Nachrichten in Krisenzeiten

„Journalismus in der Gegenwart muss eine viel demütigere Rolle einnehmen“

"Viele Menschen fühlen sich überhaupt nicht gesehen", sagt Ellen Heinrichs, die sich mit dem von ihr gegründeten Bonn Institute für eine konstruktivere Berichterstattung einsetzt. Um wieder mehr Menschen zu erreichen, müssten Journalistinnen und Journalisten lernen, mit ihrem Publikum direkt ins Gespräch zu kommen.
Exklusiv für Übonnenten
Ellen Heinrichs, Gründerin und Geschäftsführerin des Bonn Institute
Ellen Heinrichs setzt sich als Gründerin und Geschäftsführerin des Bonn Institute dafür ein, dass deutsche Medien lösungsorientierter berichten Foto: Bonn Institute

Wie sehen die Nachrichten von morgen aus, die wir alle hören und lesen wollen? Ellen Heinrichs, Gründerin des Bonn Institute, wünscht sich, dass Medienhäuser nicht nur über neue Technologien wie KI nachdenken, sondern sich mehr damit beschäftigen, mit welchen Inhalten sie Menschen am besten erreichen. Dazu müssten Journalist:innen lösungsorientierter berichten, aber auch lernen, besser zuzuhören, findet sie. Welche Menschen heute schon gar nicht mehr auf die Idee kommen, etablierte Medien zu nutzen, und warum sie Verständnis für alle hat, die Nachrichten aktiv meiden, erzählt die Journalistin und ausgebildete Mediatorin im Gespräch mit Übermedien.


Hast du heute schon die aktuelle Lage in Nahost und in der Ukraine gecheckt?

Ich habe morgens eine Routine und dazu gehört, dass ich Deutschlandfunk höre und meine Lokalzeitung studiere. Also ja, ich bin einigermaßen gut auf dem Laufenden – wie die meisten Journalistinnen und Journalisten. Auch wenn ich manchmal spüre, dass mir das nicht guttut.

Viele Nachrichten aus den Kriegsgebieten sind vor allem Meldungen von Todeszahlen.

Heute habe ich zur besten Sendezeit bei WDR5 ein ausführliches Interview über den Krieg im Sudan gehört. Das war toll, weil es mehr geliefert hat als die aktuellen Todeszahlen oder Truppenbewegungen. Eine Person, die wirklich vor Ort gewesen ist, hat berichtet, wie sich der Krieg abseits der Fronten oder des Kampfgeschehens auf die Menschen im Sudan auswirkt. In der üblichen Kriegsberichterstattung geht das meistens unter.

Dabei bleiben solche Beiträge Menschen vermutlich länger im Gedächtnis als die reinen Wasserstandsmeldungen.

Ja, natürlich. Wir haben in einer qualitativen Studie zum Thema Kriegsberichterstattung knapp ein Jahr nach dem Überfall von Russland auf die Ukraine alle möglichen Menschen in Deutschland befragt: Was für eine Berichterstattung bräuchtet ihr, um nicht den Impuls zu verspüren, abzuschalten? Das Ergebnis war, dass die Leute sich sehr dafür interessieren, was in dem Krieg passiert. Aber sie wünschen sich nicht ausschließlich den Blick auf die Truppen und Politiker, sondern wollen viel mehr über die Auswirkungen auf die Bevölkerung erfahren. Auch darüber, wie Menschen dort weiter klarkommen, wo sie Dinge wieder aufbauen, wo sie sich unterstützen.

Viele finden, man soll und muss die Grausamkeit zeigen. Aber bei einer Berichterstattung mit einem Fokus ausschließlich auf Gräueltaten und auf die Ukrainerinnen und Ukrainer als hilflose Opfer tritt im schlechtesten Fall der Effekt der erlernten Hilflosigkeit ein: Selbst wir hier, die wir nicht direkt betroffen sind, glauben dann, dass wir Menschen hilflos sind, und übertragen das unbewusst auf andere Probleme in unserem Leben. Wir fragen uns zum Beispiel, ob wir überhaupt noch irgendetwas gegen die Klimakrise tun können. Das führt dazu, dass eine ganze Gesellschaft denkt, Engagement lohne sich nicht mehr. Deswegen ist es so wichtig, dass Journalismus nicht nur Probleme aufzeigt, sondern auch berichtet, wo schon daran gearbeitet wird, sie zu lösen.

Im aktuellen Reuters Report steht, dass 69 Prozent der Erwachsenen in Deutschland gelegentlich Nachrichten meiden, 14 Prozent oft. Man könnte sagen, das ist nicht bedenklich, sondern erstmal gute Selbstfürsorge, oder?

Ja! Ich finde es fals…

1 Kommentare

  1. „dass die Menschen sich wertvolle Inhalte wünschen.“
    […]
    „Sie wollen auch Berichterstattung über Innovationen und Lösungen für die ganzen Probleme, die sie haben.“

    Ich verstehe, dass Menschen sich das wünschen. Wie reagieren sie, wenn sie das Preisschild sehen? Wieviel sind sie bereit dafür zu bezahlen?
    Außerdem: was bevorzugen sie tagtäglich? Gerade wenn es um Nachrichten geht? Da habe ich den Eindruck, dass Geschwindigkeit und niedriger Preis (im Zweifel kostenlos) den Vorzug vor Perspektivenvielfalt und Lösungsvorschlägen erhalten. Zumindest in der Masse.

    „im digitalen Zeitalter sind Menschen nur bereit, für Dinge zu bezahlen, die ein Problem für sie lösen oder in irgendeiner Form wertvoll für sie sind.“

    Ich behaupte, dass das auch vor dem digitalen Zeitalter schon so war. Davon abgesehen hängt die Zahlungsbereitschaft noch von vielen weiteren Faktoren ab. Die Angebote sind in im digitalen Zeitalter reichlicher geworden. Nachrichten gibt es heutzutage nicht nur bei den „Qualitätsmedien“, sondern, häufig kostenlos, aus diversen anderen Kanälen.

    Dabei könnte Journalismus viel mehr sein als nur die Publikation von Artikeln, nämlich Austausch mit den Menschen.

    Reine Nachrichten sind im Vergleich zu aufwändigen Recherchen und Gesprächen äußerst kostengünstig zu produzieren.

    Bei den klassischen Printmedien haben die reinen Nachrichtenleser vermutlich den Teil mit der Meinungsvielfalt und den aufwändigen Recherchen quersubventioniert. Die reinen Nachrichten gibt‘s heute häufig kostenlos. Für viele Menschen reicht das vermutlich aus. Es bleibt somit eine kleinere Zielgruppe für den kostenintensiv zu produzierenden Teil über. Ein Teil dieser Zielgruppe wird sich lösungsorientierten Journalismus nicht nur wünschen, sondern auch bereit sein ihn zu bezahlen. Und von diesen Erträgen müssten dann Journalist:innen und Unternehmer:innen dauerhaft wirtschaftlich leben können. Das klingt nach einer spannenden Herausforderung.

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