Über Bilder (2)

Der KI-Fiebertraum und seine Auswirkungen auf politische Fotografie

Fotos schreiben Zeitgeschichte, wir schreiben über Fotos. Welche Nachrichtenbilder hinterlassen Eindruck? Wie wirken sie und warum? Wie viel ist inszeniert und von wem? Hendrik Wieduwilt analysiert für uns regelmäßig seine Auswahl des Monats.


What a year, huh? Captain, it’s March! Der zweite Monat dieser kleinen Foto-Kolumne hatte es in sich: Mützenich zwischen Klitschkos, die Europaflagge unterm Wasserwerfer, Habeck als Häuptling der Indianer und der aufgeplusterte KI-Papst auf allen Kanälen. Legen wir los.

„KI-Fotos“, überall „KI-Fotos“

Künstliche Intelligenzen haben die Welt in wilde Schwingungen versetzt: Zwischen Panik und Euphorie passt allenfalls allmählich einsetzende Mattheit. Was bedeuten die neuesten Versionen von Midjourney und Co für politische Fotos?

Die KI-Uhr tickt immer schneller: In der letzten Ausgabe mokierten wir uns noch darüber, dass jemand den sechsten Finger in einem manipulierten Foto übersah. Gestandene Forensiker empfehlen noch heute der Öffentlichkeit, bei möglichen Fakes besonders auf die Hände zu achten. Doch inzwischen können die Bildgeneratoren auch das, woran so manch ein Amateur-Zeichner verzweifelt: Hände malen.

Als das erste Beispiel echter KI-Massen-Desinformation gilt vielen Beobachtern ein Bild, das vermutlich inzwischen jeder kennt: Es zeigt den Papst im puffigen Winterparka.

Durch KI erzeugtes Bild des Papstes in weißer Dauenjacke
Keine Fashion-Week im Vatikan sondern ein KI-Fake: Der Papst in Daunenjacke.

Gebastelt hat es Pablo Xavier, ein 31 Jahre alter Bauarbeiter aus Chicago. Er hatte aus Trauer um seinen verstorbenen Bruder angefangen, mit Midjourney herumzuspielen und das Papst-Bild angeblich arglos in einer Facebook-Gruppe und auf Reddit gepostet, berichtet Buzzfeed.

Woran liegt es, dass ausgerechnet dieses von unendlich vielen in KI-Spielereien entstandenen Bildern viral ging? Daran, dass Xavier den besten KI-Fiebertraum der letzten Tage gebaut hätte, sicher nicht. Aber eben einen, der ins Herz traf, wie jede wirksame Desinformation: Der hohe Kontrast (weiß auf schwarz), die Dynamik und vor allem die emotionale Reaktion bei Betrachtern, die der katholischen Kirche Verschwendung und Heuchelei vorwerfen, haben zum perfekten Sturm geführt.

Auch, weil das Papst-„Foto“ wiederum nicht komplett abwegig schien – das unterscheidet es von den vielen gefälschten Bildern der angeblichen Trump-Verhaftung: Der gegenwärtige Papst Franziskus gibt sich zwar eigentlich frugal, zugleich gilt er als charismatisch, volksnah, manchen sogar als cool. Und schließlich, darauf weist „The Atlantic“ in einem lesenswerten Text zurecht hin, war die Frage nach der Authentizität vielen Beobachtern vermutlich schlicht zu egal, um sich näher damit zu beschäftigen.

Da sich KI-Bilder existierender Klischees und Bildgestaltungen bedienen, sind ihre Bilder verblüffend oft ikonografisch, großartig komponiert und zugleich wie dem echten Leben entnommen. Wie leicht sich das Ikonische kopieren lässt, zeigt das künstliche Bild des KI-Experten Boris Eldagsen, der damit gerade einen Fotowettbewerb gewann.

Es wird allerdings noch wilder: Inzwischen werden auch echte Fotos (zumeist ironisch) als falsche herumgereicht. Die Stimmung erinnert an die Mittelfinger-Causa um ein Video vom damaligen griechischen Finanzminister Yannis Varoufakis und die Behauptung Jan Böhmermanns, er habe dieses gefälscht. Was stimmt, was stimmt nicht?

Der Verband der Berufsfotografen fordert bereits eine Kennzeichnungspflicht für KI-generierte Bilder – was die Frage aufwirft, warum jemand, der die Welt täuschen will, dann vor einem falschen Siegel zurückschrecken sollte.

Es ist ohnehin fraglich, ob ausgerechnet die KI nun das Ende der Aufrichtigkeit einläutet. Bildmanipulationen ist in der Politik keine neue Angelegenheit – ja, wir schauen zu Dir, Josef Stalin. Allerdings könnte es für Schurken und Schurkenstaaten nun noch leichter werden, Beweise für ihre Missetaten als KI-Konstrukte zu bezeichnen. So macht es derzeit der russische Musikproduzent Iosif Prigoschin wegen eines angeblichen Gesprächsmitschnitts, der ihm in Putins Russland schnell einen Fenstersturz einhandeln könnte. Die Öffentlichkeit macht ein solches Hin und Her mürbe. „Gaslighting“ nennt man dieses Verwirren von Menschen, indem man Täuschung und Realität so lange verwischt, bis sie an ihrem Verstand zweifeln.

Die Helden der Ampel

Es ist eine unsterbliche Einstellung: Die Helden laufen (möglichst in Zeitlupe) auf die Kamera zu. Man kennt das aus Filmen wie „Armageddon“. In Meseberg führten die Ampel-Parteispitzen Olaf Scholz, Christian Lindner und Robert Habeck diesen „Hero’s Walk“ auf und verbreiteteten ihn auf den Kanälen der Protagonisten.

Wer zügig geht, hat ein Ziel und wichtige Dinge zu tun – da ist Bewegung, Dynamik, man möchte fast sagen „Fortschritt“. Die Perspektive ist entscheidend: Der Effekt wäre deutlich schwächer, wenn das Trio nicht auf die Kamera zuliefe, sondern etwa von hinten oder der Seite fotografiert würde.

Der cineastische Beigeschmack entsteht allerdings erst dadurch, dass die Fotografierten nicht in die Kamera schauen, wie Amateure es tun würden, obwohl die Armada von Fotografen doch direkt vor ihnen steht. Damit entheben sich die Politiker der Realität, sie wirken wie die Helden in einem Kino-Epos – phantastisch. Sie nehmen sich die Freiheit, in der Mitte eines Weges mit üppigem Abstand zu spazieren. So geht Dominanz.

Die EU so cool wie nie

Die EU steckt in einer Krise: Mit den eigenen Mitgliedern hat sie es nicht leicht (Ungarn, Polen) und eines hat sie ganz verloren (Großbritannien). Doch in diesem März blitzte eine Erinnerung an die Friedensmission dieses großen Projekts auf, als sich in Tiflis, der Hauptstadt von Georgien, die 47-jährige Demonstrantin Nana Malachkhia mit FFP2-Maske und einer gigantischen EU-Flagge direkt in den Wasserwerfer stellte. Später erinnerten Delegationsmitglieder und der französische Präsident an diesen Moment.

Das Foto erinnert sofort an ikonografische Fotografien der letzten Jahrhunderte – etwa an das Foto der amerikanischen Truppen der fünften Division im japanischen Iwo Jima, die am 23. Februar 1945 eine Flagge aufrichten. Das wiederum war übrigens ein zur damaligen Zeit eher banaler Austausch einer zuvor als zu klein erachteten Flagge und entwickelte erst danach welthistorische Bedeutung.

Foto: IMAGO/Courtesy Everett Collection

Manche erinnerte das Foto von Malachkhia – zumal es eine weibliche Demonstrantin war – an das Gemälde von Eugène Delacroix, „Die Freiheit führt das Volk“.

Häuptling Habeck und der „dutch angle“

Der Bundeswirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck und sein Kollege aus dem Umweltressort, Cem Özdemir, ernteten Empörung bei ihrem Besuch im Amazonas. Wir wollen alle Volten um dieses Ereignis nicht noch einmal durchkauen, allerdings bliebe noch ein bemerkenswertes Foto der dpa-Fotografin Britta Pedersen zu besprechen.

Özdemir hält darauf den Kopf leicht schief, wie jemand, der aufmerksam lauscht (er hat offenbar Kopfhörer für die Übersetzung auf dem Ohr).

Doch schaut man genau hin, ist das ganze Bild leicht angewinkelt. Man spricht vom „dutch angle“, also dem holländischen Blickwinkel. (Obwohl das vermutlich ein Übersetzungsfehler ist und eigentlich „deutscher Blickwinkel“ hieß.) Es ist ein in der Fotografie wie auch im Film beliebtes Stilelement.

Man nutzt die Schräglage, um Desorientierung zu transportieren – der Betrachter soll subtil beunruhigt werden. In Filmen passiert das etwa dann, wenn Unheil droht oder die Welt aus den Fugen gerät. Die Szenen aus „12 Monkeys“, die der Protagonist Cole in einer psychiatrischen Klinik verbringt, sind etwa in deutlicher Schräglage gefilmt.

Pedersens Fotografie (oder deren Beschnitt!) unterstreicht also den Eindruck: Hier haben zwei die Lage nicht unter Kontrolle.

Kiew und der kleine Mützenich

Rolf Mützenich zwischen zwei Klitschkos, dieses Bild schien die ganze Geschichte der gescheiterten sozialdemokratischen Ostpolitik zu erzählen.

Der Fraktionschef der Sozialdemokraten gilt als einer jener, die deutlich zu lange Willy Brandts Idee des „Wandels durch Annäherung“ nachhingen. Die SPD müsse sich nicht in den Staub werfen, sagte Mützenich der SZ noch trotzig. Doch dann hat SPD-Co-Chef Lars Klingbeil den Politiker nach Kiew geschleppt. Dort stand Mützenich zwischen den Klitschkos – und sah doch ziemlich gequetscht aus.

Das liegt nur zum Teil an der Physis. Vitali Klitschko ist 2,01 Meter groß, sein Bruder Wladimir misst immerhin 1,98 Meter, Mützenich ragt beiden bis zum Kinn. SPD-Chef Lars Klingbeil, stattliche 1,96 m hoch, stand daneben und sein Kreuz schien im Anzug noch einmal breiter als das der Klitschkos – doch auf vielen Bildern war Klingbeil herausgeschnitten, wohl des Effektes wegen.

Was das Foto bemerkenswert macht: Die Körpersprache Mützenichs. Er macht sich nämlich klein. Seine Beine stehen nah beieinander, anders als bei allen anderen auf dem Bild. Mützenichs Oberkörper ist auf dem Bild eingedreht. Eine solche Körperhaltung würde man eher Menschen nahelegen, die lieber schlank als schrankig wirken wollen. Zudem hat er die Handinnenflächen auf die Beine gelegt, was ein bisschen angespannt wirkt. Anders steht etwa Lars Klingbeil, er führt die Hände leicht vor dem Körper zusammen. Das ist eine gute Praxis, so sieht man es auch bei vielen Bildern von Moderatoren.

Die Frage, was man mit den Händen machen soll, kennt jeder Portrait-Fotograf. Man kann sie in die Taschen stecken, das kann cool wirken oder eben passiv und unbeteiligt – Armin Laschet kennt das. Verschränkte Arme wirken dagegen manchmal zu dominant oder gar ein bisschen oppositionell. Die Merkel-Raute ist nach Angaben der Fotografin Claudia Kempf auch ein Artefakt so eines Fototermins – und eine gute, nun allerdings besetzte Antwort auf die Frage: „Was mache ich mit den Händen?“

Olaf Scholz (1,70 m) hat beim Besuch Wladimir Klitschkos im April 2022 im Kanzleramt übrigens alles richtig gemacht:

Er legte die Hände vor dem Körper zusammen und stand frontal. Wer eine Weile zwischen Grün und Gelb regiert, verliert vermutlich die Angst vor blauen Augen.

6 Kommentare

  1. Schöne Analyse, macht Spaß zu lesen.

    „Es ist eine unsterbliche Einstellung: Die Helden laufen (möglichst in Zeitlupe) auf die Kamera zu.“

    Davon gibt es eine unfreiwillig parodistische Variante – nämlich den SPD-Wahlwerbespot von 1994, in dem die „Troika“ aus Scharping, Schröder und Lafontaine in Zeitlupe und zu den Klängen von „Pomp and Circumstance“ durch die Säulenhalle des Alten Museums in Berlin schreitet. In schlecht sitzenden Anzügen und mit quietschbunten Musterkrawatten. Kannste Dir nicht ausdenken.

    https://www.youtube.com/watch?v=UyAVx2tCWm8

  2. Die drei schreitenden Herren vor Schloss Meseberg haben übrigens auch einen leichten „Dutch Angle“ – die Fassade kippt nach rechts. Das war wahrscheinlich so nicht beabsichtigt.

  3. @Kritischer Kritiker: Danke fürs Teilen – in der Tat: „unfreiwillig parodistisch“ trifft es da auf den Punkt.
    @Hendrik Wieduwilt: Schließe mich dem Vorredner an: schöne und toll lesbare Analyse!

  4. Irgendwann hat der Artikel nix mehr mit KI zu tun. Fängt das schon bei der EU – Fahne an?

  5. @Prinzheinrich (#5):

    Anfang März fanden in Tiflis Proteste gegen einen pro-russischen und anti-demokratischen Gesetzentwurf der Regierung statt. In diesem Kontext stellten sich Demonstranten mit EU-Flagge den Wasserwerfern der Polizei entgegen. (Aber vermutlich wussten Sie das schon und wollten nur ein wenig provozieren.)

    Tatsächlich wird das eine der Folgen von KI sein: Bildern wird grundsätzlich nicht mehr getraut – bzw. ihre Echtheit wird aus populistischen Gründen abgestritten.

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