Verlag löscht Artikel

Was darf Satire mit paar Biere? Warum eine Kolumne über Julian Reichelt verschwand

Es gibt Dinge, die ich derzeit bereue: den Abschluss meiner Zahnzusatzversicherung (Stand jetzt), die Benutzung jedes zweiten Desinfektionsspenders im öffentlichen Raum (mmmh, Mango-Klostein!) und den Kauf einer Second-Hand-Jeans von „Joop“ im Sommer, die in den letzten Wochen kaum schlechter hätte altern können. Was ich hingegen nicht bereue: dass ich eine Kolumne zur Entlassung von „Bild“-Chef Julian Reichelt geschrieben habe, die erst ver- und dann wieder entöffentlicht wurde. Huch, wie kam’s?

Screenshot der Aufmachergrafik zur Kolumne von Iven Sohmann
Aufmachergrafik zur Original-Kolumne Screenshot: Iven Sohmann

Ode an die Schadenfreude

Für das „Mixology“-Magazin schreibe ich regelmäßig die Online-Kolumne „Theken & Marken“, in der ich als Kommunikationsdesigner auf die Bar- und Getränkebranche blicke. Mit Humor und Kritik – Süßes für die Seele, Salziges für die Wunden. So nahm ich den unfreiwilligen Abgang Reichelts kürzlich zum Anlass, um in einem halbfiktiven Späti-Szenario darüber zu sinnieren, mit welchem Bier sich diese Meldung am besten begießen ließe. Auf gut 6000 Zeichen breitete ich die folgende Forschungsfrage aus: „Reichelt raus, Bier rein, aber welches?“

Mir ging es dabei um legitime Lacher über einen gemeingefährlichen Agitator, der „sich seinen Knüppel selbst in die Speichen rammt, vom Sattel fliegt und nun nicht mehr nach unten treten kann“. Die Stimmen, die reflexartig Milde und Zurückhaltung, ja Welpenschutz für den Wolf einforderten, motivierten mich zusätzlich. What the fact? Niemand ist gestorben, niemand ist tödlich erkrankt. Wenn eine öffentliche Person in einflussreicher Führungsposition ihren Job verliert, weil sie ihn offenbar nicht gut macht (und hierzu würde ich mutmaßlichen Machtmissbrauch ganz sicher zählen), dann sind das doch gute Nachrichten, oder? Entsprechend beklatschte meine Kolumne den „Niedergang von Tyrannosaurus Sex“, die vorübergehende „Enthauptung der Bild-Zeitung“ und den uns bitteschön vergönnten „Schadenfreudentaumel“.

Dass bei so viel „Friede, Freude, Eiertreten!“ die eine oder andere fragwürdige Spitze kommt, liegt in der Natur der Satire. Ich darf aber beruhigen: Der verwendete Ausdruck „Graf Koks von der Hassanstalt“ geht ursprünglich auf die Montanindustrie und nicht etwa auf Tony Montana zurück. Derart plump gegen angeblichen (aber bestrittenen) Kokainkonsum zu wettern, stünde mir als Schnaps-Schreiberling ohnehin nicht zu. Mit den übrigen Kraftausdrücken in meinem Text ließe sich auf hiesigen Schulhöfen ebenfalls kein verbaler Schlagabtausch gewinnen. Und so hatte das Redigat der „Mixology“-Redaktion samt rechtlicher Prüfung, vermutlich unter eindringlicher Klavierbegleitung von Danger Dan, ergeben: Das ist alles von der Pressefreiheit gedeckt.

Dennoch blieb die Kolumne keine 36 Stunden online und war plötzlich verschwunden. „Aus Verlagsgründen“, wie es noch am selben Abend aus der Redaktion hieß. Mit dem Meininger Verlag hatte ich noch nie zu tun. Anfang 2020 hatte er die Marke „Mixology“ samt Zeitschrift und Onlineportal von der Mixology Verlags GmbH übernommen. Ich schreibe seit 2015 für „Mixology“ und für mich hatte sich dadurch nichts geändert – bis zu diesem Moment.

Jäger des verlorenen Textes

Jenem Moment, in dem ich realisieren musste, dass selbst eine bereits erfolgte Veröffentlichung meinen mühsam gefeilten Text nicht schützt. Ich saß in einem Ferienhaus irgendwo zwischen Saunadampf und Kaminfeuer und war enttäuscht. Da bin ich schon in den Wäldern Brandenburgs und empfange trotzdem noch (schlechte) Nachrichten! Das verlängerte Wochenende wäre sicher versaut gewesen, hätte ich mir nicht einreden können, dass die Kolumne mit zwei, drei Änderungen bald wieder online ginge. Auf Instagram las ich den Kommentar vom „Mixology“-Account: „Der Beitrag ist leider vorerst nicht mehr verfügbar.“ Springer happens, dachte ich mir, aber so schnell?

Screenshot der wieder offline genommenen Kolumne von Iven Sohmann bei Instagram mit einem Kommentar des
Screenshot der wieder offline genommenen Kolumne von Iven Sohmann bei Instagram Screenshot: Iven Sohmann

Gar nicht schnell, dafür umso überraschender erfuhr ich eine Woche später aus der Redaktion, dass es weder eine Reaktion anderer Medienhäuser noch allzu große Befürchtungen darum gegeben habe. Vielmehr sei es zu internen und intensiven Diskussionen zwischen Redaktion und Verlag gekommen. Wenn nicht wegen Reichelt, „Bild“, Springer – warum denn dann?

Mit weiteren Details hielt sich die Redaktion zunächst bedeckt, versicherte mir aber, für den Text gekämpft zu haben. Daran habe ich bis heute keinen Zweifel. Danke! Aber: Ich dachte immer, es gehöre zum guten Ton, dass Verlage nicht in redaktionelle Abläufe eingreifen. Ippen ist menschlich. Die lückenhafte Informationslage ließ mich über die Beweggründe des Verlags weiter grübeln. Eine interne Abteilung hatte rechtliche Bedenken ja vorab schon ausgeräumt, ein mattsetzender Springerzug schien nun ebenfalls ausgeschlossen.

Ich lese meinen Text wieder und wieder – who hurt you? In der Kolumne kam ich beiläufig auf zwei weitere mutmaßlich „machtmissbrauchende Mächtige“ zu sprechen, die sich kurz zuvor ausgepowert hatten: „Lügen-Laschet“ und „Korrupti-Kurz“. Könnte es etwa sein, dass meine Kolumne zu politisch war? Das kann ich mir bei einem Verlag, dessen „Sommelier-Magazin“ jahrelang von der gleichzeitigen CDU-Bundestagsabgeordneten Julia Klöckner geleitet wurde, beim schlechtesten Willen nicht vorstellen. Und dem war wohl auch nicht so.

Bube, Dame, König, Fass

Durch abermaliges Nachhaken bei der Redaktion erfuhr ich drei Wochen nach dem On-Off-Fiasko endlich, woran der Verlag Anstoß nahm. Es ging, oha, nicht um Reichelt, Springer, Laschet oder Kurz, sondern um die in der Kolumne kollateralgeschmähten Biermarken. Die großen Brauereien inserieren regelmäßig in anderen Publikationen des Hauses und gehören – streng nach deutschem Reinheitsgebot – bitte nicht durch den Kakao gezogen! Es geht also um Geld. Das macht es freilich nicht besser, nur noch grotesker. Klar, Marken und Produkte schöngeistig in die Tonne zu treten, ist meine Superpower. Allerdings setze ich diese Kraft stets gewissenhaft ein. Was die Brauereien in der Kolumne erdulden mussten, war lediglich Frotzelei:

Für ein Hoch auf den Fall des „Pornobrillen-Popanz(es)“ war mir das „Odin-Trunk Honigbier“ zu „schleimig“, von zu viel „Würgereiz“ begleitet. Dem „Pilsator“ attestierte ich ebenfalls unfreiwillige Parallelen zu Reichelt – beide litten unter einer „Diskrepanz zwischen dem erhaben formulierten Anspruch und dem tatsächlichen Niveau des Inhalts“. Ich weiß, ziemlich harter Tobak für die Brandenburger Big Player mit den Brauereitrucks voller Werbegeld.

Ein noch tragischeres Schicksal ereilte indes die Marken der wirklich großen Konzerne. Die Herzen der Bitburger Braugruppe und der Krombacher Gruppe zerriss ich mit einem flapsigen „Pest oder Cholera? Bit oder Krombacher?“ sowie dem Prädikat „betont charakterlos“. Die Sprösslinge der Radeberger Gruppe „Berliner Kindl“ und „Büble Bier“ meldete ich gar fast dem Jugendschutz.

Doch es kam noch digger: mit „Astra Kiezmische“ wollte ich partout nicht auf den „Untergang des großen Hassanovas“ anstoßen, weil ich der Buddel mit dem Meerjungfrauenmotiv Bild’sche „Seite-3-Fantasien“ unterstellte. Achtung, Achtung, Sexismus-Verdacht bei „Astra“! Da wären sie beim Mutterkonzern Carlsberg sicher rückwärts vom Hamburger Berg gerollt.

„Je ne reichelt rien“

Also bitte, was darf Satire mit paar Biere? Wenn die Unabhängigkeit der Special-Interest-Presse hier schon aufhört, wer will da überhaupt noch anfangen? Oder weitermachen? Dass solche Harmlosigkeiten einer befürchteten Humorlosigkeit von Unternehmen zum Opfer fallen, ist mehr als enttäuschend. Es schockiert mich. Wie oft werden derlei Vorgänge in anderen Abhängigkeitsverhältnissen verschwiegen? Ich möchte es mir nicht ausmalen. Umso mehr aber bin ich mir sicher: ich habe hier nichts zu bereuen. Je ne reichelt rien. Noch jedenfalls.

Es ist im Übrigen nicht der erste gestrichene Beitrag dieser Art in meiner überschaubaren Autorentätigkeit. Schon einmal wurde mir ein Artikel erst zu- und dann wieder abgesagt. Worum es gehen sollte? Sexistische Werbungen. Von Brauereien.

12 Kommentare

  1. Ey, nix gegen ein kaltes Odin!
    Da steckt doch auch keine seelenlos Großbrauerei hinter, oder irre ich mich? Der Vergleich zu Reichelt hinkt an der Stelle tatsächlich.

  2. Ich kann den Ärger der Brauereien schon verstehen. Wer möchte schon zusammen mit Reichelt in einem Text stehen?

  3. Ich weiß nicht. Am Anfang musste ich auch mehrfach lachen, aber schon kurz darauf habe ich mich wie der Erzähler in Kap. 14 der Känguruh-Chroniken gefühlt und gehofft, dass der Autor seine Wortspielneurose und den zwanghaften Drang zum Billigwitz mal therapieren lässt. What the fact, Ippen ist menschlich, Korrupti-Kurz, Je ne reichelt rien, es kam noch digger… findet das echt jemand lustig, zumal in dieser hochtoxischen Konzentration? Tut mir leid, ich krieg da Schüttelfrost.

    Aber ok, darum geht’s ja eigentlich gar nicht. Deshalb trotzdem danke für den Beitrag, denn dieser Vorgang und die Gründe dafür sind einfach absurd. Ich wünsche dem Meininger Verlag ein ähnliches kommunikatives Desaster wie Ippen, würde aber auch sehr gern wissen, wie verbreitet so eine vorauseilende Rücksichtnahme auf Anzeigekunden tatsächlich ist. Ein Barmagazin, in dem man sich nicht mal über Biermarken lustig machen kann, kann jedenfalls einpacken.

  4. Also, das ist jetzt keine Theorie? Der Artikel wurde durch die deutschlandweite Verschwörung der Brauindustrie gecancelt?

    Da ist echt Hopfen und Malz verloren.

  5. #7
    Bezüglich der Witzdichte ging’s mir genauso. Vielleicht sind wir einfach zu alt für diesen Scheiß.

    Den letzten Satz teile ich leider nicht. Im Gegenteil: Geld regiert die Verlagswelt. Ein Barmagazin, dass sich über Bierhersteller lustig macht, kann einpacken.

  6. #9: Da stimme ich Ihrer Zustimmung zu #7 zu. Ebenso der Bewertung des letzten Satzes – leider.

    Allerdings widerspreche ich Ihnen hinsichtlich des Alters: Ich bin deutlich jünger als Sie und dazu bekennender Flachwitz- und Wortspielfan. Aber auch ich habe nach dem ersten Drittel nur wegen des Themas weitergelesen. Augenrollen ist übrigens eine klasse Übung, um die Sehkraft zu erhalten.

  7. Erst dachte ich, dass die, die sich um die Cancel Culture sorgen, jetzt Cancel Culture betreiben.
    Aber das ist genauso gut, wenn nicht noch besser: eine urdeutsche Branche (deutsches Reinheitsgebot), mit Mitarbeitern (!), die dem Bierbauch geschwängerten Herrenwitz verpflichtet sind, empfinden es als bedrohlich, wenn ihr Produkt in den Kontext einer Satire gestellt wird – da reagiert der Deutsche allergisch, das geht zu weit, das ist nicht witzig! Sein hehres Moralgefühl wird da dann von Gerichten auf solide deutsche Rechtsgrundlagen gestellt. Wie seinerzeit das Plakat von Staeck „Ich trinke Jägermeister weil mein Dealer im Knast sitzt“.
    Mir gefällt’s.
    Ich kann mir vorstellen, dass so ein Text bei der Titanic reüssiert.

  8. Herm van Enger
    Nicht jeder Biertrinker kann über einen Witz über sein Lieblingsbier
    lachen. Aber darum geht es ja auch nicht.
    Vor 40 Jahren hat mir eine renommierte Zeitschrift bei der Aufklärung gegen die Verstöße der „Gemeinnützigen“ Deutschen Lebenswacht geholfen. Einige Zeit später hatte ich eine Anzeige gegen beim Kartellamt gegen große Konzerne getätigt. Bei einem besaß der Staat
    die Minorität. Die Firmen machten aber Millionenwerbung in diesem Verlag. Da war es natürlich mit der Hilfe vorbei. Ich hatte Verständnis für das Verhalten. Die Arbeitsplätze gingen meinem Anliegen vor. Recht habe ich trotzdem bekommen.

Einen Kommentar schreiben

Mit dem Absenden stimmen Sie zu, dass Ihre Angaben gemäß unseren Datenschutzhinweisen gespeichert werden. Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.