Notizblog (33)

Das Tigerenten-Ritual: Warum eine Koalition keinen Vornamen braucht

Alle Jahre wieder rufen Medien die große Suche nach Koalitionsnamen aus, von denen sich am Ende doch keiner durchsetzen wird. Dabei könnte es so einfach sein.
Ausriss: FAZ

Von den ungezählten Umfragen, zu denen deutsche Medien täglich ihr Publikum animieren, war das eine der rätselhafteren: „GroKo passt nicht mehr – haben Sie einen Namensvorschlag für die neue schwarz-rote Koalition?“, fragte der „Spiegel“ gestern. Eine knappe Mehrheit der Teilnehmer stimmte mit Ja. Man könnte versucht sein, daraus jetzt eine Nachricht zu machen: „45 Prozent der ‚Spiegel‘-Leser haben keinen Namensvorschlag für die neue schwarz-rote Koalition“, allerdings haben die Medien ja längst damit begonnen, eine große Namensvorschlag-Tauschbörse zu veranstalten, und wer Mitte dieser Woche immer noch keinen Namensvorschlag für die neue schwarz-rote Koalition hat, muss sich wirklich schon sehr dumm anstellen.

Oder es nicht anders wollen. Beim Blick in die Debattenbeiträge unter der „Spiegel“-Umfrage bekommt man nämlich das Gefühl, dass viele der Teilnehmer am liebsten nicht „Ja“ oder „Nein“, sondern „Habt ihr sie noch alle?“ geantwortet hätten.

Es ist ein Ritual vor und nach Wahlen in Deutschland geworden: die große „Oh, wie nennen wir das Ding jetzt“-Debatte. Es gibt dafür objektiv keine Notwendigkeit. Man merkt das schon an der „Spiegel“-Formulierung, in der eine überaus naheliegende Antwort auf die Frage steckt, wie man die neue schwarz-rote Koalition nennen soll: Wie wäre es mit „schwarz-rote Koalition“?

Man muss die Frage schon unbedingt diskutieren wollen, aus Langeweile, aus Witzelsucht, um politische Punkte zu machen oder eben gerade nicht über Politik zu reden. Die freundlichste Erklärung, die mir einfällt, wäre noch das, was der Engländer „Comic Relief“ nennt, eine erholsame unterhaltsame Ablenkung von dem sonstigen Elend.

Merz’ lustiger Salto und Linnemanns Trick

Was den CDU-Chef und möglichen nächsten Bundeskanzler Friedrich Merz motiviert hat, sich in „Bild“ an der Namenssuche zu beteiligen und sie dadurch noch einmal richtig zu befeuern, weiß ich nicht. Laut „Bild“ sollten sich die Arbeitsgruppen bei den Koalitionsgesprächen Gedanken über einen möglichen Namen machen. Gegenüber „Bild“ nannte er als Vorschläge: „Vielleicht schwarz-rote-Arbeitskoalition oder Koalition von Aufbruch und Erneuerung.“ Ja, vielleicht.

Merz sagte weiter: „Wir werden am Ende sicher gemeinsam einen passenden Namen finden, aber jetzt kommt es erst einmal auf den Inhalt an“, was ein lustiger Salto ist, wenn man gerade die (wie gesagt: völlig unnötige) Suche nach einem passenden Namen durch seine Wortmeldungen in ungefähr alle Nachrichten gebracht hat.

Den gleichen Trick wagte CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann, der in einer Pressekonferenz sagte, dass der Name eigentlich egal sei, aber dann einen Vorschlag machte, den er selbst „ein bisschen keck“ nannte: eine „Einfach-mal-machen-Koalition“. Er fügte hinzu, dass es wichtig sei, „dass wir hier diese ganzen Showveranstaltungen und so was alles sein lassen“, und „einfach mal arbeiten und machen, nicht reden“, und es hätten eigentlich nur noch auf Bällen balancierende Elefanten gefehlt, die mit Wunderkerzen in den Rüsseln das Wort EINFACH-MAL-MACHEN-KOALITION bilden, um den performativen Widerspruch komplett zu machen.

Die Frage, die scheinbar auch Merz umtreibt, ob man eine Koalition aus CDU/CSU und SPD angesichts schrumpfender Fraktionsgrößen noch „Große Koalition“ oder „GroKo“ nennen kann, ist keine neue. Der frühere „Focus“-Chef und FDP-Politiker Helmut Markwort mopperte schon 2017 über die sich damals anbahnende Regierung: „Das wird keine große Koalition, keine GroKo. Die zutreffende Bezeichnung wäre kleine Koalition, kurz KleiKo.“

Dieser Ausdruck klingt halb beleidigend, halb beleidigt und wird auch Jahre später noch und wieder mit einer stolzen Freude herumgereicht, als sei das ein ganz neuer Gedanke. Und wenn der Begriff einem nicht peinlich genug ist, kann man ihn natürlich noch erweitern. Weil die Grünen einer Grundgesetzänderung zustimmten, die die finanziellen Grundlagen für die neue Regierung schafft, nennt „Welt“-Herausgeber Ulf Poschardt die Koalition in seinen Kommentaren „GrüKleiKo“.

Das Schicksal der Tigerente

Es braucht dabei gar keinen besonderen Anlass, um Journalisten dazu zu bringen, sich mit solchen Fragen zu beschäftigen. 2009 löste die ZDF-Moderatorin Maybrit Illner ein kleines mediales Perpetuum-Mobile aus, als sie im TV-Duell zwischen Angela Merkel und Frank-Walter Steinmeier eine mögliche Koalition aus Union und FDP als „Tigerentenkoalition“ bezeichnete.

Die FAZ zeigte daraufhin das Spielzeug unter der Überschrift „Das hat die Tigerente nicht verdient“ auf seiner Titelseite; die Frage wurde diskutiert, wer Tiger und wer Ente sei, und der „Stern“ behelligte Janosch, den Erfinder der Tigerente, mit Fragen wie: „Kann die Tigerente auch gefährlich sein?“ („Als Ente ist sie so gefährlich wie eine Ente. Also nicht gefährlich.“) und: „Wie findet sie Guido Westerwelle?“ („Über den denke ich nicht nach. Und die Tigerente denkt sowieso nicht.“)

Die „Welt“ sammelte aus der Überzeugung, eine lustige Idee gehabt zu haben, Alternativbegriffe wie „Salamander-Koalition“, „Duden-Koalition“ und „Ortsschild-Koalition“, alles Dinge, die schwarz und gelb sind, vastehnSe? Andere sprachen von „Wespen-Koalition“ oder „Kartoffelkäfer-Koalition“.

Bei der aktuellen Koalitionsfindung hatte Springers Boulevardmagazin „Politico“ schon Ende Februar seine Leser nach Vorschlägen gefragt und eine Auswahl von „Marienkäfer-Koalition“ bis „KOREA“ (Cola mit Rotwein) veröffentlicht. Es ist der schlichteste Mitmachwettbewerb der Welt, jeder kann dabei sein, die nächste Runde geht rückwärts.

Gewinnerin dürfte die grüne Social-Media-Entertainerin Ricarda Lang sein, die für ihre Wortschöpfung „Blackrot“ nicht nur gefeiert wurde, sondern damit auch gleich wieder eine Welle weiterer Nachrichtenartikel auslöste.

Das Gute am Aus der Ampel

Am Ende wird sich ohnehin nichts von alledem durchsetzen, und wir können darüber froh sein. Denn jeder besonders bildhafte Begriff zieht nur weitere darauf aufbauende lustige Metaphern nach sich. Das Gute am Aus der Ampel ist ja auch, dass all die mit einer Lichtzeichenanlage verbundenen, super naheliegenden Sprach- und Symbolbilder nun wieder verschwinden können.

Und die neue Koalition, wenn sie sich findet, wird vermutlich „schwarz-rote Koalition“ genannt werden oder „Koalition aus Union und SPD“ oder, wie in früheren Zeiten üblich, gar „christlich-soziale Koalition“, was ein bisschen merkwürdig klingt, weil es statt auf Farben auf inhaltliche Begriffe setzt, die zumindest mal eine politische Bedeutung hatten. Die CDU/SPD-Landesregierung in Hessen setzt übrigens offensiv auf diese Eigenbezeichnung (manchmal auch aufgeblasen zur „demokratisch-christlich-sozialen Koalition“).

Und da es nur eine Bundesregierung gibt und nur eine Koalition, die sie bildet, wird es im Nachrichtenalltag fast immer ausreichen, sie genau so zu nennen: Koalition. Und die häufigsten Begriffe, die davorgestellt werden, sind eher Adjektive wie „zerstrittene“ oder, mit etwas Pech, „gescheiterte“.

11 Kommentare

  1. Hab mich damals schon gefragt, warum „Tigerente“ und nicht einfach „Tiger“. Laßt die Enten da raus! (Mein tierischer Sympathieträger Nummer eins.)

  2. Klugscheiß: Ich bin mir ziemlich sicher, dass „Merz‘ lustiger Salto“ eigentlich „Merz’ lustiger Salto“ sein sollte. Ggf. mal das Typographie-Plugin überprüfen.

  3. Schwarz-Rot ist natürlich – und alternativlos – als Cinchkabel-Koalition zu bezeichnen (obwohl rot bei denen immer den rechten Kanal markiert).

  4. Ich finde das schon in Ordnung dass von einem früheren „christlich-sozial“ zu der Farb-Namensgebung gewechselt wurde. Die Union ist schon lange nicht mehr christlich und die SPD nicht sozial.

  5. Zu #4: „christlich-sozial“ ist sowieso eine schwache Bezeichnung für eine CDU/SPD-Koalition, da es doch sehr stark an die CSU erinnert. Die nennt sich nun mal „christlich-sozial“. Ob zu Recht oder nicht, mag jeder selbst entscheiden.
    Aber die CSU stellt in Hessen sicher keine Regierung.

  6. Ich bin (als alter Frangge) ja für FCN-Koalition (1. FC Nürnberg).
    Erstens sind das die offiziellen Vereinsfarben und andererseits liegen die Glanzjahre des Vereins schon lange Zeit zurück – ganz ähnlich wie die der beiden beteiligten Parteien.
    Vielleicht gibt’s da ja tatsächlich auch noch mehr Parallelen…

  7. Und schon beginnt selbst unter einem Artikel, der sich über diese Namenvorschläge beschwert, das Vorschlagen von Namen.

  8. Weswegen übrigens für die österreichische schwarz/rot/pinke Koalition im Mediensoziolekt allenthalben der Koalitionsname „Austro-Ampel“ in Gebrauch steht, muss man auch nicht unbedingt verstehen.

  9. Schwarz-Rot – Vulkane, die Hölle, Mordor, der Nachthimmel über einer brennenden Stadt. So viele schöne Assoziationen. Vielleicht sollten Merz und Klingbeil einfach „Angola-Koalition“ pushen. Die haben zwar noch was Gelbes im Hammer-und-Sichel-Style auf der Flagge, aber mit dem Namen assoziiert man Kenia oder Jamaika und ist beruhigt.

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