Springers neuer Meinungssender

Wie „Fox News“ wird „Bild live“?

Als Julian Reichelt nach zwei Wochen Beurlaubung im März als Chefredakteur zu „Bild“ zurückkehrte, räumte er nicht nur persönliche, sondern auch journalistische Fehler ein. „Ich sehe durchaus“, sagte er, „dass ‚Bild‘ stärker werden kann, wenn wir Kritik nicht ausschließlich durch das Wort ‚Totalversagen‘ zum Ausdruck bringen.“ Die „kritische Kraft ‚Bild‘“ müsse man erhalten, „indem wir nicht reflexhaft erwartbar verbissen wirken, sondern … vielleicht auch mal überraschend versöhnlich oder empathisch im Ton“.

Falls diese Ankündigung, „Bild“ nicht immer mit sich überschlagender Stimme brüllen lassen zu müssen, überhaupt ernst gemeint war, ist diese Phase jedenfalls wieder vorbei. „Bild“ ist gerade extrem laut, und vermutlich hat das nicht nur mit dem Hormonspiegel des Chefredakteurs zu tun, sondern auch damit, dass „Bild“ gerade einen Fernsehsender startet.

Dessen Kern kann man seit Monaten schon sehen, in den „Bild live“-Sendungen, die „Bild“ auf seiner Homepage und verschiedenen Internet-Plattformen ausstrahlt. Dabei kann man gelegentlich auch den persönlichen Anteil des Chefredakteurs an der Lautstärke erkennen. Er ist nicht nur Antreiber hinter den Kulissen; einige besonders maßlose Wutausbrüche kommen von ihm persönlich. Manchmal wirkt es, als steige er persönlich in die Bütt, wenn ihm das Programm gerade zu lahm oder lau erscheint. Solche Anfälle sind dann – wenig verwunderlich – besonders häufig gesehene oder geteilte Clips zum Beispiel auf Youtube.

Der sich daraus entwickelnde Mechanismus einer fortschreitenden Radikalisierung liegt auf der Hand. Im Fernsehen fehlt das Moment des Teilens, durch das solche Ausschnitte ein besonders großes Publikum erreichen. Andererseits locken hier deutlich größere Werbeeinnahmen. Damit „Bild live“ auch im linearen Fernsehen funktioniert, muss der Kanal ein Ort sein, auf dem zuverlässig immer was los ist. Die aufregendsten Nachrichten, die stärkste Emotionalisierung, die distanzloseste Nähe, der größte Krawall.

Alternative zum Mainstream

Wann immer vom neuen „Bild“-Fernsehen die Rede ist, fällt von Kritikern das Schlagwort „deutsches ‚Fox News‘“. Der amerikanische Nachrichten-, oder besser: Meinungssender hat in erheblichem Maße dazu beigetragen, die Debattenkultur in den USA zu ruinieren.

Anfangs unter dem Label „fair und balanced“ (gerecht und ausgewogen) sendet der Kanal von Rupert Murdoch ein einseitiges, oft irreführendes Programm, gibt den lautesten Stimmen ein Megaphon und hat mit dazu beigetragen, dass Donald Trump amerikanischer Präsident wurde. Er verspricht einem konservativen Publikum eine Alternative zu sein zum angeblich linken, elitären Medienmainstream, und trägt zu seiner Radikalisierung und Schlechterinformiertheit bei. Gleichzeitig erzielt er so hervorragende Einschaltquoten.

Ist das das Modell für „Bild live“? Welches politische Kalkül steckt hinter dem Sender? Wie emotional, wie radikal soll er werden – um Quote zu machen oder auch um Politik zu machen? Ein Blick ins Programm der vergangenen Monate ist aufschlussreich.

Der autoritäre Staat

Zum lauteren Ton gehört etwa, dass es „Bild“ nicht mehr reicht, die Anti-Corona-Maßnahmen der Regierung als falsch zu kritisieren; „Bild“ unterstellt auch niedere Motive. Besonders sinister: Die Lust, das Volk unfrei zu halten.

„Ich habe das Gefühl, die Politik hat sich auch an diese Art und Weise, mit uns umzugehen, gewöhnt und hat Freude daran gefunden“, sagt Reichelt bei „Bild live“ mit immer wieder bebender Stimme in Bezug auf Einschränkungen durch die Corona-Politik. Menschen werde die Freiheit, zum Beispiel in der Kirche gemeinsam zu singen, genommen, „einfach weil es der Politik gefällt. Aus dieser Gefallsucht dieses starken auto-, inzwischen autoritären, Staates, müssen wir dringend wieder raus“.

Das mit dem „autoritären Staat“ rutscht ihm nicht einfach so raus. Er bekräftigt es noch einmal mit erhobenem Zeigefinger.

Reichelt setzt dann noch den Satz drauf: „Wir haben Corona besiegt.“ Ein Blick zum Beispiel auf die aktuelle Entwicklung in Israel könnte ihn eines besseren belehren.

An einem anderen Tag spricht Reichelt von einer „berauschenden Angst-Politik, die Politikern so viel Zugriff gegeben hat, dass sie davon gar nicht mehr lassen können“. Und fügt hinzu, es sei das „süße Gift der Befugnisse“, von dem Politiker „nicht genug bekommen“ können.

Es sagt das im Zusammenhang mit einem Konzert von Nena, das abgebrochen wurde, nachdem die Sängerin ihr Publikum dazu aufgerufen hatte, das Hygiene-Konzept der Veranstaltung zu missachten. Die Wut, in der Reichelt sich darüber hineinsteigert, beruht auf einer Falschinformation: Das Ordnungsamt hätte das Konzert abgebrochen. Tatsächlich hatte das, wie sich später herausstellte, der Veranstalter entschieden.

Doch Reichelt steigert sich in einen regelrechten Ordnungsamts-Hass: „Das Ordnungsamt ist etwas anderes als die Polizei, ja? Das ist eine Rechthaberorganisation. (…) Was für ein Staat ist das denn geworden? In dem eine Suborganisation von Ordnungsbehörden Menschen verbieten darf, noch ein bisschen mehr Musik zu hören?“

„Bild“-Meinungschef Filip Piatov sagt bei „Bild live“, „bei der Bundesregierung hat man den Eindruck, man will gar nicht heraus“ aus dem Lockdown. Reichelt behauptet, „die Politik möchte gar kein Ausweg aus dieser Pandemie aufzeigen. Sie möchte diesen Zustand erhalten, in dem die Bundeskanzlerin Angela Merkel oder der Gesundheitsminister Jens Spahn mir als kerngesundem, doppelt geimpftem, verantwortungsbewusstem, risikobewusstem Menschen sagen möchte, was ich mir ins Gesicht zu kleben habe“.

Irgendwann versteigt er sich noch zu dem rätselhaften Satz: „Was Angela Merkel nur zur Selbstpositionierung und für ihre eigene legacy und ihre Rolle in den Geschichtsbüchern wollte, das große Projekt Impfen, ist einfach fulminant gescheitert.“

Moderator Kai Weise formuliert: „Die Bundesregierung (…) macht jetzt Ungeimpfte zu Aussätzigen, zu Menschen zweiter Klasse, grenzt die mal richtig schön aus und hat offenbar Spaß dabei. (…) Und das ist genau die Geisteshaltung der Bundesregierung. Sie arbeitet sich ab mit einem ungehörigen Spaß, die Leute zu knechten, bei denen sie vorher das Vertrauen zerstört hat. Monate lang.“

Abkehr vom Grundgesetz

In Berlin wird innerhalb von einer Woche der Christopher Street Day genehmigt, der ein Hygiene-Konzept hat, und eine Querdenker-Demonstration untersagt, die keines hat und vorher ankündigt, sich nicht die Auflagen zu halten. Man kann diese Entscheidungen für falsch halten, aber es gibt einen nachvollziehbaren, sachlichen Grund für die unterschiedlichen Entscheidungen.

„Bild“ aber unterstellt, dass es keinen Unterschied in der Sache gab, sondern allein darin, wie genehm dem Staat die jeweiligen Veranstaltungen waren. Julian Reichelt schäumt bei „Bild live“:

Inzwischen sind Demos erlaubt, die Politikern gefallen. Ganz einfach. Und das ist einfach eine Abkehr von unserem Grundgesetz. Das ist eine schreckliche und furchterregende Entwicklung. Und wir glauben doch nicht ernsthaft, dass man Minderheiten in einem Land am besten schützt, in dem der Staat entscheidet, was richtige und falsche Meinungen, was richtige und falsche Ansichten sind. Das ist genau der Weg dahin, wohin es gefährlich wird für Minderheiten.

Er hätte recht, wenn es so – „ganz einfach“ – wäre, wie er sagt. Aber so ist es nicht. Und deshalb ist das eigentlich Furchterregende die Bereitschaft zur Verdrehung der Tatsachen.

Karrussellschubser

Dass „Bild“ einseitig ist, unseriös, laut, verantwortungslos – all das ist nicht neu. Aber in den „Bild live“-Situationen verschärft sich vieles davon. Die Emotionalisierung, die eine Schlagzeile erreichen kann, ist wenig gegen die Emotionalisierung, die Ton und Bewegtbild auslösen können. Es ist nach über dreißig Jahren wieder an der Zeit, Neil Postmans Standardwerk „Wir amüsieren uns zu Tode“ zu lesen mit seiner Warnung, was passiert, wenn in einem Medium wie dem Fernsehen alles, insbesondere Nachrichten, einer Unterhaltungslogik untergeordnet wird.

„Bild live“-Chef Claus Strunz formuliert das im Interview mit dem Branchendienst „Meedia“ so:

Ich stelle mir „Bild“ gerne als Karussell vor – natürlich schon immer das größte auf dem Jahrmarkt. Es wird durch Neuigkeiten angetrieben. Je mehr, desto schneller. Je schneller, desto mehr Spaß für die Gäste. Früher wurde das Karussell einmal am Tag von Print angeschubst – mit voller Wucht am frühen Morgen. Online machte das Karussell viel schneller, Tag und Nacht. Und jetzt kriegt das Karussell eben noch einen kräftigen Schubser mehr – durch TV, 24 Stunden pro Tag, sieben Tage die Woche, immer live. Das Nachrichten-Rad wird laufend mit neuen Themen befeuert und beschleunigt, das Karussell damit noch schneller, noch aufregender und noch attraktiver für immer mehr Mitfahrer.

In seiner Rolle als Karrussellschubser hat sich Strunz neulich über einen Fall in Leer geäußert. Dort sollen drei Flüchtlinge eine 18-Jährige vergewaltigt haben sollen. Sein Monolog wurde ein wilder, erhellender Ritt:

Ich bin sehr sehr gespannt, ob sozusagen das, was unserer Justiz zur Verfügung steht, ausreicht, um dieses Signal zu setzen. Und ob diese drei Männer noch lange in Deutschland sein können. Eins noch vorweg: Man muss die Details der Tat sich nochmal angucken. Und ganz ehrlich, auch wenn das jetzt so ein bisschen, wie soll man sagen, unprofessionell wirkt: Ganz so viel muss man da nicht mehr anschauen – wenn sie es gemacht haben. Wenn sie es nicht gemacht haben, dann … okay klar.

Aber wenn sie es gemacht haben, ist es auch nicht mehr wichtig, ob die jetzt ganz doll zugeschlagen haben, oder weniger doll zugeschlagen haben. Oder ob sie es einmal oder dreimal gemacht haben, was dann in einem Strafprozess immer eine Rolle spielt. Das finde ich absolut absurd. Allein die Vorstellung, sich zu dritt über ein Mädchen herzumachen, ist in unserer Zivilgesellschaft außerhalb jeder Vorstellungskraft, dass es entsprechend geahndet werden muss.

Kulturkampf Gendern

An Stimmungmache gegen Homosexuelle würde sich die heutige „Bild“ nicht mehr beteiligen. Aber Menschen, die sich nicht in das binäre Geschlechtssystem einordnen wollen oder können, taugen noch als Aufregerthema. „Die nächste Bundestagswahl wird gewinnen, wer auf die Frage ‚Wie viel Geschlechter gibt es‘ ganz eindeutig antwortet: zwei“, ruft Reichelt.

Der Kampf gegen das Gendern lässt sich als Kulturkampf inszenieren, und die Entscheidung der Lufthansa, auf die Begrüßungsfloskel „sehr geehrte Damen und Herren“ zugunsten von Formulierungen wie „Herzlich willkommen an Bord“ zu verzichten, animiert den „Bild“-Chefredakteur live zu einer absurden Improvisation:

Was passiert eigentlich in Zukunft, wenn der Flugbegleiter oder die Flugbegleiterin jemanden einfach als Herr oder Frau anspricht? Manchmal wird man ja sogar noch namentlich begrüßt im Flugzeug, aber… was ist denn, wenn mich an dem Tag gar nicht als Herr Reichelt fühle, sondern als Frau Reichelt? Wie reagiert die Lufthansa darauf? Wollen sie in Zukunft einfach sagen: Guten Morgen, Reichelt? oder wollen sie am Ende gar nicht mehr Guten Morgen sagen. Das ist es nämlich das, wozu es dann am Ende führt: Lasst uns am Ende gar nicht mehr miteinander sprechen, damit sich bloß niemand gekränkt oder verletzt fühlen könnte von unserer Wortwahl.

Die Moderatorin kündigt an: „Wir bleiben an diesem Thema für Sie dran, und zwar in unserer neuen Rubrik: Irrsinn des Tages – Neues von der Sprachpolizei.“

Zur Inszenierung und Selbstüberhöhung gehört auch die – regelmäßig falsche – Behauptung, dass man der einzige ist, der Dinge berichtet, der die „unbequemen Wahrheiten“ ausspricht (die erstaunlicherweise nie unangenehm für einen selbst sind), das immer hyperventilierendere Abarbeiten an den Öffentlich-Rechtlichen. Vermutlich ist es auch kein Zufall, dass „Bild“ gerade jetzt einen eigenen Anti-Medien-Redakteur eingestellt hat, der noch aus den kleinsten Dingen, die in irgendeinem Instagram-Account von ARD und ZDF passiert, einen großen Skandal macht.

Dieser Mythos, als einziger unerschrocken die Wahrheit zu sagen, er gehört natürlich mit zum Marketing-Mythos auch von „Bild“.

Vier „Bild“-Leute, eine Meinung

Es hat etwas Furchteinflößendes, wenn man Reichelt sieht, wie er sich, offenbar berauscht von den eigenen Worten und dem fortwährenden Nicken der Moderatoren, in immer schärfere, wütendere Formulierungen treiben lässt. Und dann stehen da vier „Bild“-Leute um den Tisch, die alle dieselbe Meinung haben und sich in ihrer Fassungslosigkeit bestätigen und in ihrer Wut antreiben, und ein Vergleich mit „Fox News“ erscheint gar nicht so abwegig.

Und doch hinkt der Vergleich mit „Fox News“, und das hat ein bisschen mit den eigenen Grenzen des Blattes und des Verlags Axel Springer zu tun, und viel mit dem unterschiedlichen gesellschaftlichen Umfeld. „Bild“ verbreitet nicht in derselben Konsequenz wie „Fox News“ eine rechte oder gar extrem rechte Weltsicht. Und für eine solche Sicht fehlt in Deutschland für ein großes Massenmedium wohl auch ein ausreichend großer Resonanzraum.

„Fox News“ entstand nicht in einem Vakuum, sondern konnte auf einem politischen und medialen Ökosystem aufbauen, das ultrakonservative Radio-Talkshow-Hosts schon lange gepflegt haben. Es kann auf ein Netzwerk aus Politikern und Publizisten zurückgreifen.

„Bild“ hingegen fehlt die politische Partei, für die sie trommeln kann, indem sie sich ihre populistischen Forderungen auf die Fahnen schreibt. Das ist gleich bei zwei großen Themen, bei denen sie sich als Stimme des Widerspruchs profiliert, besonders auffällig und problematisch für „Bild“: Ausländer/Flüchtlinge und Corona.

In ihrem Furor wirkt „Bild“ regelmäßig wie der politische Arm der AfD oder der Querdenker und wird von ihnen entsprechend auch als Medium wahrgenommen, das Stimmung in ihrem Sinne macht. Aber gleichzeitig grenzt sich „Bild“ von diesen Protagonisten ab. Mit der AfD selbst will sie nichts zu tun haben – nicht zuletzt wegen deren Verharmlosung des Holocaust und ihrer fehlenden klaren Abgrenzung zum Antisemitismus. Auch den prominenten Figuren der Querdenker-Szene gibt „Bild“ auffällig wenig Raum auf der Bühne. Stattdessen umarmt sie Leute wie Jan-Josef Liefers, die sich als bloße Figuren eines Das-wird-man-doch-wohl-noch-fragen-Dürfen darstellen lassen und als Opfer von Denkverboten.

Hinzu kommt, dass „Bild“ sich beim Thema Corona zwar hyperpopulistisch gibt, aber dabei nach allen Umfragen nicht einmal von sich behaupten kann, die Stimme des Volkes zu sein: Umfragen zeigen, dass eine klare Mehrheit auch nach eineinhalb Jahren immer noch die Maßnahmen befürwortet.

Gegen die Grünen und Merkel

„Bild“ bekämpft mit Inbrunst die Grünen und wirkt dabei tatsächlich foxnewshaft, wenn sie zum Beispiel Meteorologen, die nicht nur über das Wetter von morgen reden, sondern auch über das drohende Wetter in ein paar Jahren, vorwirft, heimlich Wahlkampf zu machen. Wieviel Schwung „Bild live“ aus der Angstmache vor Annalena Baerbock generieren und wie die Macher sich davon aus der Kurve tragen lassen, kann man in diesem Ausschnitt erahnen:

„Bild“ gibt sich als knallharte Kritikerin der Bundesregierung, und Angela Merkel taugt auch in den letzten Monaten ihrer Amtszeit noch in erstaunlicher Weise als Projektionsfigur für alles, was Julian Reichelt verabscheut. Aber für wen kämpft „Bild“? Als Verbündete aus der aktiven Politik taugen nur wenige Figuren wie FDP-Vize Wolfgang Kubicki, wenn er besonders laut poltert, oder der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz, für „Bild“ eine Art Heiligenfigur, die man aber leider in Deutschland nicht wählen kann.

Der Wut von „Bild“ auf die Politik und, zunehmend, den ganzen Staat, seine Vertreter und seine Institutionen, fehlt ein unmittelbarer Verbündeter. Die Alternative, die sich aufdrängt und selbst so nennt, findet „Bild“ – zum Glück – abstoßend. Sie gibt der AfD indirekt immer wieder recht, will sie aber nicht empfehlen und versucht sie in ihrer Berichterstattung weitgehend zu ignorieren. Das macht ihren Kampf merkwürdig hilflos, aber sicher nicht wirkungslos. Das Gift, das „Bild“ in die Debatte träufelt, macht sich natürlich trotzdem bemerkbar.

„Fox News“ floriert in einer amerikanischen Gesellschaft, die zutiefst gespalten ist in zwei mehr oder weniger gleich große Teile. Der Teil der deutschen Gesellschaft, dessen Sprachrohr „Bild“ in den radikaleren Momenten gerade ist, ist immer noch eine Minderheit, und die ideologische Spaltung ist hier noch nicht annähernd so tief.

Aber das lässt sich ja ändern, vielleicht auch durch „Bild live“.

15 Kommentare

  1. Das trifft den Kern meiner Wahrnehmung:
    „Sie gibt der AfD indirekt immer wieder recht, will sie aber nicht empfehlen und versucht sie in ihrer Berichterstattung weitgehend zu ignorieren. “
    Ich prognostiziere in einem Jahr haben sie damit den Turnaround geschafft und bescheinigen der AfD das zu sein, was sie wie eine Monstranz vor sich hertragen: die Einzigen, die sich trauen, die „Wahrheit“ auszusprechen und blasen in das Horn des „Staatsfunks“ und dass die „GEZ“ ihren freien Journalismus behindert.
    Und wenn das Corona ausgelutscht ist, wird der „Autoritäre Staat“ wieder als ein schwacher präsentiert, weil ein Dieter, eine Petra oder ein Mustafa 3,50€ Sozialhilfe kassiert haben, die ihren „Recherchen“ nicht zustehen.

  2. Der Medienmechanismus fängt schon an zu greifen. Der allgegenwärtige Jürgen Klopp erzählt bei BILD-TV warum er keine Brille mehr trägt und die banale Meldung dreht jetzt ihre Runden durch die Sportressorts.
    Eigentlich ist der Sender aber nur ein aufgepumptes BILD-Live. Das wird sich mit der Zeit versenden und die Quoten werden nicht besonders hoch sein. Die werden nur Katastrophengewinnler sein, weil sie da schneller reagieren können als der ÖRR. Das war aber bisher auch schon so.
    Bei mir bleibt selbstverständlich Arte auf Programmplatz eins, zumindest bis Übermedien-TV auf Sendung geht!

  3. Es ist im Interesse einer Friede Springer, dass die Menschen größmöglichst verunsichert werden, auf allen Seiten: Den Verschwurblern gibt man das Futter, das sie brauchen, der AfD entzieht man die Liebe, die Grünen greift man frontal an und will ihnen die Illusion nehmen, dass ihr Tun irgend etwas bewirken würde, die Linken ignoriert man noch mehr als die AfD, denn Marxismus und Planwirtschaft sind jetzt eine Grüne Bedrohung, REZO und Greta sinddie Antichristen. Und in diesem ganzen hinkonstruierten Verunsicherungsszenario, in dem sich jeder wiederfindet und auch bedroht fühlt, sollten die potenziellen Wähler reflaxhaft auf Nummer Sicher wählen. Die Botschaft ist klar: „Keine Experimente.“

  4. Ich bin schon seit langem der Meinung, dass Deutschland eine Art „Fox News“ braucht. Denn das ist Meinungsfreiheit. Ich glaube auch nicht, dass Amerika eine starke rechte Partei hat, weil es „Fox News“ gibt. Nein, es gibt „Fox News“, weil es viele konservative US-Bürger gibt. Für die fortschrittlichen Amerikaner gibt es die New York Times, die Washington Post, CNN, MSNBC und sonstige Zeitungen und Sender. Und trotz „Fox News“ hat Biden gewonnen.
    Auch in Deutschland besteht keine Gefahr durch „Bild“. Die Zeitungsauflage sinkt, der Internet-Auftritt ist einer unter vielen, „Bild TV“ wird ein relativ kleiner Sender bleiben. Er ist sogar gut für ARD und ZDF, denn die können sagen, seht her, im Fernsehen gibt es doch eine breite Meinungsfreiheit.
    Die meisten Übonnenten werden sowieso nicht zu Fans von „Bild TV“ werden. Regt Euch also ab.

  5. @Florian Blechschmied

    Sie sind der Meinung, es bräuchte in Deutschland einen quotenstarken Sender, der unter dem Deckmantel von Meinungsfreiheit Unwahrheiten und Verdrehungen am laufenden Band produziert? Warum wünschen Sie sich das?

    Im Übrigen treiben sich so ein Sender und das Publikum gegenseitig in die Radikalität. Fox News erreicht ein Publikum, das zu großen Teilen alle möglichen Lügen glaubt. Um dieses Publikum zu bespielen, muss der Sender Leuten Sendungen geben, die diese Lügen mindestens ignorieren oder aber sogar unterstützen. Schraubt Fox New seine Radikalität auch nur ein Stück zurück und erkennt beispielsweise nicht den ganz großen Wahlbetrug, brechen auch mal ganz schnell die Quoten ein (und das will ein gewinnorientierter Sender natürlich nicht). Durch diese Wechselwirkung bestärken sich Sender und Zuschauer gegenseitig in ihrer Radikalität. Ein Sender wie Fox News ist Gift für die öffentliche Debattenkultur und richtet gesellschaftlichen Schaden an. Nicht jeder Irre braucht eine Plattform, wo seine Meinung repräsentiert ist.

  6. @Ritter der Nacht: Sie haben nicht verstanden, was Meinungsfreiheit ist. Jeder „Irre“ braucht eine Plattform, wo seine Meinung repräsentiert ist. Also auch Sie und ich. Ich muss Ihre Meinung ertragen, selbst wenn ich sie für „irre“ hielte. Und Sie meine „irre“ Meinung. Ertragen Sie also „Bild TV“, indem Sie es ignorieren oder ihm widersprechen. Ich hätte auch nichts gegen russische oder chinesische Propagandasender in deutscher Sprache. Von mir aus kann es auch ein „taz tv“ geben oder einen „Neuen Deutschen Fernsehfunk“ von „nd“ und Linkspartei.

  7. „Was für ein Staat ist das denn geworden? In dem eine Suborganisation von Ordnungsbehörden Menschen verbieten darf, noch ein bisschen mehr Musik zu hören?“
    Oh nein, staatliche Exekutive hat staatliche Exkutivbefugnisse! So weit isses schon! :D

    „Sie gibt der AfD indirekt immer wieder recht, will sie aber nicht empfehlen und versucht sie in ihrer Berichterstattung weitgehend zu ignorieren.“
    Das ist doch das dogwhistling. „Leude, wir sind auf eurer Seite, aber dürfen es nicht sagen“. Wobei „dürfen“ natürlich nur bedeutet, dass man damit die Brücke zu den Normalkonservativen verliert. Die Mehrheitsverhältnisse reichen einfach nicht aus, als dass man sich endlich zu den Rassisten bekennen könnte.

    Dass Bild für eine Mehrheit spricht ist ja auch schon paar Jahrzehnte her.

  8. https://bildblog.de/130610/dankebild-ihr-werdet-immer-besser/
    Hierzu passt auch der neueste bildblog Artikel.

    „Unverschämtheit“ und “Man kann das nur dann behaupten, wenn man bereit ist, Fakten schlichtweg zu ignorieren.”
    Das ist doch die Einladung, Herrn Reichelt mit Fakten zu konfrontieren. Mehr, als sich selbst (faktenfrei) etwas zu attestieren kommt da doch eh nicht von der Bildzeitung.
    Andererseits ist das ja auch Schlammcatchen mit Schweinen …

  9. Der Artikel hat doch eindrucksvoll herausgearbeitet, dass BILD-TV eben nicht mit Fox News zu vergleichen ist. Es ist ein 24 Stunden langes Boulevardmagazin im Fernsehen.
    Und die Interviews mit Laschet und Scholz von gestern unterscheiden sich qualitativ kaum von den entsprechenden Formaten im ÖRR, mit der albernen Satzvervollständigung oder den noch albernen entweder – oder Fragen.
    Ich sehe keine Gefahr für die Pressefreiheit, den politischen Diskurs, die FDGO oder sonstige liebgewonnene Werte.
    Lasst die ruhig mal machen.

  10. Ausgewogene Berichterstattung à la Springer: Die dramatische Kanzlerkandidatensendung (gendern ist in diesem Fall nicht notwendig) mit den »härtesten Fragen Deutschlands« beginnt um 19:30 Uhr; die Kanzlerkandidatin Baerbock wird um 22:37 erstmals und letztmals namentlich erwähnt.

    Sehr lustige Zusammenfassung von dem ganzen Shice: https://www.spiegel.de/kultur/tv/olaf-scholz-und-armin-laschet-bei-bild-tv-die-falle-mit-der-deutschlandfahne-a-c885b2f3-1ff5-4b32-86eb-58d444f85cf0

  11. Ich finde das höchst beunruhigend. Hier geht es – wie immer bei BILD – nicht um Argumente, um Fakten, um rationale Auseinandersetzungen oder das Gewichten von Meinungen, sondern um Lautstärke und Desinformation. Und das zerstört eine Gesellschaft langfristig.
    Wenn BILD-TV noch nicht Fox News ist, umso besser. Aber kann ja noch werden.

  12. Die Menge an Koks, das man sich ins Red Bull mischen muss, um die Empörung und den Puls derart hochzuhalten, muss bei BILD in all ihren medialen Formen schon enorm sein.
    Und vermutlich fehlinvestiert – wer guckt denn heutzutage derart viel Fernsehen, um das ganze Tohuwabohu mitzukriegen und den eigenen Zustand der Empörung auch so hochzutreiben? Es sei denn, das Ziel ist eher, teilbare Clips und Videos zu produzieren für andere Kanäle.

  13. @Mr Re

    Auch wenn das primär nicht unbedingt das Ziel sein muss, könnte es tatsächlich darauf hinauslaufen. Abgeordnete der AfD halten ihre Reden im Parlament ja auch oft mit der Absicht, es anschließend mit der Zielgruppe im Netz zu teilen. BILD wird abseits von akuten Krisensituationen wohl in erster Linie „meinungsstarke“ Clips heraushauen, mit denen man auf sich aufmerksam macht. Auch wenn man damit durchaus die Debatte beeinflussen können mag, stellt sich am Ende die Frage, inwiefern das mit den ökonomischen Zielen übereinstimmt. Die Zielgruppe wird ja größtenteils kaum die Zeitung öfter kaufen oder ein Abonnement für den Sender abschließen.

  14. #11 #12
    Na ja, aber das dürfte aber nicht zwingend das Ziel der „Shareholder“ im Hintergrund sein. Ich frage mich manchmal, wie lange die sich diesen Julian Reichelt und seine Truppe aus Halbstarken noch leisten werden.
    Erwachsen wirken die alle nicht.
    Axel Cäsars Traum war ein Fernsehsender. Kein Youtube Content Studio mit Sendelizenz.
    Reichelt ist unlängst noch mit einem blauen Auge durchgerutscht. Ein wenig vielleicht auch, weil ein Abgang ein wie ein Sieg des diffusen politischen Feindbildes aus Feminismus und political Correctness gewirkt hätte. Aber liefert er mit dem Sender nicht ordentlich ab, würde ich kein neues Firmenfahrzeug mehr auf seinen Namen leasen lassen.

  15. @Florian Blechschmied

    Und Sie haben nicht verstanden, dass Gesellschaft Irrsinn regulieren muss, um zu funktionieren. Nicht jede Ansicht hat die gleiche Berechtigung und eine Gesellschaft muss sich vor dem größten Schwachsinn schützen, genauso wie es keine Toleranz gegenüber Intoleranz geben kann. Zumal es hier nicht einfach nur um Meinungen geht, sondern um Lügen. Wenn Sie das mal zu Ende denken und jedem das Recht einräumen wollen, die größten Lügen zu verbreiten, gibt es bald kein gemeinsames Fundament mehr, auf dessen Basis sich überhaupt Interpretationen bilden können. Ich betrachte Demokratie als die beste weil integrativste bis jetzt erfundene Staatsform, aber Demokratien sind anfällig. Geben Sie Islamisten, Fundamentalchristen, Rechts- und Linksradikalen, Autokraten, Homöopathen und Verschwörungstheoretikern mal zehn, zwanzig, dreißig Jahre Zeit, unter dem Deckmantel des Journalismus reichweitenstark Lügen zu verbreiten, und betrachten Sie dann den Zustand der Demokratie. Dürfte vor allem dann Spaß machen, wenn man so richtig Bock auf Zersetzung hat. Das, was wir jetzt schon an diesen Auswüchsen haben, reicht mir völlig, und angesichts der Tatsache, dass ich den Verantwortlichen keine anonymen Drohbriefe schreibe, toleriere ich sie offenbar sogar, aber dann muss ich mir doch nicht noch mehr von den diesen wünschen.

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