Kalkulierte Empörung

Die erfundene Debatte, ob Frauen in der Öffentlichkeit Eis essen dürfen

Jetzt darf man nichtmal mehr einfach an einem Eis lecken, als Frau, in der Öffentlichkeit! Wer es tut, könnte die Gefühle von Zuwanderern und Flüchtlingen verletzen, die das als vulgär empfinden. Die „Süddeutsche Zeitung“ hat am Freitag vergangener Woche eine Kolumne veröffentlicht, die scheinbar ernsthaft die Frage aufwirft, wie „obszön“ es ist, wenn Frauen für alle sichtbar im Freien Eis essen, und die Empörung darüber ist riesengroß.

Es ist richtig, darüber eine „Jetzt darf man nichtmal mehr“-Debatte zu führen, aber eine andere. Die richtige Klage wäre: Jetzt darf man nicht mal mehr darüber schreiben, was für ein Kulturschock es ist, wenn man als aus Syrien geflohener Mensch plötzlich in Deutschland lebt! Man darf seine Erfahrungen nicht mehr teilen, seine frühere Prägung nicht mehr schildern, seine Lernprozesse, die mit dem Wechsel aus einer repressiven Gesellschaft wie in Syrien in eine freie Gesellschaft wie in Deutschland verbunden sind. Man darf nicht mehr mit Staunen auf Dinge blicken, die Deutschen nicht nur als selbstverständlich erscheinen, sondern als selbstverständlich selbstverständlich.

Typisch deutsch

Denn nichts anderes hat Mohamad Alkhalaf gemacht, der 2015 vor der Terrormiliz Islamischer Staat aus Raqqa floh und seit längerem für die Regionalausgabe der SZ eine Kolumne namens „Typisch Deutsch“ schreibt. Sie handelt fast immer von Dingen, die für ihn hier gewöhnungsbedürftig waren: Mal geht es um harmlose Dinge wie den Inhalt des Kofferraums, mal um brisante Dinge wie Käse. Man kann beim Lesen regelmäßig selbst etwas lernen, zum Beispiel warum in Syrien fast jeder Wasserkanister, Holzknüppel, Taschenlampe, Batterien, Schaufel und Fotokamera im Auto hat. Und man kann auch dem Kolumnisten beim Lernen zusehen, zum Beispiel wie er es schaffte, sich über kleine Probierhappen auf dem Viktualienmarkt an den Geruch und Geschmack hiesiger Käsesorten heranzutasten, die ihm vorher ungenießbar erschienen.

Es sind, wenn man so will, kleine, amüsante, lehrreiche Geschichten über Integration und was sie ganz praktisch bedeutet.

Typisch deutsch: Die Waffeln einer Frau
Screenshot: SZ

Zum Beispiel bedeutet sie, keinen schamesroten Kopf mehr zu bekommen, wenn zwei junge Frauen vor einem ein Eis essen. Alkhalaf schildert, dass es noch nicht lange her gewesen sei, dass ihm diese Situation „erhebliche Schwierigkeiten“ bereitet hätte:

„In vielen konservativen Gesellschaften, dazu zählt Syrien in gewissem Sinn definitiv, wird – speziell von Frauen – erwartet, dass sie in der Öffentlichkeit eine zurückhaltende und respektvolle Haltung zeigen. Das Verspeisen von Speiseeis und anderen Mahlzeiten, die als phallisch geformt angesehen werden könnten, würden als provokant oder anstößig empfunden werden.“

Heute scheint er sich daran gewöhnt zu haben – ganz anders als sein „neu angekommener Kumpane“ Ibrahim, dessen Kopf bei dem Anblick der beiden Frauen „zum Erdbeereis“ geworden sei.

Der kleine, leichte, humorvolle Text tut nichts mehr, als zu beschreiben, wie den Autor die Reaktion des Neuankömmlings daran erinnert hat, wie sehr er selbst sich in seiner Zeit in Deutschland verändert hat. „Manchmal nimmt man die Dinge des Alltags fälschlicherweise als selbstverständlich hin.“

Wutproduktion

Um sich über diesen Text extrem aufregen zu können, um in ihm einen drohenden Rückfall in talibaneske Steinzeitkultur lesen zu können, muss man ihm Dinge unterstellen, die er nicht tut, und seit dem Wochenende machen zahlreiche Protagonisten aus dem rechten, rechtsextremen und brutalliberalen Spektrum dafür Überstunden.

Einer unterstellt, dass man sich anscheinend „jetzt schämen soll“, wenn Frauen am Eis lecken. Ein anderer schreibt, „dass Menschen mit solchen Denkweisen hier einfach nicht hergehören“. Ein weiterer twittert: „Wer sich bereits von Eis essenden Frauen so sehr sexuell erregen lässt, dass es sich lohnt, einen Artikel darüber zu schreiben, hat oder ist ein Problem.“

Das österreichische Krawallmedium „exxpress“ stellt folgenden Zusammenhang her:

„Bunte Zebrastreifen über jede Straße, Pride-Flaggen auf Öffis und Transgender-Bilder in Kindergärten. Während wir immer bunter werden, fragt eine große deutsche Zeitung, ob Frauen in der Öffentlichkeit Eis essen sollen. Schließlich fänden Syrer das obszön.“

Absurderweise machen einige Kritiker das, was sie dem Artikel fälschlicherweise unterstellen: Sie führen eine Debatte, ob Frauen kein Eis mehr schlecken sollen. Bei „exxpress“ geframt als Frage: „Sollten Frauen Rücksicht auf Migranten nehmen?“

Blöde Fragen, selbst gestellt

Die von der „Welt“ für solche Themen beschäftigte Kolumnistin Anna Schneider fragt in einem Kommentar treuherzig: „Frau leckt am Eis – das soll jetzt auch sexistisch sein?“ Sowie: „(…) wie kann es sein, dass wir uns im Jahr 2023 solche gesellschaftlichen Steinzeitfragen überhaupt stellen?“

„Immer dieser Westen und seine Freiheit (für Frauen), anstrengend. Und natürlich mag es für jemanden, der in einem bisweilen frauenverachtenden Kulturkreis aufgewachsen ist, befremdlich wirken, dass Frauen tatsächlich tun und lassen können, was sie wollen. Sogar in der Öffentlichkeit Eis essen.“

Eigentlich ist sie damit schon ganz dicht an dem, was auch in der Kolumne steht. Aber sie will es dabei nicht belassen, weil „man“ beim Lesen „noch ein ganz anderes Gefühl“ bekomme:

„Müsste man in Deutschland darüber nachdenken, ob es noch okay oder doch schon ein bisschen obszön ist, wenn Frauen öffentlich Eis essen? Müsste man als empathischer Mensch demjenigen die Pein ersparen wollen, der dabei offenbar an nichts als Oralverkehr denken kann?“

Sie beantwortet das mit „Nein“ und wirkt dabei so entschieden und empört, dass man den Eindruck bekommen könnte, sie widerspräche damit dem Artikel. „Kein noch so verletztes religiöses Gefühl rechtfertigt die Einschränkung weiblicher Freiheit“, fügt sie noch hinzu – dass es um ein „religiöses Gefühl“ geht, hat sie einfach behauptet: Die Kolumne erwähnt in keiner Weise irgendwelche religiösen Gefühle, sondern spricht nur von einer „konservativen“ Gesellschaft.

„Insofern wäre die interessantere Frage doch, was sich in Syrien, und nicht, was sich in Deutschland ändern muss“, schließt Schneider, und das mag ja sein, aber die zweite Frage hat ja tatsächlich nicht der Kolumnist Mohamad Alkhalaf gestellt, sondern die Kolumnistin Anna Schneider.

Völlig normale Alltagsangelegenheiten

Die Sache wird natürlich von vielen Beteiligten als weiterer scheinbarer Beleg interpretiert, dass man Leute aus solchen „Kulturkreisen“ gar nicht erst hätte ins Land lassen sollen. Suggeriert wird, dass diese Art von Sexismus erst von Leuten aus Ländern wie Syrien nach Deutschland gebracht worden wäre. „Nicht eine Eis essende Frau ist obszön, sondern die Sexualisierung völlig normaler Alltagsangelegenheiten im Taliban-Style“, hat einer auf Twitter geschrieben.

Damit hat er natürlich einerseits völlig recht – und blendet andererseits aus, dass die Sexualisierung völlig normaler Alltagsangelegenheiten in Deutschland eben, leider, für viele völlig normaler Alltag ist. Von wegen Steinzeitmenschen, die in eine vorbildlich fortschrittliche Gesellschaft kommen: Das Online-Magazin „Watson“ hat schon 2015 einen (hoffentlich) ironisch gemeinten Beitrag über die „fünf eisernen Regeln“ gemacht, die Frauen zu beachten hätten, wenn sie in der Öffentlichkeit eine Banane essen.

Und das feministische „Pinkstinks“ hat im vergangenen Jahr darüber berichtet, wovon Frauen und Mädchen betroffen sind:

„(…) von anzüglichen Blicken, sexistischen Kommentaren und übergriffigen ‚Anmachen‘, weil sie einfach nur eine Banane in der Öffentlichkeit essen wollen. Betroffen von der grundsätzlichen sexistischen Auffassung, dass frau ja wohl mit solchen Reaktionen zu rechnen hat, wenn sie schon ein phallusartiges Lebensmittel in der Öffentlichkeit verzehrt. Frauen lernen sehr früh, dass in ihren Händen und in ihrem Mund Lebensmittel nicht einfach Essen sind, sondern Signale.“

Aber der Kampf gegen Sexismus ist für rechte und rechtsradikale Akteure natürlich gleich viel sexyer, wenn man ihn als Kampf gegen Ausländer führen kann.

Was schlimm ist

Sie sind dabei so laut, wenn sie sich mit Gebrüll auf diese Kolumne und ihren Autor stürzen, all die Rechten, die Rechtsradikalen und auch die Brutalliberalen, dass sie jedes Gespräch unmöglich machen. Sie beschreien einen Untergang des Abendlandes, gegen den man nicht ankommt, weil als Optionen nur erscheinen, sie zu ignorieren oder ihnen zu antworten: „So schlimm ist es doch gar nicht.“ Dabei ist es schlimm. Schlimm ist, wie wir uns von diesen Leuten ihre Themen aufzwingen lassen.

Schlimm ist, dass wir es hinnehmen, dass ein Kolumnist, der vor Jahren aus Syrien nach Deutschland geflohen ist und eine sehr ehrlich wirkende Kolumne über seine Integration schreibt und darüber, von welchen früheren Überzeugungen und Gewohnheiten er sich verabschiedet hat, nun dargestellt wird wie das Paradebeispiel für einen der vielen bösen Ausländer, die angeblich unser Land kaputt machen mit ihrer Taliban-Kultur.

40 Kommentare

  1. Und diese Botschaft verfängt!

    Ich habe am Samstag mit meinem älteren Bruder (gleiche Eltern, gleiche Schule, gleiche Uni, gleicher Wohnort) gesprochen, der ernsthaft der Meinung ist, dass seine verheiratet Tochter in zehn Jahren in Deutschland ein Kopftuch tragen müsse. Er sei so froh, dass sie nach Kanada ausgewandert sei, denn da wäre das ja kein Thema. Grund dafür seien zum Einen die „bürgerkriegsartigen Freibadkrawalle“ und zum Anderen die Erlaubnis, dass Frauen im Schwimmbad z.B. in Wiesbaden „oben ohne“ baden dürfen. Das würde dazu führen, dass wir uns den Mullahs unterwerfen müssten. Ich habs auch nicht verstanden. Und ich gehe regelmäßig ins Freibad.

    Ich habe anderthalb Stunden mit ihm gesprochen und einige seiner absurden Theorien entkräftet:

    Gendern kostet kein Geld;

    Er muss nicht gendern, wenn er es anderen aber verbietet, dann ist er der Honk;

    Partizip-1-Substantivierungen mögen ungewöhnlich klingen (z.B. Studierende), bei Vorsitzenden und Auszubildenden hat sich noch nie jemand daran gestört oder gefragt, ob die den ganzen Tag vorsitzen müssten;

    Schwangere Frauen mit Kopftuch müssen keine Sozialschmarotzer, sondern könnten seine Kolleginnen sein;

    Flugzeuge stützen auch nicht ab, Züge explodieren nicht, wenn Männer, Frauen und Transsexuelle dieselbe Toilette benutzen.

    Ihm ist noch nie etwas schlimmes widerfahren, aber die Angst, dass es dazu kommen könnte, weil man das ja immer so hört, kanalisiert sich in Hass auf alles unbekannte.

    Er arbeitet in der IT in einem globalen Unternehmen, hat Projekte in aller Herren Länder abgewickelt, in seinem Team sind mehr Männer und Frauen mit nicht-deutschen Wurzeln, als Stefans.

  2. Ehrlich gesagt, die teils sehr harten Reaktionen der üblichen Verdächtigen verwundern mich so gar nicht, andererseits frage ich mich, auch, wenn man das als Humor liest, macht er sich über Deutsche
    lustig oder über Ibrahim? „Typisch deutsch“ suggeriert eher ersteres.

    Soll dieser Konservatismus eigentlich typisch syrisch sein?

  3. @#1: Ich glaube, (leider) hat jede/r so jemanden in der Familie. Ich jedenfalls auch. Respekt für die Geduld, diese Trivialitäten zu erklären.

    @#2: Ach kommen Sie. Ja, „typisch Deutsch“ ist sicher mit einem Funken Ironie zu verstehen. Und ja, das kann man überheblich finden, oder unpassend, oder sonst wie. Ich verstehe daher die Frage überhaupt nicht, worüber sich der Autor denn lustig mache. Im Zweifel über beide? Wo wäre der Unterschied und wäre das schlimm?
    Man kann auch einfach seinen Humor auspacken und die Kolumne damit lesen. Und wenn das nicht klappt, liest man halt was anderes.

  4. Ein Beitrag zur Diskurs-Verrohung, der diesem selbst Vorschub leistet. Neben dem üblichen Ausländer-raus-Geblöke waren zu diesem Artikel von Anfang auch differenzierte Kommentare zu finden, welche sich an den in der Tat talibanesken Eröterungen im SZ-Artikel rieben. Diese in den bewährten Rahmen „Rechte, Rechtsradikale und Brutalliberale“ zu zimmern, ist unredlich.
    Und der Versuch verstört, den SZ-Autor von Kritik freizuhalten. Dies kennt man von richtigen Rechten, die es für Meinungsfreiheit halten, dass ihrer Meinung nicht widersprochen wird. Klar darf Mohamad Alkhalaf über Schicklichkeit hier wie dort räsonieren. Da er seine Ausführungen über frauenfeindliche Sitten nicht ironisch bricht, darf er sich aber nicht wundern, wenn der Widerspruch ihn trifft.

  5. Danke für den guten Artikel!

    @#1,#3: Um ein Gespräch zu führen, was den anderen zum Umdenken bringen kann, ist es überraschender Weise wohl so, dass Nachfragen und Zuhören die Changen mehr erhöht, als selber reden und Fakten zweiter Ordnung klarzustellen.

    Gelernt habe ich das von den
    https://www.psychologistsforfuture.org/ und https://www.theguardian.com/books/2022/jun/09/how-minds-change-by-david-mcraney-review (Zitat aus dem Review: >>McRaney tells us: “The more intelligent you are, and the more educated, the more data at your disposal, the better you become at rationalising and justifying your existing beliefs and attitudes, regardless of their accuracy or harmfulness.”<<) Das Buch ist empfehlenswert, hätte aber für mich etwas dichter und wissenschaftlicher geschrieben sein könnnen. Für die Praxis in öffentlicheren Runden finde ich https://www.deutschlandfunkkultur.de/poerksen-und-schulz-von-thun-die-kunst-des-miteinander-100.html lehrreich.

  6. @Christian Knatz: Er muss die Schilderung seiner Erfahrungen ironisch brechen? Warum? Und warum ist der Rückgriff auf die Taliban nötig, wenn wir unsere ganz eigenen „Frauen sollten aufpassen beim Bananenessen“-Traditionen haben?

    Natürlich darf man die Kolumne kritisieren, aber vielleicht kann man auch einmal kurz die Maßstäbe zurechtrücken: Es ist eine kleine Kolumne im Regionalteil der SZ. Es ist kein Leitartikel, und die Kolumne fordert nichts. Sie bietet eine, wie ich finde, interessante Perspektive und konfrontiert uns damit, dass Dinge, die wir für selbstverständlich halten, es nicht für alle sind. Und als Reaktion gibt es jetzt diese riesige öffentliche brutale Welle an Diffamierung und Hass?

    Wollen wir die Stimmen und Erfahrungen der vielen Menschen hören, die zu uns gekommen sind? Welchen Beitrag leisten wir zur Integration, wenn mit einer solchen besinnungslosen Wut auf jemanden eingeschlagen wird, der nicht wie wir supervorbildlichen Biodeutschen immer schon Vorkämpfer dafür war, dass Frauen selbstverständlich in der Öffentlichkeit schlecken dürfen, was sie wollen, sondern das gerade erst gelernt hat?

  7. Vielleicht eine kleine Anekdote am Rande:
    In den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts war ich des öfteren monatelang in Marokko unterwegs. Die eher arabisch-stämmige Bevölkerung der Städte und Niederungen, die Berberstämme der Berge und Wüsten, die Rif Kabylen als Prototyp der schwer beherrschbaren Bergvölker, sie alle liessen mich permanent neues entdecken und vor allem staunen.
    Es gab Frauen mit und ohne Kopftuch, mit und ohne Schleier, wie man es von einem islamischen Land erwartet.
    Was es aber auch gab und gibt ist eine komplett andere Vorstellung von Privatsphäre als Schutzraum, der einen Menschen unsichtbar einkreist und in den man nicht eindringt.
    Als Europäer erwarten wir, dass niemand auf einen zugeht, ohne Halt bis man fast Nase an Nase voreinander steht. Der Europäer schaut seinem unbekannten Gegenüber auch nur aus der Entfernung ins Gesicht und schaut weg oder senkt den Blick, wenn diese Mindestdistanz unterschritten wird.
    Das gibt es in Marokko, und nach meiner Erfahrung auch im Rest von Afrika, so nicht, was häufig eine Ursache für den sog. „Kulturschock“ der Touristen ist.
    Das war eine Beobachtung, aber nicht einmal eine so besondere. Mehr noch zeigte mir die Art, wie 2 Männer Hände halten oder Arm in Arm spazieren gehen, wie meine zärtlich gehaltenen Hände von dem ebenfalls männlichen Gegenüber mitunter gestreichelt wurden, ohne die geringste homoerotische Komponente dabei, wie verklemmt der Europäer mitunter auf eben diesen Bereichen idR doch ist.
    Wir sind lange nicht so frei, wie wir uns gerne sehen wollen und, honni soit qui mal y pense, die Angst des ø Cis-Mannes der Homosexualität verdächtig zu sein, läßt eine Menge Nähe und Gelassenheit nicht zu.

    Warum können wir nicht alle voneinander lernen, was das lernen lohnt und solche wundervollen Quellen, wie diese Kolumne als das Geschenk betrachten, welches sie zweifelsohne ist?

  8. @Sid, #3:
    Mein erstes Problem mit dem Artikel ist, dass ich Syrer als recht divers auf der konservativ-liberal-Achse verteilt wahrnehme; Syrer, die ein Problem mit Eisessenden haben, gibt es sicher, sind aber nicht so repräsentativ, wie das vllt dargestellt wird.
    Daraus folgt zweitens: wenn sagen wir Reichelt eine Kolumne über verklemmte Spießer aus Syrien geschrieben hätte, die Eisessende „obszön“ fänden, hätte ich das als fremdenfeindliche Propaganda gelesen und sicher nicht mit Humor.
    Drittens, wenn Alkhalaf das ironisch meinte – „Genau! Wir Syrer sind alle genauso stockkonservativ wie Reichelt das immer behauptet! Letztens ist einer mit Nasenbluten in Ohnmacht gefallen, weil eine Frau 100 m weiter ein Eis mit Bananengeschmack gegessen hat! Zum Glück stehen in Deutschland noch genug Krankenhäuser…“ – hätte ich da nicht das Problem damit.

    @Niggemeier: Macht sich Alkhalaf über sich selbst lustig? Oder was ist dann der Humor?
    „…wenn wir unsere ganz eigenen „Frauen sollten aufpassen beim Bananenessen“-Traditionen haben…“ Pinkstinks hat eine Tradition, Dinge aufzubauschen. Gibt es einen Artikel, meinetwegen auch in einem Lokalteil, wo jemand _unironisch_ davon sprach, dass er (oder halt sie) Bananenessen grundsätzlich obszön findet oder fand und deshalb auch selbst keine Bananen in der Öffentlichkeit isst oder aß, was ja das Äquivalent wäre? Falls ja, beteilige ich mich gerne zum Ausgleich am Shitstorm dagegen.
    Was jetzt meinen Beitrag zur Intergration betrifft, denke ich jetzt: ja, „interessante“ Perspektive, aber was wird von mir erwartet?

  9. @Mycroft
    Gibt es einen Artikel, meinetwegen auch in einem Lokalteil, wo jemand _unironisch_ davon sprach, dass er (oder halt sie) Bananenessen grundsätzlich obszön findet oder fand und deshalb auch selbst keine Bananen in der Öffentlichkeit isst oder aß, was ja das Äquivalent wäre? Falls ja, beteilige ich mich gerne zum Ausgleich am Shitstorm dagegen.

    Zwar kein Artikel, aber das Lied „Die Banane“ von den Ärzten.

  10. Ah, sorry, das Unironische fehlt… Genau wie in manchen Filmen, etc. Andererseits schwingt dabei natürlich bei aller Ironie immer implizit mit, dass der Verzehr einer Banane als lasziv empfunden werden darf.

  11. @Stefan Niggemeier
    So weit sind wir gar nicht auseinander. Mit so einer Kolumne kann ich sehr gut leben. Wer nur die eigenen Ansichten erträgt, soll in seinem Tagebuch schmökern.
    Mir leuchtet nur nicht ein, warum die Reaktionen, also auch die differenzierten, samt und sonders einer „riesigen öffentlichen brutalen Welle an Diffamierung und Hass“ subsumiert werden. Warum nicht die Pöbler und Extremisten beider Seiten ignorieren und vernünftig debattieren?

  12. @Christian Knatz: Weil mein Thema ist, wie Pöbler und Extremisten (die ich hier nur auf einer Seite sehe) eine solche Debatte unmöglich machen.

    Eine inhaltliche Diskussion über die Kolumne an sich kann man natürlich auch führen – aber dass eine kleine regionale Kolumne so eine Aufmerksamkeit erfährt, ist ja Konsequenz der Aufregung, die künstlich um sie geschaffen wurde.

  13. @Peter Sievert:
    Das ist eben der Grund, warum ich und vermutlich auch andere nach einem ironischen Bruch suchen, ein sich darüber lustig machen, irgendwas. In „die Banane“ läuft das Date aus völlig nachvollziehbaren Gründen weg.

    Es gibt tatsächlich die Kritik, dass die eine Frau, die auf dem einen Plakat eine Banane isst, viel zu anzüglich und sexualisiert ist als Werbung für einen Obst-und-Gemüse-Händler, aber da geht es um die Inszenierung, nicht um die Banane.
    Es wäre schwer vorstellbar, dass jemand ernsthaft einen Artikel schreibt darüber, dass Bananenessen grundsätzlich Männer zu sabbernden Idioten macht wie das lyrische Ich in „Banane“, oder wenn, dass der veröffentlicht wird, oder selbst wenn das, dass der nicht ähnlich hart kritisiert wird.
    Soll heißen, da ich zumindest keine derartige Tradition habe, muss ich mir diese Kritik nicht zu eigen machen.

    Von allen möglichen Integrationshindernissen und Problemen, die es in Dt. gibt, ist das jetzt das, wo ich bis dato das geringste Änderungspotential sehe. Entweder gewöhnt sich Ibrahim daran, oder er hat leider Pech gehabt.

  14. @Mycroft:
    „Von allen möglichen Integrationshindernissen und Problemen, die es in Dt. gibt, ist das jetzt das, wo ich bis dato das geringste Änderungspotential sehe. Entweder gewöhnt sich Ibrahim daran, oder er hat leider Pech gehabt.“

    Da wäre „offene Türen einrennen“ noch zu schwach gewählt, um diese Bemerkungen zu beschreiben.
    Niemand hat das auch nur anklingen lassen, aber gut, dass Sie das noch mal erwähnen.

    Man stelle sich vor, die ganze Empörung hätte nicht wenigstens noch einen herbei fabulierten Anlass!

  15. #15:
    Was Sie jetzt meinen, ist „Herr Lehrer, ich weiß was, im Keller brennt Licht.“ ;-)
    Es wurde verschiedentlich anklingen gelassen, dass dieser Artikel ein Beispiel für gelungene Integration sei. Weil der Autor, nicht Ibrahim, dieses Integrationshindernis überwunden habe (und ich vermute, es sei gemeint, dass auch Ibrahim das gelingen würde).
    „Kann jetzt Leuten beim Eisessen zuschauen, ohne rot zu werden.“ kommt mir persönlich nicht gerade wie die Zielgerade der Integration vor, aber ich wurde auch schon belehrt, dass es tatsächlich Menschen gäbe, die es erotisch fänden, wenn vollständig bekleidete Personen phallusförmige Objekte in kleine Stücke bissen, und man sich daher nicht anstellen solle. *schulterzuck*

  16. @Mycroft: Die Zielgerade der Integration war ja schon in der Kolumne ein paar Wochen vorher überschritten, in der es dem Autor gelang, Allgäuer Käse essen, insofern ist alles andere jetzt nur noch Bonus.

  17. In meiner Jugend (vor ca 30 Jahren) war das zumindest ganz und gebe, dass das Essen einer Banane des öfteren zu anzüglichen Bemerkungen geführt hat. Gegenüber beider Geschlechter.
    Kommentare wie „ja los, nimm es in den Mund“ und ähnliches waren recht „normal“. Und selbst wenn es nur das Geplänkel von Jugendlichen war, sieht man dadurch, dass das Essen Phallusartiger Lebensmittel oft zu solchen dummen Gedanken führt.
    Und jetzt nehmen wir jemanden, aus einem Kulturkreis in dem Frauen bloß keine sexuell aufreizenden Sachen machen dürfen/sollen in der Öffentlichkeit, und schon hat man einige Menschen die das zuerstmal obszön finden wenn sie eine Eis leckende Frau in der Öffentlichkeit sehen.

    Mir persönlich hat auch kein ironischer Bruch gefehlt. Für mich war es eine amüsante Anekdote die auch leicht zum Nachdenken angeregt hat.

  18. #16 #17
    Wenn ich dabei betrachte, wieviele Menschen gegenwärtig Probleme haben, die 50er Jahre des letzten Jahrtausends hinter sich zu lassen …
    Die optischen Trigger unterscheiden sich, der Reflex bleibt derselbe.

  19. @Niggemeier:
    Allgäuer Käse ist natürlich schon Endstufe, da haben Sie Recht. Aus völlig unerotischen Gründen.

    @#18, MT:
    1. ist das beim Bananenessen ja nicht „unironisch“ gewesen,
    2. gilt das heute als sexistisch, jedenfalls bei Pinkstinks, bei denen ich allerdings den Eindruck habe, dass die das generell für unironisch halten, und,
    3., wenn es sexistisch ist, oder jedenfalls die unironische Variante, dann ist der fragliche Artikel auch sexistisch, weil Essen eben sexualisiert wird, und zumindest die Kritikpunkte der latenten Frauenfeindlichkeit wären zutreffend.
    Alternativ: wenn Eisessen zu sexualisieren nicht sexistisch ist, ist es auch nicht sexistisch, Bananenessen sexualisieren, und Pinkstinks hat Unrecht. (Ok, bei Pinkstinks bin ich zu befangen, um mich ehrlich amüsieren zu können…)

    @Frank Gemein: Es gab im letzten Jahrtausend 10×10 50er Jahre, welche meinen Sie jetzt?

  20. Etwas zu sexualisieren und sexistisch zu sein sind für mich immer noch zwei Paar Stiefel.
    Und viele Menschen sehen in phallusartigen Objekten halt direkt n Penis. Bestes Beispiel die Rakete von Jeff Bezos, da hat sich ja gefühlt die halbe Welt über die Penis Rakete amüsiert.
    Und letztendlich sagt er nur „man darf es obszön finden…“

    Unsere damaligen Sprüche über das Bananen Essen waren gefühlt immer ironisch und vor allem dumm.

    Über das Bananen essen eine Sexismus Debatte zu führen, halte ich für stark übertrieben. Da hier ja alle Geschlechter sich gegenseitig sexistische Sprüche zuwerfen können. „Ha, du hast einen Penis im Mund“.
    letztendlich nur Pubertärer Unsinn.

  21. „Etwas zu sexualisieren und sexistisch zu sein sind für mich immer noch zwei Paar Stiefel.“
    Einverstanden, aber das ist dann genau das Gegenteil von dem, was Pinkstinks sagt. Die sagen, wer das derartig sexualisiert, tut dies aus Sexismus.

    Halten Sie „obszön“ eigentlich für positiv oder wertneutral? Wenn nicht, „darf“ man andere Menschen mit abwertenden Eigenschaften bezeichnen, weil diese Eis essen?

  22. Da in unserer Gesellschaft sexuelle Belästigung ja fast nur Frauen betrifft, muss man natürlich damit rechnen, dass einem hier Sexismus unterstellt wird. Kann mir vorstellen, dass es auch häufig genau das ist.
    Aber wie schon erwähnt, war das damals in meinem Empfinden immer ironisch und es wurden sowohl Männlein als auch Weiblein damit aufgezogen.
    Ich habe auch noch nie jemanden gehört der das als ernsten sexistischen Kommentar abgelassen hat. Ich hab da eher den Spruch der Mutter meiner Klassenkameradin im Kopf die darauf hingewiesen hat, dass ihre Tochter doch aufpassen soll wenn sie eine Banane isst, da die Jungs sonst schlimmes denken.

    Und obszön ist natürlich nur wertende. Aber in diesem Zusammenhang war es ja nur eine Beschreibung. Jemand hat sein ganzes Leben gelernt, dass genanntes Verhalten obszön uä ist. Nun sieht er in einem anderen Kulturkreis, dass genanntes Verhalten ja völlig normal ist. Trotzdem ist in seinem Kopf erstmal noch obszön verankert und daher auch passend für den Text.

  23. Interkulturelle Kompetenz heißt ja nicht, dass man unterschiedliche Sichtweisen oder Gefühlslagen nivellieren muss. Man muss sich darüber austauschen können, und Freiheit ist immer auch die Freiheit der Andersdenkenden.
    Gerade beim Thema Eisessen erlebe ich das in meiner eigenen Ehe: Meine Frau ist Chinesin und sie findet es mindestens vulgär, wenn nicht sogar ungehörig sexualisiert, wenn ich (auch als Mann) beim Schlecken am Eis meine Zunge aus dem Mund herauskommen lasse. Ich musste jetzt nicht auf Teufel komm raus gegen ihre Gefühle kämpfen: Ich schlecke mein Eis ihr zuliebe seit Jahren nur noch mit den Lippen, nicht mehr mit der Zunge. Und sie musste sich im Gegenzug daran gewöhnen, dass sie auf andere Deutsche weniger Einfluss hat als auf mich und deshalb ab und zu etwas angeekelt sein muss, wenn sie andere Leute das Eis mit der Zunge schlecken sieht. (Sie spricht andere Leute natürlich nicht auf ihr Leckverhalten an; in ihren Essays über das Leben in Deutschland – geschrieben auf Chinesisch für Chinesen – hat sie es vielleicht schon mal thematisiert; ob sie ihren Ekel in einer deutschen Kolumne ausdrücken würde, weiß ich nicht. Dabei würde es uns doch helfen zu verstehen, dass unser Verhalten nicht universell als normal betrachtet werden kann. Nein, das, was wir als normal empfinden, das ist Teil unserer Kultur. Wieso kann man die Kolumne von Mohamad Alkhalaf nicht einfach dazu verwenden, dass wir uns unserer Kultur einfach mal wieder bewusster werden?)

  24. „Jemand hat sein ganzes Leben gelernt, dass genanntes Verhalten obszön uä ist.“
    Ja, und jemand anderes – aka: große Teile des Shitstorms – haben ihr ganzes Leben gelernt, dass „obszön“ eine Beleidigung ist. Wenn man die einen Gefühle als Argument akzeptiert, dann die anderen logischerweise auch.

    „Man muss sich darüber austauschen können, und Freiheit ist immer auch die Freiheit der Andersdenkenden.“ Niemand wird in D. gezwungen, Eis zu essen. Insofern bleibt Alkhalafs Freiheit gewahrt. Und natürlich darf er etwas obszön finden, weil Gefühle nicht verboten sind, oder darüber schreiben, wegen Pressefreiheit.
    Und ich mache jemanden, der seine Heimat verlassen musste, um Leib und Leben zu schützen, keinen Vorwurf, dass es ihm anderswo nicht gefällt, aber…
    …wenn Reichelt irgendetwas an der syrischen Kultur als obszön, Ekel erregend, Scham erzeugend oder ähnlich bezeichnet, fänden Sie das verteidigenswert? Ich würde, wie angekündigt, hart bei dem Shitstorm mitmachen, den ich dann auch zuversichtlich erwarte. Weil Reichelt ein paar Gründe zu seiner Entlastung fehlten. Achtes Gebot des Satanismus und so.

    „Wieso kann man die Kolumne von Mohamad Alkhalaf nicht einfach dazu verwenden, dass wir uns unserer Kultur einfach mal wieder bewusster werden?“ Sich bewusst machen, dass unsere Kultur andere Menschen offenbar anekelt? Wer dankt da nicht gerne dran?

  25. Achtung, Herr Mycroft wirft den Terriermodus wieder an. Inhalt wird zunehmend vernachlässigbar.

  26. Um 1970 war es die Disziplinarordnung der Richter, auf der Strasse kein Eis schlecken zu dürfen. Nach 1945 waren wir in Wien empört über US – Touristen in kurzen Hosen und „Hawaii -Hemden“ . Bis 1980 waren die Nippel – aber nur einer „weissen Frau“ – absolut obszön und jugendgefährdend und von der Polizei – auch auf Plakaten – bekämpft.
    Nach 2000 gab es Ausstellung und Buch zum Thema „Maria lactans“ – die Jesukind stillende Maria – seitens der Erzdioezese – zu Ansichtigem, welches gut 300 Jahre obsolet war – –

    – -und neulich haben zwei Gotteskämpfer an einem verborgenen Waldsee, einem „eroffenen“ Bergwerk – ein Paar gefährlich bedroht, weil „sie“ oben ohne – – (!!!)

  27. Bananen habe ich noch nie gemocht und das damit pubertär Insinuierte ist höchst private Geschmacksache. Eis hingegen schlecke ich gerne und wer damit was assoziiert, der hat das Problem, nicht ich.
    frau steht darüber und Mohamad Alkhalaf scheint mir auf einem
    guten Weg, d.h. sein kultureller Horizont scheint erweiterbar im
    Gegensatz zu den Empörten aus den Sackgassen. Ich würde gern
    mehr Kolumnen von ihm lesen.

  28. @Mycroft
    Sie scheinen meine Argumentation ja schon verstanden zu haben. Hab ein bisschen das Gefühl sie wollen hier auch ein wenig trollen oder Leute in Widersprüche verwickeln.
    Noch einmal, falls ich doch missverstanden wurde.

    Obszön ist für mich erstmal eine Wertung. Diese basiert auf dem Erlernten und Hintergrund des jeweiligen Menschen. Er kann in seiner Anfangszeit also erstmal gar nicht anders als es obszön zu finden. So wurde er ja konditioniert.
    Und es ist ja auch erstmal nicht beleidigend wenn man eine Handlung obszön findet.

    Und ist das nicht das schöne am Deutschland. Er darf das obszön finden, der Reichelt darf genauso andere Dinge als obszön bezeichnen und beide würde ich verteidigen. Denn hier geht es nicht um Fakten oder Behauptungen oder so, es geht ausschließlich um Gefühle. Und jemanden seine Gefühle abzusprechen oder zu sagen er darf nicht so fühlen geht halt einfach nicht (im Sinne von es ist tatsächlich unmöglich)
    Der Shitstorm welchen es dazu gab, der war ja nur voller falscher Behauptungen und Unterstellungen. Deswegen musste/sollte man ja dagegen es sagen.

  29. „Sie scheinen meine Argumentation ja schon verstanden zu haben. Hab ein bisschen das Gefühl sie wollen hier auch ein wenig trollen oder Leute in Widersprüche verwickeln.“
    Dann haben Sie meine Argumentation nicht verstanden. Ok, von vorne. Ich versuche nicht, Sie in Widersproche zu verwickeln, ich gebe einfach nur die Konsequenz Ihrer Argumente wieder.

    „Und es ist ja auch erstmal nicht beleidigend wenn man eine Handlung obszön findet.“ Ähh, doch? Bzw., ich habe mehrmals gefragt, ob da irgendeine Ironie hintersteckt, und mir wurde von verschiedenen Seiten, einschließlich Ihrer, versichert, dass das nicht so sei. Also ist der Begriff so gemeint, wie er im Wörterbuch steht, und das ist etwas sehr negatives.

    „…der Reichelt darf genauso andere Dinge als obszön bezeichnen und beide würde ich verteidigen.“
    Der Reichelt „darf“ Aspekte anderer Kulturen als _obszön_, also eine besonders krasse Art von „Ekel erregend“, „Scham erzeugend“ und/oder „abstoßend“ bezeichnen, ja. Freies Land und so. Und ich hätte dann halt ein Gefühl dazu, und wenn es gar nicht um Fakten oder Behauptungen geht, bin ich schon durch mit dem Thema – wie würden Sie dagegen argumentieren?
    So?
    „…zu sagen er darf nicht so fühlen geht halt einfach nicht…“
    Er darf so fühlen, wie er fühlt, ich darf fühlen, wie ich fühle, Sie dürfen fühlen, wie sie fühlen, und die ganzen Shitstormtruppler im Internet fühlen, was man so als Shitstormtruppler fühlt. Hass ist zwar keine Meinung, aber ein Gefühl. Thema durch, oder?
    Wir alle haben Gefühle, und wenn wir die nicht ändern können, hat es eigentlich keinen Sinn, über Gefühle zu reden, es sei denn darüber, wie man die Dinge, die diese Gefühle auslösen, abstellt.
    Hieße im konkreten Fall, dass entweder die einen nicht mehr Eis essen, oder der andere gewöhnt sich daran, was darauf hinausläuft, dass er seine Gefühlen eben doch ändert. „Herr Lehrer, ich weiß was, im Keller brennt Licht…“

  30. Es geht ja nicht darum ob der Begriff negativ ist, sondern ob er beleidigend ist. Beleidigend ist er nur, wenn der man zu jemandem hingeht und sagt das ist obszön dass du hier dein Eis schleckst.
    Das passiert aber nicht. Er sagt nur wie er es für sich empfindet. Lässt uns Leser demnach in seine Gedankenwelt.
    Und natürlich lassen sich Gefühle und Empfindungen ändern. Er heißt ja zudem „heute scheint er sich daran gewöhnt zu haben“
    Und auch sein Kumpel Ibrahim wird sich daran gewöhnen. Und trotzdem sind die Gefühle, in jenem Moment so gewesen und das wurde beschrieben. Aber die Shitstorm Truppe sagt ja, was fällt dem ein solche Gefühle zu haben.
    Wie bei allem ist auch hier der Kontext ausschlaggebend.

    Und das mit dem Reichelt kann man ehrlich gesagt auch nicht damit vergleichen. Dem Syrer wurde sein Leben lang beigebracht und vorgelebt, dass dies eine obszöne Handlung ist, und das von dem Großteil der Gesellschaft in der er lebte.
    Auf den Reichelt trifft das ja nicht zu. Ihm wurden, dem Großteil seines Lebens alle möglichen, verschiedenen Sichtweisen auf Menschen Kulturen usw gewährt.
    Einfach gesagt, er weiß es besser.
    Wie schon erwähnt, immer auf den Kontext achten.

    Und auch sie wissen es besser und müssen hier nicht seltsame Vergleiche ziehen, und Strohmann Argumente bringen.
    Auf weitere Diskussionen zu den Thema lasse ich mich nicht ein.
    Denn für mich ist es trollerei was sie betreiben, schön verpackt in Eloquenz und viel Wissen.
    Und da ich „nur“ ein Heilerziehungspfleger (Proletarier) bin werde ich bei Diskussionen mit ihnen unweigerlich den kürzeren ziehen.

    Aber sie sollten sich mal fragen ob es ihnen nicht vielleicht an sozialer Intelligenz mangelt.

  31. „Beleidigend ist er nur, wenn der man zu jemandem hingeht und sagt das ist obszön dass du hier dein Eis schleckst.“
    Wenn ich Ihnen etwas im persönlichen Gespräch sage, was Sie kränkt, ist es beleidigend, aber wenn ich dieselbe über Sie in die Zeitung setze, nicht? Ok, um des Hausfriedens willen, Sie haben gewonnen.

    Fürs Protokoll: Ihr Beruf, Bildungsgrad oder wasauchimmer ist mir so was von latte.

  32. Vielleicht wäre es ganz sinnvoll, zurück zum Ausgangspunkt zu kommen. Extreme Rechte haben wieder einmal einen Aufhänger gesucht, um gegen Ausländer zu hetzen. Und sie haben ihn nicht ge-funden, sondern er-funden.

    Die Mehrzahl der Kommentatoren, die sich darüber in Social Media ausgelassen haben, dürften nicht mehr als Überschrift und Teaser des Artikels kennen, da dieser bislang nur in der gedruckten SZ und im Web hinter der SZ-Bezahlschranke zu lesen ist.

    Was man schon daran erkennt, dass oft Mohamad Alkhalaf vorgeworfen wird, er würde es obszön finden, wenn eine Frau in der Öffentlichkeit ein Eis isst. Wenn man die Kolumne gelesen hat, wird es sofort auffallen.

    Man kann aber unter https://www.sueddeutsche.de/thema/Typisch_deutsch viele andere frei lesbare Artikel der zwei Autoren und einer Autorin dieser Kolumne lesen und sich selbst ein Bild über diese Kolumne insgesamt machen.

    Wenn man einigermassen vorurteilsfrei herangeht, wird man erkennen, dass es hier um den Blick geht, den Menschen haben, die aus einem anderen Land nach Deutschland gekommen sind. Sie vergleichen ihr früheres mit ihrem heutigen Leben, schreiben über Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen den Kulturen und auch darüber, wie sie sich selbst hier einleben, wie sie aufgenommen werden.

    Das ist oft erhellend, erlaubt auch uns Einheimischen neue Einblicke und hilft, sich in andere Sichtweisen hineinzuversetzen und sie vielleicht zu verstehen. Oder zumindest anzuerkennen, dass man Dinge auch anders sehen oder machen kann, als man es gewohnt ist, wenn man schon immer hier gelebt hat.

    Und manchmal hält es uns auch den Spiegel vor. Oft sind diese Kolumnen leicht und unterhaltsam, manchmal aber auch bedrückend. Wenn man die Kolumne regelmässig liest, ist sie insgesamt ein Gewinn.

  33. Danke für diesen guten Kommentar. Wir leben in einer Kultur des intendierten Mißverständnisses. Der ursprüngliche Kolumnentext ist super und auch wichtig. Gerade die individuellen Integrationserfahrungen können Brücken bauen. Allerdings luden Headline und Bild durchaus zum Missverständnis ein. Da hätte die WELT verantwortlicher handeln müssen.

    Klar, jeder Strohhalm wird von der rechten Bubble aufgegriffen. Das ist eines ihrer erfolgreichsten Werkzeuge. Ehrlicherweise müssen wir aber feststellen, dass es auch die andere Seite (die, die wir uns gefühlt für klug und vernünftig halten) nicht vermeiden kann, über jedes Stöckchen zu springen und Dinge zu skandalisieren.

    Es scheint vielen – auch Journalisten – nicht mehr möglich, die Relevanz eines Kontextes unabhängig von der politischen Verortung zu beurteilen. Das „andere“ wird skandalisiert, das „eigene“ ignoriert oder marginalisiert. Das gilt für Eisschlecken ebenso wie für Freibäder oder Gewalt durch Menschen mit Migrationshintergrund. So entsteht weder Dialog noch Lösung und dummerweise bestätigt man damit auch noch die Sichtweise der anderen. Ein sich selbst verstärkendes System der Polarisierung.

    Genau deswegen liebe ich die Übermedien, die sich hier durchaus erfolgreich an Ausgewogenheit und Rationalität versuchen.

  34. Ich kenne diese Kolumne leider nicht, sie scheint mir aber sehr aufschlussreich eher im Hinblick auf die syrische Kultur. Es ist doch gut, zu wissen, wie Menschen ticken, die hier leben müssen, weil es in ihrer Heimat aus diversen Gründen nicht lebenswert ist. Ich frage meine ausländischen Kolleg:innen gern über ihre Kultur aus.
    Und mal ehrlich – ich bin als Frau alt genug und genervt genug vom Alltagssexismus, den ich im Laufe meines Lebens hören, sehen und immer noch in den sozialen Medien von Männern meiner Hautfarbe und Alters (50+) lesen muss, dass ich weiß, dass das Eis essen von Frauen nicht nur für syrische Männer zu Kopfkino sorgt.
    Um das Ganze mal humorvoll zu sehen – hoffentlich empfiehlt niemand seinen syrischen Mitmenschen einen Ausflug ins Wikingermuseum nach Haithabu…

  35. Wenn Kartoffel-Männer finden, nackte Busen im Freibad hätten etwas mit Sexualität zu tun, dann ist das ein Ausdruck toxischer Männlichkeit und eines zutiefst verinnerlichten strukturellen Sexismus‘.

    Wenn syrische Männer sich von einer voll bekleideten Frau sexuell provoziert fühlen, weil sie ein Eis isst, dann ist das eine heitere Integrations-Schnurre.

    Keine Pointe.

  36. @Kritischer Kritiker #38::

    Wenn Kartoffel-Männer, Angehörige arabischer Clans, syrische männliche Flüchtlinge oder irgendwelche andere Männer finden, nackte weibliche Brüste im Schwimmbecken im Freibad (nicht auf der Liegewiese im Freibad, am oder im Badesee, am oder im Meer, in der Werbung, auf der Seite 3 der Blindzeitung, in der Kunst, von stillenden Müttern in der Öffentlichkeit usw. usf.) oder gar – oh Gott, oh Gott, oh Gott – im Schwimmbecken im Hallenbad hätten etwas mit Sexualität zu tun, dann ist das ein Ausdruck toxischer Männlichkeit und eines zutiefst verinnerlichten strukturellen Sexismus.

    Wenn chinesische Frauen sich von einer voll bekleideten Menschen „mindestens vulgär, wenn nicht sogar ungehörig sexualisiert“ berührt fühlen, weil sie Eis schlecken, dann ist das auch keine heitere Integrations-Schnurre.

    Keine Pointe.

  37. Wenn die chinesischen Frauen und arabischen Männer ihre Sentiments beobachten und hinterfragen, ja vielleicht selber im Kontrast der ihnen neuen Kultur etwas seltsam zu finden, so ist das genau das, was so auf dem Weg zu(r|m) Kosmopolit(e|i)n zu lernen ist.

    Es nennt sich Ehrlichkeit, sich damit auseinanderzusetzen.

    Die Unbelehrbaren werden nicht versucht sein sich zu ändern.

    Es liegt dem der alte Fehler zugrunde, der Verleugnung mit Tugend verwechselt.
    So wie wir alle Rassist:innen sind. Weil wir es gar nicht anders gelernt haben. Der Unterschied besteht darin, ob wir bereit sind einzusehen, zu lernen und zu ändern.

    Die unbelehrbaren Rassist:innen aber werden jeden Verdacht entrüstet von sich weisen. Das macht es ja so schwer.

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