Notizblog (1)

Wenn Missbilligungen durch den Presserat ausnahmsweise Schlagzeilen machen

Vielleicht ist es die Verblüffung der Kollegen darüber, dass eine Zeitung tatsächlich etwas tut, was der Presserat als „Ausdruck fairer Berichterstattung“ empfiehlt. Jedenfalls hat die „Süddeutsche Zeitung“ dadurch, dass sie in der vergangenen Woche zwei Missbilligungen durch den Presserat abgedruckt hat, eine erstaunliche Welle an Berichterstattung ausgelöst. Missbilligungen muss man nämlich – anders als die schwerer wiegenden Rügen – nicht veröffentlichen, und weil man es nicht muss, tun es die meisten Medien auch nicht.

Bei beiden Beanstandungen geht es um Migration. Der eine Fall betrifft einen Bildtext, in dem die SZ schrieb, Flüchtlinge kämen „manchmal“ ohne Pass an. Der Beschwerdeausschuss des Presserates urteilte, das erzeuge einen falschen Eindruck, weil es laut offizieller Statistiken tatsächlich bei mehr als 50 Prozent der Flüchtlinge der Fall ist.

In dem anderen Fall geht um Angriffe mit Messern und die Frage, wer sie begeht. Aus der Tatsache, dass die Anteile migrantischer und nichtmigrantischer Verdächtiger etwa gleich seien, schloss ein SZ-Bericht falsch, dass es keinen Zusammenhang mit der Herkunft der Täter gebe. Der Presserat wies darauf hin, dass der migrantische Anteil an der Gesamtbevölkerung deutlich niedriger sei, Migranten also in vergleichsweise höherem Maße an Taten beteiligt seien. Die SZ hatte das nach Leserhinweisen auch selbst schon korrigiert.

Unter dem Artikel, in dem sie die Missbilligungen veröffentlicht, schreibt die SZ, man tue das, „weil wir Wert legen auf Transparenz – auch wenn es um Kritik an unserer Berichterstattung geht“. Das ist eine gute Idee, die sich kurzfristig rächt, weil sie überhaupt erst Aufmerksamkeit auf eigene Fehler lenkt.

Unter anderem „Frankfurter Allgemeine Zeitung“, „Welt“, „Focus Online“ und der Branchendienst „Meedia“ haben über die Missbilligungen berichtet. Das ist natürlich einerseits völlig legitim – und verschafft zum Beispiel der „Welt“ eine lange Spalte mit Leserkommentaren, die sich gegenseitig ihres Hasses auf die SZ versichern und die verständnisvolle Milde des „Welt“-Autoren anprangern.

Andererseits ist es aber auch bemerkenswert, weil diese Medien sonst regelmäßig nicht über Entscheidungen des Presserates berichten, auch nicht über solche, bei denen gravierendere Verstöße gegen den Pressekodex festgestellt werden. 14 Rügen zum Beispiel haben die Beschwerdeausschüsse auf ihren jüngsten Sitzungen im Dezember ausgesprochen: zum Beispiel wegen Verstößen gegen den Schutz der Menschenwürde und die journalistische Sorgfaltspflicht, wegen rassistischer Diskriminierung, Ehrverletzung und Schleichwerbung. Berichtet hat fast niemand über sie.

Man könnte natürlich versuchen, das mit dem Neuigkeitswert der Nachricht zu erklären: „Bild“ zum Beispiel wird dauernd vom Presserat dafür gerügt, gegen die Persönlichkeitsrechte von Opfern von Unglücken oder Verbrechen zu verstoßen; die Veröffentlichung von Missbilligungen durch die SZ hingegen ist etwas Besonderes. Aber das stimmt auch nicht ganz: Zum einen ist es nicht das erste Mal, dass die SZ eine Presserats-Missbilligung öffentlich macht. Zum anderen enthält das Paket aus Rügen, die der Presserat alle Vierteljahr ausspricht, durchaus immer wieder spektakuläre Verstöße gegen den Pressekodex, von denen man annehmen könnte, dass sie einen Nachrichtenwert haben. Und auch inhaltlich interessant genug sind, selbst wenn sie nicht das Triggerthema Migration betreffen, das für besondere Aufmerksamkeit sorgt.

Für rechtsalternative Medien sind die Missbilligungen für die linksliberale SZ ausgerechnet beim Thema Flüchtlinge natürlich ein Fest. Das österreichische exxpress.at jubelt entsprechend: „Presserat entlarvt Asyl-Fakes von linker ‚Qualitätszeitung‘“.

Die „Achse des Guten“ kommentiert, „man“ hätte „Derartiges“ dem Selbstkontrollgremium der Presse gar nicht zugetraut, „so sehr ist man an Augenwischerei und Beschönigungen zum Thema Migration mittlerweile gewöhnt“ und kritisiert gleichzeitig die SZ: „Ganz so viel Wert auf Transparenz und Richtigstellung scheint die SZ dann doch nicht zu legen, sonst würde sie ihr Eingeständnis prominenter platzieren.“

Und bei „Tichys Einblick“ trägt es den als „Bildungskritiker“ vorgestellten Autor Josef Kraus aus der Kurve: Er behauptet zunächst, dass die SZ neben diversen anderen Medien zu denen gehöre, die Probleme „bei der ‚Zuwanderung‘“ „ungern benennen, durch Weglassungen verzerrt darstellen, bagatellisierend ‚framen‘ oder ganz beiseitelassen“. Er übersieht aber dann, dass der Presserat keine Rügen, sondern nur Missbilligungen ausgesprochen hatte, und empört sich darüber, dass die SZ darauf hinwies, dass es keine Pflicht zur Veröffentlichung gebe: „Falsch!“, ruft er und hält der SZ triumphierend den entsprechenden Passus aus den Statuten des Presserates vor, wonach Rügen zu veröffentlichen seien.

Inzwischen hat „Tichys Einblick“ eine Korrektur und Bitte um Entschuldigung veröffentlicht.

Wie viele Medien ihre Missbilligungen veröffentlichen, konnte der Presserat auf Anfrage nicht mitteilen: Man führe keine Statistik darüber und gebe auch keine Auskunft darüber, gegen welche Medien Missbilligungen ausgesprochen wurden. Zu den Medien, die in den vergangenen Jahren Missbilligungen durch den Presserat veröffentlicht haben, gehören „Braunschweiger Zeitung“, „Sächsische Zeitung“, „Rhein-Zeitung“ und „Neue Württembergische Zeitung“, „Freie Presse“, „Westfälische Rundschau“ und merkur.de.

„Welt“-Medienredakteur Christian Meier schreibt anlässlich der SZ-Missbilligungen: „Tatsächlich ist Transparenz (…), wenn einmal ein Fehler passiert, der beste Weg, um Vertrauen zu bewahren.“ Über eigene Missbilligungen durch den Presserat hat die „Welt“ in den vergangenen Jahren nicht berichtet: weder für eine Ausgabe, in der der Volkswagen-Chef als Co-Chefredakteur agierte noch für eine Kolumne, in der eine „Welt“-Journalistin FDP-Chef Christian Lindner Styling-Tipps gab, ohne zu erwähnen, dass es sich um ihren Mann handelte.

12 Kommentare

  1. Wenn diese Kolumne zu dem wird, was ich hoffe/vermute, begrüße ich das. Man könnte sagen: Beiträge, die für „richtige“ Übermedien-Beiträge zu klein, aber zum ignorieren oder für Microblogging zu groß sind. Man könnte auch sagen: Beiträge, die früher auf Bildblog erschienen wären (als dort noch Beiträge erschienen).

    Und zum Inhalt: Es ist zwar nichts neues, aber es ist gut und wichtig, festzuhalten, was den Unterschied ist zwischen (meistens) journalistischen Medien wie der Süddeutschen, und prinzipienloser Stimmungs-Selbstverstärkerorganen wie den Springermedien und ihren ideologischen Ablegern.

  2. Interessant, danke hier für.
    Hatte noch ältere Artikel von Zeitungen und Faktencheckern im Kopf zum Thema Messerangriffe und wer die Täter sind. Die Behauptungen waren immer dieselben und eben jene, für die die SZ hier eine Missbilligung kassiert hat. Und zwar dass es sich genau anders herum verhält und der Anteil deutscher Täter höher wäre.
    zb hier : https://www.volksverpetzer.de/analyse/messermaenner-mythos-widerlegt/

    Und da gab es viele solcher Berichte. Jetzt würde mich natürlich interessieren ob sich die Zahlen hierzu mittlerweile verändert haben oder ob das schon damals falsch war.

  3. @#5
    Ihr Interesse ehrt Sie. Aber warum prüfen Sie es dann nicht selbst nach, sondern raunen hier durch das Internet? Wenn Sie den von Ihnen verlinkten Artikel (erneut?) genau lesen, werden Sie bei unzweifelhaft vorhandener thematischen Ähnlichkeit feststellen feststellen, dass die „Behauptungen“ darin keine allzugroße Ähnlichkeit mit den, zumindest hier zitierten (ich habe sie nicht selbst gelesen) durch den Presserat missbilligten Aussagen des SZ-Artikels haben. Das SZ-Problem war zudem offenbar nicht die Verbreitung falscher Fakten, sondern eine offenbar recht transparente falsche Schlussfolgerung aus einer ansonsten korrekt wiedergegebenen Statisik. Der Artikel aus dem „Voklsverhetzer“ sowie diverse darin verlinkte weitere Beiträge thematisieren hingegen die rassistisch und menschenverachtend manipulierende AFD-Hetze nach 2015, für die es gerade keine statischen Belege gab oder für die die Belege mal eben selbst erfunden wurden. Neben grundlegenden strukturelle (und bis heute berechtigten) Zweifeln an der Aussagekraft polizeilicher Kriminalitätsstatistiken ( „Anzeigeverhalten“ ) wird für den dortigen Berichtszeitraum darauf hingewiesen, dass „Taten mit Messern“ damals weit überwiegend noch gar nicht gesondert erfasst wurden. Also, wenn Sie mich fragen, da war nix falsch dran, „damals“ nicht und schon gar nicht heute. Daner vielen Dank für den Link und die damit verbundene Erinnerung daran, dass diesem miesen völkischen Treiben der AFD nicht erst seit Potsdam die volle Aufmerksamkeit gebührt.

  4. zu #6
    Ich muss zugeben, den Text den ich verlinkt hab nicht nochmal durchgelesen zu haben. Hatte da nur noch ein grobes Bild von im Kopf. Aber das „geraune durchs Internet“ muss ich dennoch zurückweisen, war zumindest keine Absicht.
    Aber da ich den SZ Artikel nicht lesen kann (Bezahlschranke) konnte ich zumindest diesen nicht beurteilen.
    Aber trotzdem danke für den Hinweis. Werde mich bemühen in Zukunft nicht mehr so zu raunen.

  5. @10
    Danke für die Klarstellungen verbunden mit der Bitte um Entschuldigung für meine dann unpassende Wortwahl!

  6. Nur zur Information: Ich pflege, wenn sie mir bekannt werden, über Hinweise, Missbilligungen und Rügen des Presserates an die Main-Post Redaktion zu schreiben. Außerdem regelmäßig und erklärend über interessante Entscheidungen des Presserates.
    Mit den besten Grüßen
    Anton Sahlender, Leseranwalt der Main-Post
    Vorsitzender der Vereinigung der Medien-Ombudsleute e.V.

Einen Kommentar schreiben

Mit dem Absenden stimmen Sie zu, dass Ihre Angaben gemäß unseren Datenschutzhinweisen gespeichert werden. Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.