Im Würgegriff der Politik

Günther Jauch enthüllt nach 27 Jahren noch einmal einen bekannten ZDF-Skandal

Jauch erhebt schwere Vorwürfe: Spitzenpolitiker durften Nachrichten bestimmen
Screenshots: „Massengeschmack.tv“ / „Bild“

Ein Skandal erschüttert das ZDF: Der beliebte Moderator Günther Jauch hat scheinbar ungeahnte Abgründe der politischen Einflussnahme beim Sender enthüllt. Ausgerechnet in einem Gespräch mit dem „Offenen Kanal Bitburg“, das bereits Ende April stattfand, inzwischen von dessen Youtube-Seite gelöscht wurde, aber jetzt vom Medienmagazin „Die Mediatheke“ weiterverbreitet wird.

Es geht um den ZDF-Jahresrückblick „Menschen“, den Jauch bis 1995 jedes Jahr moderierte – und dann plötzlich nicht mehr. Jauch erzählt, dass die Sendung aus der Rheingoldhalle in Mainz kam. In den ersten Reihen saßen jeweils die Honoratioren. Wenn geklatscht wurde, schwenkte die Regie auf wichtige Menschen wie den damaligen rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten Kurt Beck.

Jauch weiter:

„Und unmittelbar nach Ende der Sendung [Ende 1995] wurde Kurt Beck hinterbracht, dass er in der dreistündigen Sendung irgendwie sechsmal im Bild war und der Oppositionsführer Joannes Gerster, der sei elfmal im Bild gewesen. Und das würde ein Nachspiel haben. Dann kam ein aufgeregter ZDF-Programmdirektor: Wir haben große Probleme, Herr Jauch, und hin und her und deswegen etc., und tatsächlich fand ein Deal statt danach zwischen Intendant des ZDF und Beck, dass er sich drei Themen für die ‚heute‘-Sendung aussuchen durfte, Autobahneröffnung oder sonstwas, um da wieder entsprechend einen Ausgleich zu bekommen. Und als ich das mitbekommen habe – das war wirklich unfassbar – hab ich gesagt: Passt auf Leute, das nächste Jahr machen wir mal eine Denkpause, ich setze mal aus.“

Unfassbar, alt und bekannt

Die Geschichte ist wirklich unfassbar und deshalb ist es auf den ersten Blick nachvollziehbar, dass sie heute auf vielen Nachrichtenseiten steht. Sie ist aber nicht nur unfassbar, sondern auch alt und – bekannt. Sie machte nämlich auch vor 27 Jahren schon Schlagzeilen.

Die „Frankfurter Rundschau“ etwa berichtete am 17. Januar 1996 unter der Überschrift:

Ein Ministerpräsident fühlt sich stark unterbelichtet

Konkret war es laut FR der rheinland-pfälzische Staatssekretär für Bundesangelegenheiten und inoffizielle Medienbeauftragte der Landesregierung, Karl-Heinz Klär (SPD), der sich beschwerte, dass Beck nicht häufig genug im Bild gewesen sei. Klär war auch Mitglied im ZDF-Fernsehrat und schrieb einen Brief an dessen Vorsitzenden Konrad Kraske (CDU), in dem er von „ZDF-Schleichwerbung für einen CDU-Wahlkämpfer“ in „unverschämter Form“ sprach. Seine Frau habe als als Zuschauerin „aus Jux mitgezählt“: „Als der CDU-Landesvorsitzende zum 13. Mal ins Bild gerückt worden war, wollte meine Frau (…) das definitiv nicht mehr für Zufall halten“, so Klär.

Beck, auf den angeblich nur vier mal geschwenkt wurde, sei zum „Feigenblatt einer PR-Veranstaltung für seinen Wahlkampfgegner“ degradiert worden. Klär forderte laut FR nicht weniger, als alle „Verantwortlichen und relevanten Mitarbeiter der Sendung sämtlich einzubestellen, damit sie befragt werden können.“

In Rheinland-Pfalz standen damals Wahlen an: am 24. März, drei Monate nach der „Menschen“-Sendung.

Die „Süddeutsche Zeitung“ berichtete am 19. Januar 1996 über den Vorfall unter Klärs Zitat: „Wir wollten das nicht für Zufall halten“. Sie fügte die Information hinzu, dass man in der SPD vermute, dass „CDU-Kader in den mittleren ZDF-Etagen das Ding gedreht hätten: Den Gerster eingeladen und ihm einen schönen Platz besorgt; damit die Sache nicht auffällt, den Beck noch schnell dazugeladen“. Die SZ zitiert einen anonym bleibenden Sozialdemokraten mit den Worten: „Das ist so das übliche Zusammenspiel.“

Die SZ hatte damals auch schon tolle Zitate von Jauch zu der Sache:

„Moderator Jauch sagt, die Schwenks seien Zufall, nichts als Zufall gewesen, und es sei ‚völlig absurd, da irgendwas zu konstruieren‘. Klärs Brief zeige, wie sehr das öffentlich-rechtliche Fernsehen ‚im Würgegriff der Parteien‘ sei. ‚Wenn man das verfilmen würde!‘ Und wo sich Jauch schon aufregt: Er habe bei der Menschen-Sendung ganz normale Leute im Publikum haben wollen, und nicht die Gremiums-Mitglieder mit ihren Freikarten vom ZDF. Aber was war? ‚Fast alle Karten gingen an die Stützstrumpf-Fraktion.‘ Funktionäre im Saal statt Fans – klar, daß die Stimmung nicht sehr toll gewesen sei.“

Genau diese Klage hatte Jauch jetzt auch im „Offenen Kanal Bitburg“ nochmal geäußert.

Ärgerliche Panne

Das ZDF nahm die Beschwerde der SPD damals ernst. Der Sendersprecher nannte die Kameraschwenks gegenüber der SZ eine „Panne“, die nun leider nicht mehr zu reparieren sei.

Im Februar kroch der damalige ZDF-Intendant Dieter Stolte zu Kreuze. Gegenüber dem Fernsehrat versprach er, „ärgerliche“ Vorkommnisse wie die bei „Menschen ’95“ würden sich nicht wiederholen.

Auch der „Deal“ zwischen Intendant und Beck war damals schon bekannt und öffentlich. SPD-Politiker Klär selbst sprach gegenüber der Nachrichtenagentur epd davon: Stolte habe einen „Ausgleich“ zugesagt; dazu gehöre ein ZDF-Beitrag zur Verleihung der Carl-Zuckmayer-Medaille an Mario Adorf durch Ministerpräsident Kurt Beck.

Klär behauptete, es sei „objektiv“ zu einer unerlaubten Schleichwerbung für den CDU-Landesvorsitzenden gekommen. Und der Fernsehratsvorsitzende Kraske erklärte, die Kritik sei „verständlich“ und der Eindruck eines „unfairen Verhaltens“ des Senders gegenüber Beck verständlich. Zukünftig sollten Bildregie und Gästeprotokoll bei Sendungen mit Studiopublikum besser aufeinander abgestimmt werden.

Massive Einmischung der Politik: Günther Jauch rechnet knallhart mit dem ZDF ab
Aktuelle Schlagzeilen über einen Skandal von 1995 Screenshots: „Berliner Zeitung“, SVZ, „Focus Online“, „T-Online“

Was genau ist der Skandal?

Es ist faszinierend, wie sehr die Sache auch 1996 schon als Skandal diskutiert wurde – aber als Skandal einer angeblichen einseitigen Beeinflussung einer Landtagswahl durch die Regie einer Unterhaltungssendung. Jauch hingegen prangerte auch damals schon den Einfluss der Partien auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk an – und sagte Mitte des Jahres auch öffentlich und unter ausdrücklichem Verweis auf den Politikerstreit die Moderation des nächsten ZDF-Jahresrückblicks ab: „Organisatorisch ist zuletzt vieles nicht so gelaufen, wie ich mir das vorgestellt habe“, sagte er gegenüber der „Bild am Sonntag“.

Diese Quelle ist wiederum insofern lustig, weil es die „Bild“-Zeitung ist, die heute besonders laut Aufklärung vom ZDF wegen dieses vermeintlich jetzt bekannt gewordenen Skandals verlangt. „Über Jauchs Vorwürfe, die in der Vergangenheit liegen, will das ZDF nichts sagen“, klagt das Blatt. „Dabei sind die Vorwürfe gegen den Sender gravierend. Doch eine mögliche Prüfung der Vorgänge kündigt das ZDF nicht an, weist jegliche politische Einflussnahme einfach von sich.“

Ein Blick ins Archiv hätte vielleicht Antworten erbracht, die das ZDF nicht geben wollte.

Er hätte vielleicht auch gezeigt, dass früher manche Dinge bei den Öffentlich-Rechtlichen noch schlimmer waren als heute. Aber er hätte vielen Medien und Kritikern von ARD und ZDF vielleicht auch ein bisschen Schwung aus der frischen neuen Empörung genommen. Ein rechter Alternativ-Journalist forderte schon, „im Abwasser dieser schmutzig-stinkenden Geschichte müssten jetzt auch die Köpfe von Georg Restle, Böhmermann und Co rollen“.

22 Kommentare

  1. Das von mir verantwortete Medienmagazin heißt „Die Mediatheke“. Unser SENDER heißt Massengeschmack.tv. Insofern ist die Formulierung im ersten Absatz so nicht korrekt. Das nur als Hinweis.

    Ansonsten verstehe ich nicht, warum nicht so eine unglaubliche Geschichte 27 Jahre später noch einmal erzählt werden kann. Mir jedenfalls war sie nicht bekannt. Dass das plötzlich so durch die Gazetten geht, hat mich allerdings auch verwundert.

    Viel interessanter ist übrigens die Frage, warum Günther Jauch vom Offenen Kanal Bitburg die Löschung des Interviews auf YouTube verlangte. Das gut zweistündige Gespräch bietet noch manche weitere interessante Medienstorys. Und es ist schade, dass Jauch offenbar kalte Füße bekam.

  2. @Holger Kreymeier: Sorry, den Sendungsnamen korrigiere ich.

    Und natürlich kann man die unglaubliche Geschichte immer wieder erzählen. Insbesondere Jauch kann das selbstverständlich tun.

    Aber wäre es nicht, sagen wir: journalistisch, sie nach einem Blick ins Archiv entsprechend einzuordnen? Anstatt sie, wie viele Medien es tun, als neue Enthüllung zu behandeln oder in Überschriften sogar den Eindruck zu erwecken, es gehe um aktuelle Vorgänge?

  3. Das stimmt – deswegen war ich ja, wie gesagt, auch selbst verwundert, dass das plötzlich alle so groß fahren.
    Insbesondere so wie es t-online gemacht hat, finde ich es weit drüber.

    Ich denke, unsere eigene Überschrift „Politischer Einfluss beim ZDF? Das hat auch Günther Jauch erlebt“ ist dabei journalistisch sauber. Es ist ja legitim, mit einer knackigen Schlagzeile Leute zu interessieren.

  4. @Holger Kreymeier #3: Und da hätte ein „1995“ in der Schlagzeile nicht mehr hineingepasst? Das ist eine der lahmsten Ausreden, die ich je gehört habe.

  5. Das wäre dann zwar vielleicht fürs gute Gefühl aufrichtig, aber es wäre eine miserable Schlagzeile. Daher ist es gar keine Ausrede, sondern ich gebe zu, dass das pure Absicht war.

  6. @Holger Kreymeier #5: Ach was!

    In China ist ein Sack Reis umgefallen

    . Ne, stimmt ja gar nicht.

    Vor 27 Jahren ist in China ein Sack Reise umgefallen

    Auch nicht.

    Vor 27 Jahre ist in China ein Sack Reis umgefallen und ich wusste nichts davon, hat mit ja keiner was gesagt, bin auch zu faul und zu doof das zu recherchieren, und wenn ich dann darauf angesprochen werde, dann finde ich mich immer noch super

    Ah, jetzt, ja! Wenn es eine miserable Schlagzeile gewesen wäre, vielleicht wäre es dann gar keine Schlagzeile gewesen. #protipp

  7. Tja, wenn Sie ein Beispiel massiver politischer Einflussnahme beim ZDF als „Sack Reis“ abtun, dann sollten Sie vielleicht einen Grundkurs in Medienjournalismus absolvieren. Hausherr Niggemeier ist sicher gern behilflich.

  8. Wer eine 27 Jahre alte Geschichte mit einer irreführenden Schlagzeile wieder aufwärmt, macht das sicherlich nicht ohne Absicht. Und alle, die behände auf den Zug aufspringen (Kollege Hanfeld ist ja auch schon wieder eifrig am Werke), verfolgen sicher keine seriösen Ziele.

    Beste Grüße

  9. #9
    Dem kann ich nur zustimmen.

    Zusätzlich mein persönliches Empfinden: Jede Clickbait Schlagzeile verringert die Seriösität eines Nachrichten/Informationsmediums.

  10. @Holger Kreymeier (#7):

    „Tja, wenn Sie ein Beispiel massiver politischer Einflussnahme beim ZDF als `Sack Reis‘ abtun, dann sollten Sie vielleicht einen Grundkurs in Medienjournalismus absolvieren. “

    Die (na ja, nun gut, unter Umständen*) „massive politische Einflussnahme“ fand vor einem Vierteljahrhundert statt. Was Sie, wie Sie zugeben, in der Schlagzeile bewusst verschleiert haben – des Knalleffekts wegen. Meinem Verständnis von Medienjournalismus nach ist das Publikumstäuschung. Ihrem Verständnis von Clickbait-Journalismus nach ist es vermutlich genial. Die Wirkung war jedenfalls so groß wie irreführend.
    —————————————–
    *Wir reden hier von einem Herausforderer, dessen Nase ein paar Mal zu oft im Bild war – im Publikum einer Fernsehshow. Verstehe schon, dass sich Jauch als Moderator deshalb missbraucht fühlte. Einen messbaren Einfluss auf das Wahlergebnis kan man aber ausschließen.

  11. Der Skandal ist ja nicht, dass der zu oft im Bild war, sondern dass Kurt Beck sich drei (!) Gratis-Wahlwerbespots in den heute-Nachrichten als Entschädigung wünschen durfte.

    Und was unsere Überschrift angeht:

    „Politischer Einfluss beim ZDF? Das hat auch Günther Jauch erlebt“
    enthält eindeutig die Botschaft, dass das nicht aktuell passiert ist, sondern irgendwann mal in der Vergangenheit. Ich sehe daran keinen „Clickbait-Journalismus“.
    Das wäre bei einer Schlagzeile wie „Skandal! Günther Jauch prangert politische Einflussnahme im ZDF an“ oder so der Fall.
    Beim nächsten Mal schreiben wir einfach „Nicht drauf klicken, ist eine alte Geschichte“ – wobei selbst die auch indirekt schon wieder Clickbaiting wäre. Ach, es ist ein Kreuz mit diesen Medien…

  12. Du bist ja selbst eines.

    Mein Tipp: nächstes Mal einfach gar nicht machen, dann muss man sich auch keine langweilige Überschrift ausdenken.

  13. Gerne. Wenn man sich als Medienkritiker unglaubwürdig machen will, warum nicht. Dann aber künftig nicht wundern.

  14. @Stefan #15: Ich dachte das wäre so ein Bübchen, der ganz neu sei und noch keine Ahnung hat, was vor 27 Jahren war, weil er da noch nicht geboren oder noch im Kindergarten war. So klingt das alles für mich. Der ist fast so alt wie wir! Das macht mich fassungslos.

    NoteToSelf: Beim nächsten Mal, wenn Wichtigtuende wichtig tut, erst nach ihnen googeln. Und dann den blanken Unsinn nicht noch mit meinen Kommentaren aufwerten.

  15. @Holger Kreymeier
    „Das wäre dann zwar vielleicht fürs gute Gefühl aufrichtig, aber es wäre eine miserable Schlagzeile. Daher ist es gar keine Ausrede, sondern ich gebe zu, dass das pure Absicht war.“

    wie fänden Sie es, wenn man morgen mit der schlagzeile aufmachen würde, dass Sie den klimawandel leugnen würden?
    haben Sie nämlich getan, so vor rund 10 bis 15 jahren, wenn ich mich recht erinnere hinsichtlich des zeitraumes.
    war noch zu zeiten von fernsehkritik.tv – habe ich immer gerne geschaut. nach dem beitrag wurde es dann schnell weniger…

    egal: eine solche schlagzeile fänden Sie für wie angemessen?

    und Ihre verwunderung, welche wellen das jetzt schlägt, nehme ich Ihnen nicht ab, wenn Sie doch mit absicht handelten. Sie wissen genau, welche leute sich dann darauf stürzen…

  16. „Leider kann ich nach Ihnen nicht googeln – Sie nennen ja Ihren Namen nicht. Hat vermutlich Gründe.“
    frechheit!
    vielleicht ist er politisch tätig? oder schwul?
    und möchte schlicht keinen auf die schnauze bekommen. geht ja schnell heutzutage…

  17. @Holger Kreymeier

    Dass die dann tatsächlich gesendeten Beiträge „Gratis-Werbespots“ waren, lässt sich bestimmt nachweisen und wurde sicherlich schon gründlich von Ihnen recherchiert, oder?

  18. ah, der herr hat sich verkrümelt.
    tut halt weh, in das den spiegel der eigenen verlogenheit zu blicken…

  19. Ts, ts, der Kurt Beck. Hat immer auf „Handwerker, der es in der Politik zu was gebracht hat“ gemacht. Ich habe mich an die Geschichte nicht erinnert. Ich erinnere mich aber an den „Problembär“ auf dem Titelbild der Titanic, gegen das er gerichtlich vorgegangen ist und erwirkt hat, dass es nicht mehr gezeigt werden dürfe – und an die Sequenz im Fernsehen, in der er einem Langhaarigen empfahl, sich die Haare schneiden zu lassen, dann würde es auch mit dem Job klappen (…so ähnlich).
    Hat nichts mit diesem Skandal zu tun, ich weiß, charakterisiert aber sie Haltung eines Politikers, der „anständige“ Menschen vertritt.

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