„ARD aktuell“

Anm. d. Red.: Wer Transparenz hasst, wird die Korrekturen-Seite der „Tagesschau“ lieben

Screenshot: „Tagesschau“; Montage: Ü

Die Redaktion hinter der „Tagesschau“ hat eine Seite für Korrekturen eingeführt. Was nach mehr Transparenz klingt, sorgt in der Realität aber eher für noch mehr Verwirrung. Auch, weil die Redaktion gar kein echtes Interesse an der Aufarbeitung ihrer Fehler zeigt.


„Das wird bestimmt super” schrieb Stefan Niggemeier im Januar 2023 ironisch über die Ankündigung der „Tagesschau“, eine eigene Webseite für Korrekturen einzurichten. Inzwischen ist die Korrekturen-Seite in Betrieb – und was soll man sagen? Die Erwartungen wurden noch unterboten. Die Korrekturen-Seite von „ARD aktuell“, der NDR-Redaktion hinter der „Tagesschau“, ist nur aus einem Grund kein GAU: weil sie immer noch mehr Transparenz schafft als das „Tagesschau“-Blog, das schon verwaist und veraltet war, lange bevor die neue Seite überhaupt in den Startlöchern stand.

Dabei war gerade die Geschwindigkeit, mit der man die neue Seite in Betrieb nahm, doch vielversprechend. Die erste Korrektur, die auf der neuen Seite verzeichnet wird, ist sogar drei Tage älter als unser Artikel aus dem Januar. Das Zeitreisen hat der NDR jedoch nicht auch noch parallel zur Entwicklung der Webseite erfunden. Online ging die Korrekturensammlung Anfang März, nach außen gegangen ist man mit ihr im April. Korrekturen zu früheren Zeitpunkten habe die Redaktion lediglich rückwirkend aufgenommen „um Workflows einzuüben”, erklärt die „ARD aktuell“-Redaktion.

Inzwischen erscheint auf der Seite fast täglich eine Korrektur. Ein eingespielter Workflow also? Zumindest, wenn man überwiegend automatisiert einlaufende Korrekturen so bezeichnen möchte. Korrekturen, die bei „tagesschau.de“ hinzugefügt werden, werden auch eins zu eins auf der neuen Korrekturen-Seite dargestellt. Wenn also die Zahl der Grammys, die Tony Bennett erhalten hat, nachträglich korrigiert wird, dann findet sich diese Änderung zum einen direkt unter dem Video der entsprechenden „Tagesschau“. Sie findet sich aber wortgleich automatisch auch auf der Korrekturen-Seite.

Die Redaktion erklärt auf unsere Anfrage hin, dass es aber auch zusätzlich „händisch“ hinzugefügte Korrekturen gebe. Von Inhalten wie Social-Media-Posts etwa, die nicht im „tagesschau.de“-Redaktionssystem verarbeitet werden.

Wenig liebevolle Korrekturen

Allzu viel Leidenschaft scheint in diese händische Bearbeitung jedoch nicht zu fließen. Das sieht man schon an Kleinigkeiten: Die Einträge fangen mal mit einem „Anm. d. Red.“ an, mal steht dort ausgeschrieben „Anmerkung der Redaktion“ und dann verzichtet man wieder ganz auf diesen Hinweis.

Verwirrender aber ist es, dass Korrekturen mitunter doppelt auf der Seite auftauchen. Beispielsweise, wenn die Korrektur für „Tagesschau“ und „Tagesthemen“ vorgenommen werden muss, weil ein Beitrag in beiden Sendungen vorkam. Die Überschrift des Korrektureintrags besteht dann übrigens einfach nur aus einem schlichten „tagesschau“ bzw. „tagesthemen“.

Screenshot: tagesschau.de/korrekturen

Nein, wirklich liebevoll ist das alles nicht gemacht. Um nicht zu sagen: nicht wirklich professionell. Immerhin behauptet die Redaktion: „In jedem Fall findet eine redaktionelle Veranlassung und Prüfung von Korrekturen vor der Veröffentlichung statt.“ Was wohl ARD-Sprech ist für: Da guckt eigentlich auch nochmal einer drüber.

Ein Wust von Irrelevanz

Nun wäre eine größtenteils automatisiert zusammengestellte Seite an sich natürlich halb so wild, wenn sie in sich Mehrwert bieten würde. Doch leider enden die Probleme dort nicht.

Weil die auf der Seite dargestellten Fehler naturgemäß sehr unterschiedlich sind, stehen auf der Seite Korrekturen kleiner Flüchtigkeitsfehler neben denen von groben journalistischen Schnitzern. Von den kleinen, eher unbedeutenden Korrekturen (wenn beispielsweise das Wattenmeer als Weltkulturerbe bezeichnet wird, obwohl es eigentlich Weltnaturerbe ist) gibt es eine ganze Menge mehr, das ist die gute Nachricht.

Manche davon sind peinlich, weil sie Ungenauigkeit offenbaren. Die meisten aber sind alltäglich, verschmerzbar und bedürfen (bei aller Transparenz) oft wenig Erklärungsbedarf. Korrekturen generell transparent zu machen, auch an möglichst prominenter Stelle, ist richtig. Denn Fehler sind nach Veröffentlichung erst einmal in der Welt. Sie einzufangen würde bedeuten, das gleiche Publikum zu erreichen, das den Fehler gesehen hat. Das ist natürlich ein Ding der Unmöglichkeit. Dennoch ist es sinnvoll, wenn Redaktionen alles daransetzten, mit Korrekturen von falschen Informationen die größtmögliche Reichweite zu erzielen.

Nur führt die Vielzahl der kleineren Korrekturen auf der ARD-Seite dazu, dass die wirklich wichtigen Korrekturen in einem Wust von Irrelevanz untergehen. Der Versuch Transparenz zu schaffen, wird so in der Realität zu einer unübersichtlichen Transparenz-Diffusion.

Kein echtes Interesse an Aufarbeitung

Dass man in einem „tagesschau.de“-Artikel von der „Hochschule Karlsruhe“ gesprochen hat anstatt von der „Pädagogischen Hochschule Karlsruhe“ steht dann eben gleichberechtigt neben der Korrektur eines komplett verhunzten Datensatzes zum Deutschlandtrend. Die liest sich dann so:

„Anm. d. Redaktion: Durch ein technisches Problem wurde die Auswertung der wichtigsten politischen Themen zunächst fehlerhaft überspielt. Wir haben die Werte jetzt korrigiert: Das wichtigste Problem bleibt für die Befragten die Zuwanderung. Danach folgt nun jedoch der Bereich Umweltschutz/Klimawandel. Auch die Reihenfolge der anderen Themen wurde dadurch beeinflusst.“

Da könnte man schon zunächst mal den Eindruck bekommen, dass es sich auch hier um ein kleines Versehen handelt. Kein großes Ding. Tatsächlich sah die Grafik im „tagesschau.de“-Beitrag zunächst so aus:

Hier stimmt was nicht. Screenshot: tagesschau.de

Und wurde nach Korrektur dann so dargestellt:

Screenshot: tagesschau.de

Drei von sechs Balken wurden falsch beschriftet, teilweise lagen die Werte drastisch daneben. Das Problem „Umweltschutz/Klimawandel“, im Vormonat noch von 18 Prozent (und im April gar von 26 Prozent) als wichtigstes Problem bezeichnet, tauchte in der ursprünglichen Version der Grafik nicht mal auf. In der ersten Textversion (hier archiviert) wurde gar behauptet, dass nur ein Prozent der Befragten dieses Problem genannt hätten. Dass dieser vermeintlich enorme Rückgang niemandem aufgefallen ist, ist kein Flüchtigkeitsfehler. Auf unsere Anfrage hin, ob diese vermeintlich krasse Entwicklung niemandem komisch vorgekommen sei, teilt die Redaktion mit:

„Wir hatten keinen Anlass, an der Zulieferung zu zweifeln, da es sich bei Infratest dimap zum einen um ein renommiertes Umfrageinstitut mit hohen Qualitätsstandards handelt, zum anderen unterliegen Zustimmungswerte häufig dynamischen Entwicklungen, weshalb sie regelmäßig abgefragt werden.“

„Weitere Details kennen wir nicht”

Das Umfrageinstitut hat also Schuld daran, nicht die Redaktion. Für eine Berufsgruppe, bei Skepsis zum Handwerkszeug gehören (sollte), ist es schon bemerkenswert unkritisch, zu sagen, man hätte bei solchen vermeintlich drastischen Entwicklungen keinen Anlass für Zweifel gehabt.

Vor allem, weil man auch im Nachhinein kein echtes Interesse an der Aufarbeitung zeigt. Denn die Redaktion scheint sich damit zufrieden zu geben, die notwendigen Korrekturen vorgenommen zu haben. Auf die Frage, wo nun konkret der Fehler lag, sagt die Redaktion nur: „Weitere Details zu der Problemursache kennen wir nicht.“

Auf die Frage, warum es die Korrekturen-Seite gibt, erklärt die Redaktion übrigens: „Wir nehmen Fehler, die uns unterlaufen, sehr ernst und gehen sie offensiv an.“ Davon kann in diesem Fall aber beim besten Willen nicht die Rede sein, wenn die Redaktion selbst größere handwerkliche Fehler so hinnimmt und lapidar wegkorrigiert.

Transparenz vorgaukeln, ohne sie zu schaffen

Ein weiteres Absurdum der Seite: Korrekturen von Social-Media-Inhalten werden zwar auch dargestellt, aber anders als das gemischte Allerlei es sonst vermuten lässt, gesondert und weit unten auf der Seite.

Das ist mindestens eigentümlich: Gerade Fehler in sozialen Netzwerken können viele verschiedene Menschen erreichen – Falschinformationen sind hier besonders schwer wieder einzufangen. Diese Korrekturen ganz ans Ende der Seite zu packen, verrät vielleicht eine ganze Menge mehr über die angebliche Ernsthaftigkeit, mit der man in der „ARD-Aktuell“-Redaktion die Fehlertransparenz verbessern möchte.

Damit wirkliche Transparenz hergestellt wird, müsste die Redaktion hinter der „Tagesschau“ den Anspruch haben, Fehler zu erklären, im Zweifel auch mal weiter auszuholen. Damit interessierte Zuschauer*innen eine Chance haben, die Probleme und ihre Entstehung zu verstehen. Die Korrekturen-Seite wäre eine Möglichkeit dafür. In Wahrheit ist sie eine bloße, ambitionslose Aneinanderreihung von Anmerkungen der Redaktion.

Die Korrekturen-Seite zu haben scheint für die Redaktion vor allem einem Zweck zu dienen: Sagen zu können, dass man eine Korrekturen-Seite hat. Dass man transparent sei, ohne echte Transparenz zu schaffen.

5 Kommentare

  1. Die Korrektur des Balkendiagramms könnt ihr in eure Korrekturseite aufnehmen. Die vermeintlich korrigierte Graphik ist nämlich nochmal die alte, falsche Version.

  2. Das alle Fehler seit Mai ohne jede Struktur lieblos auf eine Seite untereinander geballert sind, verschäft nochmal das Problem, dass besonders relevante Fehler in der Menge untergehen. Und es verschärft die Auswirkung davon, dass die Social-Media-Posts unten angeklemmt kaum mehr wahrnehmbar sind. Zeitliche/Sachliche/Mediale Filter wären da angebracht. (So dass man mit wenigen Klicks alle Social-Media Korrekturen des Septembers auflisten könnte, oder alle Tagesschau-Korrekturen des Oktobers)

  3. Die Summe der Prozentangaben ergibt in beiden Diagrammen 106. Auch das ein Fehler, außer Mehrfachnennungen wären möglich gewesen.

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