzel-Zeitung“ hervorhebt, ist besonders für eifrige Leserbriefschreiber aufschlussreich. Er macht deutlich: Wer einer Zeitung einen Leserbrief schickt, genießt redaktionellen Datenschutz. Mit anderen Worten: Für einen Leserbriefschreiber gilt das Redaktionsgeheimnis genauso wie für einen Informanten, der einer Zeitung oder einem Magazin ein brisantes Dokument zugespielt hat. Wobei ein Widerspruch bleibt: Ein Leserbriefschreiber will in aller Regel ja, dass sein Name in der Zeitung steht.
Und was gilt für Online-Kommentare von Lesern?
Während eine Redaktion die Verantwortung für Leserbriefe trägt, ist es bei Online-Kommentaren übrigens anders: In diesen Fällen ist, kurz gesagt, in erster Linie der Verfasser des Kommentars verantwortlich. Einer Redaktion drohen erst Konsequenzen, wenn sie nach Hinweisen auf Kommentare mit rechtswidrigen Inhalten nicht reagiert. Hier greift das im Telemediengesetz festgelegte „Notice-and-Takedown“-Prinzip.
Leserbriefe unterscheiden sich rechtlich also deutlich von Kommentaren unter Online-Beiträgen – auch wenn diese mitunter als moderne Form des klassischen Leserbriefs betrachtet werden.
Der Autor
Foto: Dennis Weißflog/MDR
René Martens ist seit vielen Jahren Medienjournalist, er berichtet für verschiedene Verlage und ist Mitautor der MDR-Medienkolumne „Altpapier“. Er gehört außerdem regelmäßig der Nominierungskommission des Grimme-Preises in der Kategorie Information & Kultur an und hat diverse Bücher über den FC St. Pauli verfasst.
Danke dafür. Hab die ganze Sache gar nicht mitbekommen. Der Link zur FAZ ist sehr hilfreich. Die Formulierungen des Dachdeckers sind ja wirklich zutiefst rassistisch, antisemitisch und Menschen verachtend „aber: Keine Hakennasen, Bimbos oder Zeppelträger“. WTF.
Immerhin hat der Bürgermeister, die Stadt und der Verlag dies verurteilt. Der Verlag hat Verantwortung übernommen und den Mitarbeiter, der die Annonce durchgelassen hat, entlassen. Immerhin konsequent.
Ich schrieb bis zu dieser Jahresmitte gern und oft Leserbriefe an meine regionale Tageszeitung „Wetterauer Zeitung“, hauptsächlich als Antwort und Faktencheck zu anderen mülligen Leserbriefen mit falschen oder irreführenden Behauptungen, vor der BTW und während der Ampelzeit aber hauptsächlich zu den politischen Glossen, die gern und oft, nahezu täglich, auf die Ampelkoalition eingedroschen haben – ohne Kontext, Hauptsache, die Grünen seien schuld.
Diese Tageszeitung macht es umgekehrt: statt den Schreibern zu erklären, dass ein Leserbrief *nicht* abgedruckt wird, muss die „Meinungsfreiheit“ herhalten, um zu begründen, warum auch rassistische Leserbriefe abgedruckt werden „müssten“. Die Redaktion hat auch kaum ein Einsehen.
Auch Änderungen an den Einsendungen werden ab und zu vorgenommen, die die Aussage eines Leserbriefs ändern oder verfälschen. Ich habe immer die abgedruckte Version mit meiner Einsendung verglichen und dann im Blog dokumentiert (tseeling.blogspot.com). Beschwerden über diese Änderungen waren immer fruchtlos und keiner Antwort würdig.
Mittlerweile habe ich die Zeitung zugunsten meines Blutdrucks abbestellt und schreibe keine Leserbriefe mehr. Nach einigen meiner Einsendungen wurde mein Haus mit Eiern beworfen und ich habe anonyme Einwürfe und Briefe bekommen, teilweise mit seitenlangen Behauptungen und absurden pseudo-wissenschaftlichen Pamphleten, oder auch „wir sehen uns im „.
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Danke dafür. Hab die ganze Sache gar nicht mitbekommen. Der Link zur FAZ ist sehr hilfreich. Die Formulierungen des Dachdeckers sind ja wirklich zutiefst rassistisch, antisemitisch und Menschen verachtend „aber: Keine Hakennasen, Bimbos oder Zeppelträger“. WTF.
Immerhin hat der Bürgermeister, die Stadt und der Verlag dies verurteilt. Der Verlag hat Verantwortung übernommen und den Mitarbeiter, der die Annonce durchgelassen hat, entlassen. Immerhin konsequent.
Ich schrieb bis zu dieser Jahresmitte gern und oft Leserbriefe an meine regionale Tageszeitung „Wetterauer Zeitung“, hauptsächlich als Antwort und Faktencheck zu anderen mülligen Leserbriefen mit falschen oder irreführenden Behauptungen, vor der BTW und während der Ampelzeit aber hauptsächlich zu den politischen Glossen, die gern und oft, nahezu täglich, auf die Ampelkoalition eingedroschen haben – ohne Kontext, Hauptsache, die Grünen seien schuld.
Diese Tageszeitung macht es umgekehrt: statt den Schreibern zu erklären, dass ein Leserbrief *nicht* abgedruckt wird, muss die „Meinungsfreiheit“ herhalten, um zu begründen, warum auch rassistische Leserbriefe abgedruckt werden „müssten“. Die Redaktion hat auch kaum ein Einsehen.
Auch Änderungen an den Einsendungen werden ab und zu vorgenommen, die die Aussage eines Leserbriefs ändern oder verfälschen. Ich habe immer die abgedruckte Version mit meiner Einsendung verglichen und dann im Blog dokumentiert (tseeling.blogspot.com). Beschwerden über diese Änderungen waren immer fruchtlos und keiner Antwort würdig.
Mittlerweile habe ich die Zeitung zugunsten meines Blutdrucks abbestellt und schreibe keine Leserbriefe mehr. Nach einigen meiner Einsendungen wurde mein Haus mit Eiern beworfen und ich habe anonyme Einwürfe und Briefe bekommen, teilweise mit seitenlangen Behauptungen und absurden pseudo-wissenschaftlichen Pamphleten, oder auch „wir sehen uns im „.
Danke für die Einordnung. Sehr hilfreich!