dpa-Fotochefin

„Symbolbilder sind ein bisschen in Verruf geraten“: Von Ampeln und anderem Gemüse

Das ist mal was Neues, und so schön bunt! Von Morgen an wird die Bundesrepublik zum ersten Mal von SPD, Grünen und FDP regiert – einer sogenannten Ampelkoalition. Der Begriff lädt zu vielen Sprachbildern ein („Grünes Licht für die Ampel“, etc. pp.) und zu entsprechenden Symbolfotos. Das ist praktisch für Menschen, die Texte schreiben, Überschriften formulieren, Beiträge bebildern oder Seiten gestalten müssen. Es kann aber schnell auch zum Fluch werden.

Ein Interview mit der dpa-Fotochefin Silke Brüggemeier über Verkehrszeichen, dreifarbiges Gemüse und herbstliches Laub – und den Versuch, Symbolfotos moderner und journalistischer zu produzieren.

"Eine Ampel leuchtet in allen Phasen Rot, Gelb und Grün. (Langzeitbelichtung). In Berlin haben am Sonntag die ersten Sondierungsgespräche nach der Bundestagswahl 2021 stattgefunden."
„Nach der Bundestagswahl – Ampel“ Foto: dpa / Sebastian Gollnow

Übermedien: Frau Brüggemeier, gab es einen Moment, als Sie als dpa-Fotochefin wussten: Oh, jetzt müssen wir Leute losschicken, wir brauchen dringend Fotos von Ampeln?

Brüggemeier: Nein, den gab es nicht. Wir wussten zwar, dass wir Ampelmotive brauchen, aber wir haben so tolle Fotoreporter, dass wir das gar nicht beauftragen mussten. Die Möglichkeit einer solchen Koalition hatte sich ja schon vor der Wahl abgezeichnet. Dann suchen unsere Fotografen quasi von selbst bei ihrer normalen Arbeit die Motive. Die fahren dafür nicht extra raus oder nehmen sich das vor: Heute mache ich den ganzen Tag Ampel-Fotografie. Das passiert einfach, wenn die ein Motiv auf der Straße sehen und denken, das würde jetzt zu der politischen Thematik passen.

Ich stelle mir vor, dass das ein sehr anderer Job ist: Ob ich zu einem Termin fahre und den abbilden muss, oder nach irgendwelchen Dingen suche, die in Ampelfarben sind und die ich schön in Szene setze. Gibt es dafür spezielle Symbolfotografen?

Spezielle Symbolfotografen haben wir nicht. Bei einer Nachrichtenagentur wie dpa arbeiten überwiegend Allrounder, die von politischer Berichterstattung über Porträts bis hin zu Veranstaltungen fast alles fotografieren können. Die haben schon einen Blick dafür, wenn sie auf dem Weg zu einem Termin ein Motiv sehen, das in die politische Zeit oder zu anderen Symbolthemen wie der Erhöhung der Benzinpreise oder Corona passt.

Ich habe mich im Angebot der dpa-Tochter Picture Alliance mal umgesehen, da gibt es ein tolles Spektrum an allem, was irgendwie rot-gelb-grün ist: Tuschefarben, Wäscheklammern, Pinsel, Schlüsselanhänger, Gummibärchen, Mundschutz – und, natürlich, ein Klassiker, Mensch-ärgere-dich-nicht-Figuren in den entsprechenden Farben.

Ich muss das Interview leider an dieser Stelle abbrechen. (Bricht theatralisch auf dem Schreibtisch zusammen.) Also, erstmal muss man sagen, dass Picture Alliance sich nicht nur um die Zweitvermarktung der aktuellen dpa-Bilder plus Archiv kümmert, sondern noch andere Foto-Agenturen im Angebot hat, mit deren Produktion wir sonst nichts zu tun haben. Ich bin erstmal für den aktuellen Bilderdienst verantwortlich, sprich: für das ganze Tagesaktuelle. Solche Motive wie die Mensch-ärger-dich-nicht-Figuren oder auch eine Optik mit roten, gelben und grünen Gummibärchen – das ist eher die Symbolsprache der 1990er- oder 2000er-Jahre. Wir versuchen, davon im aktuellen Bilderdienst wegzukommen und würden sowas auch nicht beauftragen.

Dabei kann man aus Scrabble-Buchstaben so schön Wörter legen und damit jedes Thema illustrieren!

Ich will das auch gar nicht schlecht machen. Dafür gibt es einen Markt. Jeder, der mal im Magazin oder einer Zeitung gearbeitet hat, weiß, dass man mit Scrabble-Buchstaben wahnsinnig gut Seiten einfach layouten kann. Man muss dann nur eine gute Layout-Idee haben. Ich finde nur, eine Nachrichtenagentur sollte versuchen, anders symbolisch zu bebildern und andere Motive anzubieten.

Rot-gelb-grün sind die Ahornblätter an den Bäumen vor dem Deutschen Bundestag gefärbt.
„Rot-gelb-grün sind die Ahornblätter an den Bäumen vor dem Deutschen Bundestag gefärbt.“ Foto: dpa / Michael Kappeler

Eines der aktuellen Fotos, die Sie im Oktober aktuell im Angebot hatten, waren herbstfarbene Blätter am Reichstag. Das sah sehr schön aus, war aber natürlich auch sehr subtil in seinen Rot-, Gelb- und Grüntönen.

Ja, da bedarf es auch schon eines gewieften Art Directors, um zu wissen, was man vor allem im Zeitungslayout daraus machen kann. Das war vielleicht ein bisschen zu sophisticated und nicht plakativ genug. Aber das haben mehrere Zeitungen genutzt. Und ich finde, es ziert den Dienst trotzdem ungemein, auch wenn es vielleicht nur zwei Handvoll Kunden nehmen, weil die sich mit Sicherheit gefreut und Gedanken gemacht haben.

Rot-gelb-grün herbstlich verfärbte Blätter wachsen an Bäumen im Regierungsviertel.
„Herbst im Regierungsviertel“ Foto: dpa / Michael Kappeler

Natürlich werden die anderen Motive, wie etwa die Gummibärchen, auch immer noch genutzt. Es gibt mit Sicherheit einen Bedarf dafür, und es ernähren sich auch viele Fotoagenturen davon. Aber wir versuchen bei den Fotos, die wir jetzt produzieren, eine andere Fotosprache hinzukriegen. Das geht mehr in Richtung reales Leben und weniger gestellte Szene.

Aber man darf auch nicht vergessen, warum in den vergangenen 18 Monaten solche Motive wie Mensch-ärgere-dich-nicht-Figuren oder Scrabble-Buchstaben zumindest nach meinem Gefühl wieder vermehrt auftauchten. Symbolbilder bedürfen eines gewissen Zugangs an Örtlichkeiten und Menschen. Das war in Corona-Zeiten echt schwierig. Wer hat sich denn in den ersten beiden Lockdowns fotografieren lassen für ein Symbolfoto? Diese Corona-Zeit hat dadurch auch den Wandel in der Optik, den wir hier gerade versuchen, ein bisschen verlangsamt. Wir konnten zum Beispiel teilweise nicht einmal leere Unisäle fotografieren, weil wir gar nicht in die Uni reindurften.

„Hinweis auf Ampel“ Foto: dpa / Karl-Josef Hildenbrand

Es ist leicht, sich über viele Symbolfotos lustig zu machen, aber natürlich ist die nachrichtliche Alternative auch oft trist: Irgendwann will man ja nicht mehr sehen, wie Politiker in einer Pressekonferenz nebeneinander stehen. Gibt es bei dpa jemanden, der dafür zuständig ist, das im Blick zu behalten: Haben wir genug Fotos zum Thema XY?

Ja, wir haben einen Koordinatoren, der sich mit dem Thema Symbolbild beschäftigt. Der macht das angelehnt an die aktuelle Nachrichtenlage, versucht aber immer mal wieder zeitlose Motive zu produzieren. Der guckt sich die aktuellen Termine an und sagt den Fotografen, wenn er zu einem Thema auch Symbolfotos gebrauchen kann. Dann haben wir wieder frische Motive, die wir zu bestimmten Themen anbieten können. Grundsätzlich haben wir die Abläufe so verändert, dass wir möglichst selten Archivbilder anbieten, sondern auch in der Symbolbebilderung mit frisch produzierten Fotos auf den Markt kommen: Das ist entscheidend für uns als Nachrichtenagentur.

Das heißt, ein Kollege, der ohnehin bei einem Termin, zum Beispiel in einer Schule, wo es irgendwie irgendeine Diskussion gab um Corona-Maßnahmen, versucht, noch einen zweiten Blick zu haben und ein paar Dinge so zu fotografieren, dass man nicht unbedingt die Schule erkennt, aber zum Beispiel Masken sieht …

… Masken, Schüler, Utensilien, Etuis, ja. Schule ist sowieso ein schwieriges Thema, weil wir bei den Fotos natürlich immer ein Einverständnis brauchen von der Schulleitung, von den Eltern, vom Kollegium und Kinder meistens nur von hinten zeigen können. Wir haben das jetzt eben anders gelöst, indem wir die wirklich großen Symbolthemen zentral organisieren – auch damit unsere Kunden nicht überflutet werden aus allen möglichen Regionen mit Fotos von Masken, die auf der Straße liegen, oder Sonnenuntergängen oder Erscheinungen wie dem Blutmond. Wir schauen uns an, in welcher Region macht es am meisten Sinn, ein bestimmtes Thema zu fotografieren – zum Beispiel, weil es einen guten Kontakt zu einer Schule gibt und es da auch die Möglichkeit gibt, mit realen Menschen passende, frische Symbolbilder produzieren zu können.

Ein Beispiel ist der Tag der Hebamme. Der übliche Reflex wäre es bei vielen Agenturen, zu sagen: Wir fotografieren eine Hebamme von hinten und eine werdende Mutter, deren Gesicht man nicht erkennt. Das haben dann alle Landesbüros umgesetzt und wir hatten 25 Hebammen von hinten. In diesem Jahr haben wir uns zwei Hebammen gesucht, zu denen wir guten Kontakt haben, und sie richtig als Fotoproduktion so schön fotografiert, dass wir mit realen Menschen klargesichtlich tatsächlich auch eine andere Fotosprache erzielen konnten.

Oder ein Klassiker: ein Thema wie Hundert Jahre Deutsches Rotes Kreuz. Früher zeigte man da ein DRK-Zelt auf irgendeinem Marktplatz, wo irgendwelche Menschen stehen und sich Info-Broschüren durchlesen. Jetzt haben wir uns im Taunus einen Pfleger geholt, den wir einen ganzen Tag auf seiner Tour im Sanitätswagen begleitet und fotografiert haben. Und wenn wir das so machen, kommt meist auch inhaltlich noch ein ganz guter O-Ton dabei rum. Oder eine Geschichte, die es sich lohnt zu erzählen.

„Obst in den Farben rot, gelb und grün auf dem Viktualienmarkt“ Foto: dpa / Peter Kneffel

Um einmal noch auf die Ampel zurückzukommen: Ist es nicht eigentlich ein Fluch, dass die neue Regierung mit diesem Begriff verbunden wird und dazu einlädt, jede Entwicklung damit zu bebildern? Auch in in allen Varianten: Die Ampel springt auf rot, die Ampel ist kaputt … Macht das eine gute Bebilderung schwerer?

Nein, überhaupt nicht. Die Frage ist halt nur: Legen wir 15 Jahre lang immer wieder dieselbe Ampel auf, weil wir sagen, das erspart uns Arbeit? Oder gehen wir mit dem Thema Ampel ein bisschen anders um und setzen das, wie gerade gezeigt, in den herbstlichen Kontext oder bieten wir auch mal andere Motive an, zum Beispiel mit der Kuppel vom Reichstag im Hintergrund, so dass man dann sofort einen bundespolitischen Bezug hat. Das ist schon eine Herausforderung. Ich finde das aber nicht nervig, weil ich auch die Begehrlichkeit von Kunden verstehe, dass sie eine Optik haben wollen, bei der man auf den ersten Blick erkennt: Um was geht es hier? Da darf man auch nicht zu verkopft rangehen. Man muss schon auf der einen Seite einmal auch um die Ecke bebildern, aber auf der anderen Seite muss man schon auch noch die plakativen Motive dabei dabei haben.

„SPD beschließt Aufnahme von Ampel-Koalitionsgesprächen“ Foto: dpa / Christoph Soeder

Symbolbilder haben einen schlechten Ruf.

Ja, aber den sollten sie eigentlich gar nicht haben, weil sie oft die Redaktion retten und die Agentur. Zum Beispiel an Tagen, an denen keine Koalitionsgespräche stattfinden, aber unsere Text-Kollegen natürlich weiter über den Stand berichten. Wir brauchen diese Symbolbilder alle. Aber sie sind ein bisschen in Verruf geraten, weil sie nicht einfach in der Umsetzung sind.

Wir haben natürlich auch die Schwierigkeit auf der Kundenseite: In vielen Redaktionen, gerade im Digitalen, werden Fotoredakteursstellen gestrichen. Das heißt, Texter müssen ihre Texte selber bebildern. Als Nachrichtenagentur müssen wir mehr und mehr die Fotoredaktion der Kunden werden, damit die Texter es maximal einfach haben, gute Qualität auch im Symbolbildbereich zu bekommen, die sie einfach nehmen können.

Gibt es Ampel-Motive, die besonders viele Abnehmer gefunden haben?

Ja, das hier zum Beispiel:

"Die Ampelblume, die im Innenhof der Stadtwerke München steht, leuchtet in allen Phasen Rot, Gelb und Grün.(Langzeitbelichtung)"
„Ampelblume“ Foto: dpa / Peter Kneffel

Da wussten wir schon, dass wir auch von der Fotosprache her ein Bedürfnis getroffen haben. Es ist mal wieder eine andere Umsetzung des Themas – und da kann ein Layouter oder ein Art Director auch total viel mit machen. Er kann Zeilen drauf stellen, er kann das in ein Format gießen, wo er das haben möchte. Ich kann es hoch, quer machen, ich kann das digital nutzen und ich kann es vor allem auch für mein Smartphone nutzen. Dieses Foto lässt ganz viel layouterischen Spielraum.

Ist das real? Wie kommt das Bild zustande?

Das ist die Ampelblume in München – also Kunst!

Anspruchsvoll ist ja auch die Produktion von Fotos, um den Klimawandel zu illustrieren.

Ganz schwieriges Thema. Da findet man auch oft nur die immer gleichen Motive: rauchende Schornsteine zum Beispiel. Häufig passiert es dann auch, dass man Schornsteine hat, die mit dem Thema Klimawandel überhaupt nichts zu tun haben. Ist es womöglich ein Wasserkraftwerk, das mit dem Thema Klimawandel eigentlich nichts zu tun hat, aber tüchtig dampft, wo man denkt: Oh, das ist jetzt ein tolles Motiv. Da ist auch eine starke Fotoredaktion gefragt. Oder weil überall daran gespart wird, sind eben wir gefragt.

Vielen Dank für das Gespräch – ich bin nur ein bisschen enttäuscht, dass wir nicht mehr über Hütchen in Ampelfarben oder dreifarbige Gießkannen geredet haben. Oder, was ich auch im Picture-Alliance-Archiv in großer Zahl gefunden habe: Paprika! Das perfekte Ampel-Gemüse: rot, gelb, grün!

Ja, Paprika haben wir auch gemacht. Es wird immer wieder auch Motive geben, wo wir in diese ganz klassische Symbolbebilderung rein kommen. Und das ist auch nicht schlimm. Die Tendenz muss nur einfach eine andere sein.

„Paprika in den Farben rot, gelb und grün auf dem Viktualienmarkt“ Foto: dpa / Peter Kneffel

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